Während der Zeit an der Oberschule starb der Kirchendiener Weber. Heinz-Walter Knackmuß und sein Freund Rainer Jähnke übernahmen nun diese Aufgabe. Sie putzen die Kirche am Samstag, holten Blumen im Sommer aus dem Garten von Frau Winckelwski und schmückten den Altar und läuteten die Glocken zum Gottesdienst und traten den Balg für die Orgel. Da ich nicht an den FDJ-Veranstaltungen in Rathenow teilnehmen wollte, wurde ich Pionierleiter in Semlin und machte mit den Kindern Spielnachmittage auf dem Schulhof. Der Pfarrer Rolf Stubbe amüsierte sich immer wieder, dass ich Kirchendiener und Pionierleiter war. So blieb es bis 1963, wo die beiden Männer nach dem Abitur das Dorf verließen. Heinz-Walter Knackmuß arbeitete von 1963 -1964 zur Vorbereitung auf sein Humanmeizinstudium als Hilfspfleger im Bezirks-Krankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Braandenburg-Görden und war dort sechs Monate auf einer Kinderstation und sechs Monate in einer Suchtklinik tätig.
Nach dem Abitur, das er als einziger Schüler mit Auszeichnung, bestanden hatte, studierte er von 1964 -1970 Humanmedizin an der Humboldt-Universität zu Berlin (Charité). Nach der Approbation 1975 begann er die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in den Vereinigten Gesundheitseinrichtungen des Kreises Rathenow und wurde im ersten Jahr der fünf Jahre andauernden Facharztausbildung in das Landambulatorium Rhinow geschickt, wo er unter Anleitung von Dr. Günther Tanner die ersten praktischen Erfahrungen machte. Es gab damals überall Kopfläuse und der erfahrenen Facharzt für Allgemeinmedizin lehrte ihn den Merkspruch: Hinter den Ohren werden sie geboren und im Nacken gehen sie kacken. Nach dem ersten Jahr, wo er zum Schluss mehr Patienten betreute als der Leiter des Landambulatoriums, kam er zurück ins Paracelsuskrankenhaus Rathenow und absolvierte in einem Halbjahreszyklus die Chirurgie, die Innere Abteilung, die Gynäkologie und Geburtshilfe, die Augenstation, die Kinderstation, die Infektion sowie die ambulanten Abteilungen wie Hautarzt, HNO-Arzt, Tuberkulose und Mütterberatung, Kreisarzt und hospitierte beim Ausbildungsleiter für die Ärzte für Allgemeinmedizin Dr. Heinz Neumann in der Südambulanz in Rathenow. Dr. Heinz Neumann unterstützte ihn auch bei der Diplomarbeit. Am 01.10.1975 bestand er die Facharztprüfung für Allgemeinmedizin und erhielt die Staatliche Anerkennung als Facharzt für Allgemeinmedizin. Er übernahm kurzzeitig die Leitung des Landambulatoriums Milow, begann aber 1975 die Ausbildung zum Kreishygienarzt, da der Stelleninhaber Med.-Rat. Dr. Helmstedt in Rente ging und ein neuer Arzt die schwer zu vermittelnde Aufgabe wahrnehmen musste. Der Kreisarzt Dr. Rudolf Müller hatte schon fünf Fachärzte gefragt, ob sie nicht das Amt des Kreishygienearztes übernehmen wollten, aber alle hatten ihm einen Korb gegeben. Der Kreishygienearzt hatte die Aufgabe die Infektionskrankheiten zu bekämpfen, die Schutzimpfungen zu koordineiren, die Lebensmittelbetriebe zu kontrollieren und die Aufgaben der Kommunalhygiene wahrzunehmen. Er war der Leiter der Kreisseuchekommission und dem Kreisarzt disziplinarisch und dem Bezirkshygienearzt fachlich unterstellt. Es war auch eine Aufgaben mit hohem Verwaltungsaufwand, was die meisten Ärzte abschreckte. Am 28.04.1980 verteidigte er seine Doktorarbeit "Die Durchsetzung kommunalhygienischer Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Gülleverwertung als Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung im Kreis Rathenow/Bezirk Potsdam" und erhielt vom Wissenschaftlichen Rat der Humboldt-Universität zu Berlin de akademischen Grad Dr. med. Berufsbegleitend absolvierte er eine Facharztausbildung zum Facharzt für Hygiene und erhielt nach der Facharztprüfung am 21.03.1983 die entsprechende Anerkennung. Am 03.07.1990 wurde Dr. Heinz-Walter knackmuß zum Leiter des Gesundheitsamtes und Amtsarzt im Landkreis Rathenow ernannt. Nach der Fusion der Landkreise Rathenow und Nauen zum Landkreis Havelland mit der Kreisstadt Rathenow war er der erste Amtsarzt im Landkreis Havelland nach der Einheit Deutschlands im Jahr 1990. 2004 fand die erste Weihnachtsfeier nach der Fusion der beiden Landkreise in Rathenow in der Gastststätte ""Schwedendamm" statt. Dr. Heinz-Walter Knackmuß hatte 1990 den BVerband der Ärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen des Landes Brandenburg gegründet und leitete den Verein zehn Jahre lang. Gleichzeitig war er von 1990 . Stellv. Bundesvorsitzdnes des Verbandes der Ärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland.
Der Gemeindekirchenrat (Presbyterium)
Am 02.11.1980 wurde Dr. Heinz-Walter Knackmuß in den Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde Rathenow gewählt. Dem Gemeindekrichenrat ghörten damals folgende Mitglieder an:
Älteste | Ersatzälteste |
1. Christa Eißer (Steinmetzmeisterin) | 1. Kurt Priegnitz (Galvaniseur) |
Pfarrer Dietrich Hallmann war der Geschäftsführende Pfarrer und kam aus München. So wurde Dr. Heinz-Walter Knackmuß sehr streng in demokratische Strukturen, die es sonst in der DDR nicht gab, eingeführt. Der Pfarrer Dietrich Hallmann achtete immer darauf, dass alles mehrheitlich entschieden wurde. Das waren die Anfänge in der Arbeit in gewählten Gremien.
Am 05.11.2024 feierte er seinen 80. Geburtstag und schied aus Altersgründen aus dem Gemeindekirchenrat der Sankt-Marien-Andreas-Gemeinde in Rathenow aus.
Bis 2006 arbeitete er als Amtsarzt in Rathenow und war nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben intensiv damit beschäftigt die Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow zum Lobe Gottes wiederaufzubauen. Am 15.09.1996 gründete er mit meiner ersten Frau Helga Knackmuss, geborene Protz, einen Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. Seine Frau Helga starb 1996 an einem unheilbaren Krebsleiden. Seit 01.08.2003 ist er mit Viola Knackmuss, geborene Kempf, verheiratet. Mit seiner Frau Viola hat er 2011 ein Buch über die Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow geschrieben, das unter der Tel-Nr.:+4933855200224 bestellt werden kann (14,00 € + Portokosten).
1957 hatte der damalige Superintendent Georg Heimerdinger des Kirchenkreises Rathenow eine kleine Broschüre über die Sankt-Marien-Andreas-Kirche herausgegeben. 54 Jahre später (2011) erschien nun erst dieses Standardwerk über die Kirche, das eine umfangreiche Darstellung des Wiederaufbaus erzählt, aber auch neue Forschungsergebnisse über die alte Schuke-Orgel präsentiert und ein lückenloses Verzeichnis aller Superintendenten in Rathenow seit der Reformation. Lustige kleine Anekdoten hellen die historischen Darstellungen etwas auf und geben dem Buch mehr Leichtigkeit, die bei Kirchenführen meist vermisst wird. Die Besucher der Bundesgartenschau 2015 fanden besonders die Erklärungen der Chorfenster sehr aufschlussreich. Es gibt auch andere Erläuterungen der Chorfenster, die aber sehr ätherisch wirken. Eine kleine Broschüre über die Kirche weist brillante Fotos auf, berücksichtigt aber kaum den Wiederaufbau des Gotteshauses und die Forschungsergebnisse aus dem Buch von Viola und Dr. Heinz-Walter Knackmuß. Der Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. feierte 2016 sein 20jähriges Bestehen. Am 15.09.2016 fand dazu um 14:00 Uhr in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche die ordentliche Jubiläums-Mitgliederversammlung statt und anschließend wurde im Chorraum die Ausstellung "20 Jahre Förderkreis" eröffnet. Der Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow ist noch lange nicht abgeschlossen. Es sollen noch
1. Die drei Kreuzgewölbe im Chorraum wieder errichtet werden
2. Die Emporen wieder aufgebaut werden
3. Die Schuko-Orgel eingebaut werden
4. Die barocke Kanzel nachgeschnitzt werden
5. Eine Heinzung eingebaut werden
Am 20.09.2024 besuchten der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst (CDU) und der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung von Rathenow Corrado Gursch (CDU) die Sankt-Marien-Andreas-Kirche und wurden vom Vorsitzenden und Stellvertretenden Vorsitzenden des Förderkreises empfangen.
von links: Kevin Ka.M arienma, Corrado Gursch,ndrik Wüst, Dr. Heinz-Walter Knackmuß
Ohne einen großzügigen Spender oder erhebliche staatliche Unterstützung wird sich das umfangreiche Bauprogramm von fünf Millionen Euro nicht verwirklichen lassen. Der Förderkreis erbittet dazu Gottes Segen und will die Sankt-Marien-Andreas-Kirche zum Lobe Gottes wiederaufbauen.
Der Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. hat eine eigenen umfangreiche Internetseite. Die Daten wurden fast ausschließlich von Dr. Heinz-Walter Knackmuß eingestellt. Seit 2020 hilft auch Hartmut Fellenberg dabei.
Spenden zum Wiederaufbau der Kirche
werden erbeten an den Förderkreis
IBAN: DE07160919940001070100
BIC (SWIFT): GENODEF 1 RN 1
bei der Volksbank Rathenow
1. Kirchturmgeschichten aus Rathenow
Dr. Heinz-Walter gab 2011 mit seiner Frau Viola Knackmuß ein Buch mit dem Titel "Sankt -Marien-Andreas-Kirche in Rathenow" heraus. Im Buch waren auch Schmunzelgeschichten enthalten, die sich um die Kirche und den Kirchturm rankten. Inzwischen liegt eine erweiterte zweite Fassung druckfertig vor, die noch mehr Kirchturmgeschichten enthält. Ein Teil dieser Geschichten soll hier veröffentlicht werden. Viola Knackmuß konnte sich aus gesundheitlichen Gründen an den Veröffentlichungen nicht mehr beteiligen.
Dr. Heinz-Walter Knackmuß ist seit dem 01.01.2017 Mitglied im Förderverein zur Erhaltung der Dorfkirche Landin. Es hat sich so ergeben, dass er jeden Monat seit 2017 eine Geschichte für die Internetseite des Dorfkirchenvereins Landin geschreiben hat. Es sind dies wahre Geschichten aus Landin, aber auch Geschichten, die er in seinem Heimatdorf Semlin als Kind erlebt hat und die nun nach Landin verlegt wurden. Manche Geschichten sind auch selbst erdacht worden. Anregung dafür gab Gert Dittrich, dem bei einem Besuch in Landin die Geschichte von der Friedhofstür erzählt wurde und der daraufhin meinte: "Schreiben Sie die doch mal auf!" Nach einem Hirninfarkt seiner Frau Viola Knackmuß musste er das Schreiben von Geschichten am 01.12.2022 beenden, weil seine Frau alle Kräfte band.
1. Die offene Friedhofstür in Landin 04.03.2017
Der Friedhof um die kleine Landiner Dorfkirche war immer gut gepflegt. Jeder wollte die Gräber seiner Lieben auf das Beste präsentieren, einmal, damit die Menschen sehen, wie sehr man den Verstorbenen geliebt hat und zum anderen gab es auch einen „sozialistischen Wettbewerb“ um das schönste Grab im Dorf. Nicht jeder hatte ein Händchen dafür oder einen grünen Daumen. Es gab auch einen Mangel an schönen Blumen und so säte man schon im Winter in Töpfen zu Hause aus, was dann einmal die Gräber schmücken sollte. Im Frühjahr und im Sommer war es schon eine Pracht, über den Friedhof zu gehen. Der Adel hatte da eine ganz andere Vorstellung. Auf den Gräbern wurde Efeu gepflanzt und so war das Grab das ganze Jahr über grün, was ja auch eine Art Schmuck ist. In der Lindenallee, die zur Kirche führte, gab es ein Schwirren und Summen, denn die Bienen holten sich den Nektar für den begehrten Lindenblütenhonig vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. In Landin hatte jeder nach dem Krieg (1939 -1945) Hühner. Wo es Eier und Fleisch nicht im Überfluss gab, war das einfach eine Notwendigkeit. Direkt am Friedhof wohnten Elfriede und Erich Rühle. Natürlich suchten die Rühleschen Hühner nicht nur auf dem Hof ihr Grün. Vor dem Gehöft war ja ein schönes Stück Rasen, das geradezu einlud, dort zu picken und zu scharren und wenn dann noch die Tür zum Friedhof offenstand, war das ideal für die Hühner. Sie suchten schnell mal auf dem Friedhof in den Gräbern, ob da nicht ein Käferchen zu finden war. Die Landiner ärgerten sich darüber. Denn kaum hatten sie ihre Kunstwerke auf den Gräbern fertig und alles schön geharkt, kamen die Hühner und scharrten auf dem Friedhof, sodass alle Pracht perdu war. Es wurde also angeordnet, dass die Tür zum Friedhof ständig zu schließen sei und wehe, wenn einer doch mal die Tür offenstehen ließ. Das gab böse Auseinandersetzungen. Aber die Hühner waren ja nicht dumm. Sie flogen in die Bäume, die direkt am Zaun zum Friedhof auf dem Rühleschen Hof standen und erreichten so ihr Ziel auch. Das gab wieder neuen Zank um die Hühner von Elfriede und Erich Rühle. Die Rühles mussten versprechen, die Flügel der Hühner zu stutzen, damit sie nicht mehr über den Zaun fliegen konnten. Ob das den Hühnern gefallen hat, weiß ich nicht, aber der dörfliche Friede war so wiederhergestellt.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 04.03.2017
2. Die Carmen von Landin 01.04.2017
Hertha Victoria Elisabeth Brunow (*03.01.1904 in Berlin - † 20.07.1983 in Landin) wuchs mit ihren Eltern in Berlin in der Holzmarktstraße auf. Der Vater Arnold Emil Gustav Brunow stammte aus Landin und war Straßenbahnfahrer in Berlin. Er hatte sich seine Frau Anna Pauline Luise Brunow, geborene Muchow, aus Landin geholt. Die frühesten Erinnerungen von Hertha Brunow waren der Besuch der Kaiserlichen Paraden in Berlin, wo die Eltern sie hochhoben, damit sie den Kaiser Wilhelm II. sehen konnte. So ist es nicht verwunderlich, dass sie bis an ihr Lebensende eine Verehrung für das Kaiserreich in sich trug. Die Schule besuchte sie mit ihren Freundinnen Charlotte Jungnickel und Margarethe Brunow in Berlin. Die Freundinnen trafen sich auch später, so oft es ging in Landin. Natürlich verbrachte Hertha ihre Ferien regelmäßig in Landin bei dem Großvater Ferdinand Muchow, der ein Restaurant und eine kleine Bauernwirtschaft mit seiner Frau betrieb. Es stand über dem Haus „Gasthaus zur Erholung von Ferdinand Muchow.“
Gasthaus zur Erholung Ferdinand Muchow 1903
Es gab großartige Feste im Saal der Gastwirtschaft und im Sommer natürlich unter den alten Bäumen an der Straße, die von Rathenow nach Friesack führte. Dort wurden Zelte aufgebaut und man schwelgte bei Bier und Braten bis zum frühen Morgen. Es sind die schönsten Jugenderinnerungen, die sich bei Hertha Brunow mit Landin verbanden. Hertha Brunow besaß Brillantschmuck und trug ihn auch. Kostbare Ohrringe und Broschen, dazu manch edler Ring, den ihre Hände zierten, brachten ihr den Namen „die Carmen von Landin“ ein. Natürlich gab es auch eine Jugendliebe. Die wohnte aber ausgerechnet in Cochstedt im Harz und ehe die zwei zusammenkommen konnten, kam der Krieg (1939 -1945), der eine Zäsur im Leben von Hertha Brunow darstellte. Ihr Freund fiel in den ersten Kriegstagen und ihre Wohnung in Berlin in der Holzmarktstraße 10 wurde durch den Krieg zerstört, sodass die ganze Familie in Landin Zuflucht nehmen musste. Betty und Max Ebel aus Rathenow kamen nach Kriegsende noch dazu, denn auch sie verloren ihr Haus in den Nachkriegswirren. Max Ebel hieß eigentlich Max Fick, hatte aber, als er heiratete, seinen Namen ändern lassen. Nach 1945 betrieb Hertha Brunow die Gaststätte von ihrem Onkel Max Muchow mit ihren Tanten weiter in sehr bescheidenem Umfang. Es gab einen kleinen Laden und sie war Leiterin einer kleinen Sparkassenagentur. Als der Onkel Max Muchow starb, wurde die Landwirtschaft, die sowieso an die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gefallen war, eingestellt.
Landiner Schloss 1903
Hertha Brunow war in Ermangelung derer von Bredows, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Teil von Deutschland emigriert waren, „die Grande Dame von Landin“ und stellte eine Institution dar, an der man unschwer vorbeikam. Die Gaststätte blieb aber lange Zeit die Domäne der Tanten und ihrer Nichte Hertha. Alle Tanten starben kinderlos und setzten Hertha Brunow als Erbin ein. Sie hatte immer guten Kontakt zu ihren Hausärzten gehalten. Der Dr. Ludewig und der Medizinalrat Rolf Zimmermann (Ärztliche Direktor des Paracelsus-Krankenhauses in Rathenow) wurden zu Freunden. Ein entfernter Verwandter Heinz-Walter Knackmuß besuchte sie ab und an mit seinem Vater. Sie kamen aus Semlin mit dem Fahrrad angeradelt und es entspann sich eine engere Bindung. Als dann Heinz-Walter Knackmuß von 1964 - 1970 Humanmedizin in Berlin studierte, wurden die Bande noch intensiver. Als er später Kreishygienearzt in Rathenow war, kam er oft nach Landin und spielte mit den Damen Karten. Auch wurden gemeinsame Reisen nach Berlin, zur Kyritzer Insel und in die nähere und weitere Umgebung unternommen. Hertha Brunow war aber auch in der Kirchengemeinde von Landin engagiert und pflegte mit allen Pfarrern intensive Beziehungen. Die Arbeit der Pfarrer wurde sehr kritisch beurteilt und es fehlte nicht an guten Ratschlägen gegen den atheistischen Staat, der im Umgang mit Christen doch manchmal recht rigoros verfuhr. Hertha Brunow hielt mit den Menschen in Landin guten Kontakt. Der Laden, die Gaststätte und die Sparkassenagentur brachten genug Berührungspunkte mit vielen Menschen. Der Garten war in Notzeiten eine wichtige Nahrungsquelle. Die Birnen, Äpfel und Pflaumen, die Johannesbeeren, die Kartoffeln und Zwiebeln wurden geerntet und eingelagert. Hertha Brunow und ihre Tanten weckten die Früchte aus dem Garten ein und schlachteten die Gänse und weckte Gänsekeulen ein. Der Garten war fruchtbar, denn man hatte einige Wagen Lehm zu dem Sandboden gebracht, was den Boden sehr verbesserte. Vor Weihnachten warf der Förster Hans Babucke ihr einen Tannenbaum auf den Hof. Die Geburtstage wurden groß mit den Nachbarn und Verwandten gefeiert, meistens in der Gaststube, die später auch zum Wohnzimmer umfunktioniert wurde. Hertha Brunow blieb als Einzige von der Großfamilie in dem Haus allein zurück und bemühte sich nach dem Tode ihrer Onkel und Tanten das Anwesen in Ordnung zu halten. Am 20.07.1983 starb sie in diesem Haus an einem Herzleiden. In ihrer Todesstunde betete sie aus dem berühmten Lied „Befiehl Du Deine Wege“ von Paul Gerhardt, wo es im letzten Vers heißt: „Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; stärk unsre Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allzeit Deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.“
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.04.2017
Die Sage berichtet, dass auf dem Hohen Rott früher ein Riese lebte und auf dem Rütscheberg ein Riesenfräulein. Zwischen den Hügeln befand sich ein Sumpf, der immer einen großen Umweg erforderlich machte, wenn sich die beiden, die sich sehr lieb hatten, sehen wollten. Das Riesenfräulein kam deshalb auf die Idee, ihre Schürze mit Erde zu füllen und die Erde in das Luch zu werfen. So war beiden geholfen. Wenn der Riese mit einem Bein auf dem Hügel trat, war er mit dem anderen Bein bei seiner Geliebten. Wo das Riesenfräulein den Sand entfernte, befindet sich heute der Landiner See. Jeder Pfarrer auf dem Dorf hatte in früheren Zeiten einen Acker, den er selbst bewirtschaften musste. Als ein Pfarrer mit seiner jungen Frau neu in Landin war, säte er auf dem Pastorenacker Weizen aus und ging jeden Tag, um nachzuschauen, ob die Weizensaat schon aufgegangen waren. Aber es braucht alles seine Zeit und meistens kam er unverrichteter Dinge vom Feld heim. Die Bauern in Landin bemerkten natürlich, was da vorging. Ein Bauer sagte ihm deshalb am Sonntag nach dem Gottesdienst:
“ Herr Pastor den Weiten mütt Se nich alle Dage bekieken, de wasst van alleen.“ Früher waren die Pastoren ja mit Pferd und Wagen unterwegs. Die Pfarrer hatten auch damals schon mehrere Dörfer zu versorgen. Als er einmal in Haage predigte, geriet er am Abend bei der Heimfahrt nach Landin in ein fürchterliches Gewitter. Er konnte in seiner Pferdekutsche nicht die Hand vor Augen sehen. Durch den krachenden Donner scheuten die Pferde und das Gefährt kam in wilder Fahrt vom Wege ab. Der Pastor konnte seine Kutsche nicht mehr lenken und fuhr direkt in den Landiner See, wo er mit Mann und Maus im Moor versank. An der Stelle, wo der Pastor mit seiner Kutsche verunglückte, soll der See auch heute nicht zufrieren. Deshalb nennt man die Stelle noch immer „Das Pastorenloch.“
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.06.2017
Wenn man die die Straße von Rathenow nach Landin fährt, ist links vor dem Havelländischen Hauptkanal eine kleine Lichtung, die im Volksmund als „Feenschloss“ bezeichnet wird. Dort scheint den ganzen Tag die Sonne, wenn sie denn scheint und eine Geschichte berichtet, dass der junger Bauernsohn Bartholomäus Mewes aus Landin im Juni in einer Vollmondnacht auf die Jagd ging, als er durch eine feine Musik zum Feenschloss gelockt wurde. Er sah dort ein kleines Schlösschen, vor dem 12 Feen im Mondlicht tanzten. Sie winkten ihm zu und er ging auf die Lichtung, wo ihm die Feen süßen Wein und gezuckerte Früchte anboten. Er tanzte mit den Feen die ganze Nacht hindurch. Sie sangen immerfort ein und dasselbe Lied.
Im Mondlicht tanzen wir Feen;
wir schweben über Wälder und Seen.
Den Menschen bringen wir Glück
und kommen hierher zurück.
Als die ersten Morgenstrahlen am Horizont zu sehen waren, fiel er in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst gegen Abend am Waldrand erwachte. Von nun an besuchte er in den Vollmondnächten oft das Feenschloss und tanzte mit den Feen. Es war wie ein Zauber, der ihn immer wieder zum Feenschloss lockte. Auf einem Fest in Landin lernte Bartholomäus Mewes einmal die schöne Tochter des Müllers aus Kriele kennen und verliebte sich in sie. Christlinde Müllerin, wie sie genannt wurde, war auch ein anmutiges Mädchen mit wunderschönem Haar und blitzenden Augen. Nachdem die Ernte eingebracht war, wurde in Landin eine große Bauernhochzeit gefeiert. Es gab Wein, Bier und Braten. Als Vorspeise aßen die Gäste Milchreis mit Fischen, was alle sehr liebten. Der Fisch war in einer Essigmarinade eingelegt und wurde als Soße über den Reis gefüllt. Nach der Hochzeit kam der Winter und der junge Ehemann lebte mit seiner Frau glücklich und zufrieden. Als er im nächsten Frühjahr wieder auf die Jagd ging, streifte er bei Vollmondnächten oft am Feenschloss vorbei. Das Schloss und die Feen blieben aber seinen Augen verborgen und die Musik hat er auch nie mehr vernommen, nur die Erinnerung blieb ihm bis ins hohe Alter lebendig vor Augen und er erzählte seinen Kindern und Enkelkindern oft davon.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.07.2017
In Landin lebte Lippold von Bredow, der sein Vermögen verprasste und sich hoch verschuldete. Durch sein wildes Leben wurde er ein leichtes Opfer des Teufels. Mit ihm schloss der einen Packt, dass er vom Teufel alle Wünsche erfüllt bekäme und am Ende seines Lebens der Teufel die Seele seiner jungen hübschen Frau holen könnte. Wenn der Teufel ihm aber einen Wunsch nicht erfüllen sollte, wäre er wieder frei von dem Pakt. So lebte er denn herrlich und in Freuden, aber nach und nach überkamen ihn doch Ängste und er hätte den Pakt gern widerrufen, aber es war zu spät. In seiner Not vertraute er sich einem alten Schäfer an, der durch seine Weisheit berühmt war. Er gab ihm folgenden Rat. Er sollte den Teufel um einen Scheffel voll Gold bitten. Ein kleiner Scheffel fasste 25 kg und ein großer Scheffel fasste 40 - 45 kg. Auf dem Rhinsberg, so riet ihm der Schäfer, sollte er ein Loch ausheben und einen Scheffel mit einem beweglichen Boden über das leicht verdeckte Loch aufstellen und sich das Gold in den Scheffel schütten lassen. An einem vorherbestimmten Termin kam um Mitternacht der Teufel mit einem Sack voll Gold zum Rhinsberg und schüttete das Gold in den Scheffel. Da der Scheffel sich nicht füllte, flog der Teufel erneut los und brachte mehr Gold, aber auch das füllte den Scheffel nicht. Schließlich rief der Teufel wütend: „Liepel, Liepel, Läpel, wat häst für´n groten Schäpel? “ Da schlug die Uhr vom Turm der Kirche in Landin eins und der Vertrag mit dem Teufel war nicht erfüllt worden. Lippold von Bredow war wieder frei und führte nun ein gottesfürchtiges tugendhaftes Leben. Seitdem heißt der Berg Teufelsberg. Das Loch ist heute noch zu sehen.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.08.2017
In der Nähe des kleinen Dorfes Landin im Havelland soll im frühen Mittelalter ein Kloster auf dem Rütscheberg gestanden haben. Es lebten darin aber keine frommen Mönche, die ihrem Tagwerk nachgingen oder den Armen und Kranken halfen, sondern eine verlotterte Mörderbande, die nur darauf aus war unter dem Heiligenschein der Kirche die Menschen auszuplündern und zu betrügen. Der Bischof von Brandenburg, dem die Aufsicht über das Kloster oblag, war weit weg und kümmerte sich nicht um die verkommenen Brüder auf dem Rütscheberg. Wenn ein neuer Mönch sich doch einmal zum Christentum und zur Barmherzigkeit bekennen wollte und Gottes Wort in diesem Kloster suchte, wurde er einfach umgebracht und eine scheinheilige Trauerfeier inszeniert. Den Bewohnern der Dörfer spielten sie eine Rolle von frommen Eiferern vor. In Wirklichkeit waren sie aber nur auf ihre Laster bedacht. In Landin lebte einmal ein sehr schönes Mädchen, dass einem Jäger versprochen war und die beiden liebten sich herzlich. Das Mädchen lebte mit ihrem kranken Vater zusammen und umsorgte ihn aufopferungsvoll Tag und Nacht. Der Jäger kam jeden Tag in das Haus der Familie und unterstütze seine Geliebte in der Hauswirtschaft nach Kräften. Als der Jäger mehrere Tage in einem anderen Gebiet arbeiten musste, kamen die Mönche vom Rütscheberg in das Haus und suchten unter Vorspiegelung der Hilfe für den Vater mit Beten und Handauflegen seine Leiden zu lindern. Dabei logen sie dem Vater vor, dass der Jäger eine andere Geliebte hätte und er seine Tochter unbedingt ins Kloster geben sollte, damit sie ihn gesund pflegen könnten und durch dieses Opfer dem Vater die ewige Seligkeit zuteilwerde. Das schöne Mädchen glaubte nicht an die Untreue ihres Bräutigams und wehrte sich verzweifelt. Alles Weinen und Beten half nichts. Der kranke Vater bestimmte, dass sie mit den argen Brüdern mitgehen musste. Die Brüder vergewaltigten sie und als sie ihre überdrüssig waren, erdrosselten sie sie und versenkten ihre Leiche mit Steinen beschwert im See. Ein Schäfer hatte sie dabei beobachtet und berichtete es dem Jäger, der wutschnaubend vor das Kloster zog und Rache nehmen wollten. Aber die verbrecherischen Brüder verhöhnten ihn nur von ihren sicheren Mauern, sodass er letztendlich auch den Tod im See suchte, um mit seiner Geliebten wenigsten im Tode vereint zu sein. Ehe er sich im See ertränkte, sprach er noch einen Fluch über die Mönche und das gottlose Kloster. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sehr fein. So kam es denn, dass nach und nach keine neuen Mönche in das Kloster kamen. Es verfiel mit der Zeit und zum Schluss entzündete ein Blitz das ganze Kloster bei einem fürchterlichen Unwetter mit Gewitter und Sturm. Es brannte alles nieder. Die Mönche, die den Flammen entkommen wollten, wurden von der wilden Jagd vor den Toren empfangen und erhielten ihre gerechte Strafe. Auch dem unbarmherzigen Vater war kein Glück beschert. Er musste nach seinem Tode ruhelos durch die Ruinen des Klosters und durch sein Heimatdorf Landin wandeln. Viele Menschen in Landin wurden von ihm als Gespenst, seinen Kopf unter dem Arm tragend, erschreckt. Endlich hat er durch den Geist seiner Tochter Vergebung erhalten und wurde von dem Umherwandeln erlöst. Von dem Kloster ist nicht ein Stein mehr geblieben. So hat sich der Fluch des Jägers auf furchtbare Weise erfüllt.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuss 01.11.2017
10. Weihnachten in Landin 01.12.2017
Ein Weihnachtsfest bei Hedwig Muchow in Landin war immer ein sehr inniges Fest mit Besuch der Verwandten im Haus. Lene aus Spaatz war da und half im Haushalt mit. Die Gottesdienste waren 1963 in der Gaststube Muchow sowohl am Heiligen Abend als auch an den Feiertagen. Der Förster Hans Babucke hatte im Advent einen Tannenbaum über den Hofzaun geworfen. Der Baum wurde am 23.12. in den Ständer gestellt und der Weihnachtsschmuck vom Boden geholt. Es wurde Kuchen gebacken, eine Gans geschlachtet und Grünkohl im Garten geerntet. Am Heiligabend wurde der Weihnachtsbaum geschmückt, die Gans gebraten, der Grünkohl gewaschen und zubereitet. Nach der Christvesper am Heiligen Abend setzten sich alle Hausbewohner und ihre Gäste unter den Weihnachtsbaum. Es gab Kartoffelsalat und Würstchen und ein Glas Glühwein. Dann wurde die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet und Hertha Brunow las eine Geschichte aus einem Weihnachtsbuch vor. Es wurden auch Weihnachtslieder gesungen und zum Schluss die Geschenke ausgepackt. Die Weihnachtskekse und anderes Weihnachtsgebäck standen auf dem Tisch und es durften die Apfelsinen nicht fehlen, die es nur zu Weihnachten zu kaufen gab. Es waren kleine und große Geschenke unter dem Weihnachtsbaum gelegt worden, meistens Strümpfe, selbstgestrickte Handschuhe, Pullover und andere Sachen, die man im Winter nötig hatte. Gegen Mitternacht wurden die Kerzen gelöscht, das Geschirr in die Küche gebracht und alles gleich abgewaschen und dann schlief das ganze Haus in den 1.Weihnachtstag hinein. Am Morgen des Weihnachtsfestes wurde die Gaststube nach dem Frühstück schon wieder für den Weihnachtsgottesdienst hergerichtet, denn die Landiner kamen pünktlich um 11:00 Uhr zum Gottesdienst. Elfriede Müller aus Kriele spielte die alten Weihnachtslieder auf dem Klavier und der Pfarrer verkündete die Botschaft von der Geburt Jesus Christus auch den Landinern zum ewigen Heil. Wenn sich die Menschen verlaufen hatten, ging es in die Küche, wo die Klöße bereitet wurden, die fertig gebratene Gans noch einmal in den Ofen kam und der Grünkohl langsam erwärmt wurde. Bei der Festtafel, wo es zur Feier des Tages und nach dem Tischgebet ein Glas Wein gab, wurden lustige Geschichten aus alten Zeiten erzählt. Die Alten wussten zu berichten, dass sie früher die Geschenke immer erst am 1. Weihnachtstag bekamen, aber das war lange her. Nach dem Birnenkompott gab es noch den Abwasch und dann legte sich alles zur Mittagruhe, ehe der Kaffeeduft die Menschen zu Kaffee und Kuchen rief. Der Kaffee war knapp und deshalb gab es nur sonntags Bohnenkaffee und natürlich zu den Feiertagen. Marmorkuchen und selbstgebackene Pfirsichtorte wurden dazu gereicht. Zu den Weihnachtstagen wird es ja immer früh dunkel und so erzählte man bis zur Abendmahlzeit Geschichten aus dem Dorf und aus dem Leben. Nach dem Abendessen spielte Hertha Brunow und ihre Gäste Rommé oder Canasta. Nur Hedwig Muchow wollte da nicht mitmachen. Für sie war Kartenspiel Teufelszeug. Sie kümmerte sich derweil um die Wirtschaft und räumte alles auf. Am 2. Feiertag, wenn denn mal zu Weihnachten Schnee lag, wurden die Pferde angespannt und alle Kinder und Erwachsene zu einer Schlittenpartie eingeladen. 20- 30 Schlitten fuhren dann ein paar Stunden durch die weiße Winterlandschaft zur Freude der Kinder, die diese Schlittenfahrten nie vergaßen.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.12.2017
Versammlung der Freiwilligen Feuerwehr am 15.09.1959
im Gastzimmer der Gaststätte Muchow
Am 29.12.1945 erhielt Max Muchow durch die Bodenreform Ackerland und Wald in Landin. Die Kommunisten hatten nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) in der russischen Besatzungszone den märkischen Adel von seinen Schlössern vertrieben und sein Land enteignet. Auf Grund der Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Brandenburg vom 06.09.1945 hatte der Vorsitzende der Gemeindekommission für Bodenreform in Landin Rudolf Gnad eine Urkunde an Max Muchow übergeben, die vom Vorsitzenden der Kreiskommission für das Westhavelland, dem Landrat Gehrmann, unterzeichnet war. Danach bekam Max Muchow 1,10 ha Ackerland und 3,00 ha Wald gegen eine Anzahlung von 10 %. Den Rest des Betrages von 815,00 Reichsmark sollte Max Muchow in den nächsten 10-20 Jahren entrichten. Max Muchow hat den gesamten Betrag sofort bezahlt und er erhielt am 29.12.1945 die entsprechende Urkunde, die vom Landrat Gehrmann und vom Präsidenten Steinhoff unterzeichnet waren. Das Grundstück und der Wald wurden damit rechtskräftig und schuldenfrei an den neuen Besitzer übergeben. Auf der Urkunde steht: „Der Grundbesitz soll sich in unserer deutschen Heimat auf feste, gesunde und produktive Bauernwirtschaften stützen, die Privateigentum ihres Besitzers sind.“ So erhielten viele arme Landarbeiter und viele Flüchtlinge aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern eigenes Land und konnten als Neubauern nach dem furchtbaren Krieg versuchen, ein friedliches Leben und eine neue Existenz aufzubauen. Beim Kartoffelracken half die ganze Familie und saß vor den Kartoffelreihen mit einer Hacke und holte die wertvollen Knollen aus dem Erdreich.
Kartoffelracker in Landin
Bei den Großbauern waren auch viele fremde Helfer beim Kartoffelracken zugange. Zehn bis zwanzig Männer und Frauen schoben sich kniend mit einem Korb rechts und links vorwärts und arbeiteten sich so langsam über das Feld mit seinen Kartoffelreihen. Die Kinder halfen selbstverständlich mit, denn nach dem Krieg gab es noch keine Kindergärten. Die Versorgung der vielen Menschen mit Lebensmitteln stand nach dem Krieg an erster Stelle und so unterstützten alle Regierungen die Bauern. Aber schon 1952, nachdem die größte Not überwunden war, beschlossen die Kommunisten diese Bauern durch die Hintertür wieder zu enteignen und ihre kleinen Bauernwirtschaften in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) zu überführen.
Erntehelfer in Landin mit ihren Kindern auf der Karre
Ab 1960 wurde auf die Bauern massiv Druck ausgeübt, damit sie diesen Genossenschaften beitraten. Viele Menschen flohen damals in den westlichen Teil von Deutschland, sodass am 13.08.1961 in Berlin eine Mauer errichtet und die Grenzsperren zum Westen massiv ausgebaut wurden. Damit konnte niemand mehr den Osten des Landes verlassen. Max Muchow war ein kleiner Landwirt und bewirtschaftete seine Felder und Wiesen mit seiner Frau und den übrigen Angehörigen der Familie, was nicht immer einfach war.
Ein Roggenfeld
Er folgte dem Ruf der Kommunisten bald und trat in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft „Freie Scholle“ in Landin ein. Max Muchow war Gastwirt und Landwirt, wie viele Menschen vor ihm und wie es auf den Dörfern seit Jahrhunderten üblich war. Er kümmerte sich aber wenig um die Gastwirtschaft. Er liebte die Pferde, das Land und arbeitete gern als Landwirt. Die Gastwirtschaft betrieben die Frauen in seiner Familie.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.03.2018
Der Pfarrer führte regelmäßig den Konfirmationsunterricht im Pfarrhaus in Kriele für die Konfirmanden auch aus Landin durch. Jede Woche einmal versammelten sich die Kinder in Kriele und hörten, was der Pastor so an Wissen über die Bibel und das Christentum vermittelte. Sie lernten die 10 Gebote und einige Psalmen und lasen die Hauptkapitel der Bibel gemeinsam und lernten Kirchenlieder auswendig. Die schönste Geschichte der Bibel war für Helga Schultze die von Joseph und seinen Brüdern aus dem Alten Testament. Joseph und sein jüngere Bruder Benjamin waren die Söhne der Lieblingsfrau Rahel, die vom Vater Jakob nach dem Tode der Mutter schamlos vorgezogen wurden. Während die 10 Söhne seiner ersten Frau Lea die Schafe hüten mussten und harte Arbeit auf den Feldern verrichteten, wurde Joseph von einem Lehrer unterrichtet, lernte Fremdsprachen, Lesen und Schreiben. Er wurde auch zur Aufsicht für seine zehn Brüder vom Vater eingesetzt. Dazu träumte er noch so sonderbare Dinge, dass sich seine Brüder vor ihm verneigten. Als er einmal wieder zur Beaufsichtigung der Brüder bei den Weiden für die Schafe erschien, verkauften sie ihn einfach als Sklave nach Ägypten. Ihrem Vater zeigten sie in Schafsblut getränkte Kleidungsstücke von Joseph, die sie angeblich gefunden hätten und meinten zum Vater, dass Joseph sicher von wilden Tieren zerrissen worden sei. Joseph gelangte zu einem hohen Beamten des Pharao und wurde dort als Verwalter tätig. Als die Frau des Beamten ihn fälschlicherweise eines sexuellen Übergriffs beschuldigte, kam Joseph ins Gefängnis, wo er bald wieder die Verwaltung übernahm und dem Mundschenk und dem Bäcker des Pharaos ihre Träume richtig deutete. Als nun der Pharao selbst träumte, dass sieben fette Kühe aus dem Nil stiegen und von sieben mageren Kühen gefressen wurden, wachte er schweißgebadet auf und träumt erneut, dass sieben fette Korngarben von sieben mageren verschlungen wurden. Keiner der Traumdeuter am Hofe des Pharaos konnte damit etwas anfangen. Da erinnert sich der Mundschenk an den Joseph, der schleunigst aus dem Gefängnis geholt wurde und dem Pharao erklärte, dass sieben reiche Erntejahre kommen werden und danach sieben Dürrejahre mit großer Hungersnot. Der Pharao ernannte sofort Joseph zum Minister, der große Scheunen bauen ließ und in den ersten sieben Jahren riesige Kornvorräte im ganzen Land anlegte. Als dann die Hungersnot kam, traf sie auch Jakob und die restlichen 11 Geschwister in Israel und sie kamen nach Ägypten, um Korn zu kaufen. Der Minister Joseph erkannte sie sofort und holte nun seine ganze Familie nach Ägypten. Seinen Brüdern sagte er: “Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Er wurde durch Gottes Plan zum Erretter seiner ganzen Sippe bei der Hungersnot. Die Konfirmation fand in der Landiner Kirche statt.
Dorfkirche Landin 21.04.1930
Eine Woche vor der Einsegnung war im Gottesdienst die Prüfung der Konfirmanden in der Kirche. Davor hatten alle Angst, denn die ganze Gemeinde war dabei und konnte auch Fragen stellen. Der Pfarrer hatte zu den Konfirmanden beruhigt und gesagt: „Wer die Antwort weiß, hebt den rechten Arm und wer die Antwort nicht weiß, der hebt den linken Arm.“ So kam es, dass sich immer alle Konfirmanden meldeten, wenn der Pfarrer eine Frage stellte und die Eltern und Großeltern und alle Verwandten waren sehr stolz auf ihre Kinder. Der Pfarrer hatte allen geboten über diese Meldepraxis Stillschweigen zu wahren. Der Superintendent war auch zur Prüfung in der Kirche und der gesamte Gemeindekirchenrat. Der Pfarrer wurde für seine pädagogische Arbeit mit den Konfirmanden sehr gelobt. Die Obrigkeit war erstaunt über so viel Wissen in Landin. Der Eingang zur Kirche wurde zur Konfirmation mit einer Fichtengirlande geschmückt. Helga Schultze trug ein schwarzes Kleid, schwarze Strümpfe und schwarze Schuhe. Als Schmuck hatte sie eine silberne Brosche am Kleid und eine silberne Gürtelschnalle. Ihr Konfirmationsspruch lautete: “Herr Deine Güte reicht soweit der Himmel ist und Deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen“ (Psalm 36, 4). Bei der Einsegnung bekamen die Konfirmanden das erste Mal Brot und Wein beim Abendmahl und waren damit offiziell in die Gemeinschaft der Erwachsenen in der Kirchengemeinde aufgenommen. Der Pfarrer hoffte natürlich, dass die Konfirmanden jeden Sonntag zum Gottesdienst in die Kirche kommen würden. Alle Verwandten kamen zur Konfirmation nach Landin und es wurde extra ein Schwein vom Fleischer aus Kriele geschlachtet. Zur Konfirmation waren ungefähr 20 Verwandte versammelt. Die Mutter hatte zum Mittag eine Hühnersuppe gekocht und es gab Schweinebraten, Rotkohl und Kartoffeln und als Nachspeise selbst eingeweckte Pflaumen und ein Glas Johannisbeerwein. Die Einsegnung war ein großes Fest für die ganze Familie und der Pfarrer kam auch zu jeder Konfirmationsfeier und hielt sich mit seiner Frau etwas in der Gesellschaft auf, ehe er dann weiter zum nächsten Konfirmanden ging. Es war Kuchen gebacken worden im alten Backofen hinter dem Haus und es gab eine schöne Kaffeetafel. Zum Abendessen hatte die Mutter und Tante Elisabeth Frikassee und Kartoffelsalat vorbereitet. Dazu gab es Bockwurst und belegte Brote mit der eigenen Schlackwurst. Die Bockwurst war dem Fleischer etwas zu salzig geraten, sodass reichlich Bier und Wein getrunken wurde. Als Geschenke gab es signiertes Schreibpapier, was schon sehr wertvoll war. Andere Geschenke bestanden aus Seidengarnituren und Kleiderstoff. Der Kleiderstoff war so reichlich bemessen, dass viele Kleider davon genäht werden konnten. Ein vorfristiges Geschenk von Tante Carmen aus Friesack hatte es ihr besonders angetan. Tante Carmen war immer für eine Überraschung gut. Sie schenkte ihr schon vor dem Termin der eigentlichen Konfirmation eine Karte für den großen Friesacker Karneval im Gesellschaftshaus Krauspe, worüber sich die Konfirmandin am meisten gefreut hatte und bei der Konfirmationsfeier viel davon erzählte.
Für Helga Schultze war es ein schöner Tag und sie erinnert sich gern daran. Oft sang sie später ihren Kindern das Faschingslied vom Friesacker Karneval vor: “Schon knospet der Flieder - froh klingen die Lieder. In Krauspes Haus ladet wieder der Fliederstrauß“.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuss 01.04.2018
Max Ebel 1931
Max Ebel hieß eigentlich Max Fick, aber seine Braut, Betty Muchow, Tochter des Gastwirtes Ferdinand Muchow in Landin, bestand auf einer Namensänderung. „Wenn Du Deinen Namen nicht änderst, heirate ich Dich nicht.“ Was sollte der arme verliebt Max Fick nun machen? Er ging zum Standesamt und da wurde ihm bedeutet. Das ginge, er könne gegen eine Gebühr von 150,00 Mark seinen Namen ändern lassen. So kam er als Max Ebel wieder zu seiner Betty und nun stand der Hochzeit nichts mehr im Wege. Er war Prokurist bei der großen Rathenower Optischen Firma „Nitsche und Günther.“ Er arbeitete in Rathenow, wo er ein großes Haus in der Wilhelm-von-Leibniz-Straße im vornehmen Stadtteil Nord bewohnte. Max Ebel war recht vermögend. Seine Eltern hatten die „Bäckerei Fieke“ in der Großen Baustraße in Rathenow, die sehr gut lief. Er borgte seinem Neffen, dem Bäckermeister Paul Schwarzlose, Geld und half ihm so aus einer großen Verlegenheit. Er machte mit seiner Frau eine Schiffsreise nach Norwegen, von der er gern erzählte. Norwegen mit seinen Fjorden und die Menschen dort hatten ihn fasziniert. Er wäre gern für immer dortgeblieben, aber Betty war bodenständig und wollte in ihrer Heimat bleiben. Es sind ja auch andere Entfernungen in Norwegen und die Menschen leben auf dem Lande weit verstreut. Von Rathenow nach Landin zu ihren Eltern und Geschwistern war es da nur ein Katzensprung. Max Ebel fuhr die Strecke oft mit dem Fahrrad.
Als 1945 die Russen die Stadt Rathenow eroberten, musste Max Ebel mit seiner Frau Betty das Haus räumen und man kehrte nach Landin zurück, denn das war ja das Elternhaus von Betty und Platz war auch genug da. So lebten nach dem Krieg (1939-1945) drei Familien unter einem Dach. Max und Hedwig Muchow, Max und Betty Ebel und Hertha Brunow mit ihren Eltern, die aus der zerstörten Wohnung in Berlin in Landin Zuflucht gefunden hatten. Es gab auch drei Haushalte, und es wurde alles fein säuberlich auseinandergehalten.
Betty und Max Ebel in Landin
Die Ehepaare Muchow und Ebel blieben kinderlos und vererbten alles ihrer Nichte Hertha Brunow. Max Ebel bekam in Alter von 75 Jahren Prostatakrebs und wurde von berühmten Chefarzt Dr. Richard Hinze im Paracelsus-Krankenhaus Rathenow operiert. Der Chefarzt Hinze und sein Oberarzt Dr. Wilhelm Grundmann waren begnadete Operateure, die mit Geschicklichkeit und Leidenschaft operierten. Eine Woche nach der Operation bestellte er die Ehefrau Betty Ebel zu sich und teilte ihr mit, dass der Krebs der Vorsteherdrüse auf das gesamte Becken übergegriffen habe. Er könnte nicht sagen, ob er alle Tochtergeschwülste im Becken entfernt hätte. Er meinte zu Betty, dass ihr Mann höchstens noch drei Monate zu leben habe. Sie möchte in dieser Zeit alles regeln, was zu regeln ist. Betty weinte zwei Tage lang, dann raffte sie sich auf und fuhr zu ihrem Mann ins Krankenhaus und sagte zu ihm: „Max, der Chefarzt hat gesagt, dass er nicht weiß, ob er alle Krebszellen entfernen konnte, wir müssen jetzt alles regeln, was zu regeln ist.“ Max wurde nach dem Gespräch sehr traurig und meinte: “Wenn es so ist, kann man nichts machen, außer beten.“ Und so wurde alles besprochen, was besprochen werden musste. Max machte ein Testament, indem er alles seiner Frau Betty vererbte. Nach drei Wochen war die Wunde gut verheilt, der Katheter war entfernt worden, und er konnte wieder gut Wasser lassen. Die Ärzte wünschten ihm alles Gute und entließen ihn nach Hause. Er suchte zusammen mit seiner Frau Betty eine Grabstelle auf dem Landiner Friedhof aus. Max bestimmte einen roten Rhododendron aus dem Garten. Der sollte auf sein Grab gepflanzt werden. Er suchte die Lieder zur Trauerfeier aus: “Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt“ von Paul Gerhardt und „So nimm den meine Hände.“ Als Predigttext für die Trauerfeier wollte er das Bibelwort „Die auf den Herren vertrauen, kriegen neue Kraft“ (Jesaja 40,31) haben. Und so erlebte er mit seiner Frau eine tiefe innige Zeit, denn er wusste, es wird nicht mehr lange gehen. Er nahm aber den Nachuntersuchungstermin gewissenhaft wahr und der Doktor in der Poliklinik in Rathenow fragte ihn, ob er damit einverstanden wäre, eine Hormonbehandlung mit weiblichen Hormonen zu probieren. Das wäre jetzt das Neuste. Natürlich war er damit einverstanden. Was sollte ihm noch passieren? Merkwürdigerweise hatte er guten Appetit und seine Frau kochte ihm alles, was er sich wünschte. Natürlich auch sein Lieblingsgericht: süßsaure Eier in Specksoße mit Kartoffelbrei und Sauerkraut. Sie buk ihm Kartoffelpuffer, die er auch sehr mochte. Er ging auch jeden Tag durchs Dorf und seine Spaziergänge waren erst nur ein paar Schritte, aber sie dehnten sich aus und wurden länger. Da er um sein Schicksal wusste, waren die drei Monate, von denen der Chefarzt gesprochen hatte, eine magische Grenze, vor der er doch etwas Angst hatte. Manchmal dachte er, er würde verrückt, aber dann sagte ihm sein kühler Verstand: Es ist alles normales Leben und der Tod gehört eben auch dazu. Betty weinte viel, aber er tröstete sie und meinte: Wir sind jetzt in dem Alter, wo man sterben kann und das ist ja nichts Besonderes, es ist der Lauf der Welt. Dann weinte Betty noch mehr und flüchtete sich wieder in ihre Arbeit. Max und Betty warteten nun alle Tage, dass aus einer Ecke der Tod hervorkommen würde, aber Max fühlte sich nach den Hormonspritzen immer besser. Das Vierteljahr kam und es passierte nichts. „Na, ja,“ meinte Betty, „die Ärzte können sich ja auch mal irren und so genau kann man das bestimmt nicht voraussehen.“ Aus dem Vierteljahr wurde ein halbes Jahr und dann ein ganzes Jahr. Langsam beruhigten sich ihre Gemüter und der Alltag hielt wieder Einzug in der Familie. Die Jahre gingen dahin. Keiner dachte mehr an die Prophezeiung des Chefarztes. Im Februar 1966 erkältete sich Betty und bekam eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr erholte. Sie starb am 09.05.1966, beweint und betrauert von ihrem Mann und der ganzen Familie.
Grabstein von Betty und Max Ebel
„Totgesagte leben länger,“ sagt der Volksmund. Max Ebel hatte nach seiner todbringenden Erkrankung noch über elf Jahre gelebt und sogar seine Frau überlebt. Sie wurden beide auf dem Dorffriedhof in Landin bestattet. Auf dem Grabstein stand:
In Gottes Namen
Max Ebel
*9.7.1885 - † 30.1.1971
Betty Ebel
geb. Muchow
*16.08.1887 - † 9.5.1966
16. Im Heu 01.06.20218
Hedwig und Max Muchow fahren vom Hof (1937)
Im Heu
von Johannes Trojan
(*14.08.1837 in Danzig – † 21.11.1915 in Rostock)
O wie schön ist es im Heu!
Lieblich ist der Duft,
und die Lerche singt dabei
hoch aus blauer Luft.
Und das Grillchen hört man auch,
das die Zither schlägt
unterm wilden Rosenstrauch,
den der Wind bewegt.
Warme Luft und Sonnenschein,
o wie ich mich freu!
Sagt, wo kann es schöner sein,
schöner als im Heu?
Wenn das Heu dann wirklich fertig war, mussten alle Mitglieder der Familie mithelfen, es in die Scheunen zu bringen. Es war ein trockener schöner Tag, da fuhr Max Muchow mit seiner Frau Hedwig mit dem Leiterwagen vom Hof. Auf der Wiese gab er seiner Frau auf dem Wagen große Forken voll Heu, die sie kunstvoll auf dem Wagen packte. Es durfte ja unterwegs nichts verloren gehen.
Max stakt das Heu auf den Leiterwagen,
wo seine Frau Hedwig es genau einpackt
Hedwig und Max Muchow auf der Heufuhre
Hedwig war noch jung und hatte sich behände auf den Ast geschwungen und war in den Baumstamm geklettert, wo sie nach ängstlichen Versuchen auch glücklich wieder auf dem Erdboden ankam. Sie kam mit 20 Minuten Verspätung zu Hause an und es gab keinen glücklicheren Mann als Max, der seine Frau sofort in die Arme nahm und sich die ganze Geschichte erzählen ließ. Dann halfen alle mit, das Heu vom Wagen in die Scheune zu bringen und dort erneut kunstvoll zu stapeln. Es duftete der ganze Heuboden nach Sommer, Sonne und dem frischen Heu. Die Kühe und Pferde konnten so gut im Winter versorgt werden. Es gab ja noch andere Futtermittel im Winter, aber Heu war doch das Beste und dann noch von den eignen Wiesen. Es hingen ja auch so viele Handgriffe an dem wunderbaren Heu, was eine enge Bindung an die Dorfwiesen bedeutete.
17. Eine Taufe in Landin 01.07.2018
Speis` uns Vater deine Kinder!
Tröste die betrübten Sünder!
Sprich den Segen zu den Gaben,
die wir hier so vor uns haben,
dass sie uns in unserm Leben
Stärke, Kraft und Nahrung geben,
bis wir endlich mit den Frommen
zu der Himmelsmahlzeit kommen.
Komm Herr Jesu, sei unser Gast
und segne, was du uns in Gnaden bescheret hast.
Der Vater hatte eine Kiste französischen Champagner mitgebracht und trank auch ein Glas nach dem anderen, sodass er am Ende der Feier ins Bett getragen werden musste. Zum Mittag gab es eine Spinatsuppe mit ein paar Stücken Ananas und einen Tupfer saure Sahne. Danach hatten die Frauen eine Fischpastete bereitet. Der Hauptgang bestand aus Rehbraten in Rotweinsoße mit einem kleinen Löffel schwarzen Johannisbeermarmelade und Kartoffeln. Dazu gab es in Butter geschwenkte Möhrenscheiben und Rotkohl. Als Nachtisch hatten die Frauen Apfelkompott und einen Mokka vorbereitet. Der Pfarrer und seine Frau Christlinde bedankten sich für das Mittagessen und verabschiedeten sich bald. Sie hatten natürlich auch tüchtig vom Champagner probiert, den es ja nicht alle Tage gab. Nach dem Mittag fuhr Betty Muchow ihre Nichte stolz mit dem Kinderwagen durch das Dorf, bis das Kind ausgeschlafen hatte und wieder gestillt werden musste. Am Nachmittag gab es einen riesigen Napfkuchen und zum Abendessen Brote mit Schlackwurst, Leberwurst und Schinken sowie sauren Gurken. Die meisten Gäste tranken Bier, aber viele wollten auch den Champagner probieren. Die kleine Taufgesellschaft wurde immer ausgelassener, bis die Kindsmutter doch die Feier mit dem Hinweis auf die Ruhe für das Kind langsam auflöste. Aber alle sprachen noch wochenlang von der schönen Feier bei der Taufe der kleinen Hertha. Der Champagner hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.07.2018
18. Das Jubiläum eines Straßenbahnfahrers 01.08.2018
Arnold Brunow
Deutsches Kaiserhaus
Arnold Brunow war ein sehr zuverlässiger Straßenbahnführer und am 15.7.1905 hatte ihm sein Betrieb eine vergoldete Uhr geschenkt, auf deren Rückseite folgende Worte eingraviert waren: Anerkennung mehrjähriger Dienstzeit für den Fahrer Arnold Brunow Berlin 15.7.1905 Grosse Berliner Strassenbahn. Er war natürlich stolz auf diese Auszeichnung und fuhr nun noch pünktlicher ab, denn die Uhr ging sehr genau. Er hatte sie auch immer bei sich und legte sie nur ab, wenn er in sein Nachtgewand schlüpfte.
Vergoldete Taschenuhr
Prinz Eitel Friedrich von Preussen
mit seiner Braut, Ihre Königliche Hoheit Sophie Charlotte
19. Drei Freundinnen auf der Wartburg 01.09.2018
Charlotte Jungnickel, Hertha Brunow und Margarethe Brunow
beim Tanzstundenabschlussball in Berlin
Margarethe Brunow, Charlotte Jungnickel und Hertha Brunow sind in Berlin eingeschult worden und blieben zeitlebens Freundinnen. Wenn Ferien waren, kamen die drei Freundinnen oft zum Großvater von Hertha nach Landin und verlebten da ihre Ferien. Die Schulbank drückten sie aber gemeinsam in Berlin und wurden auch dort vom gleichen Pfarrer in der gleichen Kirche konfirmiert. Das Leben führte sie dann doch ganz verschiedene Wege. Charlotte Jungnickel arbeitete in Berlin in einer Glaserei und war für die Buchführung verantwortlich. Sie hat nie geheiratet und lebte mit ihrer Mutter zusammen, die sie bis zum Tode pflegte. Margarethe Brunow heiratete einen Offizier, der im Zweiten Weltkrieg nicht mehr aus Afrika zurückkam. Hertha Brunow hat ihr Leben in Landin aufgebaut. Ihr Freund blieb ebenfalls im Krieg und so lebten die drei Frauen ungebunden, was sie aber nicht hinderte, sich regelmäßig zu treffen, meistens in Landin.
Glückliche Jahre in Landin
Das neue Auto in der Garage in Landin
Die Wartburg bei Eisenach
Ludwig auf der Jagd – Warte Berg, du sollst mir eine Burg werden.
Ich saz uf eime steine | Ich saß auf einem Steine |
Der Volksmund machte daraus:
„Ich saß auf einem Steine und dachte so an Dich, da sah ich eine Rose und ein Vergissmeinnicht.“ Der Wettstreit ging für den Verlierer tödlich aus. Da keine eindeutige Entscheidung getroffen werden konnte, wurde der Magier Klingsor aus Ungarn gerufen, der auf eine Wolke zur Wartburg kam.
Sängerkrieg auf der Wartburg
Im Festsaal der Wartburg wurden immer große Konzerte veranstaltet und der König Ludwig von Bayern war so von ihm angetan, dass er ihn im Schloss Neuschwanstein als Kopie errichten ließ.
Festsaal auf der Wartburg
Elisabethkemenate
Das Rosenwunder
Luthers Schreibtisch auf der Wartburg
Silberhochzeitgesellschaft Anna und Arnold Brunow
am 03.10.1924 in Landin
Der Bäutigam an seine Braut
Zwei Bächlein von den Bergen fließen,
geht jedes seine eigne Bahn,
bis Schöpfermächte es beschließen,
dass sie gemeinsam sich ergießen,
ziehn Hand in Hand zum Ozean.
Als ich in Deiner Jugend Prangen,
mein Schatz, Dich sah so hold und fein,
trieb mich ein still und stark Verlangen,
bin diesem Ziel nur nachgegangen,
dass Du für immer wärest mein.
Dem Mann halfst Du das Glück dann schmieden,
des Hauses Zierde warst Du mir.
Du bist die Ruh, Du bist der Frieden,
Du bist vom Himmel mir beschieden;
mein Silberschatz, wie dank ich Dir.
Mit jedem der fünfundzwanzig Jahre
hat ich Dich immer lieber noch.
Legt man mich einst auf eine Bahre,
ich bin gewiss, dass ich erfahre
eine Wiedersehen droben doch.
Komm Tod, wir warten Dein mit Frieden,
schließ ab den flücht´gen Lebenslauf;
schließ auf, was droben uns beschieden,
wozu wir reiften nur hinieden.
Die Liebe höret nimmer auf.
Zum Mittagessen wurde ein Silberhochzeitsgeschirr verwendet. Dieses Geschirr wurde extra zur Silberhochzeit hergestellt und das erste Mal benutzt. Das Menu war dem Festtag angemessen. Nach der kirchlichen Zeremonie wurde die Suppe kredenzt, die aus einer herzhafte Rindfleischbrühe mit Möhren und Zwiebeln bestand. Als nächster Gang wurde ein Eiersalat in einer Pastetenteigummantelung serviert. Und dann folgte ein Entenbraten mit Rotkohl und Kartoffelklößen. Als Nachtisch gab es Mirabellenkompott mit Sahne. Dazu wurde Moselwein getrunken oder Bier.
Anna und Arnold Brunow
als Silberhochzeitspaar
Der Familie war ja nicht arm. So eine kleine Gastwirtschaft und ein bisschen Land und Wiesen dazu, wo die Landwirtschaft gedieh, brachte doch mehr ein, als man zum Leben brauchte. Es gab ja auch im ganzen Dorf keine Konkurrenz und so gehörte Gaststättenbetreiber doch zur Oberschicht im Dorf, nur übertrumpft von ein paar Bauern im Ort. Nach dem Mittagessen wurden alle eingeladen den Garten zu besehen und in den Ställen das Vieh zu begutachten. Es standen zwei Pferde, sieben Kühe und drei Schweine im Stall vom Federvieh gar nicht zu reden. Dann fanden sich alle wieder zur Kaffeetafel ein. Die Hausfrauen hatten drei Kuchen gebacken, Bienenstich, Streusselkuchen und Apfeltorte. Die Apfeltorte war zuerst alle, denn sie wurde wegen des säuerlichen Geschmacks besonders geschätzt. Das Silberhochzeitsgeschirr war extra zur Silberhochzeit aus feinem Porzellan hergestellt worden.
Silberhochzeitgeschirr
Auf der Kaffeekanne stand „Zur Silberhochzeit“ und auf den Kuchentellern auch. Jeder Kuchenteller waren mit dem gleichen Spruch verziert:
Es mög wie Silber
Hell und rein
Der Abend Eures
Lebens sein.
21. Wehklagen im Schloss von Landin 01.11.2018
Landiner Schloss
22. Babuckes Weihnachtsbaum 01.12.2018
Der Revierförster von Landin, Hans-Joachim Babucke, wohnte am Ende des Dorfes, aber nicht weit von der Kirche in der Bergstraße 4, in einem kleinen Haus. Er hatte seine Frau Ingelore bei der Ausbildung zum Förster kennengelernt und während er nach der Ausbildung seine Arbeit in Landin aufnahm, leitete seine Frau den kleinen Dorfladen. Die Dorfläden gehörten der Konsum-Genossenschaft in der DDR und deshalb nannte man ihn kurz und bündig den „Konsum.“ Er war als Revierförster von 1965 – 2005 in Landin tätig und wohnt heute noch immer in dem kleinen Häuschen mit Garten und Bäumen in Landin. Bis weit in den Herbst geht er im Lochower See zum Schwimmen und hält sich so fit.
Oben von links: Revierförster Jens Deparade (Ferchesar), Revierförster Michael Austen, (Kleßen)
Mitte von links: Revierförster Rolf Deparade, (Haage), Revierförster Hans-Joachim Babucke, (Landin), Revierförster Langheinrich (Zootzen)
Unten von links: Revierförster Lothar Mrotzeck (Ferchesar), Oberförster Hans Behrend (Rathenow), Revierförster Walter Schubert, (Zootzen)
Er achtete auf die Wildschweine und die Füchse in seinem Bereich, aber Wild gehörte eigentlich nicht zu den Aufgaben der Förster. Das Wild und die Bejagung kontrollierten in der DDR die Jagdgesellschaften. Hans-Joachim Babucke war Mitglied in einem Jagdkollektiv. Der Jagdleiter von Landin, Willi Gnad, hatte die Waffen unter Verschluss und verteilte sie an die Mitglieder des Jagdkollektivs bevor es zur Jagd ging. Für die Jagdleiter war jeglicher Kontakt mit Leuten aus Westdeutschland verboten. Als Willi Gnad Besuch von seinen Verwandten aus der Bundesrepublik erhielt, wurde ihm die Leitung des Jagdkollektivs entzogen und an Hans-Joachim Babucke übertragen. Für Hans-Joachim Babucke änderte sich kaum etwas. Vorher hatte er seine Waffe von Willi Gnad bekommen und jetzt gab er an Willi Gnad die Waffe heraus. Und Jagen war ja den Jagdgesellschaften vorbehalten. Privatjäger waren in der DDR kaum bekannt. Die Jagdgesellschaften hielten das Schwarzwild kurz. bekamen auch manchmal einen kapitalen Hirsch zum Abschuss frei. Nach der Einheit Deutschlands (1990) gehörte dann auch die Jagd zu seinen Aufgaben.
Im Advent warf Hans-Joachim Babucke zwei Fichten über den Torweg der Gaststätte Muchow in Landin, den einen für die Gastwirtschaft und den anderen zur privaten Nutzung. Er selbst hatte für sich einen wunderbaren Baum ausgesucht, eine Fichte, die seine Frau besonders liebte. Schon der Geruch von Tannengrün versetzte sie in vorweihnachtliche Stimmung. Oft ging er in die Schonung, wo die Fichte stand und besuchte seinen Baum, den er auch mit einem roten Band kennzeichnete, damit jeder sehen konnte, dieser Baum war für den Förster bestimmt. An heißen Sommertagen brachte er dem Bäumchen auch eine Kanne Wasser mit und tränkte es tüchtig. Er hatte seine Freude an der gut gewachsenen Fichte und konnte keine Fehler an ihr finden. Vorfreude ist ja die schönste Freude und so war Hans-Joachim Babucke fröhlich, wenn er in die Nähe dieses Wäldchens kam
Anfang Dezember holte er schon die Weihnachtssachen vom Boden und schaute nach, ob alles in Ordnung war. Es gab auch eine Weihnachtskrippe bei Babuckes mit geschnitzten Holzfiguren und fast jedes Jahr musste etwas repariert werde. Mal war das Dach vom Stall in Bethlehem defekt, mal fehlte einer Krippenfigur ein Arm, den er wieder anklebte. Am 23.12. ging er dann mit Säge und Axt in den Wald, um seine Lieblingsfichte zu fällen. Dann wurde der Baum in den Ständer gestellt und bis zum Heiligen Abend noch auf dem Hof stehengelassen. Während seine Frau am Heiligabend in der Küche stand und alles für das Weihnachtsfest vorbereitete, hatte er die Aufgabe den Weihnachtsbaum zu schmücken. Dann wurden die alten silbernen Kugeln angehängt und eine silberne Spitze aufgesetzt und die Lichterkette um den Baum gelegt. Er hatte auch eine Silbergirlande, die er kunstvoll um den Baum wickelte. Zum Schluss kam das Lametta und dann stand der Baum in aller Pracht und Herrlichkeit bis zum Heiligen Dreikönigstag am 05.01. des neuen Jahres im Wohnzimmer und erfreute die Familie. 1973 war das wie in jedem Jahr. Er hatte seine auserwählte Fichte mit einem roten Band gekennzeichnet und besuchte sie das ganze Jahr so oft es ging. Als er am 23.12. das Bäumchen holen wollten, war ihm ein Dieb zuvorgekommen und hatte seinen Lieblingsbaum schon abgesägt. Er war wütend und musste nun einen anderen Baum suchen und mit nach Hause nehmen. Er schaute nach Weihnachten in alle Stuben der Landiner, ob er seinen Baum irgendwo finden würde, aber es hatte wohl ein Rathenower seinen Baum entwendet. Er war im Advent schon viel im Wald gewesen, aber die Weihnachtsbaumdiebe waren schlau und hatten ihm ein Schnippchen geschlagen.
Der Ersatzweihnachtsbaum
Das ganze Fest war dadurch für ihn verdorben, aber seine Frau tröstete ihn und sagte, sie finde diesen Ersatzbaum dieses Jahr besonders schön. So beruhigte er sich allmählich wieder und es wurde dann doch noch ein schönes Fest. Am Heiligabend gab es Kartoffelsalat mit Würstchen und zum Weihnachtstag eine Wildgans mit Rotkohl und Kartoffeln und als Nachtisch Birnenkompott. Seine Frau hatte auch einen Apfelkuchen gebacken und Kekse, sodass dann alles doch in weihnachtlichem Frieden harmonisch endete.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2018
23. Lisa Gretinger fliegt nach Moskau 01.01.2019
Lisa Gretzinger mit ihrem Mann August
am Hochzeitstag 30.11.1946
von links: Lisa Gretzinger, Elfriede K., Lucie Ulrich und Walter K.
in Moskau
24. Die Bötfrau von Landin 01.02.2019
Bötfrau Anni
Anna Amalia Fischer lebte mit ihrem Mann und den drei Kindern am Rande des Dorfes in Landin. Ihr Mann war früh gestorben und so bewirtschaftete sie mit ihrer alten Mutter Elsbeth Sydow das kleine Anwesen, als die Kinder aus dem Haus waren. Ihre Mutter war eine „weise Frau“, wie man das so sagte, denn sie sammelte das ganze Jahr hindurch Kräuter, Wurzeln und Früchte und verarbeitete sie zu Tees und heilkräftiger Salben oder Tropfen. Sie hatte Ringelblumensalbe für die schlecht heilenden Wunden. Die Blüten der Ringelblume kochte sie mit Schweineschmalz und goss das flüssige Schmalz durch ein Sieb in kleine Gläser und verabreichte es ihren „Kunden“. Im Haus hatte sie ein kleines Zimmer eingerichtet mit sieben Stühlen auf der einen Seiten und einem Stuhl auf der anderen Seite. Wenn Menschen zu ihr kamen, um ihren Rat einzuholen, setzte sie sich auf den einzigen Stuhl an der Wand, bat ihre Besucher auf der langen Stuhlreihe Platz zu nehmen und fragte: „Wat kann ik voor di duun?“ Manchmal kamen auch aus den umgebenden Dörfern und aus Rathenow Menschen mit allerlei Gebrechen zu ihr. Sie starb mit 89 Jahren und vermachte ihr Wissen an ihre Tochter, die nun die „Bötfrau“ im Dorfe wurde. Anna war oft mit ihr unterwegs gewesen und hatte mit ihr Kräuter gesammelt und kannte sich in den Wiesen, Wäldern und Feldern um Landin aus. Sie war mit der Kunst ihrer Mutter aufgewachsen und da sie eine gute Auffassungsgabe hatte, war sie bald genauso gut, wie ihre Mutter. Das Böten oder Besprechen, wie die Leute sagten, hatte sie nun übernommen. Die meisten Menschen kamen zur Behandlung der Gürtelrose zu ihr. Sie kannte auch den Spruch, um diese Krankheit zu heilen und murmelte ihn während sie die Hand über die die entzündeten Areale führte, für ihre Kunden unhörbar vor sich hin: „Rose, Rose weiche! Flieh in eine Leiche!“ Der Spruch musste dreimal gesprochen werden und dann wurden die Patienten für die nächsten zwei Wochen noch einmal bestellt, sodass insgesamt neunmal der Spruch über der erkrankten Stelle gesprochen wurde. Manchmal, wenn die Gürtelrose sehr schlimm war, empfahlen auch die Ärzte, den Patienten zu einer Böt- oder Kräuterfrau zu gehen. Es gab in den Dörfern in der Umgebung überall Männer und Frauen, die diese Kunst verstanden. Viele Leute kamen auch mit Warzen zu ihr. Dann bestellte Anna die Patienten erneut in einer Vollmondnacht und nahm die betroffene Körperstelle, meistens Hände oder Füße in ihre Hand und sagte einen Spruch. Anni, wie sie im Dorf genannt wurde, hatte schon in allen Haushalten ihr Wissen anwenden müssen. Sie hatte ausgezeichnete Hustentropfen und hatte auch die richtigen Tropfen und Tees, wenn im Alter das Wasser in den Beinen war. Für das Bauchweh der Babys verordnete sie Kümmeltee. Der Doktor aus der Stadt schrieb immer hohe Rechnungen und wer konnte sich das schon leisten außer ein paar reichen Bauern und der Familie von Bredow. So hatte sie ihr Auskommen, denn die Landiner zahlten gern mit Eiern, Gänsen, Enten oder auch mit Kartoffeln oder einem Sack Mehl. Der Förster lieferte ihr für ihre Dienste das Brennholz für den Winter. Sie wurde auch gerufen, wenn die Kühe verkalbten oder nicht mehr fressen wollten. Oft wusste sie Rat, aber das war nur die Ausnahme. Ihre Salben und Kräuter waren doch in erster Linie für die Menschen bestimmt. Die Landiner dankten es ihr auf vielfältiger Weise und verehrten sie bis zu ihrem Tode wie eine weise Frau.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2019
25. Der Sägespäeneofen 01.03.2019
Sägespäneofen
Zeichnung: Kathrin Kumbunda
26. Die Stille Pauline 01.04.2019
Einmal fuhren zwei Landiner, Fritz Mewes und Gerhold Müller mit der Kleinbahn von Landin zur Stadt Nauen, als in Haage ein neuer Fahrgast einstieg und gleich auf Gerhold Müller zuging, ihm die Hand schüttelte und fragte: „Wie geht es Dir denn Gustav?“ „Gut, gut, gut,“ antwortete der Angesprochene. „Was machen denn Deine Frau und die Kinder, Gustav?“ „Auch gut,“ erwiderte er. Als der Fahrgast in Pessin ausstieg, verabschiedete er sich überschwenglich und bestellte noch einmal viele Grüße an Frau und Kinder. Nachdem der Zug wieder angefahren war, sagte Fritz Mewes zu seinem Freund: „Du heißt doch gar nicht Gustav und bist doch auch nicht verheiratet und Du hast auch keine Kinder. Warum hast Du nichts gesagt?“ Gerhold Müller erwiderte ihm seelenruhig: “Ja, das ist alles richtig, was Du sagst. Ich kannte den Mann auch nicht, aber sollte ich mich mit ihm streiten?“
Haltestelle Landin
Eisenbahnzug auf einer Postkarte von Kotzen
Schmalspurbahn beim Überqueren
des Havelländischen Hauptkanals
Erika Piesche (*30.08.1917 - † 10.02.2012)
aus Bamme
hat ein Gedicht über die Stille Pauline geschrieben.
1. Auf die rasende Pauline
stimme ich mit froher Miene
dieses schöne Liedchen an,
das man leicht behalten kann.
2. Ohne Reichsbahn und Benzin
kommt man nicht mehr nach Berlin.
Helfe, wer da helfen kann!
Die Pauline hat´s getan.
3. Rin in die Paulinenschlange,
denn sie wartet nicht mehr lange,
vorn die Milch und hinten wir,
vorwärts heimwärts! Ab dafür.
4. Erst kommt Stechow früh am Tage
und Ferchesar, Kotzen, Haage,
dampft sie dann in Senzke an,
Junge, da ist alles dran.
5. Die Pauline muss rangieren,
Wasser saufen, Lager schmieren,
warten auf den Gegenzug,
Mensch, da haste Zeit genug.
6. Betty Muchow aus Landin,
lässt sie still vorüber ziehn,
denn der Max ihr, lieber Mann,
kam aus Rathenow heut nicht an.
7. Brennt die Sonne heiß am Himmel,
ruckt Pauline mit Gebimmel
plötzlich ab im vierten Gang,
alles fliegt im Wagen lang.
8. Kriele, Retzow, Selbelang,
immer mang die Wiesen mang,
Ribbeck, Berge und sodann
landen wir in Nauen an.
9. Müde und mit steifen Knochen
kommen wir herausgekrochen,
keiner macht sich etwas draus,
denn jetzt sind wir ja zu Haus.
10. Alles stimme mit mir ein:
„Hoch soll sie gepriesen sein!
Und wir rufen dreimal noch:
„ Die Pauline leben hoch!“
Stille Pauline bei Senzke
Die Gleise der Schmalspurbahn
27. Der LPG-Vorsitzende Johann Bauer 01.05.2019
Katharina und Johann Bauer
Königreich Ungarn
Er besuchte vier Jahre die deutsche Schule in seinem Dorf und ging dann mit seinem Vater schon in den Wäldern der Umgebung, um dort mitzuarbeiten. Er musste auch vier Jahre seinen Wehrdienst in der rumänischen Armee absolvieren. Johann Bauer verliebte sich in Katharina Stadler, geboren am 15.11.1908, die er schon aus der Schule kannte. Sie war inzwischen Hausangestellte bei einer Arztfamilie. 1932 gaben sie sich in er kleinen Kirche in Fürstenthal das Jawort und der Priester segnete ihren Ehebund.
.Römisch-Katholische Kirche in
Fürstenthal
Johann Bauer (links) in Litzmannstadt (Lodz)
1945 geriet er in Amerikanische Gefangenschaft und kam nach der Entlassung nach Landin. Katharina Bauer hatte in Pessin erfahren, dass ihr Schwager Rudolf Gnad Revierförster in Landin war. Er hatte in Fürstenthal (Bukowina) die Schwester ihres Mannes, Ottilie Bauer, geheiratet. Ebenso hatte sich ihr Schwager Karl Gaschler in Landin angesiedelt, der die Schwester Leontine ihres Mannes geheiratet hatte. Johann Bauer wohnte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 -1945) mit seiner Familie im Schloss in Landin und erhielt durch die Bodenreform etwas Land und baute 1949 ein Neubauernhaus in der Steinstraße 1 in Landin.
Neubauernhof Steinstr. 1 in Landin
Der LPG-Vorsitzende Johann Bauer (links)
mit Iris Hünicke
vor dem LPG-Büro in Landin
Familienbild
(von links: Otto Bauer, Bernd Bauer, Therese Bauer, Erika Bauer, Anna Bauer, Katharina Bauer, Johann Bauer)
Nach dem Kriege mussten die Menschen stundenlang ohne elektrischen Strom auskommen. Die so genannten „Stromsperren“ waren für den Familienmensch Johann Bauer schöne Zeiten. Er versammelte alle Familienmitglieder um sich, zündete eine Kerze an und erzählte selbst ausgedachte Geschichten. Sie waren voller Schalk, und die andächtig zuhörenden Kinder merkten erst viele Jahre später, dass der Vater geflunkert hatte. Er sprach viel über den Wald und von den Bäumen, mit denen er in der Bukowina aufgewachsen war. In einer Geschichte erzählte er den Kindern von einem Waldarbeiter, der sich so über etwas erregt hatte, dass er sich die rechte Hand abhackte. Das ärgerte ihn noch mehr, sodass er auch die linke Hand abhackte. Dass das praktisch gar nicht möglich war, fiel den Kindern nicht sofort auf. Er las der Familie auch oft abends Geschichten aus dem Buch „Alitet geht in die Berge“ von Tichon Sjomuschkin vor. Der Roman war 1950 im Moskauer Verlag für fremdsprachige Literatur herausgegeben worden und hatte 1948 den Stalinpreis erhalten. Das Weihnachtsfest war für die Familie immer ein sehr inniges Fest. Am Heiligabend ging der Vater mit den Kindern in seinen Wald und holte den Weihnachtsbaum. Die Mutter schmückte ihn dann am Nachmittag, und abends saß die Familie beim Essen zusammen. Es gab Kartoffelklöße mit einer Soße aus weißen Bohnen mit Rauchfleisch. Während des Essens ging der Vater meist unbemerkt hinaus, und es erschienen vor dem Küchenfenster Weihnachtsgeschenke, die der Vater an der Außenseite des Fensters so vorbeiführte, dass man ihn nicht sah. Es hieß dann immer: „Das Christkind hätte die Geschenke gebracht.“
Die Neubauern hatte ja keine Maschinen und so richtete der Staat zunächst Maschinenausleihstationen (MAS) ein, die später als Maschinentraktorenstationen (MTS) den LPG´n angegliedert wurden. Katharina Bauer war Chefin des Hühnerstalls der LPG, der sich gleich hinter ihrem Haus in der Steinstr. 1 befand. Manche Wirtschaften konnten nicht mehr ordentlich betrieben werden, weil die Besitzer einfach zu alt waren. So hatte der kommunistische Staat für die Landwirte Fritz Sandberg und Otto Hünicke einen Örtlichen Landwirtschaftsbetrieb (ÖLB) gebildet, der von einem externen Landwirt geleitet wurde, um sie zu unterstützen. Als 1952 die LPG „Freie Scholle“ Landin gegründet wurde, kamen dieses Wirtschaften des ÖLB natürlich auch in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG). Die ersten LPG-Mitglieder waren Johann Bauer, Gustav Tietke, Karl Gaschler, Johann Widmeier, Albert Wachs, Berthold Radke und Karl Mutz. Zum LPG-Vorsitzenden wählte man Johann Bauer. Er war mit seinem Hut und der Zigarette eine Institution in Landin. Er fuhr immer mit einem Simson-Moped SR 2 hin und her. Meist bremste er die Fahrt mit beiden Füßen ab. Er organisierte die Zusammenarbeit der Bauern in dem kleinen Dorf. Zunächst waren ja alle Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Typ I. Das bedeutete, man bewirtschaftete gemeinsam die Wiesen und Felder und das Vieh hatte jeder noch als Privateigentum. Später gab es aber auch nur noch die Genossenschaften vom Typ III, wo auch das Vieh Genossenschaftseigentum war. Johann Bauer leitete die LPG sehr pragmatisch. Wenn bei den Viehzählungen von den Kontrollkommissionen Unstimmigkeiten festgestellt wurden, stand er zu seinen LPG-Mitgliedern und erklärte die zu geringe Zahl der Hühner mit dem Habicht und die fehlenden Rinder mit Notschlachtungen. Er bewertete diese Statistiken so, wie sie normale Menschen sehen sollten. Sie wurden meist für den Papierkorb produziert, und er mochte keine unnötigen Arbeiten. Die heftigste Auseinandersetzung mit der Regierung führte Johann Bauer in einem Kampf gegen die Rinderoffenställe. Er vertrat zurecht die Auffassung, dass die Kühe im Winter in einen warmen Stall gehören, wenn sie ausreichend Milch geben sollen. Die SED-Kreisleitung blieb bei dieser Kampagne hart und wollte den Neubau der Rinderoffenställe mit aller Kraft durchsetzen. Als er in der SED-Kreisleitung keine Mehrheit für seine Ziele bekam, meinte er wütend: „Dann baue ich Euch eben die Rinderoffenstellen, aber Ihr könnt sicher sein, dass ich alle Wände mit so viel Strohballen abdichte, dass die Landiner Kühe nicht frieren werden.“
Der Staat verließ sehr bald die Forderung nach dem Bau von Rinderoffenstellen, weil die Milchproduktion, wie es Johann Bauer vorausgesagt hatte, in diesem Bereich erheblich zurückging. Johann Bauer war ein fröhlicher Mensch. Er liebte seine Familie und war sehr gesellig. Bei den LPG-Festen, die in der Muchowschen Gaststätte stattfanden, war das ganze Dorf auf den Beinen. Vor der Gaststätte standen Tische und Stühle, und es war auch ein Maibaum aufgestellt. Johann Bauer konnte sehr lustig sein und trank auch mal gern einen über den Durst. Dann sang er ein Lied aus seiner Heimat, der Bukowina, was seiner Frau gar nicht gefiel.
Erika Bredendig, geborene Bauer
Video
Wenn ich meinen Schimmel verkauf`,
dis Geld, des ich kriege, versauf`.
Do sogt mir mein Voder, dis is a Suldot,
der allas vasuffa hot.
Do sogt mir mein Vader, dis is a Soldat,
der alles versuffe hat.
Wer wird, wenn i sterb`, mit mir geh´n?
Wer wird, wenn i sterb`, mit mir geh`n?
Der Schnops und des Bier, die Gläser und s`G´schirr,
Frau Wirtin hascht* auch no mit mir.
Der Schnops und des Bier, die Gläser und`s G´schirr,
Frau Wirtin hascht a nu mit mir.
*hatscht = latscht
Wus wird auf mein Grabstein drauf steh`n?
Was wird auf mein Grabstein drauf steh`n?
Vorbei ist die Not, hier ruht a Suldot,
der ollas versuffa hat.
Vorbei ist die Not, hier ruht a Suldot,
der ollas versuffa hot.
Natürlich trat Johann Bauer bei den Parteiversammlungen der SED immer als Kommunist auf. Er war dem Fortschritt zugewandt und sogar Mitglied der SED-Kreisleitung in Rathenow. Aber im Herzen war ein Christ geblieben. Es gab für ihn andere Maßstäbe im Leben. Dazu hatte er zu viel Lebenserfahrung und seine Biografie, die ihn durch halb Europa in das kleine Landin verschlagen hatte, zeigt ja auch, dass er in vielen Situationen seinen Mann stehen musste und seine Frau Katharina, der die Hauptlast der Erziehung der Kinder in den Kriegsjahren oblag, war eine kluge, fleißige und liebenswerte Frau, die ebenso aufrecht im Leben stand wie ihr Mann. Am 05.12.1978 starb er im Alter von 72 Jahren, beweint und betrauert von seiner Frau und den Kindern. Die Trauerrede hielt Otto Kienscherf, ein Mitglied der SED-Kreisleitung und Sekretär für Agitation und Propaganda in Rathenow. Seine Frau folgte ihm am 06.05.1984 nach und wurde neben ihm auf dem Rathenower Friedhof beigesetzt. Das Requiem für Katharina Bauer hielt der katholische Pfarrer von St. Georg in Rathenow, Helmut Gentz.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2019
28. Ein Verkehrsunfall 01.06.2019
Luise und Enrico nach der Trauung
Enrico war jung, hübsch und hatte Charme. Er hatte die Gabe, die Mädchen und Frauen des Dorfes für sich zu gewinnen. Sie liebten ihn alle. Er hatte dunkelblondes Haar und wenn er mit seinen blauen Augen die Mädchen anschaute, zitterten sie schon bei seinem Anblick. Er arbeitete auf der Wirtschaft seiner Eltern mit und hatte nur noch eine jüngere Schwester, die aber schon als Baby gestorben war, weil die Mutter noch während sie stillte, ein Abführmittel einnahm, das bei ihrer Tochter tödliche Krämpfe verursachte. Nun konzentrierte sich die ganze Liebe der Eltern auf Enrico, auch wenn er behauptete, seine Mutter hätte ihn so oft verprügelt, dass es für fünf Kinder ausgereicht hätte. Die Eltern Helene und Otto waren fleißige Landwirte und arbeiteten auf dem Hof Tag und Nacht. Nur selten nahmen sie sich Leute dazu, die ihnen halfen und die sie bezahlen mussten. Der Vater trank gern in der Muchowschen Kneipe Schnaps und Bier und kam dann ziemlich betrunken nach Haus, wo ihn Helene schimpfend in Empfang nahm und brummte: “Bist´e schon wieder besoffen?“ Otto lallte dann: „Ick war noch nie in meinem Leben dun, Hest´e mi all ens dun jesehn?“ (Ich war noch nie in meinem Leben betrunken. Hast Du mich schon einmal betrunken gesehn) Dann lachte Helene und brachte ihren Mann zu Bett. In der Nacht trampelte er gegen das Bettende so gewaltig, dass Helene ihren Mann weckte und fragte: „Mann wat is die denn?“ „Ach,“ sagte er, „bei den Nachbarn hat es gebrannt und ich musste mit den Füßen das Feuer austreten.“ „Das war doch nur ein Traum,“ meinte sie, „schlaf mal weiter!“ Enrico war ein junger Mann geworden und musste in den Krieg (1939 -1945). Er geriet in britische Gefangenschaft und wurde von den Briten in ein Lager nach Ägypten verfrachtet. Von dort schrieb er Briefe an seine Eltern. Helene und Otto weinten, wenn sie die Briefe lasen und waren doch froh, dass er noch am Leben war. Aber er wurde von den Briten bald entlassen und kam zurück nach Landin, wo er den Eltern bei der Arbeit tüchtig zur Hand gehen musste und sein altes Leben wieder aufnahm, als wäre nichts passiert. Einmal traf er aber eine junge Frau aus Friesack, die war nicht nur hübsch und temperamentvoll, die hatte ihm auch, er wusste gar nicht wie, völlig den Kopf verdreht. Sie hieß Rosemarie, war klein und zierlich und hatte braune Augen und lange schwarze Haare, die sie immer im Wind flattern ließ. Er war mit ihr zusammen, so oft es ging, und sie bummelten so ein Jahr dahin. Dann entschloss er sich, Rosi zu fragen, ob sie nicht seine Frau werden wollte? Zu seinem Erstaunen sagte sie: „Nein,“ und blieb auch dabei. Er drang in sie und fragte immer wieder: „Warum denn nicht?“ Und endlich sagte sie ihm. „Du brauchst eine Frau, die auf Eurem Hof tüchtig mitanpacken kann. Mir ist die Arbeit in der Landwirtschaft zu schwer, und es ist besser wir trennen uns jetzt.“ Das war ja alles richtig, was sie sagte, das wusste er wohl, denn die Eltern waren alt und brauchten eine jüngere Kraft auf dem Hof. An Geld fehlte es ihnen nicht. Sie erfüllten immer ihr Soll und verkauften den Überschuss mit gutem Gewinn. Nach dem Krieg kostete ein Pfund Butter zeitweise 400,00 Mark. Enrico war nach dieser Antwort richtig krank, so wie er es noch nie erlebt hatte. Sonst war er derjenige, der sich getrennt hatte und nun war es das erste Mal, dass eine Frau ihm den Laufpass gab, die er liebte, wie noch keine vorher. Er fiel in eine Depression, aus der er aber nach einem halben Jahr wie aus einem Alptraum erwachte und sich sagte: „Ja, Rosi hatte Recht. Er brauchte eine Frau für den Hof.“ Seine alte Mutter bedrängte ihn auch jede Woche nun endlich zu heiraten. So bändelte er mit einer jungen Frau aus der Nachbarschaft an, die die Arbeit auf einem Bauernhof gewohnt war und nach kurzer Verlobungszeit heirateten beide in der Landiner Dorfkirche. Sein Frau Luise arbeitete auf dem Hof und auf den Äckern vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. Sie molk die Kühe und fütterte die Schweine. Sie trug die schweren Eimer voll Milch zur Zentrifuge und butterte im Butterfass die Sahne zu vielen Stücken Butter, die dann verkauft wurden. Sie hackte die Rüben auf dem Acker und brachte das Heu und den Weizen mit ein. Sie liebte ihren Enrico herzlich, denn sie wusste nichts von der Vorgeschichte. Sie kannte zwar seinen Ruf als Dorfcasanova, aber wie jede verliebte Frau dachte sie, er hätte sein altes Leben ihr zuliebe aufgegeben. Er war auch ein ausgezeichneter Liebhaber und Luise erlebte die glücklichsten Jahre ihres Lebens. Er war eine Frohnatur, immer zu einem Spaß aufgelegt und er trieb auch seinen Spaß mit den Leuten und lachte viel. Wenn ein Nachbar gestorben war und die Freunde ihn baten, doch zur Beerdigung mitzugehen, antwortete er: „Der geit bei mi ook nich met,“ (Der geht bei mir auch nicht mit) und blieb zu Haus. Wenn die Nachbarn ihn fragten : „Enrico, wie geht es Dir heute, „ sagte er, „ Immer möh un Appetit of Wost.“ ( Immer müde und Appetit auf Wurst.) Luise war eine stille zurückhaltende Frau, die ihn nur immer bewunderte. Er hatte die Landwirtschaftsschule in Rathenow besucht und sie bildete sich auch fort und machte eine Ausbildung zum Facharbeiter in der Landwirtschaft, aber sie blieb eine einfache schlichte Frau, wenngleich sie jetzt auch reich war. Kaum war sie das erste Mal schwanger, hatte sich Enrico schon wieder an ein sehr junges Mädchen herangemacht und traf sich mit ihr regelmäßig. Seine Frau vernachlässigte er nach der Entbindung aber keinesfalls, sodass sie erneut schwanger wurde und ihm einen zweiten Sohn schenkte. So gingen die Jahre dahin. Seine Liebschafen wechselten, aber auch als er älter wurde, hatte er immer neben seiner Frau eine Intimfreundin. Luise hatte lange nichts bemerkt, aber schließlich kam sie doch dahinter und war wütend. Sie überlegte auch ernsthaft, sich scheiden zu lassen, verwarf aber den Gedanken bald wieder. Sie weinte viel. Enrico rauchte wie ein Schlot. Eine Schachtel Zigaretten reichte oft nicht am Tag. Sie zankte mit ihm rum und sagte: „Wenn Du so weiterlebst, solltest Du wenigstens eine Lebensversicherung abschließen.“ „Mache ich,“ sagte er, und fuhr in die Stadt und schloss eine hohe Lebensversicherung zugunsten seiner Frau ab, sodass sie im Todesfall 1,5 Mio. Mark erhalten sollte. Er hatte jetzt eine junge Frau im Dorf zur Geliebten, die mit ihrem Mann nicht recht glücklich war und in Enrico den Menschen gefunden hatte, der ihr diese glücklichen Stunden verschaffte. Beide dachten dabei nie an Scheidung. Ein halbes Jahr nach Abschluss der Lebensversicherung erkrankte Enrico mit Herzschmerzen und eine alte Ärztin aus Rathenow Conradine Rothenberg kam und untersuchte ihn und sagte:“ Ich verordne Ihnen strenge Bettruhe für eine Woche. Stehen Sie nicht auf und gehen sie nur zur Toilette. Ihr Herz ist stark angegriffen und muss sich erst wieder erholen. Ich schreibe Ihnen Tropfen gegen die Schmerzen auf. Ich komme nächste Woche wieder und untersuche Sie noch einmal.“ „Ja,“ sagte Enrico, „ich mache alles Frau Doktor. Ist es denn so ernst?“ „Machen Sie das, was ich Ihnen sage. Es ist schon eine schwere Erkrankung.“ Enrico blieb zwei Tage im Bett. Die Schmerzen waren weg. Am dritten Tag stand er wieder auf, mistete den Schweinestall aus, rasierte und wusch sich und sagte zu seiner alten Mutter: „Ich fahre mit dem Auto mal schnell in die Stadt. Ich muss auf der Bank noch was erledigen.“ „Aber die Doktorsche hätt di doch für eene Woche Bettruhe verordnet,“ fragte die Mutter erstaunt. „I wo, wat kiehrt mi dat,“ antwortete der Sohn und fuhr mit dem Auto zu seiner Freundin und dann brausten sie in den Wald bei Görne und hielten auf einem einsamen Waldweg, wo Enrico die Vordersitze umklappte und dann machten beide das, was sie am liebsten taten. Doch auf dem Höhepunkt dieser Beschäftigung hörte Enrico plötzlich auf zu atmen, er verdrehte die Augen und sagte keinen Mucks mehr. Die junge Frau schüttelte ihn und rüttelte ihn, aber er bewegte sich nicht mehr. Da befreite sie sich von der Last seines Körpers und lief zur Landstraße und hielt spärlich bekleidet ein Auto an und bat um Hilfe. Der Autofahrer kam mit und fand den nackten Enrico in einer unzweideutigen Stellung, aber tot. Er versprach zum nächsten Dorf zu fahren und Hilfe zu holen. In Landin rief er von der Gaststätte Muchow, wo das nächste Telefon stand, die Polizei an und bestellte einen Krankenwagen. Es gab ja noch keine Handys, und er meldete einen Verkehrsunfall bei Görne. Als die Polizei und der Krankenwagen eintrafen, konnte man Enrico nur noch tot bergen. Ein Herzinfarkt hatte seinem Leben ein jähes Ende bereitet. „Ein schöner Tod“, meinten die Leute. Luise beweinte ihn mit ihren Schwiegereltern und den Kindern und sagte allen, dass Enrico der beste Ehemann gewesen wäre und sie immer glücklich mit ihm war. Sie begrub ihn und betrauere ihn, wie es sich gehörte und freute sich über 1,5 Mio. Mark, die ihr die Lebensversicherung auszahlte. Allerdings wusste sie nicht recht was mit dem Geld anzufangen. Die Familie war eigentlich auch so reich genug.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.06.2019
29. Annemarie Mewes 01.07.2019
eine Lebensgeschichte aus Landin
Annemarie Mewes
(*31.10.1916 – † 05.02.2013)
Frieda Schmidt
Foto von Gustav Nause
(Fotoatelier Rathenow, Bahnhofstr.32)
Annemarie Mewes ging in Kriele zur Schule und lernte ihren späteren Mann Kurt Mewes aus Landin kennen, der am 18.03.1906 in Landin geboren worden war.
Kurt Mewes aus Landin
Sie besuchte mit 21 Jahren eine Haushaltsschule in Rathenow, wo sie Kochen, Braten und Nähen lernte. Am 10. 05.1940 heiratete sie den Landwirt Kurt Mewes und zog nach Landin.
Annemarie und Kurt Mewes
Kirchliche Trauung in Kriele
(10.05.1940)
Am 28.02.1942 wurde die Tochter Ingrid und am 06.07.1943 wurde die zweite Tochter Brigitte geboren.
Frieda Schmidt mit ihrer Tochter Annemarie
Von links: Elfriede Müller, Annemarie Mewes, Kurt Mewes, Hilde Mewes
bei der Silberhochzeit von Betty und Karl Ast
Er war doch sehr geschwächt und so bleib die Hauptlast der Arbeit doch bei der Mutter. Annemarie Mewes lachte selten. Sie war eine sehr fleißige, arbeitsame Frau und ihre Hände ruhten nie. Ihr Mann Kurt war ein fröhlicher Mensch und lachte viel. Er war immer für einen Spaß zu haben. Wenn seine Frau nach einem langen Arbeitstag im Winter am Kachelofen einschlief und manchmal auch etwas schnarchte, nahm er seine Zigarre und steckte sie seiner Frau in den offenen Mund. Sie wachte dann natürlich auf und musste husten und schimpfte über ihren Mann, aber die ganze Familie wollte sich ausschütten vor Lachen. Gemeinsam gingen das Ehepaar Mewes unter Druck der Kommunisten auch in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG-Typ I). Es gab in der DDR drei LPG-Typen. Beim Typ I bewirtschafteten die Bauern gemeinsam die Felder; das Vieh blieb aber noch in Privatbesitz. Am 31.10.1960 starb Kurt Mewes an einer Embolie nach einer Krampfaderoperation im Paracelsus-Krankenhaus Rathenow. Annemarie Mewes arbeitete nun allein auf dem Hof mit ihren Kindern.
Als die Töchter aus dem Haus waren, ging die Witwe Annemarie Mewes in die LPG Typ III. In der LPG vom Typ III war dann alles genossenschaftliches Eigentum. Solange Hertha Brunow lebte, ging sie zu den Geburtstagsfeiern der Nachbarin und kam so ein paar Stunden aus dem ihrem Arbeitsrhythmus heraus und in Kontakt mit anderen Dorfbewohnern.
Annemarie Mewes vor ihrem Weihnachtsbaum 1999
Sie ging auch jeden Sonntag in die Landiner Dorfkirche oder im Winter gegenüber zu Hertha Brunow in den Gastraum der „Gaststätte Muchow“, wo die Gottesdienste im Winter stattfanden. Elfriede Müller aus Landin übernahm die Aufgaben einer Kantorin und spielte auf dem alten Klavier zu den Gottesdiensten.
Annemarie Mewes geht zum Gottesdienst
Als Annemarie Mewes 1976 das Rentenalter erreichte, arbeitete sie noch lange in der LPG mit. Sie war rüstig bis ins 90. Lebensjahr und arbeitete im Haus und Garten des eigenen Grundstückes. Plötzlich waren aber die körperlichen Kräfte erloschen. Sie legte sich ins Bett und wurde immer schwächer. Am 05.02.2013 starb sie mit 96 Jahren, hochbetagt und lebenssatt, in Landin an Altersschwäche. Richtig krank war sie eigentlich nie gewesen. Sie wurde von ihren Kindern, zwei Enkelkindern und vier Urenkeln beweint und betrauert.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.07.2019
30. Das verschwundene Haus 01.08.2019
Landin, Steinstraße 2
Am 08.04.1915 wurde dem jung vermählten Paar der Sohn Friedrich Wilhelm Richard Sandberg in Buckow bei Nennhausen geboren. Er wurde aber von den Eltern und Großeltern immer Fritz genannt.
Friedrich Sandberg 08.04.1948
(genannt Fritz)
Hochzeit
Evamaria und Fritz Sandberg
29.05.1943
Evamaria und Fritz Sandberg
mit ihren Töchtern Renate und Adelheid
08.04.1948
31. Der Prozess 01.09.2019
Elisabeth Müller mit Sohn Dieter
Bahnhof Rathenow
Sie war eine fleißige Frau und kochte Soljanka, Kartoffelsuppe und legte das Fleisch für den Sauerbraten ein und machte riesige Schüsseln von Kartoffelsalat, denn Kartoffelsalat mit Würstchen war am Bahnhof der Renner. Siegfried Bading führte von 1946 – 1973 als sparsamer und umsichtiger Mann die Gaststätte und hatte so einen guten Ruf, dass viele Rathenower gern zum Essen zu ihm kamen. In den besten Zeiten hatte er fast 50 Mitarbeiter und die Gaststätte lief jeden Tag bis 22:00 Uhr. Auch am Heiligabend mussten seine Frau und die beiden Töchter Heidemare und Hilke bis nach 22:00 Uhr auf die Bescherung warten, weil der Vater Mitleid mit den Reisenden hatte und sie auch noch am Abend mit Essen versorgte. Er ließ selten Lebensmittel verderben. Morgens tauchte er die alten knochenharten Brötchen in seinen Kaffee und aß sie dann als eine Art Kaffeemüsli mit Marmelade.
Speisekarte der Gaststätte vom 10.11.1956
Bierdeckel der Bahnhofswirtschaft
Paul Schulze hatte Elisabeth Müller ins Herz geschlossen und an den Sonntagen machten sie oft lange gemeinsame Spaziergänge durch die Wälder und Felder um Landin. Er half ihr auch bei der Feldarbeit, als ihre Eltern das nicht mehr konnten. Reinhilde, ihre jüngere Schwester, war nach Westberlin gegangen und arbeitete dort. Sie heiratete einen Westberliner und bekam einen Sohn. Als sie das zweite Mal schwanger wurde, fragte sie ihre Schwester, ob sie nicht den zweiten Sohn mitaufziehen könnte. Ihr würde das zu viel werden. Elisabeth sagte: „Aber natürlich, das mache ich gern.“ Und so wuchs neben ihrem Sohn ein kleiner Knirps in Landin heran, der auch an ihr hing, als wäre sie seine Mutter und das war sie ja letztendlich auch. Willi Schulze und seine Frau Mathilde starben kinderlos und hinterließen alles dem Bruder Paul. Als auch Else, die Schwester von Paul, starb, wohnte er ganz allein in dem großen Haus. Elisabeth kümmerte sich sehr um ihn. Sie hielt ihm das Haus in Ordnung, sie machte ihm die Wäsche und kochte für ihn und manchmal wohnte sie auch bei ihm. Ihr Eltern waren gestorben, die beiden Söhne gingen ihre eigenen Wege und so fühlte sie sich zu Paul hingezogen, und er nahm ihre Liebe dankbar an. Er sagte zu ihr: „Weißt Du ich habe 100.000,00 Mark auf dem Konto und ich brauche ja nicht mehr viel. Ich bestelle die Notarin und dann mache ich mein Testament zu Deinen Gunsten. Du bekommst das Geld und das Haus und alles, was zum Hof gehört.“ „Wenn Du das so willst, machen wir das so.“ Elisabeth Müller fuhr zur Notarin, Luise Freitag, und bestellte sie nach Landin, denn Paul Schulze sei schon zu alt und gebrechlich, um noch selbst nach Rathenow zu kommen. Die Notarin kam auch pünktlich um 10:00 Uhr nach Landin, wo ihr aber Elisabeth Müller mitteilte, dass Paul Schulze in der Nacht ins Krankenhaus gekommen wäre und am Magen operiert worden sei, so dass der Termin verschoben werden müsste. Elisabeth fuhr natürlich sofort ins Krankenhaus und sprach mit dem Operateur, Dr. Wilhelm Grundmann, der ihr mitteilte. Ihr Freund hätte einen Magendurchbruch gehabt. Ein Magengeschwür sei geplatzt und man hätte einen Teil des Magens entfernen müssen, aber der Paul sei ja ein „harter Knochen“, der würde das schon überstehen. Sie besuchte den Paul auf der Wachstation und sprach mit ihm über den vergeblichen Besuch der Notarin. „Hol doch bitte alles Geld vom Konto und nimm es an Dich, wir bestellen die Notarin, wenn es mir wieder besser geht,“ sagte Paul zu ihr und sie hatte ja schon lange eine Bankvollmacht von ihm. Paul war guter Hoffnung, dass er bald wieder nach Landin könne und sie war getröstet durch seine Worte. Aber sie fuhr doch zur Bank und hob 90.000,00 Mark bar vom Konto ab. Jeden Tag besuchte sie den Paul und brachte ihm frische Wäsche und fragte, ob sie noch etwas für ihn besorgen sollte, aber er winkte nur müde ab und war zufrieden. So recht vorwärts ging es aber doch nicht mit dem Heilungsprozess und Dr. Wilhelm Grundmann erklärte ihr: „Er ist eben schon alt, da dauert alles etwas länger.“ Als sie eines Morgens wieder ins Krankenhaus kam, lag er nicht mehr auf der Station und die Ärzte sagten ihr, er hätte in den frühen Morgenstunden eine Nachblutung bekommen, die nicht mehr zu beherrschen war. Sie weinte bitterlich und sorgte für das Begräbnis und wollte den Haushalt auflösen, als sie von einem Anwalt einen Brief erhielt und ihr untersagt wurde, sich weiter um die Angelegenheiten zu kümmern, denn Verwandte im Dorf seien die legitimen Erben und hatten schon einen Erbschein beantragt. Sie wurde auch aufgefordert, die 90.000,00 Mark zurückzugeben, die sie in ihren Augen widerrechtlich abgehoben hätte. Elisabeth Müller sagte sich: „Ich habe mich um ihn gekümmert, als er alt war. Er hat mich dazu aufgefordert, das Geld abzuheben. Ich habe mir nichts vorzuwerfen,“ und rührte sich nicht. Aber eine Tante und ein reicher anderer Verwandte verklagten sie beim Kreisgericht Rathenow und forderten die Herausgabe der 90.000,00 Mark. Es kam zum Prozess in Rathenow und nun wurde alles noch einmal aufgerollt.
Gericht in Rathenow
Der Richter fragte sie, was sie zu den Anschuldigungen zu sagen habe. Elisabeth Müller erklärte dem Richter, dass Paul Schulze ihr Lebensgefährte war und sie sich um ihn gekümmert hatte und er die Notarin bestellt hätte, damit sie zur alleinigen Erbin eingesetzt würde, dass aber wegen der schweren Erkrankung die Notarin das Testament nicht mehr aufsetzten konnte und Paul habe sie im Krankenhaus beauftragt, das gesamte Geld vom Konto zu holen. Sie habe ja nicht ahmen können, dass er wirklich stirbt, denn die Ärzte wären sehr zuversichtlich gewesen. „Warum haben Sie denn nur 90.000,00 Mark und nicht alles abgehoben?“ fragte der Richter. „Weil ich ja alles erben sollte.“ „Und wo ist das Geld nun?“ fragte der Richter weiter. Elisabeth hob die Achseln. „Na, Sie müssen doch wissen, wo das Geld ist?“ Erneutes Achselzucken. Jedenfalls kam das Gericht zur Überzeugung, dass es der letzte Wille des Verstorbenen war, der Verklagten das Geld zu geben. Die Notarin bestätigte den vereinbarten Termin, der ja dann nicht zustande gekommen war. Die Klage der Verwandten wurde abgewiesen und die Kosten entsprechend dem Streitwert auf 10.000,00 Mark festgelegt. Die Verwandten wurden verurteilt die Kosten des Verfahrens zu tragen und damit waren die restlichen 10.000,00 € Mark auf dem Konto auch dahin, sehr zum Ärger der Verwandten. Die verkauften das Haus und hatten so wenigstens eine kleine Einnahme. Elisabeth freute sich an dem Geld, auch wenn sie lieber ihren Paul behalten hätte, aber im Leben kann man nicht alles haben.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.09.2019
32. Anne 01.10.2019
Eva-Maria und Peter Durchdenwald wohnten im Neubaublock in Landin. Peter Durchdenwald war eigentlich Koch, arbeitete aber bald in der Chefetage der Konsumgenossenschaft des Kreises Rathenow. Nach der Einheit Deutschlands zog Peter Durchdenwald nach Rathenow und arbeitete erfolgreich für eine Krankenversicherung. Eva-Maria und Peter Durchdenwald hatten einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn studierte Jura und führte später eine Anwaltskanzlei in Berlin. Die Tochter Anne verliebte sich in jungen Jahren in einen wunderschönen Klassenkameraden aus Rathenow und dachte mit ihm durch´s Leben zu gehen. Aber die Schönen finden überall andere Schöne und so trennte er sich bald von ihr, was Anne in eine tiefe Krise stürzte. Die Eltern waren bei diesem Kummer recht ratlos, wie man der Tochter helfen sollte, bis ein Freund der Familie vorschlug, Anne ein Jahr als Austauschschülerin in die USA zu schicken. Das heilte ihren Kummer und als sie zurückkam, studierte sie, wie ihr Bruder Jura und sagte nach dem Studium: „Ich bleibe nicht hier, ich gehe nach Irland.“ So mussten die Eltern sie schweren Herzens ziehen lassen. Sie ging nach Dublin und suchte sich dort Arbeit. Als die Tochter Anne ihren 30. Geburtstag feierte, waren natürlich die Eltern in Dublin und feierten mit ihrer Tochter den besonderen Tag. Durch eine Bombendrohung wurde der Flugplatz eine Woche lang gesperrt und die Eltern mussten drei Tage länger als geplant in Dublin bei der Tochter bleiben. „Ich habe aber noch Freunde zur Nachfeier eingeladen,“ sagte die Tochter zu den Eltern, „und mit einem Freund bin ich besonders herzlich verbunden. Ihr könnt ja mal raten, wer es ist?“ Die Eltern fanden natürlich sofort heraus, dass es sich um Jacob O`Callaghan, genannt Jac, handelte und nun beichtete Anne ihren Eltern, dass sie den Jac beim Volleyballspielen kennenglernt hätte und dass sie sich beide sofort ineinander verliebt hätten und dass sie schon standesamtlich in Dublin geheiratet hätten und sie ein Baby erwarte. „Aber die kirchliche Trauung machst Du doch in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche, wenn das Baby geboren ist?“, fragte der Vater. „Natürlich,“ erwiderte die Tochter, „die richtige Hochzeit feiern wir in Rathenow.“ Die große Hochzeit mit 80 Gästen erfolgte 2011 in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche. Der Pfarrer, der ein paar Semester in den USA Theologie studiert hatte, traute Anne und ihren Jacob und zwar in einem zweisprachigen Gottesdienst. Die erste Strophe des Liedes „Nun danket alle Gott“ wurde in Deutsch gesungen, die zweite Strophe in Englisch und so ging es auch in der Trauung, immer erst in Deutsch und gleich danach in Englisch.
1. Nun danket alle Gott mit Herzen, | 1.Now thank we all our God with hearts and hands and voices, who wondrrous things has done, in whom his world rejooices; who from our mother´s arms has blest us on our way with countless gifts of love, and still is ours today. |
2. Der ewig reiche Gott woll uns bei unserm Leben ein immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben und uns in seiner Gnad erhalten fort und fort und uns aus aller Not erlösen hier und dort. | 2.O may this bounteous God trough all our life be near us, with ever joyful hearts and blessed peace to cheer us; and keep us in his grace, and guide us when perplex´d, and free from all ills, in this world and the next |
3. Lob, Ehr und Preis sei Gott dem Vater und dem Sohne und Gott dem Heilgen Geist im höchsten Himmelsthrone, ihm, den dreiein´gen Gott, wie es im Anfang war und ist und bleiben wird so jetzt und immerdar. | 3.All praise and thanks to God the Father now be given, the Son, and him who reigns with them in highest heavern; the one eternal God whom earth and heav`n adore; for thus it was, is now, and sh all be evermore. |
Text: Martin Rinckart
(*1586 in Eilenburg - † 1649 in Eilenburg)
Melodie: Martin Rinckart
(*1586 in Eilenburg - † 1649 in Eilenburg)
Auch wurde bei der Hochzeit die ¾ jährige Tochter Olivia Emily Rebecca getauft. Danach fuhr die Hochzeitsgesellschaft in ein Restaurant am Semliner See und feierte ein rauschendes Fest. Die Gäste kamen aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, den USA, Ungarn und Afrika. Es war ein buntes Völkchen, was in wunderbarer Harmonie dieses Fest feierte, denn Englisch verbindet die Menschen. Am Schluss wurden Luftballons mit Glückwunschkarten an Anne und Jac in den Abendhimmel geschickt und wenn einer die Karte findet, sollte er sie an das frisch vermählte Paar schicken.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.10.2019
33. Die verbotene Liebe des Robert Gaschler 01.11.2019
Wohnhaus von Agnes und Otto Hünicke
Siedlungshaus von Ingrid und Robert Gaschler in Landin
34. Milchreis mit Fische 01.12.2019
Zeichnung: Ulrike Wetz, Hamburg
35. Der Wunderring von Landin 01.01.2020
Ringe haben für die Menschen bis heute eine magische Bedeutung. In Deutschland gab es Bronzeringe in der Frühzeit der Geschichte und später aus Gold. In den Sagen von Dietrich von Bern gibt es einen Ring, der Unsichtbares sichtbar macht und Lessing erzählt in seiner Ringparabel von einem Opalring, der die Kraft hatte, vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Der Ring wurde in unserer Zeit immer mehr zum Symbol für Liebe und Treue und deshalb ist es üblich, bei der Hochzeit sich gegenseitig einen Ring an den Finger zu stecken. Der Ring ist ja ohne Anfang und Ende, und so sollte die Liebe auch zwischen den jung verheirateten Paaren sein. In Deutschland trägt man den Verlobungsring links und den Ehering rechts. Bei den Griechen war es aber üblich den Ehering links zu tragen. Man dachte vom linken Ringfinger führte eine Blutader direkt zum Herzen. Wenn man seinen Ehepartner verloren hat, tragen viele Menschen zwei Eheringe an dem Ringfinger der rechten oder linken Hand. Es wird folgende Geschichte vom Dorfschulzen von Landin, Balthasar Ludwig Corbinius Grünefeld, erzählt. Der Dorfschulze Balthasar heiratete in der kleinen Klosterkapelle auf dem Rütscheberg die wunderschöne Tochter des reichen Bauern Willibald Friedrich aus Buschow. Sie hieß Susanna Veronika Friedrich und war die schönste Frau weit und breit. Der Dorfschulze von Landin war einer der reichsten Bauern im Landin. Er hatte Rinder- und Schafherden und verkaufte das Vieh und das Fleisch und die Wolle im ganzen Land. Knechte und Mägde arbeiteten für ihn im Haus, Hof, Garten und auf den Feldern. Er hatte 12 Pferde und unzählige Schweine, die er im Herbst in den Wald zur Eichelmast schickte. Auf dem Markt in Rathenow hatte er von einem alten Trödeljuden für ein gut gefülltes Säckchen mit Goldmünzen einen überaus kostbaren Ring gekauft, der, so der Jude, aus der Schatzkammer des Königs Salomo stammen sollte und ein Wunderring sei. Den schenkte er am Hochzeitstag seiner Frau. Seitdem waren die beiden unzertrennlich. Er wurde immer neu von Liebe erfasst, wenn er sie sah. Sie gebar ihm zehn Kinder, die alle gesund und munter ins Leben gingen. Balthasar Grünefeld liebte seine Kinder, aber noch mehr die schöne Susanna. Und doch kommt es im Leben wie es kommen muss. Sei es nun die zehn Schwangerschaften oder eine Krankheit, Susanna legte sich aufs Krankenbett und wollte trotz aller ärztlicher Kunst der Mönche auf dem Rütscheberg nicht wieder genesen. Balthasar wich nicht von ihrer Seite und als sie gestorben war, konnte er sich nicht von ihrem toten Körper trennen. Es lag wie ein Bann über ihm. Er wollte und wollte dem Begräbnistermin nicht zustimmen und die Mönche vom Kloster riefen schließlich ihren Abt, der in das Haus des Dorfschulzen kam und die tote Susanna nach allen Regeln der Kunst untersuchte. Dabei fand er unter ihrer Zunge den Ring, den ihr ihr Mann am Hochzeitstag geschenkt hatte. Er nahm den Ring heraus und von Balthasar fiel es wie ein Zauber ab. Er konnte sich von seiner Susanna trennen und stimmte nun endlich der Beerdigung zu. Von dem Ring aber ist jede Spur verloren gegangen. Ob Balthasar ihn selbst nach dem Tode seiner Frau getragen hat, ist ungewiss.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.01.2020
36. Ankunft im Paradies 01.02.2020
Thomas Müller und seine Frau in Landin
37. Der Keiler von Landin
1950 kam Rudolf Johannes Alexander Herrenkind mit russischen Offizieren aus Rathenow nach Landin. Sie wollten mit ihm Wildschweine jagen. Rudolf Herrenkind war ein Jäger aus Leidenschaft. Das hatte auch die Russen gehört und wollten mit diesem erfahrenen Jäger mal auf die Pirsch gehen. Die russischen Offiziere schenkten den zwei Mädchen der Herrenkinds Weißbrotstullen dick mit Butter beschmiert und jede Menge Würfelzucker. Das war für die Kinder ein unvergessliches Geschenk. Butter und Zucker waren nach dem Krieg Mangelware. Dann ging es mit Rudolf Herrenkind in den Wald. Der erfahrene Jäger wusste natürlich, wo sich die Wildschweinrotte bei Tag versteckt hielt. Er fuhr mit den Russen in Richtung Friesack bis zu einem Tannendickicht, das in ein Sumpfgebiet führte, wo sich die Wildschweine gern in einer Suhle lagerten. Rudolf Herrenkind bemerkte einen Keiler in den Tannen und schoss. Zu den Russen sagte er, dass er nicht getroffen hätte. Die Russen schossen dann noch ein anderes Wildschwein und nahmen es mit. Bei den Herrenkinds wurde der Jagderfolg mit Wodka begossen. Die Russen waren glücklich. Als sie spät nach Mitternacht wieder nach Rathenow zurückgefahren waren, weckte Rudolf Herrenkind seine Tochter Lilo, gab ihr einen Rucksack auf den Rücken und dann marschierten beide in den Wald. Rudolf Herrenkind hatte den Keiler sehr wohl getroffen und wusste auch genau die Stelle, wo er zu finden war. Er brach ihn auf und verbuddelte das Gekröse und die Schwarte im Wald. Die Fleischteile wurden in die zwei mitgebrachten Rucksäcke verpackt und für die Familie gab es danach tagelang ein richtiges Festessen, denn Charlotte Herrenkind war eine ausgezeichnete Köchin. Es gab Wildschweingulasch, Wildschweinbraten und Königsberger Klops aus Wildschweinfleisch. Sie würzte das Fleisch mit Salz und mit Kräutern aus ihrem großen Garten. Aber am meisten benutzte sie Lorbeerblätter. Fast alle Speisen bereitete sie mit Lorbeerblättern zu. Den Rest des Fleisches gab sie mit viel Salz in einen großen Steintopf. So hatten sie das ganze Jahr über Fleisch zu essen. Die Familie war stolz auf den Vater und Jäger. Das Wildern war ja verboten, und es drohten empfindliche Strafen für überführte Wilddiebe. Aber mit den Russen war das schon eine andere Sache und Rudolf Herrenkind hatte die Gelegenheit genutzt.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.03.2020
Nach Angaben von Lilo Wortha, geborenen Herrenkind
38. Die Dorschle von Landin 01.04.2020
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) waren die Städte und Dörfer im Land Brandenburg überfüllt von Flüchtlingen aus dem Osten. Aus Ostpreußen, aus Westpreußen, aus Schlesien und aus dem Sudetenland kamen die Menschen mit ihren Kindern auch nach Landin und viele Menschen hatten schon eine Odyssee hinter sich, denn sie waren erst aus Rumänien nach Polen umgesiedelt worden und mussten dann nach dem Krieg noch einmal in den Westen fliehen. Auch in Landin gab es viele Familien, die hier endlich einen Neuanfang im Frieden versuchen wollten. Und es gab Armut, Hunger und Not unter den neu angekommenen Menschen und sie wurden auch etwas geringgeschätzt, denn oft hatten sie eine Sprache aus ihrer alten Heimat mitgebracht, die den Brandenburgern fremd war. Sie rollten das R oder waren noch dem Schwäbisch ihrer Vorfahren verhaftet, die vor ein paar Hundert Jahren nach Siebenbürgen oder nach Russland ausgewandert waren. Aber alle Kinder mussten natürlich in die Schule. Da half nichts. Die Kinder aus Landin mussten zur Einschulung nach Kriele und wurden dort mit den Krieler Kinder in der ersten und zweiten Klasse gemeinsam unterrichtet. Die Landiner Dorfschule hatte einen Klassenraum, in dem die Kinder der Klassen 3 - 4 aus Kriele und Landin gemeinsam unterrichtet wurden. Es waren immer 20 -30 Kinder, die in Landin zur Schule gingen. Das war für die Lehrerin Erika Brodehl schon eine große Kunst, denn sie musste Lesen, Schreiben und Rechnen üben, und so war jede Unterrichtsstunde in verschiedene Teilabschnitte untergliedert, wo die einzelnen Klassen mit Stillarbeit beschäftigt wurden und die andere Klasse aktiv unterrichtet wurde. Zum Beispiel musste die dritte Klasse still eine Geschichte aus dem Lesebuch lesen und sie dann aufschreiben oder abschreiben, während sie mit der vierten Klasse das Einmaleins von der Sieben übte. Es wurde auch noch Schönschrift unterrichtet und geübt und auch zensiert. Die erste Klasse in Kriele schrieb noch alles mit dem Griffel auf eine Schiefertafel. Auch Diktate wurden auf der Schiefertafel geschrieben und der Lehrer ging nach dem Diktat von Schüler zu Schüler und strich Fehler an und gab eine Zensur. Erst ab der zweiten Klasse gab es Schreibhefte und Bleistifte. Sport und Singen konnte dann in beiden Klassen gemeinsam absolviert werden. Das ging gut. Zuerst waren auch keine Schulbücher vorhanden und so musste man auf alte Bücher zurückgreifen. Erika Brodehl hatte in ihrer Bibliothek noch ein altes Liederbuch für höhere Schulen von1906 entdeckt und da wurden dann alle Lieder gesungen, die dort drinstanden.
„Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Sah ein Knab‘ ein Röslein steh‘n“, “Der Mond ist aufgegangen“ und viele mehr, die die Kinder auswendig lernen mussten. Im Anhang des Buches fanden sich auch französische und englische Lieder wie „Le petit Pierre“ und „Jingle, Bells.“ Es war ein munteres Völkchen, was sich jeden Vormittag in der Dorfschule einfand, aber es wurde auch viel gelacht. Am ersten April versuchte man die Lehrerin in den April zu schicken und Sebastian Kowalke aus der dritten Klasse sagte zu ihr: „Der Bürgermeister bittet Sie sofort zu ihm zu kommen.“ Erika Brodehl roch natürlich den Braten und meinte: „Ich werde ihn nach dem Unterricht aufsuchen. So viel Zeit muss sein.“ Sie beauftragte aber Sebastian Kowalke zu Ingelore Babucke in den Konsum zu gehen und zu fragen, ob sie „Haumieblau“ hätte. Sebastian machte sich pflichteifrig auf den Weg in den Dorfkonsum. Unterwegs sagte er sich immerzu den Namen „Haumieblau“ auf, denn er wollte das seltsame Wort nicht vergessen. Er drängelte sich im Konsum vor und sagte nicht ohne Wichtigkeit zu Ingelore Babucke: „Die Lehrerin schickt mich, ich soll fragen, ob Sie „Haumieblau“ haben?“ Es gab ein großes Gelächter bei den Kunden und bei Frau Babucke. Sie sagte zu dem Sebastian: „Na komm mal her.“ Dann gab sie ihm einen Klapps auf den Hintern und schickte ihn wieder zurück in die Schule, wo ihn erneut eine lachende Kinderschar empfing, denn Erika Brodehl hatte alle Kinder inzwischen über den Aprilscherz aufgeklärt.
Alte Landiner Schule 2020
Am letzten Schultag vor den Sommerferien wurden die Zeugnisse ausgegeben und eine Geschichte oder ein Märchen vorgelesen. Erika Brodehl hatte sich aber erkältet und war krank. So kam eine Ersatzlehrerin aus Rathenow und las in reinstem Sächsisch den Kindern „Das Märchen von der Plauen Plume“ vor. Ab 1950 war dann Emmi Schnelle für die Landiner Schule zuständig. Sie heiratete Heinz Wenger und nahm auch seinen Namen an. Emmi Wenger unterrichtete die Kinder aus Landin und Kriele bis 1954. Dann wurde die Schule in Landin geschlossen und alle Kinder mussten nach Kriele zur Schule gehen. Heute ist die Schule ein Wohnhaus.
Ehemalige Schule 2020
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.04.2020
39. Zwei Simson-Mopeds erobern die Welt 01.05.2020
Alte Brücke in Mostar (Bosnien und Herzegowina)
40. Pastor Karl Domsch 01.06.2020
Pastor Karl Domsch (*05.01.1911 - † 10.01.1992)
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Pfarrer Karl Domsch fühlte sich im Gelsenkirchen-Buer wohl und lebte mit seiner Frau Martha in enger Verbundenheit mit seinen alten Gemeinden, aber er nutzte auch den Wohlstand und die Freiheit im reichen westlichen Teil Deutschlands, um viel zu reisen und die Welt anzuschauen, die ihm in der DDR verschlossen war. Getreu dem alten Volkslied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“ , besuchte er nun die Stätten seiner Sehnsucht und immer wieder flog er nach Israel, wo er sich Gott ganz nahe fühlte. Am 10.01.1992 starb er in Gelsenkirchen-Buer, beweint und betrauert von seiner Frau, den Kindern und vielen Menschen in Ost und West.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.06.2020
41. Die Mewes in Landin 01.07.2020
Es gab vier Familien Mewes in Landin, die angeblich nicht miteinander verwandt waren, aber wer weiß das schon so genau?
42. Die Badestelle der Landiner 01.08.2020
Wer ein Fahrrad hatte, fuhr im Sommer an den Ferchesarer See zum Baden, wenn es die Eltern erlaubten. In der Dranseschlucht in Ferchesar führte ein Steilufer zum See zu einer vielbesuchten Badestelle. Alle Fremden fanden die Dranseschlucht sehr romantisch. Die Einheimischen nahmen die Schönheit ihrer Heimat gar nicht mehr wahr. Wer in Landin arm war, konnte nur den Großen Havelländischen Hauptkanal nutzen. Vor der Brücke stand am rechten Ufer eine alte Eiche, die auch an heißen Sommertagen Schatten gab. Aber es war nicht ganz ungefährlich für Kinder, die noch nicht schwimmen konnten, dort ohne Aufsicht zu baden. An heißen Sommertagen kamen aber doch Kinder zur Eiche und versuchten im Wasser zu planschen. Am 02.07.1967 waren drei Kinder an der Badestelle. Die drei hatten ein Fahrrad, durften aber nicht nach Ferchesar fahren. So spielten sie an der alten Eiche. Es waren Werner Gretzinger, Gudrun Bork und Joachim Hildebrandt. Der Große Havelländische Hauptkanal war alt und manchmal ungepflegt und etwas verkrautet. Joachim Hildebrandt konnte schon schwimmen, aber die neunjährige Gudrun Bork und Werner Gretzinger waren noch Nichtschwimmer. So vergnügten sich die drei mit einem Schwimmreifen. Joachim schob den Reifen abwechselnd mal mit Gudrun und mal mit Werner über den Kanal. Das machte Spaß und sie konnte gar nicht genug davon bekommen. Sie juchzten vor Freude und es war ein großer Streit, wer im Schwimmreifen mitfahren durfte, aber Joachim Hildebrandt war für Gerechtigkeit und so ging es abwechselnd hin und her. Dazwischen wurde ein Sonnenbad eingelegt und die Kinder tranken mitgebrachten Saft. Es war herrlich. Als er gerade mit Gudrun Bork unterwegs war, verfingen sich seine Füße in dem Morast und er ließ vor Schreck den Schwimmring los. Der trieb sofort mit der Strömung auf die Mitte des Havelländischen Hauptkanals und Gudrun Bork bekam so große Angst, dass sie aus dem Schwimmring rutschte und im Kanal ertrank. Joachim konnte sich nicht mit eigener Kraft aus dem Morast helfen und ertrank auch. Ehe Werner Gretzinger jemand zu Hilfe holen konnte, war alles schon zu spät. Die beiden Kinder konnten nur noch tot geborgen werden. Seitdem meiden die Landiner diese wilde Badestelle an der Eiche, nur die Angler stehen nach wie vor neben der Eiche und an der Brücke und versuchen ihr Anglerglück.
Grabstein für Gudrun Bork auf dem Landiner Friedhof
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2020
Brigitte Nelde, geborene Müller, wurde am 18.03.1936 in Waldenburg in Schlesien geboren.
Waldenburg in Niederschlesien (1936)
Ihr Vater war Bergmann und arbeitete im nahen Eulengebirge. Er starb im Zweiten Weltkrieg. Die Mutter floh 1945 mit drei Kindern in den Westen und kam nach Genthin.
Brigitte Nelde als Schulkind
Brigitte Nelde wurde in Genthin eingeschult und besuchte später die Heimoberschule in Wendgräben, wo sie 1954 ihr Abitur ablegte. Die Schüler lebten im Schloss Wendgräben in einem Internat.
Nach dem Abitur begann sie in Thale eine Ausbildung zur Krankenschwester. 1956 schloss sie die Ausbildung erfolgreich ab und arbeitet danach im Paracelsus-Krankenhaus in Rathenow, weil ihre Mutter inzwischen nach Landin umgezogen war. Brigitte Nelde nahm aber bald die Ausbildung zur Fürsorgerin auf und arbeitete später in der Geschwulstberatung in den Vereinigten Gesundheitseinrichtungen des Kreises Rathenow.
Am 30.01.1960 heiratete sie Rudolf Ernst Nelde, der zunächst bei der Feuerwehr und später bei der Polizei arbeitete. Die meiste Zeit hatte er den Chef der Polizei in Rathenow, Heinz Rehag, zu chauffieren. Rudolf Nelde war am 04.03.1930 in Bnin, Kreis Schrimm, in Schlesien geboren worden. Betty und Karl Ast aus Landin hatten Rudolf Nelde adoptiert, da sie keine eigenen Kinder hatten. Rudolf Nelde war der Neffe von Karl Ast. Die Schwester von Karl Ast, Anna Nelde, geborene Ast, lebte in Nauen in sehr ärmlichen Verhältnissen und so war die Familie froh, dass ihr Sohn nach Landin kam.
Rudolf Nelde
Dem Ehepaar Nelde wurden vier Kinder geschenkt: Petra 26.07.1960, Lutz 23.09.1961, Heidemarie 02.06.1964 und Stefan 04.06.1971. Brigitte und Rudolf Nelde waren beide in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und so kandidierte Brigitte Nelde für das Bürgermeisteramt in Landin.
Bürgermeisterin Brigitte Nelde
Nach der Kommunalwahl 1963 arbeitete sie als Bürgermeisterin in Landin in der Steinstraße 11. Gerda Hildebrandt, ihre Cousine, war die Sekretärin und so versuchten beide alle Aufgaben der Dorfverwaltung zu bewältigen. Die Bürgermeisterin war auch die Verwalterin aller staatlichen Häuser in Landin. Sie war verantwortlich für Viehzählungen, Hausbücher, den Brandschutz, den Konsum, die Jugendarbeit und hatte Wahlen vorzubereiten und durchzuführen. Daneben hatte sie sich um die Alten und die Feuerwehr sowie die LPG zu kümmern. Als Bürgermeisterin war sie „Mädchen für Alles.“ Das Büro der Bürgermeisterin war ein Treffpunkt für die Menschen im Dorf. Ihre Kinder nahm Brigitte immer mit in das Gemeindebüro und ließ sie im Archiv spielen.
Die Tochter bekam Zöpfe
44. Die Hochzeit der Alice von Bredow 01.10.2020
Alice von Bredow 1915
Dr. jur. Wichard von Bredow aus Landin kam durch den Ersten Weltkrieg (1914-1918) nach Kurland, wo er die Baronesse Alice von Grotthuss kennenlernte und sich in sie verliebte. Am 29.07.1916 kam er das erste Mal mit einem Freund zur Jagd nach Spahren (heute Lettland). Als sie erhitzt vom langen Ritt in den Salon eintraten, stellte Alice gerade Blumen auf den Esstisch und überreichte dem Wichard ein Glas mit eiskaltem Wasser und sagte: „Zur Abkühlung Herr von Bredow.“ Wichard hatte sich sofort in Alice verliebt und kam nun so oft es ging nach Spahren. Bei einer Jagd im August 1916 schrieb Wichard in das Gästebuch: „Einen starken Elchschaufler gesehen.“ Am 10.08.2016 schrieb er: “17 Pfund schweren Hecht gefangen.“
Am 13.08.1916 war der Leutnant der Reserve Dr. Wichard von Bredow mit seinem Freund Hans Heinrich von Bockelberg erneut in Spahren zu Gast. Am 23.08.1916 schreibt Dr. Wichard von Bredow in das Gästebuch:
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Gutshaus Spahren
Für Wichard und Alice stand es bald fest, sie gehören zueinander und so wurde am 19.10.1916 die Verlobung gefeiert. Wichard hätte seine Braut gern den Eltern in Landin vorgestellt, aber in den Kriegszeiten war eben alles kompliziert. Mit Beziehungen zum Zarenhaus bekam aber die Mutter von Wichard, Jenny von Bredow, geborenen Gräfin von Schwerin aus dem Hause Wildenhoff/Ostpreußen (*1860 - † 1922) mit ihrer Zofe doch einen Reisepass und kam zu Besuch nach Spahren. Sie durfte vom 8.12.-18.12.1916 Zeit mit ihrer zukünftigen Schwiegertochter Alice verbringen und schrieb ins Gästebuch der Grotthussens:
Dr. Wichard von Bredow war Ordonanzoffizier im Stab der 1. Kavalleriedivision (KD) und rückte ab August 1917 in Livland ein und schrieb an die Eltern von Alice aus Wilna einen Brief und bat um die Hand ihrer Tochter. Eigentlich wollten sie erst nach Kriegsende Hochzeit feiern, aber Alice hat Furcht, dass Wichard im Krieg verletzt werden könnte und da sie im Herrschaftsbereich des russischen Zaren wohnte, hätte sie keine Chance, ihn im Lazarett zu besuchen. Wenn sie allerdings Wichards Frau würde, könnte sie als deutsche Staatsbürgerin zu ihm fahren. Wichard hatte seine Vorgesetzten gefragt. Er würde im November 2017 mehrere Wochen Hochzeitsurlaub bekommen und so wurde der Hochzeitstermin auf den 10.11.1917 in Spahren festgesetzt. Im Oktober 1917 fuhr Alice mit ihrer Mutter Jenny nach Mitau zum Chef der Verwaltung, um die erforderlichen Papiere zu besorgen. Sie als russische Staatsbürgerin heiratete einen deutschen Offizier, was zu der Zeit aber nicht ungewöhnlich war. Es sollte kein großes Fest gefeiert werden, aber es kamen doch etliche Verwandte. Nur die Landiner Eltern und Verwandten von Wichard durften nicht kommen. Es gab alles auf Bezugsschein, und nur unter großen Mühen konnte der Stoff für das Brautkleid aus Deutschland besorgt werden sowie weiße Schuhe und weiße Handschuhe. Ab 06. 11.2017 trudelten die Verwandten von Alice aus der Umgebung ein. Am 09.11.1917 kam am Nachmittag auch Wichard mit zwei Offizieren an. Es waren dies Friedel von der Groeben und Wichards Cousin Otto Graf von Schwerin-Wildenhoff/Ostpreußen. Alice freute sich, dass wenigstens zwei Gäste von Wichards Seite dabei sein konnten.
Zum Kaffee waren am Polterabend schon 23 Gäste am Kaffeetisch in T-Form versammelt. Eine Tante von Alice hatte die Tafel mit Tannengrün und kleinen Vasen mit Ebereschen, Pielbeeren, wie man hier sagte, geschmückt. Um 19:00 Uhr war das Souper und nach dem Souper gab es kleine Theaterstücke und Gedichte. Ein Theaterstück hieß „Moderne Dienstboten“ und handelte vom Diener des Herrn von Bredow und seiner Kammerjungfer der Frau von Bredow. Dann bewarb sich eine Köchin um eine Anstellung und brachte zum Beweis ihrer Backkunst zwei prächtige Torten mit. Ein Schusterjunge überreichte dem Bräutigam ein Paar Pantoffeln und eine Verwandte hatte sich als Zigeunerin verkleidet und wahrsagte dem jungen Paar viele lustige Sachen. Ein Gretchen erzählt von ihren Erfahrungen mit Männern und die Köchinanwärterin (Tante Frieda) erschien noch einmal im Gewand eines alten Kriegers und sagte ein langes Gedicht auf, das immer mit dem Refrain endete: “Wie bei Sedan in der Schlacht.“ Das war so typisch für kurische Geselligkeit. Am Hochzeitstag wurde zeitig Kaffee im Saal des Gutshauses getrunken, denn das Esszimmer war schon für das Diner geschmückt. Die Trauung sollte um 12:30 Uhr sein und um 11:00 Uhr kamen zwei Tanten und kleideten Alice an. Um zwölf Uhr fuhren die ersten Wagen zur Kirche und das Brautpaar mit den Brauteltern machten sich als Letzte im Coupé auf den Weg zur Kirche. Es war schönes Wetter. Der Altar der Kirche war mit weißen Chrysanthemen geschmückt und am Eingang und im Inneren der Kirche hingen überall Tannengirlanden mit Strickbeerkraut (Preiselbeeren). Zum Eingang spielte das Harmonium das Niederländische Dankgebet „Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten“, was Alice sehr liebte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt, denn es waren alle gekommen, um diesem Fest beizuwohnen. Unten saßen die geladenen Gäste und auf den Emporen die Dorfbewohner. Nachdem der Pastor Johannson sein Werk vollendet hatte, fuhren die Frischvermählten allein zurück ins Gutshaus. Zu Haus erwarteten sie alle Gäste und empfingen die Gratulationen. Alice war etwas irritiert, dass man jetzt „Gnädige Frau“ zu ihr sagte. Sie fühlte sich noch nicht so alt. Es wurde ein Imbiss gereicht, wobei die eingeweckten Krebsschwänze, die Alice selber zubereitet hatte, noch die Pastete übertrafen. Nachdem sich alle etwas gestärkt hatten, ging es ins Esszimmer zum Festessen, wo 32 Personen an einer hufeisenförmig gestellten Tafel Platz nahmen. Die Festtafel war mit einer kleinen Girlande und mit Vasen voller Chrysanthemen geschmückt. Gemalte Tischkarten mit dem Wappen derer von Grotthuss wiesen den Gästen die Plätze zu. Es gab ein kriegsmäßig einfaches Menu. Zuerst kam die Suppe und als zweiten Gang gab es Karpfen. Als Hauptgang wurde Rehrücken serviert und als Nachtisch Reneklodenkompott. Bei Tische wurden viele Reden gehalten. Der Vater von Alice, Otto von Grotthuss, sprach in seinen Worten ganz liebevoll von Landin und von den Landinern, die ja nicht dabei sein konnten.
Der Bruder von Alice Vater, Friedrich von Grotthuss (*1861 - † 1919), wendete sich zum Schluss seiner Rede an Wichard und sagt: „Wenn ich auch weiß, dass Du ebenso wie ich kein Anhänger eines Verzichtsfriedens bist, so muss ich Dir doch sagen, dass in der Ehe doch manchmal ein Verzichtsfrieden am Platze ist.“ Von Wichards Seite hielt sein Cousin Otto Graf von Schwerin-Wildenhoff/Ostpreußen die Tischrede. Um 17:00 Uhr gab es Kaffee und Kuchen und eine kleine musikalische Überraschung, denn drei Gendarmen waren gekommen und spielten auf einer Geige, einer Zither und einer Gitarre mehrere Lieder, einen Marsch und einen Choral. Nach dem Kaffee wurde der Jungfernkranz ausgetanzt und Alice richtete es so ein, dass ihn Baronesse Irene von Hahn (genannt Zibbe) bekam und Wichard drückte ihrem Freund, dem Baron Carol von Fircks, seinen Stahlhelm auf den Kopf. So tanzten die beiden dann einen Walzer zusammen. Es sollte aber eigentlich nicht getanzt werden. Dafür machte man aber recht wilde Spiele. Um 20:00 Uhr war das Abendessen angesagt und danach ging es weiter mit Ratespielen und „Lange Nase.“ Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Das Brautpaar hatte sich schon rechtzeitig zurückgezogen. Um 23:30 Uhr war die Feier beendet und die nicht im Hause Spahren untergekommen waren, fuhren nach Hause.
Hauptetage des Gutshauses Spahren
Es war ein schöner Tag gewesen und ein Lichtblick in diesen Kriegstagen. Natürlich wäre das Fest nicht so prächtig geworden, wenn das Hauspersonal sich nicht so eng mit der Familie von Grotthuss verbunden gefühlt hätte. Es war eine gute Harmonie zwischen den Gutsherren und den vielen Angestellten, die im Haus, Hof und auf den Feldern arbeiteten. Die meisten waren Letten. Man war stolz auf die Familie von Grotthuss und schickte die jungen Mädchen gern ins Schloss, um dort die feine Küche zu erlernen. Manche blieben im Schloss, aber die zurückgingen und eigene Familien gründeten, zehrten von dieser feinen Küche ihr ganzes Leben lang. Sie erfreuten ihre Familien mit außergewöhnlichen Kochkünsten. Sie hatten es ja im Hause Spahren gelernt. Am 11.11.1917 machten sich Dr. Wichard von Bredow und seine Frau Alice von Bredow auf den Weg nach Landin - gewissermaßen als Hochzeitsreise. Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht einmal später erzählt werden kann.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.10.2020
Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.
45. Die Postfrau von Landin 01.11.2020
Ursula Erika Helga Schill, geborene Rühle, kam am 10.03.1947 in Landin zur Welt. Sie wohnte mit ihren Eltern neben der kleinen Dorfkirche in der Bergstraße und ging von 1953 - 1957 in Kriele in die erste bis vierte Klasse. Die fünfte bis achte Klasse musste sie in Stechow absolvieren und die letzten zwei Jahre bis zur zehnten Klasse kam sie in die Schule Nennhausen. Nach Abschluss der zehnten Klasse 1963 erlernte sie zwei Jahre lang den Beruf einer Gärtnerin in Albertsheim und arbeitete danach auf der LPG „Freie Scholle Landin“ im Feldbau und in der Pflanzenproduktion. Später wechselte sie zur Tierproduktion und arbeitete in Landin als Melkerin und in der Kälberaufzucht. Am 26.04.1968 heiratete sie den Schlosser Artur Schill in Rathenow.
Ursula und Artur Schill
26.04.1968
Artur Schill wurde am 01.07.1942 in Wilamow, Kreis Turek (heute Polen), geboren, wohin die Nazis seine Eltern umgesiedelt hatten. Eigentlich kamen die Eltern aus Straßburg, Kreis Akkerman, in Bessarabien. Die Familie hat drei Söhne: Thomas, geb. 04.06.1968, Torsten, geb. 27.09.1969 und Oliver, geb. 19.01.1986. Die Familie Schill wohnte zunächst in einen alten Lehmfachwerkhaus in der Bergstr. 3, das aber wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Sie zog 1972 in eine Wohnung im Gutshaus um und blieb dort bis 1989. Als Bernd Mewes 1989 das Haus seiner Eltern in der Steinstr. 5 verkaufte, bezogen sie dieses Haus und wohnen nun mit zwei Söhnen Thomas und Oliver in dem alten Bauernhaus. Ursula Schill übernahm von 1990 – 2003 die Post in Landin. Die Poststelle war in der Steinstr.11
Ehemalige Poststelle in Landin
Sie brauchte auch die Zeitungen nicht mehr auszutragen und sie bekam ein Auto und musste Kriele, Kotzen Rhinsmühlen und später Damme, Liepe, Nennhausen und Neufriedrichsdorf übernehmen. Die Arbeit als Postfrau war nicht ganz ungefährlich. Dreimal wurde sie von einem Hund gebissen und einmal stürzte sie bei Glatteis so heftig, dass sie fast nicht mehr laufen konnte.
Aber im Rückblick auf ihr Arbeitsleben, war es eine sehr interessante Aufgabe und am besten hat ihr der Kontakt zu den Menschen gefallen. Sie lernte durch ihre Arbeit fast alle Bewohner in ihrem Bereich kennen und das war schön. Auch erinnert sie sich gern an die Vorweihnachtszeit, wo eine große Arbeitsbelastung auf sie Jahr für Jahr zukam, aber die Menschen schenkten ihr auch mal eine Tafel Schokolade oder andere Süßigkeiten als kleines „Dankeschön.“
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.11.2020
46. Der Landfilm kommt 01.12.2020
Da es nicht so viele kulturelle Höhepunkte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) auf dem Dorf gab, hatte der Staat einen Lichtspielbetrieb gegründet. Gerhard Wernicke aus Stechow kam jede Woche einmal mit seinem Auto nach Landin. Er war als Filmvorführer beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Kreislichtspielbetrieb Rathenow angestellt. Die Filmvorführer bespielten die festen Kinos in Rathenow, Premnitz und Rhinow und fuhren einmal pro Woche auf jedes Dorf. Gerhard Wernicke war zuständig für die Dörfer Stechow, Ferchesar, Kotzen, Kriele, Landin und Nennhausen. In Landin wurde eine Leinwand in der Gaststätte Muchow sowie Lautsprechen und Stühle aufgestellt. Da half ihm immer ein Junge aus dem Dorf, der dann keinen Eintritt bezahlen musste. Alle Kinder gingen, so oft es möglich war, ins Kino. Das kostete für Kinder 50 Pfennige, aber für die Familie war das schon viel Geld. Gerhard Wernicke stellte zwei Vorführgeräte vom Typ TK 35 auf. Das bedeutete Tonkino und die Filme hatten eine Breite von 35 mm. Es gab immer eine Wochenschau, die auf eine Rolle Film passte und einen Vorfilm, der meist ein Naturfilm war, der auch auf eine Rolle passte und einen Hauptfilm, der meist auf sechs Rollen passte. Der Filmvorführer beschickte zwei Vorführgeräte und musste am Ende der ersten Rolle auf den zweiten Apparat umschalten, sodass die Zuschauer den nahtlosen Übergang nicht bemerkten. Es kamen so im Durchschnitt 30 - 40 Leute ins Landiner Kino. Um17:00 Uhr war eine Vorstellung für Kinder und um 20:00 Uhr gab es eine Vorstellung für Erwachsene. Es wurde Filme mit Hans Albers oder „Der Kahn der fröhlichen Leute“ und viele russische Filme gezeigt.
Gerhard Wernicke 2020
Nikolaj Wassiljewitsch Gogol
(*1809 – †1852)
Oxana träumt von ihrem Bräutigam und nun wird ihr bewusst, was sie angerichtet hat und sie weint bitterlich. Aber der Schmied Vakula hat den Teufel im Sack entdeckt und verprügelt ihn so lange, bis er verspricht mit ihm nach Sankt Petersburg zur Zarin zu fliegen. Und dort reiht er sich mit Hilfe des Teufels bei den Bojaren ein und geht zum Empfang der Zarin in das Winterpalais, wo er die Pracht und Herrlichkeit bewundert und meint: „Die Märchen lügen nicht – so schön ist es hier.“ Die Zarin fragt ihr Volk, was es denn wünsche und die Bojaren antworten: „Nichts Mütterchen Russland, wir haben von allem reichlich.“ Der Schmied Vakula vergisst vor lauter Glanz fast, was er wollte, aber der Teufel erinnert ihn und nun prescht er vor und sagt: “Doch ich habe einen Wunsch. Meine Braut möchte solche Schuhe haben, wie ihr habt.“ Da lacht die Zarin und der ganze Hofstaat und die Zarin überreicht ihm ein Paar Schuhe mit Diamanten besetzt. Vakula fliegt mit dem Teufel wieder zurück in sein Dorf und geht zu Oxana. Als sie ihn sieht, fällt sie fast in Ohnmacht, weil auch sie geglaubt hatte, er wäre tot. Als er ihr die Schuhe überreicht, meint sie. Die brauche sie nicht mehr. Sie wolle auch ohne solche Schuhe seine Frau werden. Und nun treffen sich alle in der Kirche und feiern die Geburt Jesu Christi am Heiligen Weihnachtsfest. Als die ersten Fernseher in die Dörfer kamen, war das der Beginn des Endes des Landfilms. Das Fernsehen verdrängte bald das Kino und wurde zum Kulturträger Nummer 1 auch in Landin.
47. Die Hochzeitsreise der Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow 01.01.2021
Das Brautpaar Alice und Wichard
Nach der Hochzeit am 10.11.1917 auf dem Gut Spahren im heutigen Lettland machte sich Dr. jur. Wichard von Bredow (* 1888 - † 30.05.1951) mit seiner Frau Alice von Bredow, geborene Baroness von Grotthuss, sofort auf die Hochzeitsreise. Und wo konnte die wohl anders hingehen als nach Landin. Am 11.11.1917 standen die beiden schon sehr früh auf und packten noch einen kleinen Rest von Sachen zusammen, ehe es in Begleitung der ganzen Familie und der Hausangestellten mit den Kutschen zum Bahnhof ging. Es war ein toller Abschied. Alice hatte noch zwei Flaschen Sekt und Gläser eingepackt und dann ging es los zum Bahnhof. Aber zuerst wurde noch am Bahnhof ein Glas Sekt getrunken auf den Abschied von der Heimat Spahren. Freunde begleiteten sie auch auf der Zugfahrt. Der Zug fuhr bis Mitau, wo man bei Verwandten eine kurze Rast einlegte und am nächsten Tag nach Pozeruny fuhr, wo die Zollkontrolle erfolgte, denn der nächste Ort gehört schon zu Deutschland. Von Allenstein ging es dann mit dem Schlafwagen nach Berlin. Auf dem Bahnhof Berlin-Friedrichstraße erwartet das junge Paar am 13.11.1917 früh am Morgen eine Droschke, die der Schwiegervater von Alice, Max von Bredow, vorbestellt hatte. Sie brachte die beiden zum Hotel Kaiserhof, wo die Schwiegermutter von Alice, Eugenie (Jenny) von Bredow, geborenen Gräfin von Schwerin aus dem Hause Wildenhoff/Ostpreußen (*1860 - † 1922), ein komfortables Zimmer bestellt hatte. Nach einem erfrischenden Bad gingen beide recht müde zu Bett und schliefen erst mal eine Runde. Als sie um 12:00 Uhr wieder wach wurden, aßen sie um 13:00 Uhr im Kaiserhof zu Mittag und machten dann bei unwirtlichem Novemberwetter in Berlin eine Shopping-Tour. Um 20:00 Uhr hatten sie in dem berühmten Restaurant „Borchardt“ ein Souper bestellt und Alice wunderte sich, dass es trotz Kriegszeiten noch den Champagner „Veuve Cliquot“ gab. Am 14.11.2017 ging es nach dem Frühstück wieder in die Geschäfte von Berlin, von denen Alice nicht genug sehen konnte und Wichard war geduldig und ließ alles über sich ergehen. Zum Kaffee waren sie bei Tante Misi Schwerin in der Hohenzollernstraße 3 eingeladen und hatten sich so viel zu erzählen, dass Wichard zum Aufbruch drängen musste, denn um 19.00 Uhr hatte Wichard Karten für „Figaros Hochzeit“ im Charlottenburger Opernhaus besorgt und sie bekamen auch eine Taxe, die sie vom Kaiserhof zur Oper brachte. Sie waren verliebt und glücklich und genossen alles in vollen Zügen. Zum Glück hatten sie aus Spahren einen großen Korb voll Lebensmittel mitgebracht und so holten sie zum Frühstück ihre Butter hervor, die es in Berlin nicht mehr gab. Am 15.11.1917 war es in Berlin etwas freundlicher und der Stadtbummel war deshalb für beide etwas angenehmer. Bei Kranzler aßen sie Eis und am Abend hatte Wichard wieder Karten für das „Dreimädelhaus“ im Friedrich-Wilhelm-Städtischen-Theater bestellt. Am 16.11.1917 ging es, nachdem das Reisegepäck mühevoll verstaut wurde, endlich mit dem Zug nach Friesack. Alice fand das Osthavelland wenig hübsch. In Friesack hielt vor dem Bahnhof ein Landauer (viersitziger Verdeckwagen) und Alices Schwiegervater, Max von Bredow (*1855 -†1918), nahm sie am Bahnsteig persönlich in Empfang. Der alte Kutscher Becker brachte das Gepäck in den Landauer.
Landauer
Der Schwiegervater von Alice, Max von Bredow, Herr auf Landin und Kriele, war Landrat im Westhavelland in Rathenow, Vorsitzender des Familienverbandes von Bredow und Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Er hatte Alice später oft gezeigt, wo er im Kreishaus gewohnt hatte. Im ersten Stock rechts war das Schlafzimmer und hinter dem Kreishaus befanden sich die Pferdeställe. Die vier großen Pferde, die den Landauer zogen, stammten aus dem Marstall der Kaiserin von Deutschland, Auguste Victoria, und waren zum Durchfüttern nach Landin gegeben worden. Das Wetter war schön und Alice genoss die zwölf Kilometer bis Landin sehr, denn im Gegensatz zum Osthavelland, ging es vorbei an Wiesen, Feldern und durch den Wald, als sie die Ackerbürgerstadt Friesack verlassen hatten. Einen Kilometer vor Landin wurden sie von zwei Reitern begrüßt, die einen Willkommensbrief vom Schlächtermeister und vom Schmiedemeister aus Kriele überreichten. Am Dorfeingang war eine Girlande gespannt mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen“ und mitten im Dorf eine zweite Girlande mit der Aufschrift „Herzlichen Glückwunsch“ und die Schlosseinfahrt war auch mit einer Blumengirlande geschmückt. Vor dem Schloss in Landin hatten sich fast alle Männer, Frauen und Kinder aus Landin und Kriele versammelt und die Honoratioren hießen das junge Paar herzlich willkommen. Der Pfarrer Nagel, der Förster Ernst und der Oberinspektor Erfurt hielten Begrüßungsreden. Der Förster Ernst war auch Vorsitzender des Kriegervereins von Landin und so schritt Wichard von Bredow die Front der angetretenen Mitglieder des Kriegervereins ab und bedankte sich anschließend für die warme Aufnahme durch die Bewohner.
Landiner Schloss von der Hofseite
Die Dorfkinder hatten der Alice unzählige Blumensträuße überreicht, was sie sehr rührte. Unter dem über und über mit Blumen geschmückten Portal standen die Schwiegermutter Jenny von Bredow und Wichards Schwestern Elsa von Karstedt, geborenen von Bredow, (*1883 - †1945), Valeska von Bredow, genannt Vally (1880 – † 1958) und sein Bruder Harald von Bredow und begrüßten das junge Paar. Dann kamen erneut Schulkinder mit Blumen und sagten Gedichte auf. Überall standen Blumen und auch der Landrat vom Osthavelland in Nauen, Herr von Hahnke hatte Chrysanthemen geschickt.
Wichards früheres Zimmer hatte man zum Salon umfunktioniert und daneben befand sich das Schlafzimmer des jungen Paars. Hinter dem Schlafzimmer gab es noch einen Umkleideraum für die beiden frisch Vermählten. Nach einer kleinen Verschnaufpause wurden Tee und Kuchen serviert und am Abend gab es ein Hochzeitsdiner.
Das kleine Haus in Landin
Vier Wochen Urlaub waren Wichard von Bredow für die Hochzeit mit Alice bewilligt worden und so wurde fast jeden Tag ein Besuch bei den Bredows im Havelland gemacht. Alice und Wichard fuhren nach Senzke, Pessin, Bredow, Wagenitz, Vietznitz, Burg Friesack, Klessen, Görne und Stechow. Überall saßen die Bredows und freuten sich, als Wichard seine junge schöne Frau vorstellte. In Stechow war der Empfang besonders herzlich, denn ihre Exzellenz Marie von Bredow, geborene Freiin von Langermann und Erlencamp (*1859 - † 1948) führte dort den Haushalt ihres Sohnes Wilhelm von Bredow (*1891 - † 1979), der auch viele Jahre Vorsitzender des Familienverbandes derer von Bredow war. Natürlich waren Alice und Wichard auch in Briesen und Kotzen. Alice hatte sich gleich im Havelland heimisch gefühlt. Die vielen Wäldern, Seen, Wiesen und Feldern gefielen ihr und Wichard tat alles, dass sie in ihrer neuen Heimat Landin ankam und so war es wohl auch. Alice war in der Blüte ihrer Jugend an ihr Lebensziel gelangt, so dachte sie wenigstens. Es waren die schönsten Wochen ihres Lebens. Dass sie nach 28 Jahren ihre lieb gewonnene Heimat Landin im Havelland erneut verlassen musste, konnte sie damals noch nicht ahnen.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.01.2021
Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.
48. Harald Bork kehrt nach Landin zurück 01.02.2021
Harald Wolfgang Bork wurde am 20.09.1959 in Rathenow geboren. Sein Vater Gerhard Hermann Bork (*26.06.1934 -†19.02.2007) hatte eine kleine Landwirtschaft in Landin. Seine Mutter Edith Anna Bork, geborenen Brümmerstädt, (*24.03.1934 - † 02.10.2010) war Hausfrau. Die Familie bewohnte ein kleines Fachwerkhaus in Landin, Steinstr. 13. Als das Fachwerkhaus so marode wurde, dass es nicht mehr bewohnt werden konnte, wurde es einfach abgetragen und die Familie zog zum Haus der Großmutter, Brigitte Brümmerstädt, Steinstraße 19, um. Die Großmutter zog in das Hexenhaus am Buchtgraben, das die Gemeinde verwaltete. Der Vater bewirtschaftete mit seiner Frau acht Hektar Ackerland und fünf Hektar Wiesen. Auf dem kleinen Bauernhof wurden sechs Kühe, zehn Schweine, zwei Pferde und Hühner, Enten und Gänse gehalten.
1970 gingen die Borks in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) „Freie Scholle“ in Landin.
Harald wuchs mit fünf Geschwister auf: Norbert Bork (*18.11.1955 - † Januar 1988), Gudrun Bork (*4.11.1957 – † 02.07.1967), Gabriele Bork (*02.05.1962), Marlies Bork (*13.06.1965) und Uwe Bork (*02.04.1967).
Harald Bork besuchte von 1966 – 1969 die erste bis dritte Klasse in Kriele und kam dann zur Polytechnischen Oberschule nach Stechow, wo er die 10. Klasse absolvierte. Von 1976 – 1978 erlernte er im Hochbaukombinat (HBK) Rathenow den Beruf des Ausbaufacharbeiters. Dieser Beruf vereinigte die Handwerke Mauer, Maler, Putzer und Fliesenleger. Nach der Facharbeiterprüfung blieb er noch ein Jahr beim HBK in Rathenow und ging dann als Maurer zum Volkseigenen Gut (VEG) Rhinsmühlen, wo er fünf Jahre lang arbeitete. Von 1984 -1990 arbeitete er als Handwerker in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) -Tierproduktion in Rhinow. Nach der Einheit Deutschlands wechselte er fast jährlich die Arbeit bei verschiedenen Baufirmen wie Wirtschafts- und Heimbau GmbH Stechow und deren Nachfolgefirma, die Isensee Bau GmbH Stechow und viele andere mehr. Nach einer Herzoperation 2012 konnte er die schwere körperliche Arbeit nicht mehr weiterführen und arbeitet seither für einen Sicherheitsservice in Potsdam. Am 13.03.1982 heiratete Harald Bork Christiane Garbe und wohnte von 1984 -1996 in Kleßen. Dem Ehepaar Bork wurden zwei Kinder geboren. Mareike (*04.05.1984) und Fabian (*15.12.1986). Die Familie Bork hätte gern in Kleßen ein neues Haus gebaut, aber die Bauvorschriften erlaubten das nicht. So kauften Christiane und Harald Bork 1996 das Haus von Otto Hildebrandt in Landin, Steinstraße 7 und baute es um und aus.
Harald Bork vor seinem Haus Landin, Steinstr.7
Zuerst wurde das Dach erneuert und danach das Obergeschoß mit drei Zimmern neu gebaut. Ein elterliches Schlafzimmer und für die beiden Kinder je ein Zimmer. Im Erdgeschoß baute er ein neues Bad, eine neue Küche und ein großes Wohnzimmer. Die Treppe musste neu gebaut werden und eine Heizung eingebaut werden. Natürlich mussten auch die Elektrik und die Fußböden komplett erneuert werden. Es war eben ein altes verwohntes Haus. Da Harald Bork Ausbaufacharbeiter war, konnte er die meisten Arbeiten selbst machen. Das sparte Kosten und Zeit. Es war 1996 eine Rückkehr an den Ort seiner Kindheit und das machte ihn froh und glücklich. Er hat einen Hahn und 17 Hennen von New Hampshire-Hühnern und züchtet Tauben.
New Hamshire Hahn mit seinen Hühnern
Seine Eltern liegen nur ein paar Schritte von ihm entfernt auf dem kleinen Landiner Dorfkirchenfriedhof. Und seine Schwester, die im Großen Havelländischen Hauptkanal ertrunken war sowie sein Bruder Norbert, der auf mysteriöse Weise in Premnitz zu Tode kam, erinnern mit einem Stein an ihre Zeit auf der Erde.
Grabstein von Edith und Gerhard Bork
auf dem Friedhof um die Landiner Dorfkirche
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2021
49. Das Lebensende der Alice von Bredow 01.03.2021
Die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg also von 1919 – 1939 war für Alice von Bredow eine glückliche Zeit. Sie lebten in Landin und ab 1937 war Dr. jur. Wichard von Bredow Landrat des Kreises Pillkallen in Ostpreußen, was seine Frau ganz besonders freute, war sie doch so ihrer alten Heimat Spahren ein Stück näher gerückt. 1938 wurde der Kreis Pillkallen in Kreis Schlossberg umbenannt. Pillkallen kommt aus dem Litauischen war wohl nicht Deutsch genug für die Nazis. Pilis heißt Schloss in Litauischen und Kalnas Berg. Aus dieser Zeit werden zwei wichtige Begebenheiten erzählt. Dr. jur. Wichard von Bredow hatte als Landrat des Kreises Schlossberg in Ostpreußen das Inbrandsetzen der Synagoge in Schirwindt am 10.11.1938 verhindert. Als er in einem Fernschreiben vom Gauleiter informiert wurde, dass alle Synagogen in Deutschland angezündet werden sollten, zog er seine Majorsuniformjacke an und stellte sich mit seiner Pistole vor die Synagoge in Schirwindt und erklärte den brandlüsternen SA- und SS-Trupps. Dieses Gotteshaus könnten sie nur über seine Leiche betreten. Daraufhin zogen die Nazihorden unverrichteter Dinge wieder ab. Die Synagoge blieb unversehrt. Eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser, die nicht zerstört wurden. Die mutige Tat des Landrates blieb ohne Folgen. Der Landrat hatte ein hohes Ansehen und auch viel Macht. Er war Landrat des östlichsten Kreises des Deutschen Reiches und Schirwindt war die östlichste Stadt Deutschlands. Eine zweite Geschichte hatte für sein späteres Leben große Bedeutung. Der Rinderbauer Jürgen Früchte aus Haarstorf im Kreis Uelzen hatte in Ostpreußen Land gepachtet und hielt darauf schottische Hochlandrinder „Aberdeen Angos,“ die natürlich im Freien lebten. Ein dummer Parteibonze zeigte ihn wegen nicht artgerechter Haltung der Rinder und Sabotage der Volksernährung bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) an. Jürgen Früchte wurde verhaftet und kam in das Gefängnis nach Tilsit. Nur auf Intervention des Landrates Dr. jur. Wichard von Bredow kam er wieder frei.
Als die Rote Armee immer näherkam, verließen Alice und Dr. jur. Wichard im Januar1945 Schlossberg und kehrten nach Landin zurück. Aber auch da war die Familie nicht mehr sicher und so machten sie sich am 23.04.1945 von Landin aus mit dem Auto auf den Weg in den Westen. Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow wurden dort in ein Flüchtlingslager bei Lehnsahn (Holstein) gesteckt. Die Lebensumstände waren sehr karg. Jürgen Früchte, der Rinderbauer aus Haarstorf im Kreis Uelzen suchten seinen ehemaligen Landrat Dr. jur. Wichard von Bredow und fand ihn auch. Er holte das Ehepaar 1945 sofort aus dem Lager. Aus Dankbarkeit nahm er Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow in sein Haus auf. Dr. jur. Wichard von Bredow wurde als Nachtwächter angestellt und Alice half in der Küche, im Haus, im Garten und auf den Feldern mit und verdiente sich so ihren Lebensunterhalt. Dr. jur. Wichard von Bredow war in der NSDAP gewesen und durfte als Nazi keine Ämter annehmen. Seine Entnazifizierung kam spät. Nachdem Wichards Pension anlief, plante das Ehepaar von Bredow 1951 nach Willebadessen umzuziehen, denn die halbe Familie war dort auf dem Schloss des Freiherrn von Wrede schon untergekommen. Dr. jur. Wichard von Bredow starb aber am 30.05.1951, zwei Tage nach seinem 63. Geburtstag, in Haarstorf bei Ebstorf im Kreis Uelzen. So musste Alice von Bredow allein umziehen, aber ihr jüngster Sohn Hubertus (*1925 - † 1980) half ihr beim Umzug. Vom 16.07.1951 an wohnte sie dann in der Bahnhofstraße im Hause Hinzmann in Willebadessen. Im November 1951 zog auch ihr Vater, Otto Baron von Grotthuss, nach Willebadessen zu seinem Sohn Fred. Alice übernahm sofort die Betreuung des alten Vaters und umsorgte ihn bis zu seinem Tode am 19.02.1954. Otto Baron von Grotthuss genoss die täglichen Spaziergänge mit seiner Tochter Alice zum Schloss zu seiner Schwester Anna und war auch gern als Gast beim Freiherrn von Wrede gesehen. Alice von Bredow wohnte 24 Jahre in Willebadessen (1951 -1975). In dieser Zeit war sie immer für ihre Familie und liebe Freunde da. Sie führte den Haushalt ihrer Kinder, wenn die Mutter nach der Entbindung noch der Ruhe bedurfte oder wenn die Kinder krank waren. Auch in der Evangelischen Kirchengemeinde Peckelsheim/Willebadessen engagierte sie sich und war Mitglied im Presbyterium (Gemeindekirchenrat). Sie besuchte regelmäßig die Evangelischen Kirchentage und organisierte Busreisen für die Gemeinde nach Holland, Hessen, in die Lüneburger Heide und zur Ost- und Nordsee. Sie machte die Kirche sauber, läutete die Glocken und stellte frischen Blumen auf den Altar. Durch ihr unermüdliches Engagement gelang es ihr, so viele Spenden aufzutreiben, dass die Evangelische Trinitatis-Kirche in Willebadessen am 22.04.1955 eingeweiht werden konnte. 21 Jahre lang war sie auch Schriftführerin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und spielte auch kleine Rollen bei Theaterstücken in der Kirche. Im Garten der Familie Hinzmann hatte sie riesige Erdbeerbeete angelegt und wenn die Erntezeit kam, verreiste sie nie, sondern produzierte wie in Spahren und Landin, ein Seihtuch um die vier Beine des umgekippten Stuhls gespannt, Säfte und Marmeladen. Am 09.10.1967 feierte sie mit ihren vier Söhnen und zwei Brüdern ihren 70. Geburtstag in Heeßel.
Von links: Roswitha (Dutti) Baronin von Grotthuss, Fred Baron von Grotthuss, Harald Baron von Grotthuss, Hans-Peter von Bredow, Alice von Bredow, Oda und Max-Wichard von Bredow, Annelie und Jürgen von Bredow, Carola und Hubertus von Bredow. Vorn sitzen ihre Enkelkinder von Oda und Max-Wichard von Bredow aus Heeßel von links: Daisy (*1961), Oda (*1965), Hasso-Elgar (*1958) und Wichard (*1959)
Im Schloss Willebadessen waren nach dem Tode ihres Vaters auch alle anderen Verwandten nach und nach gestorben. Die Söhne rieten ihr nun in ihre Nähe umzuziehen und so ging sie am 01.10.1975 in das Johanniter-Heim in Celle. Max-Wichard von Bredow lebte mit seiner Familie in Heeßel. Der jüngste Sohn Hubertus von Bredow half wieder beim Umzug. Er war Offizier der Bundeswehr, zuletzt in Hannover und starb 1980 an einer unheilbaren Erkrankung, betrauert von seiner Frau Carola von Bredow (*1940), seinen Söhnen Markus (*1960) und Axel (*1966) und von seiner Mutter. Alice von Bredow hatte sich auch in Celle sehr schnell eingelebt und fand Kontakt zu Freundeskreisen im Johanniter-Heim. Sie half auch, soweit es ihre Kräfte erlaubten, in der Kirche mit. Das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel verbrachte sie immer bei ihrem Sohn Max-Wichard von Bredow und ihrer Schwiegertochter Oda von Bredow in Heeßel. Eine große Auszeichnung bekam sie am 10.10.1976 von der Evangelischen Gemeinde Peckelsheim. Anlässlich des 150- jährigen Bestehens der Gemeinde überreichte ihr Pfarrer Ulrich Johannsen vom Diakonischen Werk in der Stadthalle von Peckelsheim in einem Festakt das „Goldene Kronenkreuz der Diakonie.“ Ihre Hände waren immer in Bewegung. Bewaffnet mit einer Gartenschere versuchte sie den Park im Johanniter-Heim in Celle zu bearbeiten. Sie sammelte auch Holz im Park und zersägte es in kleine Stücke mit einem Fuchsschwanz und verstaute es in Säcke. Dieses Kaminholz bekam ihr Sohn Max-Wichard in Heeßel. Wenn man sie bei dieser Arbeit beobachtete, kam es immer zu unschönen Diskussionen, denen sie aus dem Weg ging, indem sie die Holzaktion in die Mittagspause verlegte. Zum Höhepunkt ihrer letzten Lebensjahre gehörte eine Reise nach Landin vom 22.08. - 26.08.1983. In Begleitung ihrer Söhne Jürgen von Bredow und Max-Wichard von Bredow sowie dessen Frau Oda wohnten sie im „Hotel der Optik“ in Rathenow (heute Fürstenhof). Max-Wichard von Bredow war entsetzt über die schlechten Betten, die Kakerlaken im Waschbecken und den defekten Fernseher, in dem eine Abhöreinrichtung der Staatssicherheit (Stasi) vermutet wurde. Sie fanden die Gutshöfe der Bredows ziemlich heruntergekommen vor. In Landin war ja auch das Schloss abgebrannt worden. Aber als sie die Menschen in Landin und Kriele trafen, da ging ihnen das Herz auf. So viel Dankbarkeit und Herzlichkeit, mit der man sie empfing. Elli und Walter Müller, Gerhard Hünicke und viele Menschen, die sie in den Tagen in Landin trafen. Auch bei mir als Kreishygienearzt von Rathenow waren sie zu Gast. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam. Ich denke, es geschah auf Vermittlung meiner Erbtante Hertha Brunow aus Landin. Ich führte sie durch Rathenow und beim Kreishaus meinte Alice von Bredow, ihr Schwiegervater Max von Bredow (*14.08.1855 - † 26.01.1918) hat ihr oft erzählt und auch gezeigt, wie er mit seiner Frau als königlich preußischer Landrat im Westhavelland in Rathenow im Kreishaus gewohnt hatte. Da vorn im ersten Stock rechts war unser Schlafzimmer und hinten im Hof war der Pferdestall. Es gab damals für die Landräte eine Präsenspflicht im Landratsamt.
Landratsamt in Rathenow
Wir saßen dann noch lange abends zusammen in meiner kleinen Einraumwohnung in Rathenow-Ost in der Dr.-Salvador-Allende-Str. 40. Die meiste Zeit verbrachten sie aber in Landin und Kriele. Die von Efeu überwucherte Grabstelle der von Bredows brachten sie etwas in Ordnung. Und Alice vermahnte alle, stark zu sein und jeden Anschein von Verzweiflung, Trauer und Sentimentalität zu vermeiden. Sie sagte: „Wie müssen Vorbild sein, denn den Menschen hier ist es viel schlechter ergangen als uns.“ Und trotzdem war auch Alice von Bredow im Innersten tief bewegt. Nach 38 Jahren war sie das erste Mal wieder in ihrer Heimat. Das war es, was ihren letzten Lebenstagen noch einmal einen Glanz verlieh. Sie hatte immer davon geträumt, dass sie noch einmal nach Landin kommen könnte. Die Hoffnung und die Erwartung waren aber mit den Jahren abhandengekommen.
Neun Monate später am 26.05.1985 starb sie im Krankenhaus Celle.
Todesanzeige für Alice von Bredow
Alice von Bredow war der Mittelpunkt und die Nachrichtenstelle ihrer Familie und dabei immer bescheiden, wenn es um sie ging. So war sie erzogen worden. Fleißig, rührig, für andere da sein. Das war ihre Lebensmaxime. Ihre Tagebücher zeigen auch etwas von ihrer inneren Verfassung, aber das wollte sie lieber für sich behalten. Nach außen war sie immer stark und so muss man dieses Mädchen aus Spahren in Kurland, diese Gutsfrau in Landin, die Frau des Landrates im Kreis Pillkallen und dieses aktive Mitglied der Evangelischen Kirche in Willebadessen auch so nehmen, wie sie war – ein liebenswerter Mensch mit kurländischem Geist. Durch ihre Tagebuchaufzeichnungen wird sie indessen doch auch in den Rang einer Schriftstellerin und Historikerin gehoben. Denn das war sie auch.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.03.2021
Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.
50. Die Handtasche von Betty Ast 01.04.2021
Bettina Charlotte Ast, geborene Welak, wurde am 30.09.1909 in Berlin-Tempelhof geboren. Ihr Vater Emil Welak war am 15.06.1915 im Ersten Weltkrieg gefallen, sodass die Mutter Maria Welak ihre Tochter allein aufziehen musste. Betty, wie sie genannt wurde, besuchte die Volksschule von 1916 – 1924 in Berlin-Tempelhof. Von 1928 – 1930 absolvierte sie eine Lehre zur Haushaltsgehilfin in der Domäne Kieck bei Rathenow. Dort lernte sie Karl Hermann Ast kennen, der in Landin einen kleinen Bauernhof bewirtschaftete. Karl Ast war am 12.09.1898 in Bnin, Kreis Schrimm (Preußische Provinz Posen bis 1919) geboren und durch den Zweiten Weltkrieg nach Landin gekommen. Am 05.03.1932 heirateten die beiden in der Dorfkirche Landin. Pfarrer Sorge gab dem Brautpaar als Hochzeitsspruch einen Vers aus dem Psalm 127: „Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wächter umsonst.“
Wohnhaus der Familie Ast, Steinstr. 4, Landin
Von 1930 – 1958 bewirtschafteten Betty und Karl Ast den kleinen Bauernhof. Betty fütterte die Hühner, besorgte den Garten und half auf den Feldern mit. Sie weckte das Obst aus dem Garten ein und kochte gern. Es gab Hausmannskost aber immer eine Nachspeise, die aus Kompott oder Pudding bestand. Betty war schön und umgab sich gern mit einem schönen Ambiente. Und sie war bestimmend in vielen Dingen. Da ihre Ehe mit Karl kinderlos blieb, nahmen die Asts 1950 ihren zwanzigjährigen Neffen Rudolf Nelde aus Nauen zu sich. Karl Ast hatte sieben Geschwister. Seine Schwester Anna Nelde, geborenen Ast, war froh, dass ihr Sohn Rudolf nun gut versorgt war.
Karl und Betty stellen Roggenmandeln auf
Am 03.12.1958 übernahm Betty Ast die Poststelle in Landin. Ein Raum in ihrem Wohnhaus wurde zum Postbüro und daneben befand sich in einem zweiten Raum die Relaisstation für die Fernsprecher. Aber nur ganz wenige Menschen in Landin hatten einen Telefonanschluss. Wenn das Postauto kam, wurden in der Steinstr. 4 die Briefe, Karten und Pakete ausgeladen und Betty verteilte alles getreulich mit dem Fahrrad im ganzen Dorf. Sie nahm auch die Telegramme entgegen und fuhr zu jeder Tag- und Nachtzeit auch Telegramme aus. Sie trug während des Dienstes immer ihre Postuniform. Darauf legte sie wert.
Postangestellte Bettina Charlotte Ast
52. Der Lottogewinn von Hanka Gregor 01.06.2021
Hanka Gregor wurde am 02.08.1963 in Berlin-Lichtenberg geboren. Der Vater, Wilmar Markert, war Pilot bei der NVA (Nationalen Volksarmee der DDR). Die Mutter Erika Markert arbeitete in der Jugendgerichtshilfe in Berlin-Lichtenberg. Sie wuchs mit dem am 02.08.1968 geborenen Bruder Knut auf. Oft war Hanka bei den Großeltern Käthe und Kurt Herold in Zeuthen und verlebte dort eine glückliche Kindheit fast wie auf dem Lande. Von 1970 – 1980 besuchte sie die Josef-Orlopp-Oberschule in Berlin Lichtenberg. Josef Orlopp (*29.08.1888 in Essen - † 07.04.1960 in Berlin) kam aus der SPD und war in der DDR Mitglied im Präsidium des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Hanka Gregor begann nach der zehnten Klasse eine zweijährige Ausbildung zur Werbegestalterin bei der HO -WtB (Waren des täglichen Bedarfs) in Berlin-Weißensee. Sie war dann später Teamleiterin und Lehrbeauftragte bei der HO (Handelsorganisation der DDR). Von 1990 -2000 arbeitete sie als Teamleiterin bei Kaisers-Kaffee-Geschäft in Berlin-Mariendorf. 2001 machte sich selbstständig und war bis 2017 als Werbegestalterin für viele Unternehmen tätig. Seit 2017 arbeitet sie in den Havelland-Kliniken in Nauen als Servicemitarbeiterin in der Urologie. Am 21.03.1987 heiratete sie KFZ-Mechaniker Lutz Gregor im historischen alten Standesamt Berlin-Lichtenberg.
Am 05.08.1981 kam ihr Sohn Guido im Oskar-Ziethen-Krankenhaus in Berlin zur Welt. Der Schwager von Hanka Gregor, Wolfgang Gregor, hatte den Gasthof Landin gekauft und betrieb eine Künstlerwerkstatt. Durch Besuche in Landin lernten Hanka und Lutz Gregor 1983 den Bürgermeister von Landin, Jürgen Müller, kennen, der ihnen das alte Schulhaus in Landin zum Kauf anbot. 1985 kaufte sie dieses Haus, in dem noch Emmi Wenger wohnte, die früher Lehrerin in Landin war. Hanka und Lutz Gregor versprachen der Emmi Wenger, dass sie solange sie lebe, in diesem Haus bleiben könnte. Hanka und ihr Mann hatten ihren Lebensmittelpunkt noch in Berlin und Guido ging ja auch dort zur Schule. Emmy Wenger zog 1995 nach Friesack, weil in der alten Schule noch eine Ofenheizung vorhanden war und sie im Alter doch etwas komfortabler wohnen wollte. Je nach finanzieller Lage begann die Familie Gregor das alte Schulhaus nach und nach zu modernisieren. Es wurde das Dach neu gedeckt, neue Fenster und Türen eingebaut. Die Fußböden wurden erneuert und mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Das Bad wurde komplett neu gebaut. 1999 zog die gesamte Familie in das erneuerte Haus in Landin ein und gab ihre Wohnung in Berlin auf. Lutz Gregor hatte viele Dinge selbst gebaut, denn er ist ein geschickter Handwerker. Er fand auch bald eine Arbeit als KFZ-Mechaniker bei der Havelländischen Abfallwirtschaftsgesellschaft m. b. H. (HAW) in Nauen.
Alte Schule in Landin 2020
Sohn Guido arbeitetet weiterhin in Berlin. Seit 2004 ist Hanka Gregor zur Ortsvorsteherin von Landin (Gemeinde Kotzen) gewählt worden. Sie nimmt quasi die Aufgaben einer Bürgermeisterin für das Dorf Landin wahr.
Winter in Landin
Sie ist verantwortlich für die Vermietung des Gemeindehauses, für die Planung und die Durchführung der Veranstaltungen in der Gemeinde Landin, für Wahlvorbereitungen und sie trägt die Verantwortung für die Ordnung und Sicherheit im Dorf sowie für die Verschönerung des Dorfes für den Tourismus. Ihr Hund Cariba begleitet sie allen Wegen durch´s Dorf.
Sie ist Gründungsmitglieds des Fördervereins zur Erhaltung der Dorfkirche Landin e. V. 2020 konnte sie mit dem Vorsitzenden Gert Dittrich die äußere Fertigstellung des maroden Gotteshauses feiern. Die Kosten betrugen ca. 500.000,00 € und sind ein kleines Wunder. Gert Dittrich ist der Motor des Wiederaufbaus dieser Dorfkirche und hat sich seit dem 06.02.2015 nach der Gründung des Vereins Tag und Nacht für den Wiederaufbau eingesetzt. Gert Dittrich hat die Gabe, viele Menschen für sich zu gewinnen und so ist es nicht verwunderlich, dass Fördermittel flossen und er viele interessante Menschen nach Landin lockte. Gott hat ihn und seinen Vorstand gesegnet. Der 06. Februar ist der Namenstag der Heiligen Dorothea und gibt auch einen Hinweis für den Segen, der über dem Wiederaufbau der Dorfkirche lag. Die Heilige Dorothea ist die Schutzheilige der Bierbrauer, der Blumengärtner, der Floristen, der Bräute und der neu vermählten Ehepaare. Sie soll am 06.02.305 in Caesarea hingerichtet worden sein und deshalb feiert die Christenheit auf der Erde diesen Tag als ihren Namenstag.
Heilige Dorothea in der
Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow (1380)
Die Darstellung der heiligen Dorothea erfolgt mit Schwert, Palme, Krone und Lilie und mit einem Körbchen voll Rosen und Äpfel. Sie ist die Helferin bei falschen Anschuldigungen. Die Legende berichtet, dass Dorothea eine der ersten Christinnen war, die für ihren Glauben ihr Leben lassen musste. Sie wuchs zur Zeit des römischen Kaisers Diokletian (243 – 313) auf, der die Christen grausam verfolgen ließ. Ihr Vater war römischer Senator. Er lebte in Kappadozien (Türkei). Dorothea heißt so viel wie "von Gott Geschenkte.“ Der Vater freute sich, als ihm eine dritte Tochter geboren wurde. Sie war sehr schön und klug. Der kaiserliche Statthalter Apricius wollte sie zur Frau haben. Als er hörte, dass sie Christin war, ließ er sie ins Gefängnis werfen und grausam foltern. An einem kalten Wintertag wurde sie hingerichtet. Bevor sie dem Henker übergeben wurde, rief ein junger Bursche mit Namen Theophilus: "Dorothea, wenn Du in den schönen Garten Deines Bräutigams (Jesus Christus) kommst, dann schick mir mal ein Körbchen mit Rosen und Äpfeln!" Es glaubte keiner, dass es im Winter Äpfel und Rosen geben würde. Da erschien aber doch plötzlich ein kleiner Junge und überreichte der Dorothea ein Körbchen mit Rosen und Äpfeln. Als der Spötter, Theophilus, das sah, bekehrte er sich auch zum Christentum und wurde ebenfalls enthauptet. Die Wetterregel für den sechsten Februar lautet: „Dorothee bringt den meisten Schnee“ und das hat auch immer gestimmt, bis die Klimaerwärmung alles durcheinanderbrachte.
Am 09.09.2016 hielt Hanka Gregor als Kassenwartin des Fördervereins zur Erhaltung der Dorfkirche Landin e. V. einen Vortrag in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow im Rahmen einer Geschichtskonferenz und berichtete in Anwesenheit der Erzherzogin von Österreich, Prinzessin Camilla von Habsburg-Lothringen, über die Gründung und die Arbeit des Landiner Vereins.
Hanka Gregor ist seit der Gründung am 06.02. 2015 Kassenwartin des Dorfkirchenvereins Landin und durch ihre Hände gingen in den letzten Jahren eine Vielzahl von Spenden und Fördermitteln. Sie singt in ihrer Freizeit gern und ist seit 2016 als Altistin im Chor „Salto Tonale“ in Bredikow, der von André Diakov geleitet wird. Ihr zweites Hobby ist ihr Garten, wo sie Kräuter, Tomaten, Rosenkohl, Möhren und Paprika erntet und auch ein kleines Gewächshaus betreibt.
Drei Hochbeete im Garten
Ihr Mann und sie empfinden die alte Schule in Landin als ihren persönlichen Lottogewinn. Die Menschen und die Freunde gefallen ihnen. Die wunderschöne Landschaft im Havelland geben ihnen durch ihre Weite Raum und Muße zum Durchatmen und Ausruhen. Sie fühlen sich in Landin heimisch.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.06.2021
53. In Landin gibt es kein Salz 01.07.2021
Neben der Gaststätte Ferdinand Muchow, hatte die Enkelin, des Gastwirts, Hertha Brunow, einen Kolonialwarenhandel im Hause eingerichtet und verkaufte an die Landiner Zucker, Salz, Marmelade aus großen Pappeimern, Butter von großen viereckigen Blocks, Seife, Waschpulver und Himbeerbonbons.
Schon während des Zweiten Weltkrieges (1939 -1945) gab es Lebensmittelmarken für Zucker, Butter und Brot. Dieses System wurde auch noch dem Krieg fortgeführt. Es war eine Verwaltung des Mangels. Manche Kinder kauften für die Zuckermarken heimlich Himbeerbonbons, ohne dass es die Eltern merkten. Die Kommunistische Führung in der DDR hatte es sich vorgenommen, die wenigen verbliebenen Privatläden in Staatseigentum zu überführen. In den Städten gab es die HO`s, die einer Staatskette namens Handelsorganisation (HO) angehörten und Industriewarengeschäfte, Lebensmittelgeschäfte und Gaststätten betrieb. Auf den Dörfern wurden die privaten Geschäfte in eine Genossenschaft überführt, die „Konsum“ genannt wurde. Diese Konsumgenossenschaft hatte in den Städten auch Warenhäuser, Großbäckereien und Gaststätten. In den Dörfern gab es meist nur den Dorfkonsum. Die Mitglieder der Konsumgenossenschaft wurden zu einem geringen Anteil an den Umsätzen beteiligt. Es gab Rabattmarken für den Einkauf, die man in Hefte klebte und am Jahresende der Konsumgenossenschaft übergab und etwas Geld dafür bekam. Hertha Brunow musste ihr Geschäft aufgeben und dafür wurde Irmgard Zimmermann von der Konsumgenossenschaft in Landin angestellt. Sie wohnte mit ihrem Mann, der Abschnittsbevollmächtigter (ABV) war, wie man den Dorfpolizisten im Osten nannte, in der Bergstraße 4 in Landin. Der Dorfkonsum in Landin war ein Treffpunkt für alle Menschen im Ort. Hier wurden alle Neuigkeiten ausgetauscht. Wer geheiratete hatte, wer gestorben war, wer krank oder im Krankenhaus war. Alles berichteten die Kunden und die Konsumverkäuferinnen wussten alles immer zuerst, was das Dorf und seine Bewohner betraf. Der erste Konsum war in der Steinstraße 12.
Landin, Steinstraße 12
Aber bald zog Irmgard Zimmermann in das kleine Schloss, das im Krieg unzerstört geblieben war, um. Sie war eine genaue Verkäuferin und hatte nie einen Überschuss, aber auch nie ein Manko. Wie sie das machte, blieb allen ein Rätsel. Eigentlich mussten sich alle anstellen und warten bis sie an der Reihe waren, aber es gab immer welche, die sich vordrängelten. Wenn ihre Freundin Ulrike kam, ging sie immer sofort an den Verkaufstisch und sagte: “Irmchen, wir sind gerade beim Kaffeetrinken. Kannst Du mir mal schnell ein Glas Erdbeermarmelade geben und eine Tüte Zucker, und ich brauchte auch noch ein Stück Butter und ein Pfund Mehl, ach und Streichhölzer. Die hätte ich beinahe vergessen und dann noch ein Glas Mostrich. So was macht das?“ Irmgard Zimmermann lächelte amüsiert und bediente sie zwischendurch. Die Kunden in der Reihe kannten das alles und warteten geduldig. Ulrike war eben ein Original, man konnte ihr nicht böse sein.
Kleines Haus des Schlosskomplexes in Landin
1969 wurde das kleine Haus des Schlosskomplexes abgerissen und auf den Fundamenten ein Neubau errichtet. Irmgard Zimmermann zog vorübergehend in ein Haus in der Steinstraße um.
Der Konsum in der Steinstr. 17
Als der Neubau fertig war, zog der Konsum dort ein. Ingelore Babucke wurde ihre Nachfolgerin und führte den Konsum viele Jahre. Sie bot in dem kleinen Laden an, was man so an täglichen Dingen brauchte. Brot, Brötchen, Butter, Margarine, Öl, Eier, Zucker, Mehl, Milch, Salz, Gewürze, Scheuertücher, Toilettenpapier und Waschpulver. Auch gab es eine kleine Tiefkühltruhe mit Fisch, Hähnchen und anderen Fleischwaren. Die Menschen auf dem Dorf waren nicht so mobil wie heute. Von Aal bis Zimt musste alles vorrätig sein. Kurz vor Weihnachten kam dann Apfelsinen, die Ingelore Babucke immer gerecht auf die Familien aufteilte, sodass jeder etwas abbekam, denn Südfrüchte waren Mangelware. Ebenso machte sie es mit den Bananen. Anderes Obst oder Gemüse bot sie nur in kleinen Mengen an, da die meisten Landiner einen eigenen Garten hatten und Gemüse, Äpfel, Birnen und Pflaumen selbst ernteten und auch einweckten. Die Menschen kauften auch das 48 Pfennig teure Schrotbrot, das sie an die Schweine verfütterten. Es war einfach spottbillig und viel billiger als wenn sie anderes Viehfutter kaufen würden. Die Grundnahrungsmittel wurden hoch subventioniert und entsprachen in keiner Weise den Realkosten. Dafür waren technische Artikel völlig überteuert. Die Regierung wollte damit das Geld abschöpfen.
Pfannkuchen aus der Konsumbäckerei
Zweimal die Woche gab es frisches Brot und einmal die Woche Fleisch und Wurstwaren. An einem Tag im Monat bot Ingelore Babucke auch Kaffeegeschirr und andere Industriewaren an.
Ingelore Babucke
Wenn im Januar und Februar die Bauern ein Schwein schlachteten, kauften sie auch das Salz im Konsum. Es wurde Pluntwurst gekocht, Schlackwurst und Leberwurst gemacht und das Fleisch eingesalzen oder als Schinken mit der Schlackwurst in die Räucherkammer gebracht. Einmal ging der Familie Mewes beim Schlachten das Salz aus und der Sohn Bernd wurde in den Konsum geschickt, um Salz zu kaufen. Ingelore Babucke hatte wirklich viel Salz eingelagert, wenn alle Bauern im Winter schlachteten. Aber auch ihr waren die Vorräte ausgegangen und so riet sie dem Bernd, er solle seine Schwester in Rathenow anrufen, die ja abends mit dem Bus nach Hause kommen würde. Sie könne das Salz aus Rathenow ja mitbringen, dann wäre es noch rechtzeitig für die Wurst und das Fleisch in Landin. Es gab kaum Telefone und Bernd hatte noch nie telefoniert. Ingelore wählte ihm die Nummer und verlangte die Schwester, die im „Hotel der Optik“ arbeitete, und ging wieder zurück in den Verkaufsraum. Bernd hörte die Stimme seine Schwester und sagte: „In Landin gibt es kein Salz.“ „Wer ist denn da?“ fragte seine Schwester. Aber er antwortete immer mit denselben Satz: „In Landin gibt es kein Salz, in Landin gibt es kein Salz.“ „Bist Du es, Bernd?“ rief die Schwester, aber sie hörte nur wieder:“ In Landin gibt es kein Salz.“ Da lege sie auf und dachte sich ihren Teil, kaufte reichlich Salz ein und brachte es mit nach Hause, gerade noch rechtzeitig um die Würzmischungen für die Würste zu bereiten. Die ganze Familie schmunzelte noch lange über diese Geschichte. Ingelore Babucke führte den Konsum auch noch nach der Einheit Deutschlands im Jahre 1990 weiter, aber die neu errichteten Supermärkte lockten auch die Dorfbewohner in die Städte und so arbeitete sie noch einige Zeit in Kriele im Konsum und später noch in Stellen vom Arbeitsamt (ABM), aber die Zeit der Dorfläden war vorbei.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.07.2021
54. Der Kunstgießer Wolfgang Gregor in Landin 01.08.2021
Wolfgang Gregor mit dem Bronzekopf der Meeresschildkröte „Marlene“
Wolfgang Gregor ist am 19.09.1948 in Berlin-Lichtenberg geboren. Sein Vater Kurt Gregor war Bäcker und seine Mutter Erna Gregor, geborene Lehmann, arbeitete in einem Anwaltsbüro in Berlin. Er absolvierte eine 10-klassige Oberschule in Berlin-Lichtenberg und begann von 1975 -1979 eine Lehre zum Stahlformbauer und Werkzeugmacher im Berliner Funkwerk Köpenick. Während der Lehre holte er an der Abendschule sein Abitur nach und arbeitete später drei Jahre lang als Kameramann beim Fernsehen der DDR in Berlin-Adlershof. Wolfgang Gregor hatte auch ein Musikstudium an der Hochschule für Musik „Hans Eisler“ in Berlin mit dem Ziel Chorleiter zu werden, angefangen. Er brach das Studium für Klavier und Gitarre aber bald ab, weil er feststellte, dass das nicht seine Berufung war.
1977-1982 studierte er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und erhielt ein Diplom als Fotograf, Grafiker und Designer. Als Hochschulabsolvent war er ab 1982 als freiberuflicher Künstler als Mitglied im Verband der bildenden Künstler in Berlin tätig und lebte vom Verkauf seiner Fotos an die Zeitungen und nahm auch an der neunten und zehnten Kunstausstellung der DDR in Dresden teil. Wichtige fotografische Arbeiten entstanden im Eigenauftrag: Arbeiter-Porträts im Kabelwerk-Oberspree Berlin, eine umfassende Serie über Kleingartenanlagen Berlins und seine Bewohner, Porträts im Berliner Glühlampenwerk NARVA-Berlin. Als am 09.11.1989 die Berliner Mauer fiel, befand er sich gerade in Hamburg und arbeitete an einer Inszenierung mit Frank Castorf am Hamburger Schauspielhaus. Frank Castorf war von 1992 – 2017 als Intendant an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin und es gab hier für Wolfgang Gregor eine fruchtbare Zusammenarbeit als Kunstfotograf.
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin
Daneben arbeitete er als Fotograf für den Stern, Spiegel, Merian, Feinschmecker und andere Zeitschriften. Der Stern bat ihn nach Hamburg zu kommen, weil er einen Beitrag über Kleingärten und Biedermeier machen wollte. Als er in das Büro des ungebildeten Redakteurs kam, lümmelte der am Schreibtisch, telefonierte und hatte seine Füße auf den Schreibtisch gelegt. Er bedeutete ihm Platz zu nehmen und fing an, während er weiter telefonierte, in den mitgebrachten Fotomappen zu blättern. Das war für Wolfgang Gregor die Wende. Er dachte bei sich: “Du musst dir das nach einem Kunststudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig nicht antun,“ und verließ mit seiner Mappe das Büro. Er hatte 1989 von einem Solotänzer der Komischen Oper in Berlin eine Gaststätte mit Stallungen, Scheune und großem Garten in Landin für 13.000,00 Mark der DDR erworben. Er hatte sich sofort in die schöne Landschaft des Havellandes verliebt und zog 1991 nach Landin, baute die Scheune zur Kunstgießerei um und ließ sich in Landin nieder.
Der Künstler Wolfgang Gregor vor seinem Atelier
Von 1991 – 2004 sanierte er das Wohnhaus und richtete sich in der Scheune mit allen Geräten eines Kunstgießers ein. Die ersten Aufträge kamen sofort. Als das Marmorpalais in Potsdam saniert wurde, bekam er den Auftrag alle Türklinken und Türbeschläge, sowie zahlreiche Inneneinrichtungen im gesamten Gebäude zu gießen und zu restaurieren.
Muster von Türklinken und Beschlägen
2014 teilte er das Grundstück und verkaufte den Gaststättenkomplex. Den ehemaligen Kuhstall baute er von 2018-2019 zu einem Wohnhaus um, wobei er den Innenausbau selbst übernahm, was die Kosten deutlich reduzierte.
Der ehemalige Kuhstall ist ein schmuckes Wohnhaus geworden
Er kaufte den Holzofen „Bruno“, der eine mollige Wärme verströmt.
Holzofen Bruno
Wenn er auf sein Leben zurückblickt, hat er immer das gemacht, was ihm Freude bereitete. Zuerst war er als Musiker unterwegs, dann als Kameramann tätig, danach Kunstfotograf und Journalist und jetzt ist er Kunstgießer. Zurzeit arbeitet er an der Lederschildkröte „Marlene“, die im Meeresmuseum Stralsund als Bronzefigur aufgestellt wird. Die Kunstgießerei teilt sich in drei Aufgabenbereiche:
1. Restaurierung von Großplastiken, Interieur in Denkmalgeschützten Gebäuden
2. Plastiken für Galerien, Zusammenarbeit mit Bildhauern
3. Eigene Kunstwerke
In Anlehnung an die griechische Mythologie hat er einen „Trojanischen Hund“ gegossen. Die Odyssee von Homer erzählt ja, wie die Griechen Troja mit einer List eroberten, indem sie ein Riesenholzpferd vor der Stadt Troja zurückließen und so taten, als ob sie die Belagerung aufgeben wollten und mit ihren Schiffen davonsegelten. Die Trojaner feierte das als großen Sieg und schleppten das Riesenpferd in ihre Stadt, nichtahnend, dass im Inneren sich die griechischen Krieger versteckt hielten und nachts herauskamen und die Stadttore für ihre zurückgekehrten Krieger auf den Boten öffneten. Das war das Ende der Stadt Troja. Der König von Ithaka Odysseus hat es, so beschreibt es der griechische Dichter Homer, mit dieser List geschafft, die Stadt zu erobern, aber zur Strafe musste er zehn Jahre auf dem Mittelmeer umherirren, bis er in sein Heimatkönigreich Ithaka zurückkehren durfte.
Der trojanische Hund Der trojanische Hund
Wolfgang Gregor hält es mit Brecht, der einmal gesagt haben soll: “Lies jeden Tag ein paar Seiten eines guten Buches und höre gute Musik!“ Lesen, Musik und Sport sind seine Hobbys. Er läuft und schwimmt gern und fährt mit seiner Frau Andrea Kuhlmey an den Wochenenden 80 km mit dem Fahrrad. Ebenso liebt er das Windsurfen und Snowboarden. Er hat eine Tochter Clara und einen Sohn Philip. In Landin hat er im großen Garten eine Gipsfigur in Anlehnung an eine Arbeit von Max Klinger „Tanahashi“ aufgestellt.
Hommage / freie Nachbildung an Max Klingers „Tanahashi“
Der Garten grenzt an den Buchtgraben
Der Garten ist auch für die tägliche Speisekarte gut nutzbar. Mit den vielen Obstbäumen und Beerensträuchern und einem kleinen Kräutergarten ist er zu einer richtigen Idylle geworden.
Der Kräutergarten
An der Straße hat er noch eine kleine Remise und ein kleines Gartenhaus gebaut, um etwas Abstellmöglichkeiten zu haben. Und er kann auch Autos reparieren. Ein guter Handwerker hat eben geschickte Hände und wenn sie dann noch künstlerisch aufgewertet werden, ist Vieles möglich.
Remise und Gartenhaus an der Straße
Das Havelland ist schön und Landin ist ein schöner Ort im Havelland. Da lebt man in der Natur und mit der Natur und wenn man Lust auf die Stadt hat, ist Berlin quasi um die Ecke. Auf einem Dorf kann man auch die Jahreszeiten viele intensiver wahrnehmen als in der Großstadt Berlin. Das Blühen, Werden und Vergehen ist jeden Tag zu sehen und dieses Jahr gab es auch am 06. Februar 2021, dem Namenstag der Heiligen Dorothea, Schnee wie seit Jahren nicht mehr.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2021
55. Der Dorfpolizist von Landin 01.09.2021
1949 richtete die DDR nach sowjetischem Vorbild eine Volkspolizei ein und warb junge Männer für den Dienst für die polizeilichen Aufgaben in den Städten und Gemeinden. Jeder Polizist bekam einen Bereich zugeteilt und nannte sich Abschnittsbevollmächtigter (ABV). Die Ausbildung war in den ersten Jahren sehr lückenhaft, verbesserte sich aber nach und nach. Die Volkspolizisten waren fast alle in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Meist bekleidete der ABV den Rang eines Unterleutnants oder eines Leutnants. Sie hießen im Volksmund wegen ihrer grünen Uniformen einfach „Die Grünen.“ In Landin war Georg Zimmermann zuständig für Diebstahl, Raub und Streitigkeiten der Nachbarn. Er wohnte mit seiner Frau Irmgard, in der Bergstraße 4.
Wohnhaus von Irmgard und Georg Zimmermann
Bergstr. 4
56. Die Gemeindeschwester von Landin 01.10.2021
Martha Fellert hieß die Gemeindeschwester von Landin. Sie wohnte in Kriele und versorgte die Menschen in beiden Dörfern. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenige Telefonanschlüsse in Landin und Kriele. Der Bürgermeister, die Post, der Abschnittsbevollmächtigte der Deutschen Volkspolizei und natürlich die Gemeindeschwester. Martha Fellert war examinierte Krankenschwester und hatte am Paracelsus-Krankenhaus in Rathenow eine zweijährige Zusatzausbildung mit dem Abschluss als Gemeindeschwester absolviert. Die Arbeit im Krankenhaus blieb ihr bis ins hohe Alter noch in lebendiger Erinnerung. Die Ärzte am Paracelsus-Krankenhaus gingen am Vormittag ihrer Arbeit nach und einige unterrichteten nachmittags die angehenden Gemeindeschwestern in ihrem Fachgebiet. Die Schwestern mussten auch auf allen Stationen mitarbeiten. Sie machten die Äther-Narkosen und oft war es auch nötig, bei den Operationen als Assistentinnen einzuspringen, weil überall ein großer Ärztemangel herrschte. Einmal musste Schwester Martha einen vierjährigen Jungen betäuben und fragte ihn: „Kannst Du schon zählen?“ „Ja,“ sagte der Junge aber nur bis vier.“ „Na gut, dann üben wir das mal und wenn Du bei vier angekommen bist, fängst Du wieder von vorn an. Also 1,2,3,4 und dann wieder 1,2,3,4.“ Ich komme nachher mit der Maske zu Dir und dann zählen wir zusammen.“ Der Junge war damit einverstanden. Nach einer kurzen Pause kam Schwester Martha Fellert zurück und wollte mit der Äther-Narkose beginnen, da fragte sie der Junge: “Und wo ist Dein Holzhammer?“ Als sie auf der Frauenstation arbeitete, kam eine junge Frau mit einem Tumor im Unterbauch zur Operation. Der noch sehr unerfahrene Operateur und Schwester Martha als Assistentin operierten die Frau und als der Arzt die Bauchhaut durchtrennt hatte und die Gebärmutter betastete, entpuppte sich der Tumor als kleines menschliches Wesen, das in der Gebärmutter heranwuchs. Eilig nähte der Arzt die Bauchhaut wieder zu und die Mutter brachte nach drei Monaten ein gesundes Mädchen zur Welt. Als sie in Kriele als Gemeindeschwester begann, fuhr sie natürlich mit ihrem Auto, einem kleinen Trabant, über die Dörfer und besuchte die chronisch Kranken, wo Blutdruck gemessen wurden und wenn es notwendig war, auch Rezepte überbracht wurden. Sie hatte immer ihre Tasche mit allen Sachen griffbereit und verabreichte die Spritzen, die von den Ärzten verordnet wurden. Jeden Tag hatte sie in Kriele von 8-9 Uhr Sprechstunde, wo die Patienten sie aufsuchten, um sich ihre verordneten Injektionen abzuholen. In dieser Zeit arbeitete ihre Kurzwelle auf Hochtouren, denn das gehörte auch zu ihren Aufgaben.
Haus der Gemeindeschwester Martha Fellert
in Kriele
Einmal in der Woche war auch Arztsprechstunde, die sie betreute und den Arzt dann zu den Hausbesuchen begleitete. Auch die Mütterberatung mit dem Frauenarzt übernahm sie mit und auch wenn in der Kita der Arzt die Kinder untersuchte oder Schutzimpfungen durchführte. Einmal berichtete sie, waren alle Telefone gestört und ein Nachbar kam und holte sie zu einer Frau, die entbinden sollte. Als sie dort ankam, lag die Frau zwischen ihrem Mann und einem Arbeiter aus dem Rinderstall und hatte ihr Kind im Arm. Beide Männer waren erheblich angetrunken. Der Ehemann hatte die beiden Enden der Nabelschnur in der Hand, die er einfach zerrissen hatte und fragte lallend: “Habe ich das nicht gut gemacht?“ Schwester Martha Fellert versorgte die Durchtrennung der Nabelschnur fachmännisch und wartete auf die Nachgeburt, die auch endlich kam. Dann versorgte sie die Mutter und das Baby ordentlich und schmiss die beiden Männer aus dem Zimmer. Inzwischen war die Störung der Telefonanlage wieder behoben worden und ein Krankenwagen kam und brachte Mutter, Kind und Nachgeburt ins Paracelsus-Krankenhaus. Alle Wöchnerinnen wurden drei Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus von ihr besucht und sie half so gut es ging, den jungen Müttern mit der neuen Situation zurechtzukommen. Meist ergaben sich daraus tägliche Hausbesuche bis die Mutter alles allein besorgen konnte. Aber es entstand natürlich eine enge Bindung an die Menschen in den Gemeinden. Im Anfang ihrer Tätigkeit wurde sie bei allen Notfällen gerufen. Gallenkoliken, Nierenkoliken, Blinddarmentzündungen, Nasenbluten oder ausgehakter Unterkiefer. Zuerst wandte man sich an die Gemeindeschwester. Eigentlich stand ihr Telefon Tag und Nacht nicht still. Erst später gab es einen ärztlichen Notfalldienst in der Nacht und sie konnte dann wenigstens nachts schlafen. Aber nicht immer klappte alles mit dem ärztlichen Notdienst und dann riefen die Leute doch bei der Gemeindeschwester an. Ein Schwangere hatte Schmerzen im Bauch bekommen und den Notarzt angerufen. Eine Dr. Dorothea Mayer aus Rathenow ließ sich aber auf einen Hausbesuch nicht ein und meinte, das habe Zeit bis zum nächsten Morgen, wo der Hausarzt Werner Röhricht aus Nennhausen dann vorbeikommen könnte. Also rief der besorgte Mann bei Schwester Martha Fellert an und bat sie um einen Hausbesuch. Da Schwester Martha die Familie gut kannte, wusste sie, dass es ernst war und fuhr sofort hin, untersuchte die im 6. Monat schwangere Frau und sagte: „Das sieht wie eine akute Blinddarmentzündung aus. Ich rufe von zu Haus die Frau Dr. Mayer selbst noch einmal an.“ Aber die selbstherrliche Ärztin ließ sich auf keinen Hausbesuch ein, sodass Schwester Martha die Frau kurzerhand in ihren Trabant lud und einfach ins Paracelsus-Krankenhaus nach Rathenow fuhr.
Schwester Marthas Trabant
Der Chirurg Dr. Wilhelm Grundmann bestätigte ihre Vermutung und operierte die Frau sofort. Am nächsten Tag besuchte der Ehemann seine Frau im Krankenhaus und Dr. Wilhelm Grundmann sagte zu ihm: “Da kaufen Sie mal für Ihre Gemeindeschwester den größten Karton mit Konfekt, den es gibt, denn sie hat Ihrer Frau und Ihrem Kind das Leben gerettet. Der Blinddarm stand kurz vor der Perforation (Platzen) und dann hätten wir kaum eine Chance gehabt.“
Bauer Günther Müller
Der Bauer Günther Müller aus Kriele berichtete, wie er mit seiner linken Hand in eine Häckselmaschine kam und Schwester Martha seine Wunde klammerte, die auch gut verheilt ist. Die Gemeindeschwester Martha Fellert hatte nicht nur ein Gespür für die richtige Diagnose, sie kannte sich auch mit der Wundversorgung gut aus. Und über die Jahre war sie selbstständig und sicher geworden und die Menschen waren ihr immer wichtiger, als bürokratische Vorschriften.
Aber auch die Krebskranken, die zu Hause bis zu ihrem Tode gepflegt wurden, versorgte sie mit Morphiumspritzen, sodass sie weniger zu leiden hatten. Es waren ja fast immer alte Menschen, die dann ihre Hilfe brauchten. Die Alten halfen ja meist noch im Haushalt oder im Garten mit, wenn es körperlich möglich war. Arbeitslosigkeit war völlig unbekannt. Wer wollte, bekam immer eine neue Arbeit, auch die Faulpelze und Alkoholkranken. Für die Betriebsleiter war das auch nicht immer einfach. In den Orten, die sie zu versorgen hatte, wurde sie von den Menschen mit Respekt und Achtung behandelt, denn fast alle hatten schon einmal ihre Hilfe in Anspruch nehmen müssen und sie bekam durch ihre Arbeit auch Einblicke in die Familien, die sonst niemand hatte. Aber sie war verschwiegen und Tratsch und Klatsch waren ihr fremd. Irmgard Siewert erinnert sich noch an eine Mandelentzündung. Ihre Mutter schickte sie zu Schwester Martha Fellert in die Sprechstunde. Schwester Martha pinselte den Hals mit einer bitteren Jodlösung aus und nach drei Tagen war es besser. Als die Gemeindeschwester älter wurde, bekam sie zunehmend Gelenkbeschwerden in den Knien und war froh, als sie das Rentenalter erreicht hatte. Sie fuhr sofort in den Westen und war geblendet von dem Wohlstand, in dem die meisten Menschen dort lebten. Da sie immer couragiert war, beschloss sie 1972 in die Bundesrepublik überzusiedeln und setzte das auch in die Tat um. Aber richtig Fuß fassen konnte sie dort nicht mehr. Die Wurzeln, die sie in Landin und Kriele geschlagen hatte, waren gekappt und sie starb einsam und verlassen in einem Seniorenheim.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.010.2021
57. Eine Teestunde bei Romy Reschke in Landin 01.11.2021
Romy Reschke wurde am 14.01.1963 in der Berliner Charité geboren. Ihr Vater, Waldemar Reschke, war Lehrer und später Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Ihre Mutter, Leonide Reschke, geborene Wiedmaier, arbeitete in der Verwaltung des Stadtbezirks Berlin-Mitte. Romy Reschke wuchs mit drei Geschwistern auf, Renate, Ralf geboren in Päwesin und Ronald, geboren in Johanngeorgenstadt. Der Offiziersberuf des Vaters war mit öfteren Wohnortwechseln verbunden.
Romy Reschke
9 Jahre alt
Von 1969 – 1978 besuchte sie die Polytechnische Oberschule „Friedrich Wolf“ in Berlin-Mitte in der Bergstraße und begann nach der 10. Klasse eine Ausbildung zur Werbekauffrau bei der Deutschen Werbeagentur in Berlin (DEWAG). Bei der DEWAG arbeitete sie in ihrem Beruf bis 1990. Romy Reschke heiratete am 30.06.1988 in Vitte auf Hiddensee den Werkzeugmacher Christian Reschke, geborener Triebel. Am 10.11.1988 wurde die Tochter Charlotte Dorothea und am 04.01.1990 die Tochter Luise Anne-Marie in Berlin geboren. Nach 1990 arbeitete sie in ABM und anderen kurzfristigen Beschäftigungsmaßnahmen. Erst 2007 konnte sie von ihrer Schwester Renate einen Teeladen im A-10-Center in Wildau übernehmen, in dem sie gemeinsam mit ihrem Mann arbeitete.
Teeladen an der A-10 in Wildau
Die Großeltern von Romy Reschke, Johann und Dorothea Wiedmaier, geborene Bossert, kamen aus der Nähe von Straßburg in Bessarabien und wurden von den Nazis nach Polen umgesiedelt, wo sie 1945 erneut fliehen mussten und so nach Landin kamen. Dort bauten sie ein Siedlungshaus in der Steinstraße 3 und wurden Neusiedler. Ein Sohn der Großeltern, Arthur Wiedmaier wohnte mit seiner Frau Christel in der Steinstr. 3 in Landin und Christel Wiedmaier war auch zeitweise Bürgermeisterin von Landin. Die beiden Onkel Hugo und Fritz Wiedmaier sowie ihre Tanten Anna und Paulina gingen 1957 in den Westen. Fritz Wiedmaier siedelte sich in Vaihingen an der Enz in Baden-Württemberg an und kam jedes Jahr einmal nach Ostberlin und besuchte mit Romy Landin. Romy fühlte sich in Landin immer zu Hause. 1991 kam Romy Reschke mit ihrem Mann nach Landin und räumte das Grundstück in der Steinstraße 3 auf und kaufte das Objekt 1992.
Siedlungshaus Steinstr. 3
Die Instandsetzung des alten Siedlungshauses wäre zu teuer gewesen, sodass Romy und Christian Reschke beschlossen, ein Fertighaus auf dem Grundstück zu bauen. Und so zog die Familie 2015 in ein EBK-Haus mit Energiespareffekt ein.
Dänisches Fertigteilhaus
Die Heizung wird über eine Luftwärmepumpe betrieben. In die Dorfgemeinschaft haben sich Romy und Christian Reschke schnell integriert. Bei den Landiner Dorffesten machen sie Spiele mit den Kindern und laden die Dorfkinder auch in die Steinstraße 3 ein, um mit ihnen zu feiern. Inzwischen ist Christian Reschke Rentner, aber der Teeladen in Wildau läuft mit zwei Angestellten noch immer auf Hochtouren und Romy hat alle Hände voll zu tun, um die Wünsche ihrer Teekunden zu erfüllen. Aber wenn sie frei hat und in Landin ist, dann sagt sie zu ihrem Mann: „ Ich glaube, so fühlt sich das Glück an.“
Romy und Christian Reschke
auf der Bank vor ihrem Haus in Landin
Die Familie Reschke fühlt sich sehr wohl in dem neuen Haus mit dem weiten Blick über das Feld ins Dorf und auf den ehemaligen Schlosspark von Landin.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.11.2021
58 Störche bringen Glück ins Haus 01.12.2021
Die Störche kommen jedes Jahr im März ins Havelland und fliegen Ende August wieder in den Süden. Durch die Klimaerwärmung fliegen sie gar nicht mehr nach Afrika zurück, sondern überwintern in Spanien und kommen noch früher nach Deutschland. Sonja Dittrich dachte sich, die Störche müssten in Landin eigentlich genug Nahrung finden, denn es gibt den Landiner See und die Wiesen am Großen Havelländischen Hauptkanal. 2013 bat sie ihren Mann ein Rad auf einen Mast auf dem Dach zu befestigen, damit die Störche ein Nest darauf bauen können. Der NABU sagte: “Das wird sowieso nichts, gab aber gute fachliche Ratschläge.“
Und so entstand der Mast mit einem Wagenrad und Gert Dittrich wäre nicht Gert Dittrich, wenn er nicht gleich eine Kamera mitinstalliert hätte, damit man das Leben der eventuell kommenden Störche beobachten könnte. Aber das Frühjahr 2014 kam und es kam auch mal ein Storch und beschaute sich das Wagenrad, machte sich aber wieder auf den Weg nach Parey an der Havel, wo er seit Jahren mit seiner Frau ein Nest bewohnte. Entgegen allen Prognosen des NABU ließ sich dann aber doch ein Storchenpaar auf dem Wagenrad häuslich nieder und baute ein großes Nest.
Das war eine Freude für das ganze Dorf und Sonja Dittrich strahlte vor Stolz. Sie hatte sich nicht geirrt. Die Störche suchten solche Horste. Und die Störchin legte auch zwei Eier und brütete. Mit der Kamera verfolgte man das Geschehen auf dem Nest. Der NABU kam und beringte die zwei Störche. Es wurden für die zwei zu erwartenden Storchenkinder im ganzen Dorf Namen gesucht und es gab 33 Vorschläge, die in einen Storchenbriefkasten gesteckt werden konnten. Der Storchenbriefkasten befand sich an der Bushaltestelle und jeder Landiner war aufgerufen, bis zum 24.05.2014 seine Namensvorschläge dort einzustecken.
Unter den Namen waren Adam und Eva, Hänsel und Gretel, Karla und Marx, Pauline und Paulchen, Tristan und Isolde, Romeo und Julia und noch viele andere. Am 25.05.2014 gab es Wahlen für das Europäische Parlament und die Landiner hatten an dem Tag gleichzeitig über die 33 Namensvorschläge für die Storchenkinder abzustimmen. Die meisten Stimmen bekam aber der Namensvorschlag Landiner und Landinchen.
Doch es kommt, wie im richtigen Leben, immer anders als man denkt. Sei es nun, dass ein Marder, der auf dem Boden wohnte oder ein Waschbärenfamilie das Storchenehepaar störte. Zuerst entschwand der Storchenvater und drei Tage später auch seine Gattin. Sie kehrten nicht wieder zum Horst zurück. Das Gelege war nicht mehr zu retten. Und bis 2021 kamen jedes Jahr mal Storchenpaare und beschauten das Nest, aber keiner von den Störchen blieb in Landin. Doch Sonja Dittrich gibt nicht auf. Sie möchte, dass das Nest erhöht wird. Vielleicht findet ein Storch wieder den Weg nach Landin und kommt dann Jahr für Jahr zurück. Die jungen Störche sammeln sich jedes Jahr vor dem Abflug ihrer Eltern gesondert auf den Wiesen und fliegen in den Süden. Die Eltern sammeln sich später und fliegen in eigenen Gruppen nach. Warum das so ist, weiß keiner. So gibt es viele Rätsel, die die Wissenschaftler noch aufzuklären haben. Vor dem Zeitalter der sexuellen Aufklärung erklärten die Eltern ihren Kindern, der Storch hätte eine Frau ins Bein gebissen und nun sei sie schwanger. Sonja Dittrichs Hoffnungen sind nicht unberechtigt. Vielleicht kommt doch ein Storchenpaar wieder nach Landin und bringt den Landinern nicht nur die Kinder aus dem Landinder See, sondern auch das Glück ins Haus.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2021
59. Die Pest in Landin 01.01.2022
1670 gab es in Landin einen großen Streit um ein gutes Stück Ackerland, was einem Bauern Konrad Suhrbier in Kriele gehörte. Der Gutsherr von Landin hätte dem Bauern gern das Land abgekauft, aber der weigerte sich hartnäckig. Das viele Geld lockte ihn nicht, denn er war reich genug und wollte den guten Boden nicht aufgeben. Auch Strohmänner, die im Auftrag des Gutsherrn dem Bauern Unsummen boten, konnten Konrad Suhrbier nicht umstimmen. Das Land war nicht ganz eindeutig in den Besitz des Konrad Suhrbiers gekommen. Seine Frau Rosamunde hatte den wertvollen Acker mit in die Ehe gebracht und meinte dazu, dass die Besitzverhältnisse, so berichtete ihr der Vater, nicht ganz geklärt wären, weil eine Schwester und ihre Nachkommen auch ein Anrecht darauf hätten. Die Schwester hatte aber früh den armen Bauern Otto Barenthin aus Landin geheiratet und hätte aus Kostengründen es sich nie leisten können, ihr Erbrecht durchzusetzen. Ganz klar waren aber die Besitzverhältnisse nie gewesen. Der Vater hatte den Hof doch endlich an den ältesten Sohn gegeben, auch wenn er ihr immer Versprechungen gemacht hatte. Aber man tat das als Gefasel ab. Nachdem die Gutsherrschaft auf ihren vielen Kaufwegen immer gescheitert war, wurde der Acker noch begehrlicher. Endlich boten sie dem armen Bauern Otto Barenthin viele Goldmünzen, wenn er ihnen den Acker verschaffen könnte. Otto Barenthin erhob also eine Klage beim Königlichen Amtsgericht in Rathenow und forderte den Acker für sich ein, da der Vater seiner Frau ihn ihr zugesagt hatte. Der Prozess zog sich über viele Jahre hin und konnte nicht zu einer eindeutigen Klärung führen. Da schwor Otto Barenthin einen Eid, dass der Acker ihm gehöre und das Gericht entschied zugunsten des Meineidigen. Der hatte daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als den Acker an den Gutsherrn von Landin zu verkaufen. Der Gutsherr von Landin freute sich sehr und belohnte den Bauern fürstlich. Otto Barenthin wurde aber seines Lebens nicht mehr froh. Das schlechte Gewissen plagte ihn Tag und Nacht. Schließlich bekam er eine entsetzliche Krankheit, die seinen ganzen Körper mit Geschwüren übersäte und er große Schmerzen ertragen musste. Als man ihn auf dem Kirchhof in Landin begraben hatte, fand seine Seele keine Ruhe. In dunklen stürmischen Nächten erschien seine Gestalt den Bewohnern von Landin und schrie und jammerte so sehr, dass sich alle Menschen furchtbar erschraken. Der Nachtwächter Franz Mewes ging jede Nacht durch Landin und schaute nach Ordnung und Ruhe. Besonders wichtig war es für ihn, dass alle Lichter gelöscht wurden und kein Brand entstehen konnte. Für den Brandfall hatte er einen Kirchenschlüssel und konnte so die Glocke läuten, die die Bauern zum Löschen des Feuers herbeiholen sollte. Er hatte immer einen Kirchenschlüssle bei sich, denn er versah auch das Amt des Küsters in der Kirche. Als Franz Mewes in einer stürmischen Herbstnacht wieder seine Runde machte, war es ihm so, als würde er verfolgt.
Der Geist von Otto Barenthin
Aber immer, wenn er sich umdrehte, konnte er niemand erkennen. Er hatte zwar eine Laterne bei sich, aber die leuchtete nur ein paar Meter im Umkreis. Schließlich hörte er eine Stimme, die rief: „Küster, schließ mir die Kirche auf!“ Zuerst tat er so, als hätte er nichts gehört, obwohl es ihn etwas gruselte. Aber als die Stimme immer wieder bat: „Küster schließ mir die Kirche auf,“ fasste er sich ein Herz und ging zur Kirche und schloss die Kirchentür auf. Er spürte auch, dass eine Gestalt in die Kirche schlüpfte, aber richtig sehen konnte er nichts. Dann hörte er wieder die Stimme aus der Kirche: „Du hast mich erlöst. Ich will Dir zum Dank sagen, dass die Pest nach Landin kommen wird, aber Du und Deine Familie werden nicht sterben.“ Franz Mewes war kein schreckhafter Mensch, aber ganz geheuer war es ihm nicht. Er schloss die Kirchentür wieder zu und ging sofort nach Hause, wo er alles seiner Frau erzählte. Die meinte, das war der Geist von Otto Barenthin. Also war der Eid doch nicht richtig. Seitdem hat niemand mehr in Landin den Spuk wieder gesehen.
Als 1708-1711 eine Pestepidemie über Preußen kam, erließ der preußische König Friedrich I. am 14.11.1709 ein Gesetz, um die Pest zu bekämpfen. Die Wirtshäuser wurden geschlossen, das Tanzen untersagt und jeglicher Aufenthalt an Stätten der Unzucht verboten. Die Menschen wurden angehalten, in die Kirche zu gehen, der Predigt zu lauschen und Buße zu tun. Es wurden Reisebeschränkungen erlassen, wobei besonders streng darauf geachtet wurde, dass keine handelnden Juden von Ort zu Ort zogen. Die Juden wurden nicht direkt für die Pest verantwortlich gemacht, aber nach alter Tradition suchte man nach Sündenböcken. Erst einhundert Jahre später entdeckte man ein Bakterium, das die Pest verursachte und die Übertragungswege durch die Ratten und den Rattenfloh. Trotz der königlichen Anordnungen kam die Pest auch nach Landin. Das Dorf wurde fast entvölkert. Der Küster Franz Mewes musste fast täglich die Totenglocke läuten. Jedes Mal, wenn jemand im Dorf starb, wurde die Glocke geläutet. Manchmal läutete er die Glocke drei bis viermal am Tag. Der Küster Franz Mewes begrub viele Menschen, erkrankte aber selbst nicht, wie es ihm der Geist von Otto Barenthin vorausgesagt hatte. Seine Frau und all seine Kinder blieben auf wundersame Weise von der Seuche verschont.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.01.2022
60. Dorothea Wiedmaier findet eie neue Heimat in Landin 01.02.2022
Dorothea Bossert (links) mit ihrer Schwester Lydia
1929 in Strassburg (Bessarabien)
Dorothea Bossert wurde am 12.04.1889 in Strassburg in Bessarabien geboren. Bessarabien liegt zwischen zwei Flüssen, Brut und Dnjestr, am nordwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres. Strassburg lag 15 km südöstlich von der Stadt Akkerman an dem Flüsschen Alkalia, das 30 km südlich von Strassburg ins Schwarze Meer mündete. Der Vater, Jakob Bossert, hatte eine Tischlerei und die Mutter, Dorothea Bossert, geborene Treichel, war Hausfrau. Dorothea und Jakob Bossert hatte elf Kinder und wohnte in einem mit Schilf gedeckten Haus. Als ihr Vater starb, wurde er vor dem Haus in einen Sarg offen aufgebahrt. Alle Mitglieder der Familie versammelten sich um den Sarg vor dem Haus.
Großvater Jakob Bossert vor dem Wohnhaus der Familie Bossert
in Strassburg (Bessarabien)
Die Tochter Dorothea Bossert heiratete in Strassburg den Tischler Johann Wiedmaier. Dem Ehepaar wurden elf Kinder geschenkt. Fünf Kinder starben aber schon früh an Kinderkrankheiten und anderen Infektionen. Die sechs überlebenden Kinder waren:
Anna Maier, geboren Wiedmaier (*29.11.1919 - † 29.04.2020)
Arthur Wiedmaier (*04.04.1922 – †21.02.2017)
Friedrich Wiedmaier (*09.09.1924 – †16.12.2016)
Hugo Wiedmaier (*05.01.1928 – † 05.08.2010)
Leonide Wellhausen, geborene Wiedmaier (*06.04.1930 – †13.02.1999)
Pauline Reschke, geborene Wiedmaier (*19.05.1935 – †14.07.2019)
Bessarabien gehörte bis 1940 zu Rumänien
Der Landstrich Bessarabien hat seinen Namen vom Walachischen Fürstenhaus Besarab. Nach dem Aussterben des ungarischen Herrschergeschlechts der Árpáden nutze 1301 der Fürst Besarab I. die Chance ein eigenes Fürstentum, die Walachai (Rumänien), zu gründen, das von den Südkarpaten bis zum Schwarzen Meer reichte. Bessarabien war immer ein Zankapfel zwischen Russland, Österreich und der Türkei. 1812 trat das Fürstentum Moldau Bessarabien an Russland ab und nun gehörte das Gebiet als Gouvernement Bessarabien zum Russischen Zarenreich. Zar Alexander I. von Russland holte 1813 deutsche Kolonisten ins Land, die als selbstständige Landwirte auf eigenem Land leben durften und große Privilegien erhielten. 9000 eingewanderte Personen wohnten in 24 Kolonien. Die Kolonien wuchsen in den folgenden Jahren auf 150 Orte mit 93000 Menschen an. Die Hauptstadt von Bessarabien ist Kischinew. Die meisten Deutschen lebten um die Stadt Akkerman herum. Dorothea Wiedmaiers Vorfahren kamen als Einwanderer aus Schwaben nach Bessarabien. Als deutsche Kolonisten haben sie trotz großer Mühsal und Entbehrungen das Land urbar gemacht und gemeinsam mit den anderen Einwanderern im Laufe der Zeit die Kultur dort geprägt. Die Familien hatten viele Kinder und führten ein einfaches, naturverbundenes und religiöses Leben. Strassburg war ein größeres Dorf. Hier gab es sogar eine Schule. Die Kinder gingen am Vormittag zur Schule und am Nachmittag mussten sie den Eltern in der Landwirtschaft helfen. Jede Hand wurde gebraucht. Ob Sommer oder Winter, es gab immer Arbeit in Hof, Stall, Garten oder auf dem Feld. Abends fielen sie todmüde ins Bett, selbst an den üblichen Gute-Nacht-Geschichten fand niemand mehr Interesse. Im Herbst begann die Weinlese, das Einmachen von Früchten, das Mosten und das Marmelade kochen. Im Winter dagegen blieb mehr Zeit für die Familie und besonders für die Kinder, es wurden Feste gefeiert und ein reges Vereinsleben gepflegt. Die vielen verschiedenen Familien lebten einträchtig miteinander und prägten auch die Sitten und Gebräuche der deutschen Siedler, die von 1814 bis 1940 Bessarabien als ihre Heimat annahmen. An den langen Winterabenden wurde viel gesungen, die Frauen und Mädchen schwatzten beim Handarbeiten, die Jungen tobten oder würfelten. Immer stand heißer Tee bereit und aus der Ofenröhre dufteten warmgehaltene Speisen. Die Kinder sehnten die Weihnachtszeit herbei und freuten sich auf das Christkind. Die Eltern und Großeltern und die größeren Kinder hatten mit den Vorbereitungen für das Festmahl der Großfamilie und den geladenen Gästen zu tun. Es wurde eine Gans und wenn möglich ein Schwein geschlachtet, Wurst gemacht, Speck und Schinken in den Rauch gehängt und Fleisch gepökelt. Auch die Weihnachtsbäckerei kam nicht zu kurz. Dorothea Wiedmaier konnte ausgezeichnet backen. Noch viele Jahre später hat sie ihren Enkelkindern „Ausstecherla, Pfeffernüßla, Lebküchla, Duchgdrehte“ …gebacken und die köstlichsten Bonbons der Welt zubereitet. Die Enkelkinder durften die Karamelmilch rühren und beim Schneiden der gehärteten Zuckermasse helfen. Früher, so erzählte sie, wurden die „Zuckerla“ eingewickelt und bis Weihnachten in der guten Stube neben anderem Naschwerk und den Plätzchen aufbewahrt, um dann alles auf dem bunten Teller zu verteilen. Diese seltenen Süßigkeiten bereiteten den Kindern die größte Freude, bisweilen fanden sich unter dem Christbaum auch kleine Geschenke, Selbstgestricktes, Holzspielzeug oder eine Stoffpuppe. 1918 wurde Bessarabien kurzzeitig unabhängig, danach gehörte es zu Rumänien.
Gutschki
Polen 1944
Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 sprach aber Bessarabien wieder der Sowjetunion zu und enthielt eine Klausel, dass alle Deutschen das Land zu verlassen hätten. So wurden ab 1940 die deutschstämmigen Bessarabier von den Nazis nach Polen umgesiedelt. So kamen Johann und Dorothea Wiedmaier nach Gutschki Kreis Warthbrücken im „Reichsgau“ Wartheland in Polen. Johann Wiedmaier erkannte die verbrecherische Absicht des Naziregimes sofort und meinte: „Wir sind für die Nazis Kanonenfutter.“ Ihren Weg nach Polen begleiteten Hunger, Krankheit und Tod. Viele Familien wurden auseinandergerissen. Nicht jeder überlebte diese Strapazen. Und es stand allen ein schwerer Neuanfang bevor.
1945 musste die Familie ihren neuen Wohnort wieder verlassen und kam über Rhinow nach Landin. Dorothea Wiedmaier und ihr Mann Johann Wiedmaier wohnten mit ihren Kindern in ärmlichsten Verhältnissen im Wohnhaus für die Gutsarbeiter in Landin. Es ging in dieser Zeit um das Überleben. Als im September 1945 im Land Brandenburg die Bodenreform durchgeführt wurde, erhielten auch Johann und Dorothea Wiedmaier Land und die Gelegenheit ein Siedlungshaus in Landin in der Steinstr. 3 zu bauen. Direkt am Haus wurde der Stall angebaut, wie man das aus Bessarabien kannte. Aber für die Familie Wiedmaier war das auch Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie hatten wieder ein Ziel vor den Augen.
Dorothea Wiedmaier vor dem neu errichteten Haus
Landin, Steinstr. 3
Dorothea und Johann Wiedmaier musste zwar hart arbeiten, denn es war nicht leicht die achtköpfige Familie durchzubringen. Aber sie waren es gewöhnt, von früh bis spät auf den Beinen zu sein und die Kinder mussten im Stall und auf den Feldern und Wiesen immer mitarbeiten, das kannte man gar nicht anders. Die Kinder gingen natürlich in die Dorfschule und lernten tüchtig, was man so auf einer Dorfschule lernen kann.
So nach und nach verließen die Kinder das Haus. Leonide ging nach der Schule als Haushaltshilfe nach Nordrheinwestfalen und verliebte sich in einen jungen Mann. Seine Eltern wollten diese Verbindung nicht. Als sie schwanger wurde, trennte die Eltern ihren Sohn sofort von Leonide und schickten ihn weit fort, sodass Leonide nach Landin zurückkehrte und 09.09.1949 in Friesack ihre Tochter Renate zur Welt brachte. Die Großeltern Dorothea und Johann Wiedmaier freuten sich über die Enkelin und zogen sie mit viel Liebe auf. Ihr Motto war: Alle Kinder, wie sie kommen, sind willkommen. Und so konnte Leonide Wiedmaier ohne Sorge ihre Ausbildung als Kindergärtnerin in Schmalkalden absolvieren und kam nur an den Wochenenden nach Hause.
Kindergartenausbildung in Schmalkalden
Leonide Wiedmaier 1. Reihe 3. von links
Bei einem Familientreffen lernte Leonide Wiedmaier 1952 ihren zukünftigen Ehemann kennen. Die Familie lebte von 1956 -1961 in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge.
Als Johann Wiedmaier am 21.11.1957 an Krebs starb, war seine Frau Dorothea schon im Rentenalter und beschloss zu ihrer Tochter Leonide nach Johanngeorgenstadt zu gehen. Die anderen Kinder Anna, Pauline, Fritz und Hugo gingen 1957 in den Westen. Ihr Sohn Arthur Wiedmaier lebte mit seiner Frau Christel noch bis 1960 in Landin in dem Siedlungshaus. Christel Wiedmaier war auch zeitweise Bürgermeisterin von Landin.
Siedlungshaus von Dorothea und Johann Wiedmaier 2021
Mit dem Umzug Leonides und deren Familie 1961 nach Berlin wurde auch Dorothea Wiedmaier Berlinerin. Sie fühlte sich ihrem Landin etwas näher und genoss die Ausflüge dorthin. Dorothea Wiedmaier beaufsichtigte, umsorgte und bekochte die Enkelkinder, während die berufstätigen Eltern außer Haus waren. Sie war schon über 70 Jahre alt, als sie nach Berlin kam und übernahm doch einen Großteil des Haushalts. Sie wurde die Chefin in der Küche. Während ihre Tochter arbeitete, verwöhnte sie die Enkelkinder täglich nach der Schule mit feinen, außergewöhnlichen Gerichten, die auch den Schulfreunden sehr mundeten und schon wegen ihrer Fremdartigkeit ihren besonderen Reiz für alle hatten. Ein herrlicher Duft empfing die Kinder, wenn sie die Wohnung betraten. Dorothea Wiedmaier erwartete die Enkel schon. Sie hatte ihre Schürze umgebunden und ein Geschirrtuch in den Händen und rief: „Schnell, schnell, damit das Essen nicht wird kalt“. Es gab Knöpfle und Kartoffelschnitz und andere köstliche Sachen. Noch heute läuft den Enkeln das Wasser im Munde zusammen, wenn sie an die Gerichte der Großmutter denken oder selbst zubereiten. Dorothea Wiedmaier hatte im Alter schlohweißes Haar, glatt zurückgestrichen und zu einem winzigen Dutt zusammengesteckt; hellbraune, offene Augen, ein liebevolles und gütiges Gesicht, das immer zartrosa leuchtete. Sie war eine kleine, lebhafte und freundliche Frau, in deren Nähe man sich einfach wohlfühlte. Das Leben hatte sie durch halb Europa nun nach Berlin geführt und ihr einen Schatz an Erfahrung und Lebensweisheit mitgegeben, den sie manchmal auch für ihre Enkelkinder öffnete.
Dorothea Wiedmaier mit Enkeln in Berlin
1963
Weil ihre Schwester Wilhelmine in einem Altenheim in der Schönhauser Allee lebte, ging sie 1972 gleichfalls dorthin. Sie bekam zwar reichlich Besuch, aber es war doch nicht die Familie, in der sie sich immer geborgen gefühlt hatte. So nahm sie 1973 das Angebot ihrer Tochter Anna Maier, geborenen Wiedmaier, an und zog zu ihr nach Vaihingen an der Enz in Baden-Württemberg. Am 27.08.1979 starb sie dort ganz ruhig im Schlaf mit 90 Jahren. So hatte sie sich das immer gewünscht. Sie hatte sich in Landin sehr wohl gefühlt. Durch ihre Herzlichkeit hatte sie bald enge Freundschaftsbande zu Ida Schill geknüpft. Zwölf aufregende Jahre durfte sie dort mit ihrem Mann Johann leben und einen Neuanfang nach dem furchtbaren Krieg wagen. Das war schön und für Dorothea Wiedmaier war es ein neues Glück in ihrem arbeitsreichen Leben.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2022
Anhang
Rezept: Knöpfle mit Kartoffelschnitz
Knöpfle und Kartoffelschnitz
(von Dorothea Wiedmaier aus Landin)
Zutaten
500g Mehl
¼ l Wasser
1 Ei
1 Prise Salz
750g Kartoffeln
1 Zwiebel
1 Möhre
1 Lorbeerblatt
3 Pfefferkörner
Weißbrotwürfel
Butter zum Abschmelzen
Zubereitung
Aus Mehl, Wasser, Ei und Salz wird ein geschmeidiger Teig hergestellt. Dieser muss an einem warmen Ort ca. 30 Minuten ruhen. Danach den Teig etwas bemehlen, mit einer Kuchenrolle etwa 1,2 cm auswalzen und in ca. 3-4 cm breite Streifen schneiden. Die Streifen erneut bemehlen und vorsichtig übereinanderlegen. Die übereinander geschichteten Streifen werden nun quer zu 1cm breiten Nudeln geschnitten und auseinandergepflückt. Etwas Mehl über die Knöpfle streuen, damit sie nicht zusammenkleben. Kartoffeln und Möhre schälen, in Schnitze schneiden und in einem größeren Topf mit reichlich Salzwasser und den Gewürzen zum Kochen bringen. Nach etwa 10 Minuten die Knöpfle zu den Kartoffeln ins Wasser geben. Die Knöpfle hochkommen lassen und mit den Kartoffeln auf kleiner Flamme fertigkochen, über einem Sieb abschütten und in einer Schüssel anrichten. Die Weißbrotwürfel in reichlich zerlassener Butter rösten und über Knöpfle und Kartoffelschnitz geben. Dazu werden saure Gurken und Buttermilch gereicht
Ich danke Renate Scholz und Romy Reschke für die Fotos, die Geschichten und das Rezept.
Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2022
61. Der Wadenbeuißer von Landin 01.03.2022
Ferdinand Rabe war ein Bauer von Landin, der als vermögend galt. Sein schöner Hof lag 1885 im Zentrum des Dorfes. Er hatte sieben Söhne. Als die Söhne herangewachsen waren, rief der Vater sie zu sich und präsentierte ihnen ein Bündel mit sieben Holzstöcken, die er fest verschnürt hatte. Er forderte seine erwachsenen Söhne auf, das Bündel zu durchbrechen. Keiner schaffte es. Da sagte der Vater: „Es ist ganz einfach.“ Er schnürte das Bündel auf und zerbrach jeden Stab einzeln. „Wenn ihr zusammenhaltet, seid ihr stark,“ so sagte der Vater. Aber die Hoffnung des Vaters, dass alle Kinder in Landin bleiben sollten, ging nicht auf. Bis auf den ältesten Sohn, der den Hof erbte, heirateten alle Frauen aus anderen Dörfern und zogen fort.
Ferdinand Rabes Frau Else war vorgealtert und wankte unsicher hin und her. Wenn sie mit dem Fahrrad durch das Dorf fuhr, rief sie schon von weitem: “Platz! Platz!“ Sie war sehr dünn und immer in schwarz gekleidet und die Menschen riefen: „Jetzt kommt Gevatter Tod,“ wenn sie durch das Dorf radelte.
Ferdinand Rabe war ein ängstlicher und vorsichtiger Mann und hatte einen scharfen Hund angeschafft, der die Menschen schon im halben Dorf gebissen hatte. Es kam ja kaum ein Dieb nach Landin, aber der Reichtum, den Ferdinand Rabe angesammelt hatte, machte ihn misstrauisch gegen alle anderen. Ferdinand Rabe lobte seinen Hund, wenn er jemand gebissen hatte und freute sich sehr darüber, dass er einen so wachsamen Hausgenossen bei sich hatte. Wenn er von seinem Hund Arko sprach, leuchteten seine Augen. Als der Postbote eines Tages einen Brief zu überbringen hatte, kam Arko mit fletschenden Zähnen angerannt und wollte ihn beißen, aber der Königliche Postbote Otto Seiffert war kein Mensch, der sich schnell in die Flucht schlagen ließ. Er ergriff eine Forke, die auf dem Hof stand und versuchte den Hund damit abzuwehren. Aber Arko war ein mutiges Tier und ließ sich durch die Forke nicht einschüchtern. Er lief um den Königlichen Postboten herum und versuchte immer wieder, ihn zu beißen. Da stach Otto Seiffert so fest zu, wie er konnte und tötete den Hund.
Ferdinand Rabe war erbost und sehr aufgebracht. Er zeigte den Postboten an und verlangte Schadenersatz. Der treue Wächter seines Hauses stellte für ihn einen hohen Wert dar. Er verlangte für den Hund 50,00 Goldmark (891,00 €) vom Postboten Otto Seiffert. Der Postbote weigerte sich, die Summe zu bezahlen und so landete der Fall vor dem Königlichen Amtsgericht in Rathenow, wo Postbote und Bauer nun gehört wurden. Den Vorsitz beim Amtsgericht führte der Richter Wedigo von Amselbach und war von der Darstellung des Bauern Ferdinand Rabe sehr angetan. Ein wachsamer Hofhund war auch für ihn eine Sache von unschätzbarem Wert. Der Königliche Amtsrichter war mit Hunden aufgewachsen und wollte gern dem Bauern helfen. So fragte er den Postboten: “Warum haben Sie denn den Hund nicht mit dem Forkenstiel abgewehrt? Das wäre doch ausreichend gewesen.“ „Ja,“ sagte Otto Seifert, „Herr Amtsrichter, ich hätte das schon mit dem Forkenstiel getan, wenn der Hund mich mit dem Schwanz angegriffen hätte, aber die Bestie benutzte ihre Zähne.“ Wedigo von Amselbach schmunzelte über diese Antwort und erkannte für Recht, dass der Postbote keinen Schadenersatz zu zahlen hätte, weil Leib und Leben akut bedroht worden seien.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.03.2022
62. Das Osterfest in Landin 01.04.2022
Das Osterfest in Landin war immer für die Menschen etwas Besonderes. Das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf erfreute alle und man konnte sich doch wieder mehr draußen aufhalten. Die Kälte, der Nebel und der winterliche Regen war vorbei. Die Bauern beackerten ihren Felder und die Kühe kamen auf die Weide. Um 1930 floss auch noch das Wasser eilig durch den Buchtgraben zum Havelländischen Hauptkanal. Die Mädchen gingen dann mit einem Wasserkrug zum Buchtgraben und holten vor Sonnenaufgang etwas Wasser. Sie durften dabei mit niemanden sprechen. Wenn sie sich damit wuschen, sollten sie noch schöner werden. Wenn sie nur ein Wort bei diesem Gang sprachen war der Zauber verwirkt. Bei der Familie von Bredow im Schloss war Ostern ein Fest, bei dem sich die ganze Familie traf und natürlich waren auch regelmäßig Verwandte zu Gast, die von den Bredows eingeladen wurden. Auf die Küchen-Mamsell und ihren Beiköchinnen kam da viel Arbeit zu, aber sie liebte das Osterfest, denn es wurde die Festtafel gedeckt, das Silberbesteck mit dem Monogramm der von Bredows geputzt und es gab ein besonderes Menu. In jeder ordentlichen preußischen Adelsfamilie wurde das Zwiebelmusterporzellan aus Meißen benutzt. Es gab große Suppenterrinen, Suppenteller, flache Teller und Frühstücksteller und Schüsseln in jeder Größe bis zu den Kompottschälchen.
Das Porzellan fand ziemlich spät Zugang zu den Palästen der Könige und des Adels. Man speiste bei Hofe von Gold- und Silbertellern, wie wir das aus dem Märchen von Dornröschen kennen, wo der König einen goldenen Teller zu wenig hatte und die eine Fee deshalb nicht einladen konnte. Den Einzug machte das Porzellan an den Fürstenhöfen in Europa mit dem Nachtisch, der auf Porzellantellern serviert wurde und durch diese Hintertür eroberte es nach und nach die ganze Festtafel. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. hatte eine riesige Festtafel, wo alle Speisen aufgetragen standen. Es gab zum Beispiel acht verschiedene Suppen, die auf der Tafel standen. Man aß von allen Dingen, auf die man Appetit hatte und die Diener taten den Mitgliedern der königlichen Familie und ihren Gästen auf, was sie verlangten. Der Gesandte des russischen Zaren in Paris lud natürlich auch zum Essen ein, und da gab es plötzlich eine Suppe als Vorspeise, danach eine Pastete, es folgte ein Fischgericht und so gab es bis zu 20 Gängen, die bei einer Gala in kleinen Schalen oder auf Tellern nacheinander aufgetragen wurde. Das war für den Adel in Frankreich völlig neu und man winkte verächtlich ab und nannte es „Menu à la russe.“ Aber dieses „Menu à la russe“ setzte sich doch im Laufe der Jahre durch und heute gibt es fast bei allen Staatsempfängen und Festessen ein „Menu à la russe.“
Der König von Preußen, Friederich II. wollte selbstverständlich eine eigene Porzellanmanufaktur haben und so erteilte er 1751 den Auftrag an den Kaufmann und Wollfabrikanten Wilhelm Caspar Wegely die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) zu errichten und 1763 wurde dort das erste Porzellan hergestellt. Jede adlige Familie in Preußen wurde vom König gezwungen, ein Service pro Jahr dort in Auftrag zu geben. So fand sich natürlich auch KPM-Porzellan auf den Tafeln der Bredows im Havelland. In Landin gab es neben allerlei Ostergebäck und den bunten Eiern ein immer gleiches Menu, das nach dem Gottesdienst in der Dorfkirche Landin im Speisesaal des Schlosses serviert wurde. Zum Beginn gab es eine Kartoffelsuppe, die die Küchen-Mamsell mit kleinen knusprig gebratenen Speckscheiben und gerösteten Zwiebeln und in der Mitte ein pochiertes Ei servieren ließ. Dann folgte ein Kressesalat. Die Mamsell säte die Kresse in großen Schalen rechtzeitig aus und stellte sie auf die Fensterbänke der Küche und freute sich, dass zum Heiligen Osterfest alles geerntet werden konnte. Dann folgte das Hauptgericht mit gebratenem Lamm und Kartoffelsalat. Diesen Kartoffelsalat gab es nur zu Ostern einmal im Jahr. Sie kochte die Kartoffeln und schnitt sie in kleine viereckige Würfel. Sie machte auch eine gekochte und in Würfel geschnittene Sellerieknolle sowie kleine gekochte Möhrensplitter an den Kartoffelsalat. Die Möhren gaben dem Kartoffelsalat etwas Buntes. Aber das Geheimrezept war die Mayonnaise, die sie selbst aus Eiern, Essig, Öl, Salz, Pfeffer und Zucker herstellte. Zu Ostern gab sie etwas Safran dazu, was den Geschmack sehr verfeinerte und den ganzen Salat gelb einfärbte. Als Beilage hatte die Köchin aus dem eigenen Sauerkraut ein feines Weinsauerkraut gekocht, das sie mit dem Saft von roter Beete wenig einfärbte. Aus der Fleischbrühe vom Lamm machte sie eine Rotweinsoße mit Butter, Zwiebeln, Honig und Rosmarin. Als Nachtisch wurde Rote Grütze mit Vanillesoße gereicht, die sie in großen Schüsseln aus dem eingeweckten Beeren und Kirschen kochte und Milch war ja sowieso immer da. Der Hausherr rückte auch zum Osterfest seine besten Rotweine heraus. Alle Bewohner im Schloss freuten sich schon auf diese traditionelle Mahlzeit und lobten die Küchen-Mamsell jedes Jahr aufs Neue. Den Safran hielt sie streng unter Verschluss. Er war die teuerste Zutat zu den Speisen, die sie bereitete. Nach dem Essen wurde ein Mokka getrunken und die Kinder machten sich zum Eiertrudeln auf zum Teufelsberg. Wer wollte, konnte auch einen Ausritt über durch die Wälder und Waldwege wagen. Die Stallburschen standen am Ostersonntag bereit für die Gastgeber und ihre Besucher. Am Ostermontag hatten sie nach dem Mittagessen frei. Die Alten machten auch ein Mittagsschläfchen, aber zum Tee um 17:00 Uhr fanden sich alle wieder ein und probierten den Kuchen, den Mamsell zum Osterfest gebacken hatte. Dann wurden Spiele gemacht und auch Karten gespielt bis das Fest mit einem Abendessen ausklang.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.04.2022
63. Die Pusteblume 01.05.2022
Carmen von Waldow und Wilhelm Brunow
Paul Brunow und Elisabeth Brunow aus Landin hatten zwei Söhne, Arnold und Ernst Wilhelm. Arnold war Kutscher geworden, denn er hatte ein Händchen für Pferde. Er ging als junger Mann nach Berlin und führte die Pferde der Pferdebahn. Als die Pferde nach und nach durch Elektrostraßenbahnen ersetzt wurden, war es ihm ein Leichtes als Straßenbahnfahrer zu arbeiten. Auch die Straßenbahnen wollten einfühlsam durch den Großstadtverkehr gesteuert werden. Wilhelm hatte sich dem Militär verschrieben und schlug eine Offizierslaufbahn bei der Kaiserlichen Armee ein.
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Auf einem Offiziersball in Bromberg lernte er Carmen von Waldow kennen. Beiden war sofort klar, dass sie die Liebe fürs Leben gefunden hatten. Carmen Betty Luise Emilie von Waldow war am 23.08.1890 in Jagenow, Bezirk Bellgard in Hinterpommern, geboren worden. Ihre Eltern Hermann Ernst Emil von Waldow (*13.10.1858 in Steinberg - † 02.08.1945 in Deutsch Krone) und Betty Maria Ferdinande von Waldow, geborene Lange, bewirtschfteten viele Gutshöfe unter anderem auch in Szczepankow. Der Stammsitz war aber in Deutsch Krone in der preußischen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. Carmen von Waldow war weit und breit die schönste Frau und Wilhelm Brunow war ein schneidiger Offizier, der die Augen aller jungen Mädchen auf sich zog, wo immer er erschien. So wurde nach einer kurzen Verlobungszeit der Hochzeitstermin für Carmen von Waldow und Wilhelm Brunow für Freitag den 07.08.1908 im Herrenhaus Szczepankow, Kreis Sampter, in der preußischen Provinz Posen festgelegt.
Hochzeit im Herrenhaus Szczepankow 1908
Carmen hatte noch zwei jüngere Brüder Claus Ferdinand Paul Hermann und Ulrich von Waldow. Die Flitterwochen verlebten sie beide auf dem Gut und machten täglich Ausritte in die waldreiche Umgebung. Sie waren verliebt und sahen die Zukunft rosig.
Carmen war glücklich. Ihr Schwager, Arnold Brunow und seine Frau Anna besuchten die Familie von Waldow oft in Szczepankow und es waren überaus harmonische Tage, die alle dort verlebten. Hertha Brunow und ihre Mutter Anna Brunow schwärmten ihr ganz Leben lang von dem Glanz, den der Besuch im Gutshaus der von Waldows auf sie gemacht hatte.Tante Carmen hatte einen bleibenden Eindruck auf ihre Nichte Hertha Brunow gemacht.
Wilhelm versah seinen Dienst in der Kaserne und es gab genug Arbeit im Gutsbetrieb der von Waldows, sodass kaum Freiraum für andere Aufgaben bestand. Es waren die schönsten Jahre im Leben des jungen Paares.
Ende 1914 musste Wilhelm Brunow als Offizier nach Kamerun gehen. Er bat seine Frau mit ihm zu kommen, aber Carmen sagte: „Ich bin dafür nicht geeignet.“ Carmen versuchte ihren Mann noch umzustimmen und versprach ihre Kontakte im Kaiserlichen Kriegsministerium zu nutzen, um eine Entsendung nach Kamerun zu verhindern. Aber ihr Mann war mit Leib und Seele Offizier. Er wollte sich darauf nicht einlassen. Seine Frau schrieb ihm nach Kamerun lange Briefe und bat ihn immer wieder zurückzukommen, aber Wilhelm blieb in Kamerun. Carmen hielt guten Kontakt zu ihrem Schwager Arnold und seiner Frau Anna in Berlin und zu den Schwiegereltern in Landin.
Carmen und Wilhelm auf einem Ausflug
Sie wollte nicht immer nur auf ihren Mann warten müssen. Als sie sich in einen andere Mann verliebte, reichte sie die Scheidung ein. Wilhelm Brunow hatte die Scheidung nach langem Hin und Her akzeptiert und heiratete ein paar Jahren später eine junge Frau aus Berlin, Margarethe Brunow, die er schon lange kannte, denn es war die Freundin seiner Nichte Hertha Brunow. 1916 kehrte er gesund aus Kamerun für immer zurück. Margarethe war verzaubert von ihrem Mann und sie fand später, das es die besten Jahre ihres Lebens waren. Margarethe und Wilhelm Brunow blieben in Berlin. Wilhelm arbeitete im Kriegsministerium, obwohl er immer Sehnsucht nach Afrika hatte. Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, war Wilhelm Brunow zunächst auf allen Kriegsschauplätzen in Europa, ging aber 1941 mit dem Großverband der deutschen Wehrmacht nach Ägypten. Dort verliert sich seine Spur. Margarethe Brunow hörte nie wieder von ihm. Er galt als verschollen.
Claus von Waldow 1917
Carmen von Waldow trauerte der Liebe ihres Lebens nicht lange nach. Sie war eine lebenlustige Frau, die immer Modellschuhe der Größe 34 des Schuhhauses „Leiser“ mit sehr hohen Absätzen trug. Sie heiratete Günther Wendt, der einen Bauernhof in Klosterdorf bei Strausberg in der Nähe von Berlin hatte und ein leidenschaftlicher Nazi und Hitlerverehrer war. Er fiel im Zweiten Weltkrieg. Carmen Wendt war ebenso fanatisch dem Naziregime zugetan und verkehrte in hohen Kreisen des Militärs. Sie brillierte bei vielen Festen als vollendete Gastgeberin und war in jeder Gesellschaft der Mittelpunkt mit ihrer Eleganz und ihrem Charme. Die von Waldows hatte sich von ihr entfernt, weil man das Nazi-Regime nicht mochte. Nach 1945 lebte sie allein in Berlin. Die Kontakte, die durch den Fanatismus für die Nazis zur Familie von Waldow erkaltet waren, belebte sie wieder. Carmen Wendt hatte aber eine bequeme Art gefunden, durch das Leben zu kommen. Sie reiste von einem Gut zum anderen, wo sie die Verwandten bat, die Kosten der Fahrkarte für die Weiterreise zu den nächsten Verwandten zu übernehmen. Sie hatte ein angenehmens Wesen und alle erinnerten sich gern an Tante Mau, wie sie die Familie nannte. Ansonsten hatte sie nur Umgang mit Generälen und Militärs in gehobenen Grad und bekam sogar 1954 beim ersten Staatsbesuch eines ausländischen Oberhauptes in der Bundesrepublik Deutschland von Kaiser Haile Selassie eine Einladung nach Adis Abeba und wohnte mehrere Wochen im Kaiserpalst in Äthopien.
Äthopischer Kaiser Haile Selassie
(*23.07.1892 – † 27.08.1975)
Sie hatte in jungen Jahren einen Reitunfall gehabt und wurde mehrere Meter weit von ihrem Pferd auf dem Boden entlang geschleift, wobei die gesamte Kopfhaut verletzt wurde. Nach dem Reitunfall hatte sie nur noch sehr spährlichen Haarwuchs auf ihrem Kopf, sodass sie die Familie die „Pusteblume“ nannte. Sie hat nie gearbeitet, wie es damals auch üblich war. Ihr Bruder, Claus Ferdinand Paul Hermann von Waldow, war schon 1917 einer der ersten Piloten im Deutschen Reich und besuchte sie auch manchmal. Der älteste Sohn von Claus von Waldow, Hermann von Waldow hatte Ingrid Wolff geheiratet und lebte mit seiner Frau auf Fehmarn. Die Eltern der Ingrid Wolff waren vermögend und hatten einen kleinen Zeitungsverlag auf Fehmarn. Der Vater von Ingrid, Hans Wolff, war nach dem Zweiten Weltkrieg der Verleger des „Fehmarnschen Tagesblattes.“ Dort bei ihrem Neffen Hermann von Waldow fand sie Unterschlupf auf Burg und wohnte in einem kleinen Zimmer. Auf Fehmarn fühlte sie sich wohl. Dort empfing sie auch ihre Nichte Hertha Brunow aus Landin, denn die Bande nach Landin waren ja nie abgerissen. Sie korrespondierte mit ihren zahlreichen Verwandten und Freunden und empfing Besucher, solange es ihr gesundheitlich möglich war.
Carmen Wendt 1959 auf Fehmarn
von links: Nichte Gudrun, Cousine Frieda Apitsch, geborenen von Waldow, Carmen Wendt, Irmgard von Waldow
Sie wollte aber nicht immer allein sein und ging in eine Seniorenresidenz auf Fehmarn. Dort klagte sie sehr darüber, dass sie nur von alten Menschen umgeben war. Nach einem Sturz, bei dem sie sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzog, wurde sie bettlägerig und starb am 16.03.1987 mit über 96 Jahren an einer Lungenentzündung. Sie war alt, aber noch nicht lebensmüde. Ihr Lebensmotto war: „Denk an die guten Jahre deines Lebens“. Und dieses Motto trug sich durch alle Widrigkeiten bis zu ihrem Tode. Sie war eine Lebenskünstlerin.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2022
Ich danke Dietlinde von Waldow für ihre Unterstützung.
64. Klau-Krüger 01.06.2022
Wolfgang Krüger
Am Dorfeingang stand ein altes Häuschen, in dem wohnte eine Familie mit drei Kindern. Der Vater Wolfgang Krüger war Waldarbeiter und arbeitete im Staatlichen Forstbetrieb nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hatte eine muskulöse Figur, denn die schwere Waldarbeit trainierte den ganzen Körper und beanspruchte alle Muskeln. Er duftete immer nach grünem Wald und Sägespäne.
Kiefernholzstapel
Wenn er in der Kneipe in Landin saß, zeigte er stolz seinen Bizeps und wollte immer mit den anderen Männern Wetthakeln machen, um ein Bier oder einen Schnaps zu gewinnen. Seine Frau Grethelotte war zierlich, aber sie ließ sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Es war schwer die drei Kinder Gertrude, Sonja und Klaus in diesen Jahren zu ernähren. Das Essen war Mangelware bei der armen Waldarbeiterfamilie und so wurde der Vater doch mehrmals beobachtet, wie er bei den Bauern Eier aus dem Hühnerstall stahl. Auch das Holz, dass er reichlich aus dem Wald anfahren ließ, war wohl nicht nur der Anteil, den er sowieso bekommen hätte, sondern etwas mehr. Mancher der Kiefernstämme aus den großen Holzstapeln im Wald landete auf wundersame Weise auf den Hof von Wolfgang Krüger. Im Dorf nannten ihn daher alle Klau-Krüger. Im Juni 1951, als das ganze Dorf beim Heuen war, soll er sich in den Kaninchenstall der Familie Bauer geschlichen haben und drei Kaninchen gestohlen haben. Als die Familie Bauer abends nach Hause kam, fehlten im Kaninchenstall drei Tiere. Man konnte dem Klau-Krüger nichts nachweisen, aber die Kinder von Klau-Krüger erzählten von einem Hasenbraten, den die Mutter gemacht hatte. Die fleischhungrigen Kinder bekamen selten ein gut gebratenes Stück auf den Teller und das war etwas Besonderes. Der Vater hätte im Wald einen Hasen in der Schlinge gefangen, so erzählten die Kinder. Das war natürlich auch verboten, aber doch am Rande der Legalität. So kam die Geschichte vom Hasenbraten der Krügers auch zur Familie Bauer, die den Braten sofort roch, aber nachweisen konnten man dem Klau-Krüger nichts. Er war außerordentlich vorsichtig. Für die Kinder schlich er sich nachts auf die Kuhweiden und molk heimlich die Kühe, damit man etwas Milch im Hause hatte. Erwischt wurde er dabei nie. Als seine vorgealterte Frau nicht mehr so attraktiv für ihn war, suchte er eine Freundin im Dorf und fand in Juliane Richter eine ideale Partnerin. Juliane Richter hatte einen sehr alten Mann geheiratet und arbeitete mit Klau-Krüger im Wald. Offiziell zeigte Klau-Krüger ihr immer die guten Stellen, wo recht viele Steinpilze und Pfifferlinge wuchsen, denn die kannte er natürlich auch.
Steinpilze
Das ging so lange wie es ging, bis beide das Interesse aneinander verloren. In den Familien blieb diese Liebschaft verborgen, so dachten jedenfalls beide Beteiligten. Aber nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonnen. Natürlich hatte der Förster das Pärchen auf einer Lichtung einmal beobachtet. Aber er war nicht der Mann, der auf Klatsch und Tratsch aus war. Die Kinder waren inzwischen alle aus dem Haus und hatten eigene Familien gegründet. Gertrude hatte einen Mann aus Baden-Württemberg geheiratet und kam mit einem Audi aus dem Westen mit ihrer Familie im Sommer immer nach Landin, was für große Aufregung bei der SED und Regierung sorgte, denn dann stand ein Westauto ein paar Wochen vor dem Haus. Seine Frau Grethelotte wurde so gebrechlich, dass sie im Rollstuhl sitzen musste und er schrumpelte so langsam vor sich hin, bis er an einem Schlaganfall starb.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.06.2022
65. Jens Bauer kauft ein Haus in Landin 01.07.2022
Jens Bauer
Jens Bauer ist am 27.12.1966 in Rathenow geboren worden. Sein Vater, Bernd Bauer war Traktorist auf der LPG und seine Mutter Irmgard Käthe Bauer, geborene Lott, arbeitete als Verkäuferin im Dorfkonsum Kriele. Jens Bauer besuchte die Dorfschule im Schloss Kriele von 1972-1975 und kam dann an die Polytechnische Oberschule „Theodor Fontane“ im Schloss Stechow, wo er die 10. Klasse absolvierte.
Schulfreunde 1980
von links: Kay Schmidt, Guido Krakau, Jens Lerch und Jens Bauer
Jens Bauer 1971
als Indianer im Kindergarten
Anke Babucke hatte Forstfachwirt gelernt und arbeitete zurzeit im Finanzamt Nauen. 1991 kaufte Jens Bauer ein Grundstück mit einem Haus von der Gemeinde Landin in der Parkstr. 2. Karl Muts und seine Frau hatte 1950 das Haus auf dem ehemaligen Schlossgartengelände von Landin erbaut. Die Muts waren Flüchtlinge und hatten ihren einzigen Sohn im Krieg verloren.
Kleines Haus Familie Muts Der Um-und Neubau beginnt
Jens Bauer und seine Helfer feierten das Richtfest
Des Hauses Segen – Frömmigkeit!
Des Hauses Glück – Zufriedenheit!
Des Hauses Reichtum – Täigkeit!
Haus Parkstraße 2
Jens Bauer mit Tochter Liane
Anke Babucke mit Tochter Liane
vor dem Haus ihrer Eltern in Landin
Jens Bauer hat mit dem Haus und dem Garten in seiner Freizeit genug zu tun. Das Grundstück befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Schlossgartens von Landin und ist sehr groß. Rasen mähen, Holz sägen und alles in Ordnung halten erfordert doch seine Zeit. Er ist ein Handwerker und hat geschickte Hände. Vieles baut er am Haus selbst und wenn man ein Grundstück hat, ist immer etwas zu tun.
Spinat im Garten hinter dem Haus
66. Josepha muss heiraten 01.08.2022
Josepha Durchdenwald mit ihren Adoptivkindern
Josepha Durchdenwald und ihr Mann Franz lebten in einem Haus in Landin. Franz Durchdenwald betrieb eine kleine Landwirtschaft mit Kühen, Schafen, Schweinen und Hühnern und Josepha arbeitete gern in ihrem großen Garten hinter dem Haus, wo sie ganz viele Obstbäume gepflanzt hatte. Sie verkaufte Äpfel, Birnen und Pflaumen an die Rathenower und baute ihren festen Kundenkreis immer weiter aus. 1945 wurde ihnen ein Ehepaar mit zwei Kindern einquartiert, das die Russen aus ihrer schönen Villa in Rathenow rausgeschmissen hatten. Der Vater, Otto Köhne, verkaufte von 1927 – 1936 für eine Rathenower Firma Brillen und andere optische Geräte in Peking und die beiden Kinder Peter und Luise waren auch in Peking zur Welt gekommen. Der optische Betrieb in Rathenow ging aber pleite und so kehrte Otto Köhne mit seiner Frau Ottilie nach Rathenow zurück und arbeitete für eine andere optische Firma.
Die Kinder Peter und Luise wurden in Rathenow 1939 eingeschult, sprachen aber fließend chinesisch, weil sie in Peking eine chinesische Kinderfrau hatten. Als sie in Landin bei Franz Durchdenwald untergekommen waren, lebten sie doch in recht ärmlichen Verhältnissen. Otto Köhne, seine Frau Ottilie und die beide Kinder erkrankten 1949 an Typhus. Trotz aller ärztlicher Kunst starben die Eltern und Josepha adoptierte kurzerhand beide Kinder, weil Franz und Josepha Durchdenwald keine eigenen Kinder bekommen konnten. Peter war sehr geschickt und hoch intelligent und half dem Vater in der Landwirtschaft, während Luise mit Josepha das Haus und die Obststreuwiese in Ordnung hielten. Peter machte an der Erweiterten Oberschule in Rathenow sein Abitur und studierte nach der Schule Jura an der Humboldt-Universität in Berlin. Peter Durchdenwald wurde später Richter am Bezirksgericht in Potsdam. Er hatte in Potsdam eine wunderschöne Frau gefunden und Potsdam war nun der Mittelpunkt seines Lebens geworden. Nach Landin kam er eher selten. Seine Mutter Josepha und ihr Mann Franz führten die kleine Wirtschaft solange es ihre Kräfte erlaubten. Als sie im Rentenalter waren, wurde der Hof von der LPG (Landwirtschftlichen Produktionsgenossenschaft) bearbeitet. Nur die Obststreuwiese hinter dem Haus behielt Josepha, solange sie konnte, unter ihrer Obhut. Sie reisten mehrmals im Jahr in den Westen, denn Josepha hatte sieben jüngere Geschwister, die in Baden-Württemberg lebten. Das umständliche Antragsverfahren bei der Polizei in Rathenow störte sie nicht. Sie war an bürokratische Hürden gewohnt und so gab es neben den adoptierten Kindern viele schöne Erlebnisse in ihrem Leben. 1970 bekam Franz Durchdenwald einen Herzinfarkt und starb. Josepha und die Kinder betrauerten ihn lange, aber nach ein paar Jahren sagte Josepha sich: “ Ich will nicht den Rest meines Lebens allein sein. Ich gebe eine Kontaktanzeige auf. Vielleicht finde ich noch einen Menschen, der mit mir zusammenleben möchte.“ In der „Wochenpost“ gab sie also eine entsprechende Annonce auf und siehe da, es meldeten sich zehn Männer in passendem Alter. Josepha war eine gewissenhafte Frau und lud jeden Sonntag einen Mann zu sich zum Essen ein. Das reichte ihr, um einen Menschen in Augenschein zu nehmen. Nach dem Kennenlernessen kamen für sie zwei Männer in die engere Wahl, ein Professor aus Leipzig und ein Bauer aus der Altmark. Aber sie wusste nicht recht, was sie machen sollte und ging zu ihrer besten Freundin im Dorf Annemarie Mewes. „Annemarie,“ sagte sie zu ihr, „auf was würdest du mehr Wert legen Titel oder Herz?“
„Aber Josepha, was ist das für eine Frage, natürlich ist der Charakter eines Menschen wichtiger als der Titel.“
Josepha war zufrieden und ging fröhlich nach Hause und schrieb nun an den Bauern, wenn es ihm recht wäre, könnte er ja zur Probe bei ihr einziehen. Es war ihm recht und so wohnte Josepha mit Johann Gottfried Walther in Landin, Er hatte keine Verwandtschaft im Westen und reiste mit Josepha nun gern zu ihren Geschwistern. Die Verwandten in Baden-Württemberg waren schon sehr gespannt auf den neuen Partner von Josepha. Der Johann Walther war wirklich ein angenehmer Mensch. Er war natürlich nicht so für hohe Ansprüche gerüstet. Beim Mittagessen putzte er das Gemüse und schälte die Kartoffeln und Josepha machte das Fleisch und die Soßen und die feineren Sachen, aber sie verstanden sich prächtig. Nachdem die Westverwandtschaft ihn ausreichend beschaut und beschnuppert hatte, fanden ihn alle sehr nett und er wurde als Mitglied der Familie voll akzeptiert. Die Reisen nach Westdeutschland waren für Josepha und Johann immer auch Höhepunkte ihres Lebens, denn ihre Schwester hatte ihr auch eine Reise nach Mallorca geschenkt und so machten sie alle gemeinsam Urlaub am Mittelmeer und kamen ganz begeistert nach Landin zurück. Aber bei einer der nächsten Reise bekam sie von der Polizei in Rathenow in der Rosa-Luxemburg-Straße eine Reiseerlaubnis für sich, aber nicht für ihren Partner. Sie war eine energische Frau und wollte sich das nicht gefallen lassen. Sie verlangte, den Chef der Behörde zu sprechen und fragte ihn, warum man die Reise für Herrn Walther abgelehnt hätte? Der Major Heinz Rehag sagte ihr ganz ruhig und höflich. „Liebe Frau Durchdenwald, die Reiseregelung der DDR gelten ja nur für Verwandte. Wir haben jetzt gesehen, dass Herr Walther mit ihren Geschwistern im Westen gar nicht verwandt ist. Also darf er auch nicht ausreisen.“ „Das ist doch Quatsch, wir leben ja zusammen." „Ja, aber Sie sind doch nicht verheiratet oder?“ „Natürlich nicht,“ sagte Josepha und verließ wütend das Büro. Sie rief ihren Sohn Peter in Potsdam an und sagte zu ihm: “ Stell dir mal vor, die Polizei lässt Johann nicht in den Westen, weil er nicht mit meinen Geschwistern verwandt ist. Ist das nicht unerhört? Was soll ich bloß machen? „Ja,“ sagte Peter, „das ist juristisch richtig, er ist ja mit deinen Geschwistern wirklich nicht verwandt. Aber du kannst ihn ja heiraten, dann ist er auch mit deinen Geschwistern wieder verwandt.“ „Meinst du wirklich, in unserem Alter?“
„Was spielt das Alter für eine Rolle, heirate ihn und dann könnt ihr wieder zusammen vereisen.“ „Na, gut, wenn du das so siehst, gehe ich mit ihm zum Standesamt.“ Josepha Durchdenwald und Johann Walther erschienen beim Standesamt und Josepha sagte dem Standesbeamten: “Ich muss heiraten so schnell wie möglich.“ „Sie……, in Ihrem Alter,“ staunte der Standesbeamte und schaute sie verwundert an. „Ja, so etwas kommt auch bei alten Leuten vor,“ sagte Josepha und ließ sich auf keine weiteren Fragen ein. „Wenn es so eilig ist, hätte ich für morgen um 14:00 Uhr noch einen Termin frei, wenn sie können?“ „ Ja, wir können,“ sagte Josepha Durchdenwald und so wurde sie am nächsten Tag mit Herrn Johann Gottfried Walther getraut und konnte nun mit ihm in den Westen fahren, so viel sie wollte. Am Ende fanden sie die Geschichte auch spaßig und erzählten sie überall herum.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2022
67. Warten vor der Kirche 01.09.2022
Regina und Margot Krohne wuchsen ohne Mutter mit ihrem Vater Reinhold in Landin auf. Die Mutter Martha war nach der Entbindung der jüngsten Tochter wegen einer psychischen Störung in die Nervenklinik nach Brandenburg an der Havel gekommen, wo sie von den Nazis ermordet wurde. Der Vater bekam einen formlosen Brief, dass seine Frau leider an einer Lungenentzündung gestorben war. Er durfte keine Nachforschungen anstellen, aber da sich solche Briefe aus der Nervenklinik häuften, ahnte Reinhold Krohne schon, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Erst nach dem Ende des Krieges 1945 erfuhr er, dass seine Frau wie viele andere psychisch kranke Menschen brutal ermordet worden war. Regina und Margot wuchsen heran und wurden sehr schön. Mit ihren Schulfreundinnen fuhren sie oft mit dem Fahrrad zusammen durchs Dorf und auch nach Kriele oder nach Friesack. Als sie junge Frauen geworden waren, fanden sie auch bald ihren Partner fürs Leben. Regina hatte sich in den Elektriker Hannes Engelhardt verliebt und nachdem sie eine Zeit lang zusammen gegangen waren, beschlossen die beiden, doch zu heiraten und fuhren am Samstag, den 10.06.1961 zum Standesamt nach Nennhausen, wo um 10:00 Uhr die Heiratsurkunde überreicht wurde.
Regina und Hannes Engelhardt
Um 13:00 Uhr waren alle Freunde und Verwandten des jungen Paares zur Trauung in die Kirche nach Landin eingeladen worden. Man wollte Paar für Paar in einem Hochzeitszug vom Haus des Reinhold Krohne zur Kirche gehen.
Der Brautzug
Anschließend sollte die Hochzeit in Gasthaus Muchow gefeiert werden. Es war eine große Hochzeitsgesellschaft, die unter dem Geläut der Glocke zur Kirche schritt. Die Sonne schien so kräftig, dass das Brautpaar und die festlich gekleideten Gäste bald ins Schwitzen kamen. Es war herrliches Wetter. Aber das letzte Stück vor der Kirche stand ja die prächtige Lindenallee, die dem Brautpaar und ihren Gästen doch etwas Schutz vor den sengenden Sonnenstrahlen gab. Als Hannes Engelhardt und seine Frau vor der Kirchentür standen, kam der Küster heraus und sagte, „Der Pfarrer ist aber noch nicht da.“ Hertha Brunow war auch im Brautzug dabei und ging sofort zurück, denn sie hatte ja als eine der Wenigen im Dorf ein Telefon und rief den Pastor Karl Domsch an, der meinte, er hätte den Termin vergessen. In 20 Minuten sei er da. Als Hertha Brunow die traurige Nachricht überbrachte, fiel die Braut beinahe in Ohnmacht und sagte: “Das gibt es doch nicht!“ Ihr Mann tröstete sie aber und streichelte sie über die Wange und sagte: “Es sind ja nur noch zehn Minuten. Die halten wir schon durch.“ So stand der gesamte Brautzug 30 Minuten vor der Kirche und als Pastor Karl Domsch dann mit dem Fahrrad erschien und sich verlegen und mit vielen schönen Worten zu entschuldigen suchte, ging es in die Kirche und der Pfarrer verrichtete sein Werk. Die Braut wollte den Pfarrer bei der Feier nicht mehr sehen, ihr Mann beschwichtigte sie aber und sagte: „Das können wir nicht machen.“ Und so stimmte sie dann grollenden Herzens zu. Nach dem Segen ging der Brautzug zum Gasthof Muchow, wo eine Festtafel im Saal vorbereitet war und eine schöne Hochzeitsfeier stattfand, sodass Regina am Abend mit ihrem Schicksal wieder versöhnt war. Die Gäste hatten sich wohlgefühlt und viel gegessen und noch mehr getrunken. Ihr Mann hatte nach ihrem Geschmack wohl etwas zu viel getrunken, aber sie dachte, es ist unser Hochzeitstag. Das ist ja einmalig.
Hochzeitstafel im Gasthof Muchow
So ging es in die Flitterwochen, die das junge Paar als kleine Hochzeitsreise in den Spreewald führte. Regina war glücklich. Sie war verheiratet und hieß jetzt Regina Engelhardt und war stolz auf ihren neuen Namen.
Hochzeitsreise in den Spreewald
Ihr Mann fuhr jeden Tag zur Arbeit. Er war Elektriker bei der Deutschen Post und es gab Arbeit ohne Ende. Bald kam auch ihr Sohn Egbert zur Welt und sie lebten als glückliche Familie in Landin. Regina hatte mit ihrem Säugling zu tun und arbeitete auf der LPG. Manchmal kam Hannes etwas bierselig nach Hause und berichtete seiner Frau, die Kollegen hätten ihn noch auf ein Feierabendbier eingeladen. Diese Einladungen wurden immer häufiger und nach einiger Zeit kam Hannes Engelhardt fast jeden Tag angetrunken nach Hause. Regina redete mit ihm und er versprach, nicht mehr nach der Arbeit in die Kneipe zu gehen. Aber diese Phasen wurden immer kürzer und zum Schluss gab es nur noch Streit unter den Eheleuten. Regina warf ihm vor, er sei Alkoholiker und solle zum Arzt gehen und sich behandeln lassen. Hannes bestritt das und wurde richtig böse, wenn am Wochenende kein Bier zu Hause war. Regina war eine couragierte Frau. Sie stellte ihrem Mann ein Ultimatum und sagte zu ihm: „Entweder Du lässt dich behandeln oder ich trenne mich von Dir.“ Hannes versprach auch alles zu tun und bat seine Frau von einer Scheidung abzusehen. Er ging aber nicht zum Arzt und ließ seine nun auch für Regina erkennbare Krankheit nicht behandeln. Es half alles Zureden nichts. Schweren Herzens suchte sie die Rechtsanwältin Anita Graf in Rathenow auf, die die Scheidung auch ohne große Umstände durchsetzte. Hatte der Pfarrer Karl Domsch bei der Trauung schon eine Vorahnung vom Scheitern der Ehe gehabt? Der Chef der Deutschen Post hatte mit Hannes Engelhardt ebenfalls schon viele erfolglose Gespräche wegen seiner Trunksucht geführt. Hannes musste Angst um seine Arbeit haben, denn als Elektriker war es nicht ganz ungefährlich betrunken zu arbeiten. Regina zog aus der gemeinsamen Wohnung aus und wohnte zunächst bei ihrer Schwester Margot. Auf einer Geburtstagsfeier ihrer Schwester lernte sie Joachim Kurth kennen, den sie schon aus der Schule in Kriele kannte und verliebte sich in ihn. Es dauerte nicht lange und man ließ sich auf dem Standesamt in Nennhausen zusammenschreiben. Mit Joachim führte sie eine harmonische Ehe, denn er war ein ruhiger und fleißiger Mann, der seine Frau über alles liebte und ihr jeden Wunsch erfüllte, wenn es ihm möglich war. So wurden sie beide alt und sahen ihre Kinder und Enkelkinder heranwachsen. Regina hatte ihr Glück doch noch in Landin gefunden.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.09.2022
68. Eierlikör für den Kirchenrat 01.10.2022
Pfarrer Hans Braune (Medaillon)
links neben ihm Bischof Otto Dibelius
und daneben Superintendent des Kirchenkreises Rathenow
Johannes Reichmuth (*27.04.1898 - † 07.02.1977)
Der Baumamtsleiter im Konsistorium der Landeskirche Berlin-Brandenburg war von 1953 -1966 Kirchenbaurat Winfried Wendland (*17.03.1903 - † 17.10.1998). Er arbeitete als Architekt seit 1949 im Kirchlichen Bauamt und übernahm ab 1953 die Leitung. Er war ein gestrenger Herr, der alle Baumaßnahmen an Kirchen genehmigen musste und manchmal auch Geld dafür zusteuerte. In Landin war Pfarrer Hans Braune (* 14.04.1913) für die Kirche und die Gemeinde zuständig und sein Bruder war auch Pfarrer in Görne. Beide Brüder hielten engen Kontakt. Der Pfarrer Gerhard Adolph Theodor Braune (*27.06.1902) aus Görne war der Ältere und schon seit 1930 in Görne. Sein jüngerer Bruder schrieb ihm fast jeden Tag einen Brief und fragte ihn nach kirchlichen Dingen und wie er das handhabe? Es ging dabei aber auch um alltägliche Sachen, wie man zu einem Fahrzeug käme, denn es wurden immer mehrere Gemeinden betreut. Anfänglich konnten man nach dem Zweiten Weltkrieg ein Moped bekommen, das man selbst im thüringischen Suhl abholen musste. Wo bekam man dann dafür Ersatzteile her? Alles wurde zwischen den Brüdern über Briefe ausgetauscht. Pfarrer Hans Braune war seit 1950 Hilfsprediger in Kriele mit der Verwaltung Kotzen. Er ging 1960 nach Haage und 1970 nach Potsdam zur Heilig-Geist-Gemeinde. Aus dem Briefwechsel ging aber auch hervor, dass die Kirche in Landin kaputt war und im hohen Maße reparaturbedürftig. Durch die vielen Flüchtlinge in Landin gab es auch eine enorme Fluktuation unter den Gläubigen und dazu kam, dass die meisten Flüchtlinge katholisch waren. Es war aber in Landin keine Kerngemeinde, die die Baumaßnahmen mittragen konnten. Es kümmerte sich kaum jemand um die Renovierung der Kirche. Die beiden Brüder besprachen, dass das Fachwerk auf der Nord- und Ostseite ausgetauscht werden müsste.
Fachwerk der Landiner Dorfkirche (2022)
Auch die Gestaltung der Fenster wurde erörtert. Pfarrer Gerhard Braune aus Görne sah, dass in Landin an der Südseite Spitzbogenfenster waren, die nach seiner Meinung nicht dahin passten, weil die Kirche sonst ganz barock war. Er schlug vor, dass die Fenster rautenförmig gemacht werden sollten und genauso gestaltet werden, wie die viereckigen Fenster, die neben dem Altar.
Pfarrer Gerhard Braune aus Görne
Der Pfarrer Gerhard Braune aus Görne riet seinem Bruder, den Kirchenbaurat Winfried Wendland anzuschreiben, denn ohne Hilfe der Kirchenleitung wäre das nicht zu bewältigen. Der kam aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kirchenoberbaurat Curt Steinberg (*12.12.1880 - † 13.12.1960) nicht regelmäßig in die Gemeinden. Der Kirchenoberbaurat Curt Steinberg besuchte vor 1945 die Gemeinden vier bis fünfmal im Jahr.
Fensterfront der Landiner Dorfkirche (2022)
Der Pfarrer Hans Braune aus Landin schrieb am 17.11.1951 an den Kirchenbaurat Winfried Wendland.
Sehr geehrter Herr Architekt,
wollen Sie nicht am 28. und 29. November zu mir kommen? Sie schlafen im Kotzener Pfarrhaus in der großen Stube, in der Sie doch so trefflichen Eierlikör gebraut haben, sodass der Volkswagen danach wie ein Bienchen lief. Ein ordentliches Bett kann ich Ihnen reinstellen und Ihr Fahrer kommt bei der Gemeindeschwester in Kotzen unter. Es ist hier schon alles abgesprochen. Geben Sie mir doch bitte Nachricht, ob ich mit Ihrem Glanz in meiner bescheidenen Hütte rechnen darf? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie zu mir kämen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Pfarrer Hans Braune
Winfried Wendland kam und braute mit Pfarrer Hans Braune den Eierlikör mit viel Zucker, einer großen Menge Eigelb und echtem russischem Wodka. Aber offensichtlich ist Likör misslungen oder der Wodka war doch billiger Fusel.
Der missratene Eierlikör für den Kirchenbaurat Wendland
Es ging um die Form der Fenster in der Landiner Kirche und die Art der Verglasung. Der Pfarrer Hans Braune wollte die Fenster in Rautenform haben. Der Kirchenbaurat wollte dem Vorhaben in der Landiner Kirche nicht zustimmen. Er war als oberster Bauherr der Kirchenleitung in der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg für alle Baumaßnahmen zuständig. Aber ob es nun romanische, gotische oder barocke Kirchen waren, bei der Farbgebung durften nach Meinung des Kirchenrates Winfried Wendland nur drei Farben verwendet werden: Grau, Weiß oder Gold. Das trug ihm den Spitznamen: Grauweißgold ein.
Kirchenfenster Dorfkirche Landin (2022)
Stattdessen schrieben sich beide gegenseitig endlose Beschwerdebriefe. Der Eierlikör hatte seine Wirkung völlig verfehlt. Der Kirchenrat beschwerte sich beim Superintendenten des Kirchenkreises Rathenow, Georg Heimerdinger und später bei dem Superintendenten Johannes Reichmuth, über den Pfarrer Hans Braune und der Pfarrer Hans Braune beschwerte sich beim Bischof der Landeskirche, Otto Dibelius (*15.05.1880 – † 31.01.1967) über den Kirchenbaurat Winfried Wendland. Diese Streitigkeiten gingen fast sieben Jahre lang und der Kirchenrat Winfried Wendland lehnte alle Bauvorhaben des Pfarrers Hans Braune ab und brachte den Pfarrer bei jeder passender und unpassender Gelegenheit in Misskredit. Die Hoffnungen, die Pfarrer Hans Braune in den Kirchenbaurat Winfried Wendland gesetzt hatte, waren leider nicht erfüllt worden. Der Sinn Gottes Handeln ist für Menschen nicht erkennbar. So musste Pfarrer Hans Braune erkennen, dass trotz aller Anstrengungen eine Renovierung der Kirche damals nicht möglich war.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.10.2022
69. Der Bohnenkönig von Landin 01.11.2022
Ehe die Familie von Bredow nach Landin kam, gab es ein kleines Herrenhaus, das Jan von Lantyn gehörte. Er bewirtschafte das große Gut mit seiner Frau Dorothea. Sie hatten durch umfangreichen Landbesitz ein üppiges Auskommen und waren zufrieden. Dorothea von Lantyn hatte drei Söhne geboren Jakobus, Konrad und Ludger. Die drei Söhnen liebten sich so herzlich, dass sie auch als sie schon verheiratet waren, im Gutshaus wohnen blieben. Platz war genug für alle da und das Gut hatte Arbeit für die Großfamilie in Hülle und Fülle.
Natürlich hatte der Vater Jan bestimmt, dass sein ältester Sohn Jakobus alles erben sollte, aber der wollte nicht. Sei es nun, dass er seine jüngeren Brüder so sehr liebte, sei es, dass er sich als nicht geeignet ansah, das große Gut zu führen. Er bestand darauf, das Erbe nur mit seinen Brüdern gemeinsam zu verwalten.
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Jakobus Konrad Ludger
Die Mutter Dorothea hatte wohl manche Nacht durchweint, aber sie konnte ihren ältesten Sohn nicht umstimmen. Als der Vater starb, rief die Mutter einen Familienrat mit ihren Söhnen, Schwiegertöchtern und Enkeln zusammen und sagte: „Heute ist der 1. Advent, ein neues Kirchenjahr fängt an und wir wollen heute ein Fest feiern und ich will euch einen Vorschlag machen.“ Es wurde also aufgetafelt. Nach der Rote Beete-Suppe gab es Entenbraten mit Rotkraut und anderen Gemüsen und als Nachtisch hatte die Mutter eine große Schüssel einer süßen Mehlspeise gekocht, die reichlich Bienenhonig und in Wein eingelegte Kirschen enthielt. Eine kleine Schüssel davon hatte sie separat gestellt und sagte:“ Diese Schüssel ist nur für meine Söhne bestimmt.“ Die Söhne mussten sich kleine Portionen selbst abfüllen und vor der Familie aufessen. Als Konrad seine Speise kostete, fand er eine Bohne darin. Die Mutter nahm die Bohne vom Teller ihres Sohnes und erklärte, dass ihr in den schlaflosen Nächten eine Idee gekommen wäre. Wenn alle damit einverstanden wären, wollten sie jedes Jahr zum ersten Advent ein solches Fest feiern und wer in der Nachspeise von den drei Söhnen die Bohne fände, der sollte ein Jahr lang der „Bohnenkönig“ sein und das Gut verwalten und alle anderen sollten sich seinen Anordnungen fügen. „Da Jakobus ja das Erbe nicht antreten möchte und ihr drei mit euren Familien hier wohnen bleiben wollt, finde ich das eine gute Lösung.“
Die Söhne fanden den Vorschlag annehmbar und so wurde jedes Jahr ein neuer Bohnenkönig ernannt, der dann das Gut führen musste. Das ging, solange, bis auch alle drei Söhne gestorben waren und die Familien sich doch zerstreut hatten und nun trat die natürliche Erbfolge wieder in Kraft. Aber die Kinder und die Dorfbewohnen sprachen noch viele Jahre über die Herrschaft der Bohnenkönige von Landin.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.11.2022
70. Das Landiner Neunerlei 01.12.2022
1. Die Bratwurst sollte den Menschen Kraft und Herzlichkeit geben.
2. Das Sauerkraut sollte das Leben nicht zu sauer werden lassen.
3. Die zerlassene Butter bedeutete Gesundheit.
4. Bei den Reichen gab es eine Gans, ein Kaninchen (Kuhhase) oder Schweinebraten, damit man im neuen Jahr Glück habe.
5. Kartoffelklöße oder Karpfen oder Hering bedeutete immer einen vollen Geldbeutel.
6. Sellerie stand für Kindersegen und Frchtbarkeit.
7. Linsensuppe oder Graupen waren das Symbol, dass auch das Kleingeld nicht ausgehen würde.