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Biografie von Dr. Heinz-Walter Knackmuß

Heinz-Walter Franz Knackmuß ist am 05.11.1944 in Semlin, Ferchesarer Str. 12, im Westhavelland, geboren worden. Er wurde am 01.04.1945 von Pfarrer Ernst Detert in der Dorfkirche von Semlin getauft und  von Pfarrer Rolf Stubbe konfirmiert in der Dorfkirche Semlin konfirmiert. Sein Vater Otto Fritz Walter Knackmuß wurde am 03.02.1909  und sein Großvater Emil Otto Knackmuß wurde am 10.11.1888 auch in Semlin geboren. Seine Mutter Gertrud Elfriede Knackmuß (geborene Hirsch) wurde am 17.04.1918 in Penkendorf im Kreis Schweidnitz in Schlesien geboren und wuchs mit neun Geschwistern dort auf. Der Vater von Elfriede Hirsch, Karl Wilhelm Hirsch war 16.01.1874 in Guhlau, Kreis  Reichenbach,  in Schlesien geboren worden. Er war Schuhmacher in der fünf Kilometer von Penkendorf entfernt gelegenen Garnison in  der Kreisstadt Schweidnitz und sehr streng. Durch Vermittlung der Gräfin von Bredow aus Lochow, die aus Schlesien stammte, kam Elfriede Hirsch als Hausangestellte in das kleine Dorf Lochow bei Rathenow im Land Brandenburg. Dort verliebte sie sich in Walter Knackmuß aus Semlin und  heiratete ihn am 22.10.1939 in der Dorfkirche Semlin, nachdem zuvor im Standesamt Stechow die Trauung vollzogen worden war. Pfarrer Ernst Detert traute das junge Paar in der Dorfkirche Semlin. Es war ein schrecklich verregneter Tag, so dass der Vater vom Bräutigam, Otto Knackmuß, den ganzen Hof in der Ferchesarer Str. 12 in Semlin mit Brettern als kleine Laufstege durch die Pfützen gelegt hatte. Aber nach dem alten Spruch: "So viel Tropfen Regen, so viel Glück und Segen. So viel Eis und Schnee, soviel Leid und Weh`", war die Ehe glücklich. Am 26.04.1940 wurde dem Ehepaar eine Tochter geschenkt, die Annemarie Knackmuhs genannt wurde. In den Urkunden des Standesamtes stehen alle Namen mit h und s (Knackmuhs) und erst später erscheint die Schreibweise mit ß und ohne h. Der Urgroßvater Johann Christoph Knackmuhs (*20.04.1848 - † 05.11.1917) heiratete Sophie Caroline Schulze (*20.04.1857 - † 19.02.1922) und kaufte das Haus in Semlin. Sie hatten vier Kinder 1. Wilhelm (*19.11.1980 - † 27.08.1901); er hatte eine Herzkrankheit und starb schon mit 20 Jahren. 2. Luise (*09.04.1882 - † 11.04.1935), 3. Minna (*08.02.1886 - † 19.04.1962) und  4. Otto (*10.09.1888 -† 24.10.1964). Johann Christoph Knackmuhs kam einst aus Uchtdorf an der Uchte in der Altmark nach Semlin. In der Altmark, also um Stendal herum, ist der Name Knackmuß bis heute verbreitet. Heinz-Walter Franz Knackmuß wurde am 01.04.1945 in der Dorfkirche Semlin getauft. Die Mutter wollte, dass ihr Sohn Heinz heißen sollte, die Großmutter Agnes Knackmuß wollte dass ihr erster Enkelsohn nach dem Vater Walter heißen sollte. Die beiden Frauen konnten sich nicht einig werden, sodass der Vater vorschlug, einen Bindestrich zwischen den Vornamen zu setzen und so das Gedenken an den im Krieg gefallenen Bruder der Mutter Heinz Hirsch gewahrt war und Franz war nach dem im Krieg gefallenen Bruder des Vaters in die Vornamen eingefügt worden. Er besuchte die 1. - 4. Klasse der Dorfschule in Semlin und fuhr 1955-1956 mit Elfriede Engelmann jeden Tag mit dem Fahrrad nach Rathenow zur Friedrich-Engels-Schule, wo er die 5. Klasse absolvierte. In der Jahnstraße war der im Krieg zerstörte Flügel an der Schule gerade wiederaufgebaut worden und es gab so viele Kinder, dass in zwei Schichten unterrichtet werden musste. Eine Woche vormittags und eine Woche nachmittags. Im Winter war es schon dunkel und Elfriede Engelmann und ich warteten immer auf Marlies Kuhpfahl, die älter war und eine Stunde länger unterrichtet wurde. Wir fuhren dann nach dem Unterricht gemeinsam nach Semlin. Marlies Kuhphahl war sehr ängstlich und es ging ja auch an der Straße bei den Kasernen vorbei, die von Russen gesperrt war und mit zwei Schranken am Nordbahnhof und zur Semliner Straße jeden Verkehr kontrollierte. Kinder mit dem Fahrrad ließen die Russen natürlich ohne Kontrolle durch. Heinz-Walter besuchte den Christenlehreunterricht mit Fritz Reuter in der Dorfschule Semlin regelmäßig von 1952-1957. Auch die Kindergottesdienste, die nach dem 10:00 Uhr-Gottesdienst der Erwachsenen um 11:00 Uhr von Pfarrer Rolf Stubbe angeboten wurden, besuchte er gern. Da das Lehrerehepaar Edith und Klaus Harms, die die Dorfschule in Semlin leiteten in den Westen gingen, mussten alle Kinder aus Semlin mit einem Schulbus nach Rathenow in die Geschwister-Scholl-Schule, wo er die 6. Klasse (1956/1957) beim Klassenlehrer Schönberg durchlief. Die 7. (1957/1958) und 8. Klasse (1958/1959) fuhr der Semliner Schulbus zur Friedrich-Engels-Schule in die Jahnstraße nach Rathenow, wo die Klassenleiterin Margarethe Busse auch das für DDR-Verhältnisse neue Fach Englisch in einer 0. Stunde von 7-8:00 Uhr unterrichtete. In der Jahnstraße befanden sich in dem hufeisenförmigen Schulbau drei Schulen, an der Jahnstraße befand sich die Friedrich-Engels-Schule, im Nordtrakt war die Bruno-H.-Bürgel-Schule untergebracht und  im östlichen Teil die Erweiterte Oberschule Karl-Marx. Von 1959 - 1963 besuchte Heinz-Walter Knackmuß die Erweiterte Oberschule Karl Marx unter dem Klassenlehrer Eberhard Benndorf, der Deutsch und Englisch unterrichtete.

Während der Zeit an der Oberschule starb der Kirchendiener Weber. Heinz-Walter Knackmuß und sein Freund Rainer Jähnke übernahmen nun diese Aufgabe. Sie putzen die Kirche am Samstag, holten Blumen im Sommer aus dem Garten von Frau Winckelwski und schmückten den Altar und läuteten die Glocken zum Gottesdienst und traten den Balg für die Orgel. Da ich nicht an den FDJ-Veranstaltungen in Rathenow teilnehmen wollte, wurde ich Pionierleiter in Semlin und machte mit den Kindern Spielnachmittage auf dem Schulhof. Der Pfarrer Rolf Stubbe amüsierte sich immer wieder, dass ich Kirchendiener und Pionierleiter war. So blieb es bis 1963, wo die beiden Männer nach dem Abitur das Dorf verließen. Heinz-Walter Knackmuß arbeitete von 1963 -1964 zur Vorbereitung auf sein Humanmeizinstudium als Hilfspfleger im Bezirks-Krankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Braandenburg-Görden und war dort sechs Monate auf einer Kinderstation und sechs Monate in einer Suchtklinik tätig.

Nach dem Abitur, das er als einziger Schüler mit Auszeichnung, bestanden hatte, studierte er von 1964 -1970 Humanmedizin an der Humboldt-Universität zu Berlin (Charité). Nach der Approbation 1975 begann er die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in den Vereinigten Gesundheitseinrichtungen des Kreises Rathenow und wurde im ersten Jahr der fünf Jahre andauernden Facharztausbildung in das Landambulatorium Rhinow geschickt, wo er unter Anleitung von Dr. Günther Tanner die ersten praktischen Erfahrungen machte. Es gab damals überall Kopfläuse und der erfahrenen Facharzt für Allgemeinmedizin lehrte ihn den Merkspruch: Hinter den Ohren werden sie geboren und im Nacken gehen sie kacken. Nach dem ersten Jahr, wo er zum Schluss mehr Patienten betreute als der Leiter des Landambulatoriums, kam er zurück ins Paracelsuskrankenhaus Rathenow und absolvierte in einem Halbjahreszyklus die Chirurgie, die Innere Abteilung, die Gynäkologie und Geburtshilfe, die Augenstation, die Kinderstation, die Infektion sowie die ambulanten Abteilungen wie Hautarzt, HNO-Arzt, Tuberkulose und Mütterberatung, Kreisarzt und hospitierte beim Ausbildungsleiter für die Ärzte für Allgemeinmedizin Dr. Heinz Neumann in der Südambulanz in Rathenow. Dr. Heinz Neumann unterstützte ihn auch bei der Diplomarbeit. Am 01.10.1975 bestand er die Facharztprüfung für Allgemeinmedizin und erhielt die Staatliche Anerkennung als Facharzt für Allgemeinmedizin. Er übernahm kurzzeitig die Leitung des Landambulatoriums Milow, begann aber 1975 die Ausbildung zum Kreishygienarzt, da der Stelleninhaber Med.-Rat. Dr. Helmstedt in Rente ging und ein neuer Arzt die schwer zu vermittelnde Aufgabe wahrnehmen musste. Der Kreisarzt Dr. Rudolf Müller hatte schon fünf Fachärzte gefragt, ob sie nicht das Amt des Kreishygienearztes übernehmen wollten, aber alle hatten ihm einen Korb gegeben. Der Kreishygienearzt hatte die Aufgabe die Infektionskrankheiten zu bekämpfen, die Schutzimpfungen zu koordineiren, die Lebensmittelbetriebe zu kontrollieren und die Aufgaben der Kommunalhygiene wahrzunehmen. Er war der Leiter der Kreisseuchekommission und dem Kreisarzt disziplinarisch und dem Bezirkshygienearzt fachlich unterstellt.  Es war auch eine Aufgaben mit hohem Verwaltungsaufwand, was die meisten Ärzte abschreckte. Am 28.04.1980 verteidigte er seine Doktorarbeit "Die Durchsetzung kommunalhygienischer Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Gülleverwertung als Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung im Kreis Rathenow/Bezirk Potsdam" und erhielt vom Wissenschaftlichen Rat der Humboldt-Universität zu Berlin de akademischen Grad Dr. med. Berufsbegleitend absolvierte er eine Facharztausbildung zum Facharzt für Hygiene und erhielt nach der Facharztprüfung am 21.03.1983 die entsprechende Anerkennung. Am 03.07.1990 wurde  Dr. Heinz-Walter knackmuß zum Leiter des Gesundheitsamtes und Amtsarzt im Landkreis Rathenow ernannt. Nach der Fusion der Landkreise Rathenow und Nauen zum Landkreis Havelland mit der Kreisstadt Rathenow war er der erste Amtsarzt im Landkreis Havelland nach der Einheit Deutschlands im Jahr 1990. 2004 fand die erste Weihnachtsfeier nach der Fusion der beiden Landkreise in Rathenow in der Gastststätte ""Schwedendamm" statt.

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 Bis 2006 arbeitete er als Amtsarzt in Rathenow und war nach dem Aussscheiden aus dem Berufsleben intensiv damit beschäftigt die Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow zum Lobe Gottes wiederaufzubauen.Am 15.09.1996 gründete er mit meiner ersten Frau Helga Knackmuss, geborene Protz, einen Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. Seine Frau Helga starb 1996 an einem unheilbaren Krebsleiden. Seit 01.08.2003 ist er  mit Viola Knackmuss, geborene Kempf, verheiratet. Mit seiner Frau Viola hat er 2011 ein Buch über die Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow geschrieben, das unter der Tel-Nr.:+4933855200224 bestellt werden kann (14,00 € + Portokosten).

 

1957 hatte der damalige Superintendent Georg Heimerdinger des Kirchenkreises Rathenow eine kleine Broschüre über die Sankt-Marien-Andreas-Kirche herausgegeben. 54 Jahre später (2011) erschien nun erst dieses Standardwerk über die Kirche, das eine umfangreiche Darstellung des Wiederaufbaus erzählt, aber auch neue Forschungsergebnisse über die alte Schuke-Orgel präsentiert und ein lückenloses Verzeichnis aller Superintendenten in Rathenow seit der Reformation. Lustige kleine Anekdoten hellen die historischen Darstellungen etwas auf und geben dem Buch  mehr Leichtigkeit, die bei Kirchenführen meist vermisst wird. Die Besucher der Bundesgartenschau 2015 fanden besonders die Erklärungen der Chorfenster sehr aufschlussreich. Es gibt auch andere Erläuterungen der Chorfenster, die aber sehr ätherisch wirken. Eine kleine Broschüre über die Kirche weist  brillante Fotos auf, berücksichtigt aber kaum den Wiederaufbau des Gotteshauses und die Forschungsergebnisse aus dem Buch von  Viola und Dr. Heinz-Walter Knackmuß.  Der Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-kirche in Rathenow e. V. feierte 2016 sein 20jähriges Bestehen. Am 15.09.2016 fand dazu um 14:00 Uhr in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche  die ordentliche Jubiläums-Mitgliederversammlung statt und anschließend wurde im Chorraum die Ausstellung "20 Jahre Förderkreis" eröffnet. Der Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow ist noch lange nicht abgeschlossen. Es sollen noch

1. Die drei Kreuzgewölbe im Chorraum wieder errichtet werden
2.  Die Emporen wieder aufgebaut werden
3. Die Schuko-Orgel eingebaut werden

4. Die barocke Kanzel nachgeschnitzt werden
5. Eine Heinzung eingebaut werden

Ohne einen großzügigen Spender oder erhebliche staatliche Unterstützung wird sich das umfangreiche Bauprogramm von fünf Millionen Euro nicht verwirklichen lassen. Der Förderkreis erbittet dazu Gottes Segen und will die Sankt-Marien-Andreas-Kirche zum Lobe Gottes wiederaufbauen.

Der Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. hat eine eigenen umfangreiche Internetseite. Die  Daten wurden fast ausschließlich von Dr. Heinz-Walter Knackmuß eingestellt. Seit 2020 hilft auch Hartmut Fellenberg dabei.

  www.rathenow-kirchen.de

 

Spenden zum Wiederaufbau der Kirche
werden erbeten an den Förderkreis

IBAN: DE07160919940001070100        
BIC (SWIFT): GENODEF 1 RN 1

bei der Volksbank Rathenow


                                   Geschichten aus Landin

Dr. Heinz-Walter Knackmuß ist seit dem 01.01.2017 Mitglied im Förderverein zur Erhaltung der Dorfkirche Landin. Es hat sich so ergeben, dass er jeden Monat eine Geschichte für die Internetseite des Dorfkirchenvereins Landin geschreiben hat. Es sind dies wahre Geschichten aus Landin, aber auch Geschichten, die er in seinem Heimatdorf Semlin als Kind erlebt hat und die nun nach Landin verlegt wurden. Manche Geschichten sind auch selbst erdacht worden. Anregung dafür gab Gert Dittrich, dem bei einem Besuch in Landin die Geschichte von der Friedhofstür erzählt wurde und der daraufhin meinte: "Schreiben Sie die doch mal auf!" Nach einem Hirninfarkt seiner Frau Viola Knackmuß musste er das Schreiben von Geschichten 2021 beenden, weil seine Frau alle Kräfte band.


1. Die offene Friedhofstür in Landin 04.03.2017


Der Friedhof um die kleine Landiner Dorfkirche war immer gut gepflegt. Jeder wollte die Gräber seiner Lieben auf das Beste präsentieren, einmal, damit die Menschen sehen, wie sehr man den Verstorbenen geliebt hat und zum anderen gab es auch einen „sozialistischen Wettbewerb“ um das schönste Grab im Dorf. Nicht jeder hatte ein Händchen dafür oder einen grünen Daumen. Es gab auch einen Mangel an schönen Blumen und so säte man schon im Winter in Töpfen zu Hause aus, was dann einmal die Gräber schmücken sollte. Im Frühjahr und im Sommer war es schon eine Pracht, über den Friedhof zu gehen. Der Adel hatte da eine ganz andere Vorstellung. Auf den Gräbern wurde Efeu gepflanzt und so war das Grab das ganze Jahr über grün, was ja auch eine Art Schmuck ist. In der Lindenallee, die zur Kirche führte, gab es ein Schwirren und Summen, denn die Bienen holten sich den Nektar für den begehrten Lindenblütenhonig vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. In Landin hatte jeder nach dem Krieg (1939 -1945) Hühner. Wo es Eier und Fleisch nicht im Überfluss gab, war das einfach eine Notwendigkeit. Direkt am Friedhof wohnten Elfriede und Erich Rühle. Natürlich suchten die Rühleschen Hühner nicht nur auf dem Hof ihr Grün. Vor dem Gehöft war ja ein schönes Stück Rasen, das geradezu einlud, dort zu picken und zu scharren und wenn dann noch die Tür zum Friedhof offenstand, war das ideal für die Hühner. Sie suchten schnell mal auf dem Friedhof in den Gräbern, ob da nicht ein Käferchen zu finden war. Die Landiner ärgerten sich darüber. Denn kaum hatten sie ihre Kunstwerke auf den Gräbern fertig und alles schön geharkt, kamen die Hühner und scharrten auf dem Friedhof, sodass alle Pracht perdu war. Es wurde also angeordnet, dass die Tür zum Friedhof ständig zu schließen sei und wehe, wenn einer doch mal die Tür offenstehen ließ. Das gab böse Auseinandersetzungen. Aber die Hühner waren ja nicht dumm. Sie flogen in die Bäume, die direkt am Zaun zum Friedhof auf dem Rühleschen Hof standen und erreichten so ihr Ziel auch. Das gab wieder neuen Zank um die Hühner von Elfriede und Erich Rühle. Die Rühles mussten versprechen, die Flügel der Hühner zu stutzen, damit sie nicht mehr über den Zaun fliegen konnten. Ob das den Hühnern gefallen hat, weiß ich nicht, aber der dörfliche Friede war so wiederhergestellt.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 04.03.2017

2. Die Carmen von Landin 01.04.2017


Hertha Victoria Elisabeth Brunow (*03.01.1904 in Berlin - † 20.07.1983 in Landin) wuchs mit ihren Eltern in Berlin in der Holzmarktstraße auf. Der Vater Arnold Emil Gustav Brunow stammte aus Landin und war Straßenbahnfahrer in Berlin. Er hatte sich seine Frau Anna Pauline Luise Brunow, geborene Muchow, aus Landin geholt. Die frühesten Erinnerungen von Hertha Brunow waren der Besuch der Kaiserlichen Paraden in Berlin, wo die Eltern sie hochhoben, damit sie den Kaiser Wilhelm II. sehen konnte. So ist es nicht verwunderlich, dass sie bis an ihr Lebensende eine Verehrung für das Kaiserreich in sich trug. Die Schule besuchte sie mit ihren Freundinnen Charlotte Jungnickel und Margarethe Brunow in Berlin. Die Freundinnen trafen sich auch später, so oft es ging in Landin. Natürlich verbrachte Hertha ihre Ferien regelmäßig in Landin bei dem Großvater Ferdinand Muchow, der ein Restaurant und eine kleine Bauernwirtschaft mit seiner Frau betrieb. Es stand über dem Haus „Gasthaus zur Erholung von Ferdinand Muchow.“

Gasthaus zur Erholung Ferdinand Muchow 1903


Es gab großartige Feste im Saal der Gastwirtschaft und im Sommer natürlich unter den alten Bäumen an der Straße, die von Rathenow nach Friesack führte. Dort wurden Zelte aufgebaut und man schwelgte bei Bier und Braten bis zum frühen Morgen. Es sind die schönsten Jugenderinnerungen, die sich bei Hertha Brunow mit Landin verbanden. Hertha Brunow besaß Brillantschmuck und trug ihn auch. Kostbare Ohrringe und Broschen, dazu manch edler Ring, den ihre Hände zierten, brachten ihr den Namen „die Carmen von Landin“ ein. Natürlich gab es auch eine Jugendliebe. Die wohnte aber ausgerechnet in Cochstedt im Harz und ehe die zwei zusammenkommen konnten, kam der Krieg (1939 -1945), der eine Zäsur im Leben von Hertha Brunow darstellte. Ihr Freund fiel in den ersten Kriegstagen und ihre Wohnung in Berlin in der Holzmarktstraße 10 wurde durch den Krieg zerstört, sodass die ganze Familie in Landin Zuflucht nehmen musste. Betty und Max Ebel aus Rathenow kamen nach Kriegsende noch dazu, denn auch sie verloren ihr Haus in den Nachkriegswirren. Max Ebel hieß eigentlich Max Fick, hatte aber, als er heiratete, seinen Namen ändern lassen. Nach 1945 betrieb Hertha Brunow die Gaststätte von ihrem Onkel Max Muchow mit ihren Tanten weiter in sehr bescheidenem Umfang. Es gab einen kleinen Laden und sie war Leiterin einer kleinen Sparkassenagentur. Als der Onkel Max Muchow starb, wurde die Landwirtschaft, die sowieso an die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gefallen war, eingestellt.

Landiner Schloss 1903


Hertha Brunow war in Ermangelung derer von Bredows, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Teil von Deutschland emigriert waren, „die Grande Dame von Landin“ und stellte eine Institution dar, an der man unschwer vorbeikam. Die Gaststätte blieb aber lange Zeit die Domäne der Tanten und ihrer Nichte Hertha. Alle Tanten starben kinderlos und setzten Hertha Brunow als Erbin ein. Sie hatte immer guten Kontakt zu ihren Hausärzten gehalten. Der Dr. Ludewig und der Medizinalrat Rolf Zimmermann (Ärztliche Direktor des Paracelsus-Krankenhauses in Rathenow) wurden zu Freunden. Ein entfernter Verwandter Heinz-Walter Knackmuß besuchte sie ab und an mit seinem Vater. Sie kamen aus Semlin mit dem Fahrrad angeradelt und es entspann sich eine engere Bindung. Als dann Heinz-Walter Knackmuß von 1964 - 1970 Humanmedizin in Berlin studierte, wurden die Bande noch intensiver. Als er später Kreishygienearzt in Rathenow war, kam er oft nach Landin und spielte mit den Damen Karten. Auch wurden gemeinsame Reisen nach Berlin, zur Kyritzer Insel und in die nähere und weitere Umgebung unternommen. Hertha Brunow war aber auch in der Kirchengemeinde von Landin engagiert und pflegte mit allen Pfarrern intensive Beziehungen. Die Arbeit der Pfarrer wurde sehr kritisch beurteilt und es fehlte nicht an guten Ratschlägen gegen den atheistischen Staat, der im Umgang mit Christen doch manchmal recht rigoros verfuhr. Hertha Brunow hielt mit den Menschen in Landin guten Kontakt. Der Laden, die Gaststätte und die Sparkassenagentur brachten genug Berührungspunkte mit vielen Menschen. Der Garten war in Notzeiten eine wichtige Nahrungsquelle. Die Birnen, Äpfel und Pflaumen, die Johannesbeeren, die Kartoffeln und Zwiebeln wurden geerntet und eingelagert. Hertha Brunow und ihre Tanten weckten die Früchte aus dem Garten ein und schlachteten die Gänse und weckte Gänsekeulen ein. Der Garten war fruchtbar, denn man hatte einige Wagen Lehm zu dem Sandboden gebracht, was den Boden sehr verbesserte. Vor Weihnachten warf der Förster Hans Babucke ihr einen Tannenbaum auf den Hof. Die Geburtstage wurden groß mit den Nachbarn und Verwandten gefeiert, meistens in der Gaststube, die später auch zum Wohnzimmer umfunktioniert wurde. Hertha Brunow blieb als Einzige von der Großfamilie in dem Haus allein zurück und bemühte sich nach dem Tode ihrer Onkel und Tanten das Anwesen in Ordnung zu halten. Am 20.07.1983 starb sie in diesem Haus an einem Herzleiden. In ihrer Todesstunde betete sie aus dem berühmten Lied „Befiehl Du Deine Wege“ von Paul Gerhardt, wo es im letzten Vers heißt: „Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; stärk unsre Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allzeit Deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.“

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.04.2017



3. Karl und Betty 01.05.2017


Betty Ast wohnte mit ihrem Mann Karl in der Nähe der kleinen Dorfkirche in Landin. Jeden Sonntag ging das Ehepaar zum Gottesdienst. Im Winter war es in der Kirche zu kalt und da feierte man alle Gottesdienste in der Gaststube des Gasthofes Max Muchow, der inzwischen Hertha Brunow gehörte. Hertha Brunow war eine fromme Frau, die mit allen Pfarrern engste freundschaftliche Beziehungen pflegte. So war es für sie selbstverständlich, dass sie ihr Haus im Winter für die Gottesdienste öffnete. Dafür nahm sie sich das Recht heraus, die Predigten und den Gottesdienstablauf heftig zu kritisieren. Der Pfarrer konnte predigen, was er wollte, es gab immer Kritik. Eine Ausnahme gab es aber doch. Der Pfarrer Karl Domsch lobte Hertha Brunows Engagement für die Kirchengemeinde in den höchsten Tönen, was sie denn doch dazu bewegte, mit ihm Milde walten zu lassen. Als Pfarrer Karl Domsch in Rente ging, ließ er sich in Gelsenkirchen nieder und lud Hertha Brunow zu einem Besuch ein, was sie sehr gern annahm. Elfriede Müller kam zu jedem Gottesdienst aus Kriele und spielte auf dem alten Klavier in der Gaststube die Liturgie und die Gemeindelieder. Betty Ast sang mit Leidenschaft, denn sie hatte eine schöne Stimme. Ihr Lieblingslied war „So nimm denn meine Hände und führe mich, bis an mein selig` Ende und ewiglich“ nach der Melodie von Friedrich Silcher. Sie war zwölf Jahre jünger als ihr Mann Karl. Die Astens hatten einen Kredit aufgenommen und ein kleines Häuschen in der Parkstraße für ihren Sohn gekauft. Es war damals schwer, den Kredit abzuzahlen. Als Betty Ast bei einer Geburtstagsrunde bei Hertha Brunow saß, meinte sie:“ In zehn Jahren werden wir den Kredit für das Häuschen abgezahlt haben. Schade, dass Karl das nicht mehr erleben wird.“ Karl Ast war ja sehr viel älter und schon etwas kränklich. Doch Gottes Wege sind anders, als die Menschen denken. Betty bekam Darmkrebs und starb nach ihrem 70. Geburtstag, während Karl über 90 Jahre alt wurde und hoch betagt in einem Rathenower Altenheim starb.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2017

4. Die versunkende Kutsche im Landiner See 01.06.2017


Die Sage berichtet, dass auf dem Hohen Rott früher ein Riese lebte und auf dem Rütscheberg ein Riesenfräulein. Zwischen den Hügeln befand sich ein Sumpf, der immer einen großen Umweg erforderlich machte, wenn sich die beiden, die sich sehr lieb hatten, sehen wollten. Das Riesenfräulein kam deshalb auf die Idee, ihre Schürze mit Erde zu füllen und die Erde in das Luch zu werfen. So war beiden geholfen. Wenn der Riese mit einem Bein auf dem Hügel trat, war er mit dem anderen Bein bei seiner Geliebten. Wo das Riesenfräulein den Sand entfernte, befindet sich heute der Landiner See. Jeder Pfarrer auf dem Dorf hatte in früheren Zeiten einen Acker, den er selbst bewirtschaften musste. Als ein Pfarrer mit seiner jungen Frau neu in Landin war, säte er auf dem Pastorenacker Weizen aus und ging jeden Tag, um nachzuschauen, ob die Weizensaat schon aufgegangen waren. Aber es braucht alles seine Zeit und meistens kam er unverrichteter Dinge vom Feld heim. Die Bauern in Landin bemerkten natürlich, was da vorging. Ein Bauer sagte ihm deshalb am Sonntag nach dem Gottesdienst:
“ Herr Pastor den Weiten mütt Se nich alle Dage bekieken, de wasst van alleen.“ Früher waren die Pastoren ja mit Pferd und Wagen unterwegs. Die Pfarrer hatten auch damals schon mehrere Dörfer zu versorgen. Als er einmal in Haage predigte, geriet er am Abend bei der Heimfahrt nach Landin in ein fürchterliches Gewitter. Er konnte in seiner Pferdekutsche nicht die Hand vor Augen sehen. Durch den krachenden Donner scheuten die Pferde und das Gefährt kam in wilder Fahrt vom Wege ab. Der Pastor konnte seine Kutsche nicht mehr lenken und fuhr direkt in den Landiner See, wo er mit Mann und Maus im Moor versank. An der Stelle, wo der Pastor mit seiner Kutsche verunglückte, soll der See auch heute nicht zufrieren. Deshalb nennt man die Stelle noch immer „Das Pastorenloch.“

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.06.2017


5. Das Feenschloss 01.07.2017

Wenn man die die Straße von Rathenow nach Landin fährt, ist links vor dem Havelländischen Hauptkanal eine kleine Lichtung, die im Volksmund als „Feenschloss“ bezeichnet wird. Dort scheint den ganzen Tag die Sonne, wenn sie denn scheint und eine Geschichte berichtet, dass der junger Bauernsohn Bartholomäus Mewes aus Landin im Juni in einer Vollmondnacht auf die Jagd ging, als er durch eine feine Musik zum Feenschloss gelockt wurde. Er sah dort ein kleines Schlösschen, vor dem 12 Feen im Mondlicht tanzten. Sie winkten ihm zu und er ging auf die Lichtung, wo ihm die Feen süßen Wein und gezuckerte Früchte anboten. Er tanzte mit den Feen die ganze Nacht hindurch. Sie sangen immerfort ein und dasselbe Lied.
Im Mondlicht tanzen wir Feen;
wir schweben über Wälder und Seen.
Den Menschen bringen wir Glück
und kommen hierher zurück.
Als die ersten Morgenstrahlen am Horizont zu sehen waren, fiel er in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst gegen Abend am Waldrand erwachte. Von nun an besuchte er in den Vollmondnächten oft das Feenschloss und tanzte mit den Feen. Es war wie ein Zauber, der ihn immer wieder zum Feenschloss lockte. Auf einem Fest in Landin lernte Bartholomäus Mewes einmal die schöne Tochter des Müllers aus Kriele kennen und verliebte sich in sie. Christlinde Müllerin, wie sie genannt wurde, war auch ein anmutiges Mädchen mit wunderschönem Haar und blitzenden Augen. Nachdem die Ernte eingebracht war, wurde in Landin eine große Bauernhochzeit gefeiert. Es gab Wein, Bier und Braten. Als Vorspeise aßen die Gäste Milchreis mit Fischen, was alle sehr liebten. Der Fisch war in einer Essigmarinade eingelegt und wurde als Soße über den Reis gefüllt. Nach der Hochzeit kam der Winter und der junge Ehemann lebte mit seiner Frau glücklich und zufrieden. Als er im nächsten Frühjahr wieder auf die Jagd ging, streifte er bei Vollmondnächten oft am Feenschloss vorbei. Das Schloss und die Feen blieben aber seinen Augen verborgen und die Musik hat er auch nie mehr vernommen, nur die Erinnerung blieb ihm bis ins hohe Alter lebendig vor Augen und er erzählte seinen Kindern und Enkelkindern oft davon.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.07.2017

6. Der Teufelsberg 01.08.2017

In Landin lebte Lippold von Bredow, der sein Vermögen verprasste und sich hoch verschuldete. Durch sein wildes Leben wurde er ein leichtes Opfer des Teufels. Mit ihm schloss der einen Packt, dass er vom Teufel alle Wünsche erfüllt bekäme und am Ende seines Lebens der Teufel die Seele seiner jungen hübschen Frau holen könnte. Wenn der Teufel ihm aber einen Wunsch nicht erfüllen sollte, wäre er wieder frei von dem Pakt. So lebte er denn herrlich und in Freuden, aber nach und nach überkamen ihn doch Ängste und er hätte den Pakt gern widerrufen, aber es war zu spät. In seiner Not vertraute er sich einem alten Schäfer an, der durch seine Weisheit berühmt war. Er gab ihm folgenden Rat. Er sollte den Teufel um einen Scheffel voll Gold bitten. Ein kleiner Scheffel fasste 25 kg und ein großer Scheffel fasste 40 - 45 kg. Auf dem Rhinsberg, so riet ihm der Schäfer, sollte er ein Loch ausheben und einen Scheffel mit einem beweglichen Boden über das leicht verdeckte Loch aufstellen und sich das Gold in den Scheffel schütten lassen. An einem vorherbestimmten Termin kam um Mitternacht der Teufel mit einem Sack voll Gold zum Rhinsberg und schüttete das Gold in den Scheffel. Da der Scheffel sich nicht füllte, flog der Teufel erneut los und brachte mehr Gold, aber auch das füllte den Scheffel nicht. Schließlich rief der Teufel wütend: „Liepel, Liepel, Läpel, wat häst  für´n groten Schäpel? “ Da schlug die Uhr vom Turm der Kirche in Landin eins und der Vertrag mit dem Teufel war nicht erfüllt worden. Lippold von Bredow war wieder frei und führte nun ein gottesfürchtiges tugendhaftes Leben. Seitdem heißt der Berg Teufelsberg. Das Loch ist heute noch zu sehen.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.08.2017

7. Eine Hochzeit in Landin 01.09.2017
Inge und Bernd Mewes mit ihren Gästen vor der Gaststätte Muchow in Landin
Eine Hochzeitsfeier ist schon ein großes Ereignis in einem kleinen Dorf wie Landin. Die Menschen leben enger zusammen. Die Natur ist den Menschen viel näher als in der Stadt. Die Jahreszeiten Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter werden hautnah erlebt. Bernd Mewes aus Landin hatte seine Liebe in Grevesmühlen an der Ostsee gefunden und heiratete am 13.08.1966 in Landin seine Inge. Die Feier begann mit dem Hochzeitszug zur Kirche und Lisa Gretzinger konnte noch jahrelang bis auf jede Einzelheit genau beschreiben, was die Frauen für Kleider anhatten



Die festlich geschmückte Kirche war wunderschön. Überall hatte die Brautleute Rosen an die Bankreihen befestigt. Eine große Fichtengirlande schmückte den Eingang zur Kirche. Die Glocke läutete, als der Brautzug zur Kirche ging und als er die Kirche wieder verließ. Die Braut konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, aber Bernd Mewes hielt seine Frau fest an der Hand und gab ihr Mut und Kraft für diese bedeutende Stunde. Der Pfarrer predigte über das erste Wunder, das Jesus Christus bewirkte. Er war auf einer Hochzeit in Kana mit seinen Freunden eingeladen worden. Das Brautpaar war nicht so reich. Bei den vielen Gästen ging ihnen der Wein aus, und es war ihnen sehr unangenehm. Die Mutter von Jesus, Maria, sprach daher mit ihrem Sohn und bat ihn, den jungen Leuten zu helfen. Er weigerte sich zunächst, gab aber dann doch dem Servierpersonal die Anweisung sechs große Wasserkrüge, die zur rituellen Waschung dienten, mit frischem Wasser zu füllen und davon eine Probe dem Koch zu bringen. Als der Koch von dem Wasser kostete, war er völlig perplex, denn er hatte noch nie einen so guten Wein gekostet. Der Trauspruch lautete: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1 Kor 16,14). Nach dem Segen verließ das Brautpaar die Kirche. Die Dorfkinder hatten sich an der Straße aufgestellt und hatte alle 300 m eine Wäscheleine über die Straße gespannt. Der Bräutigam musste immer etwas Kleingeld den Kindern hinwerfen. Dann lockert sie die Sperre und ließen den Brautzug durch. Die Hochzeitsgesellschaft stellte sich zum Fototermin vor der „Gaststätte Muchow“ auf. Der Fotograf Haecker kam mit einem kleinen Auto aus Rathenow und bildete die Hochzeitsgesellschaft professionell ab.


Das Essen bestand aus einem Dreigängemenü und wurde im Saal der Gaststätte serviert. Zuerst wurde eine Hochzeitsuppe gereicht. Das war eine Gemüsebrühe mit Eierstich und kleinen Gehacktesklößchen. Danach gab es Kartoffeln mit Schweinebraten und Rinderbraten und Gemüse, das aus Blumenkohl, Buttermöhren, Erbsen und Spargel bestand. Als Nachtisch wurde den Gästen Rote Grütze mit Vanillesoße angeboten. Dazu wurde Wein, Bier und Saft gereicht. Nach dem Mittagessen gingen die Brautleute und die Jugend durch das Dorf und präsentierten ihr junges Glück bei allen Nachbarn. Die Alten waren im Saal sitzengeblieben und warteten auf den Kaffee und den Kuchen, den es am späten Nachmittag geben sollte. Es waren viele Torten gebacken worden. Dazu gab es Streuselkuchen, Bienenstich und Pflaumenkuchen mit Sahne. Alle Verwandten hatten beim Backen geholfen und die Kuchen und Torten am Polterabend in der Speisekammer der Gasstätte abgestellt. Leider hatte Hertha Brunow nicht bemerkt, dass ein Fenster zur Speisekammer offenstand. In der Nacht waren die Katzen hereingesprungen und hatten etliche Kuchen angefressen. Aber es war noch genug unversehrter Kuchen erhalten geblieben, sodass die Gäste nichts davon mitbekamen. Ärgerlich war es trotzdem. Nach dem Spaziergang gab es Kaffee und Kuchen und für die Kinder Kakao, und es wurde noch einmal tüchtig geschwelgt. Gerda Burow, die Stiefmutter von Bernd Mewes, war eine talentierte Hobby-Dichterin und hatte ein langes Hochzeitsgedicht gemacht und trug es dem Brautpaar und den Gästen vor. Inzwischen war auch eine kleine Musikkapelle erschienen und die Braut und der Bräutigam eröffneten den Tanz. Jeder wollte nachher natürlich einmal mit der Braut tanzen. Als man sich gegen sieben Uhr am Abend zu Tisch setzte, war die Braut schon etwas ermattet und froh, dass es erstmal eine kleine Pause gab, denn das Abendessen war deftig und ausgiebig. Es gab Kassler vom Schwein mit Sauerkraut, Nudelsalat und Kartoffelsalat, Bockwurst und belegte Brote. Hauptsächlich wurde Bier getrunken. Natürlich standen auch Schnaps, Likör und Wein bereit für die, die danach verlangten. Nach dem Abendessen ging es weiter mit dem Tanz und allerhand Spielen, die sich immer um das junge Paar drehten. Freunde hatten Geschenke für die junge Leute zusammengetragen. Unter anderem war auch ein Geschirrspüler in einem großen Karton verpackt übergeben worden. Als die Braut das Packet auspackte, kam ihr Ehemann mit einem Abwaschtuch heraus. Es gab eine kleine Modenschau mit altertümlichen Kostümen, was die Hochzeitsgesellschaft sehr amüsierte. Kurz vor Mitternacht verabschiedete sich das Brautpaar mit dem Brautschleiertanz. Die Braut hatte ihren Schleier recht locker aufgesteckt und alle jungen Paare versuchten während des Tanzes den Schleier zu erhaschen. Wer den Schleier bekam, heiratete als nächstes Paar, so der Brauch. Das Brautpaar verließ danach das Fest, während die Gäste noch bis in den frühen Morgen feierten.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.09.2017

8. Wie die Bredows ins Havelland kamen 01.10.2017


Zeichnung: Erika Guthjahr
ls der Teufel auf der Erde die Bösewichter holte, waren darunter neun Edelleute derer von Bredow. Er steckte die von Bredows, die die Menschen betrogen und ausgesogen hatten, in einen Sack und wollte mit ihnen in die Hölle fliegen. Während des Fluges stieß er mit seinem Sack an die Kirchturmspitze von Fehrbellin. Es entstand ein Loch im Sack, aus dem nach und nach neun Edelleute rausfielen. Der erste rief: Frie ut´n Sack! Frie ut´n Sack! Der Ort wurde später Friesack genannt. „Mok dat Loch to,“ rief der, der dem ersten Bredow am nächsten saß, konnte aber nicht verhindern, dass er ihm nachfolgte und nannte den Ort Lochow. „Steckt et to! Steck et to!“, war die ängstliche Rede des nächsten Bredow, aber es hörte ihn niemand und so plumpste er in Stechow auf die Erde. Ein anderer Bredow rief: „Ick will bes hin an den Kien!“ Das Dorf erhielt den Namen Pessin. Der Nächste meinte„Ick gah den selben Weg lang.“ Daraus ist der Ort Selbelang entstanden. Ein andere rief: „Ick loop rechts to.“ Das Dorf, wo er sich niederließ, nannte er Retzow.  Der siebente Bredow sagte:“ Ick gah landin,“ woraus der Name Landin entstanden ist. Einer der Bredows schrie beim Fall aus dem Sack:“Ick wag´s niet.“ Der Ort, wo er sich niederließ, nannte er Wagnitz. Der nächste, der aus dem Teufelssack fiel, fühlte sich dort gleich wohl, wo er hingefallen war und sagte:“Hier blev ick görne.“ Der Ort heißt heute noch Görne. Die Bredows breiteten sich im ganzen Havelland aus. Fast in jedem Ort gab es ein Schloss und die Bredows bewirtschafteten ihre Ländereien in dem Ort. Soweit die Legende. Die Geschichte berichtet, dass unter Albrecht dem Bären im 12. Jahrhundert ein Ritter Arnold von Bredow in den Osten kam. Die Bredows bekamen ein paar Fischerdörfer als Kriegsbeute. Die Söhne heirateten aber so geschickt, dass ihnen bald 31 Orte im Havelland gehörten. Es waren gute und schlechte Gutsbesitzer dabei und sie haben die Menschen und das Havelland sehr geprägt. Auch in Landin gab es über viele Jahre ein Schloss, in dem ein Zweig der Familie von Bredow wohnte. Erst 1945 endete die Geschichte des Adelsgeschlechtes derer von Bredow im Havelland.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.10.2017

9. Der Fluch über das Kloster am Rütschenberg 01.11.2017

In der Nähe des kleinen Dorfes Landin im Havelland soll im frühen Mittelalter ein Kloster auf dem Rütscheberg gestanden haben. Es lebten darin aber keine frommen Mönche, die ihrem Tagwerk nachgingen oder den Armen und Kranken halfen, sondern eine verlotterte Mörderbande, die nur darauf aus war unter dem Heiligenschein der Kirche die Menschen auszuplündern und zu betrügen. Der Bischof von Brandenburg, dem die Aufsicht über das Kloster oblag, war weit weg und kümmerte sich nicht um die verkommenen Brüder auf dem Rütscheberg. Wenn ein neuer Mönch sich doch einmal zum Christentum und zur Barmherzigkeit bekennen wollte und Gottes Wort in diesem Kloster suchte, wurde er einfach umgebracht und eine scheinheilige Trauerfeier inszeniert. Den Bewohnern der Dörfer spielten sie eine Rolle von frommen Eiferern vor. In Wirklichkeit waren sie aber nur auf ihre Laster bedacht. In Landin lebte einmal ein sehr schönes Mädchen, dass einem Jäger versprochen war und die beiden liebten sich herzlich. Das Mädchen lebte mit ihrem kranken Vater zusammen und umsorgte ihn aufopferungsvoll Tag und Nacht. Der Jäger kam jeden Tag in das Haus der Familie und unterstütze seine Geliebte in der Hauswirtschaft nach Kräften. Als der Jäger mehrere Tage in einem anderen Gebiet arbeiten musste, kamen die Mönche vom Rütscheberg in das Haus und suchten unter Vorspiegelung der Hilfe für den Vater mit Beten und Handauflegen seine Leiden zu lindern. Dabei logen sie dem Vater vor, dass der Jäger eine andere Geliebte hätte und er seine Tochter unbedingt ins Kloster geben sollte, damit sie ihn gesund pflegen könnten und durch dieses Opfer dem Vater die ewige Seligkeit zuteilwerde. Das schöne Mädchen glaubte nicht an die Untreue ihres Bräutigams und wehrte sich verzweifelt. Alles Weinen und Beten half nichts. Der kranke Vater bestimmte, dass sie mit den argen Brüdern mitgehen musste. Die Brüder vergewaltigten sie und als sie ihre überdrüssig waren, erdrosselten sie sie und versenkten ihre Leiche mit Steinen beschwert im See. Ein Schäfer hatte sie dabei beobachtet und berichtete es dem Jäger, der wutschnaubend vor das Kloster zog und Rache nehmen wollten. Aber die verbrecherischen Brüder verhöhnten ihn nur von ihren sicheren Mauern, sodass er letztendlich auch den Tod im See suchte, um mit seiner Geliebten wenigsten im Tode vereint zu sein. Ehe er sich im See ertränkte, sprach er noch einen Fluch über die Mönche und das gottlose Kloster. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sehr fein. So kam es denn, dass nach und nach keine neuen Mönche in das Kloster kamen. Es verfiel mit der Zeit und zum Schluss entzündete ein Blitz das ganze Kloster bei einem fürchterlichen Unwetter mit Gewitter und Sturm. Es brannte alles nieder. Die Mönche, die den Flammen entkommen wollten, wurden von der wilden Jagd vor den Toren empfangen und erhielten ihre gerechte Strafe. Auch dem unbarmherzigen Vater war kein Glück beschert. Er musste nach seinem Tode ruhelos durch die Ruinen des Klosters und durch sein Heimatdorf Landin wandeln. Viele Menschen in Landin wurden von ihm als Gespenst, seinen Kopf unter dem Arm tragend, erschreckt. Endlich hat er durch den Geist seiner Tochter Vergebung erhalten und wurde von dem Umherwandeln erlöst. Von dem Kloster ist nicht ein Stein mehr geblieben. So hat sich der Fluch des Jägers auf furchtbare Weise erfüllt.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuss 01.11.2017




10. Weihnachten in Landin 01.12.2017


Weihnachten 1963 in Landin
Von links: Hedwig Muchow, Lenchen Lüpke, Brigitte Mewes , Hertha Brunow


Ein Weihnachtsfest bei Hedwig Muchow in Landin war immer ein sehr inniges Fest mit Besuch der Verwandten im Haus. Lene aus Spaatz war da und half im Haushalt mit. Die Gottesdienste waren 1963 in der Gaststube Muchow sowohl am Heiligen Abend als auch an den Feiertagen. Der Förster Hans Babucke hatte im Advent einen Tannenbaum über den Hofzaun geworfen. Der Baum wurde am 23.12. in den Ständer gestellt und der Weihnachtsschmuck vom Boden geholt. Es wurde Kuchen gebacken, eine Gans geschlachtet und Grünkohl im Garten geerntet. Am Heiligabend wurde der Weihnachtsbaum geschmückt, die Gans gebraten, der Grünkohl gewaschen und zubereitet. Nach der Christvesper am Heiligen Abend setzten sich alle Hausbewohner und ihre Gäste unter den Weihnachtsbaum. Es gab Kartoffelsalat und Würstchen und ein Glas Glühwein. Dann wurde die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet und Hertha Brunow las eine Geschichte aus einem Weihnachtsbuch vor. Es wurden auch Weihnachtslieder gesungen und zum Schluss die Geschenke ausgepackt. Die Weihnachtskekse und anderes Weihnachtsgebäck standen auf dem Tisch und es durften die Apfelsinen nicht fehlen, die es nur zu Weihnachten zu kaufen gab. Es waren kleine und große Geschenke unter dem Weihnachtsbaum gelegt worden, meistens Strümpfe, selbstgestrickte Handschuhe, Pullover und andere Sachen, die man im Winter nötig hatte. Gegen Mitternacht wurden die Kerzen gelöscht, das Geschirr in die Küche gebracht und alles gleich abgewaschen und dann schlief das ganze Haus in den 1.Weihnachtstag hinein. Am Morgen des Weihnachtsfestes wurde die Gaststube nach dem Frühstück schon wieder für den Weihnachtsgottesdienst hergerichtet, denn die Landiner kamen pünktlich um 11:00 Uhr zum Gottesdienst. Elfriede Müller aus Kriele spielte die alten Weihnachtslieder auf dem Klavier und der Pfarrer verkündete die Botschaft von der Geburt Jesus Christus auch den Landinern zum ewigen Heil. Wenn sich die Menschen verlaufen hatten, ging es in die Küche, wo die Klöße bereitet wurden, die fertig gebratene Gans noch einmal in den Ofen kam und der Grünkohl langsam erwärmt wurde. Bei der Festtafel, wo es zur Feier des Tages und nach dem Tischgebet ein Glas Wein gab, wurden lustige Geschichten aus alten Zeiten erzählt. Die Alten wussten zu berichten, dass sie früher die Geschenke immer erst am 1. Weihnachtstag bekamen, aber das war lange her. Nach dem Birnenkompott gab es noch den Abwasch und dann legte sich alles zur Mittagruhe, ehe der Kaffeeduft die Menschen zu Kaffee und Kuchen rief. Der Kaffee war knapp und deshalb gab es nur sonntags Bohnenkaffee und natürlich zu den Feiertagen. Marmorkuchen und selbstgebackene Pfirsichtorte wurden dazu gereicht. Zu den Weihnachtstagen wird es ja immer früh dunkel und so erzählte man bis zur Abendmahlzeit Geschichten aus dem Dorf und aus dem Leben. Nach dem Abendessen spielte Hertha Brunow und ihre Gäste Rommé oder Canasta. Nur Hedwig Muchow wollte da nicht mitmachen. Für sie war Kartenspiel Teufelszeug. Sie kümmerte sich derweil um die Wirtschaft und räumte alles auf. Am 2. Feiertag, wenn denn mal zu Weihnachten Schnee lag, wurden die Pferde angespannt und alle Kinder und Erwachsene zu einer Schlittenpartie eingeladen. 20- 30 Schlitten fuhren dann ein paar Stunden durch die weiße Winterlandschaft zur Freude der Kinder, die diese Schlittenfahrten nie vergaßen.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.12.2017

11. Die Hexe von Landin 01.01.2018

 

Eine boshafte alte Witwe lebte in Landin und redete über alle Bewohner nur Schlechtes. Sie wusste auch viel von ihren Nachbarn und war daher als Klatschbase verschrien. Viele bezeichneten sie auch als alte Hexe. Den Landinern fiel auf, dass sich abends eine scheinbar herrenlose Katze auf den Fensterbänken der Häuser niederließ und in die Zimmer schaute. Der Dorfschulze in Landin hatte schon lange den Verdacht, dass sich die Klatschbase nachts in eine Katze verwandelte und so die Bewohner belauschte. Als er die Katze wieder einmal auf einem Fensterbrett sitzen sah, nahm er einen langen Knüppel und schlug ihr kräftig auf den Rücken. Am nächsten Tag ließ sich die Witwe gar nicht auf der Straße oder vor dem Haus sehen. Als der Dorfschulze nach ihr sah, lag sie im Bett und meinte sie könne nicht aufstehen, sie habe einen Hexenschuss. Nun wussten die Bewohner, dass die Katze, die alte Hexe war. Sie fürchteten sich nicht mehr vor der alten Witwe, denn wenn sie die Katze wieder vor einem Fenster erblickten, vertrieben sie sie sofort.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.01.2018

12. Die Freiwillige Feuerwehr in Landin 01.02.2018

Versammlung der Freiwilligen Feuerwehr am 15.09.1959
im Gastzimmer der Gaststätte Muchow


Die freiwillige Feuerwehr in Landin war eine wichtige Einrichtung, denn Brände gab es immer mal und da war es gut, wenn es auch Menschen gab, die dem Brand Einhalt geboten. 1959 waren nur Männer in der Feuerwehr. Frauen waren selbstverständlich auch zugelassen, aber es war eine Ausnahme und etwas ganz Extraordinäres, wenn eine Frau in der Freiwilligen Feuerwehr war. So traf sich alle Monate eine reine Männergesellschaft in der Gasstätte Muchow in Landin und besprach, was so zu bereden war. Es kamen neue Hinweise des Kreisbrandmeisters aus Rathenow. Es wurden die Termine für Übungen vereinbart und die letzten Brandkatastrophen im Kreis Rathenow ausgewertet. Dazu gab es reichlich Bier und manchmal auch einen kleinen Schnaps und nach dem offiziellen Teil wurde Skat gespielt. Es waren fast alle Männer in der Landiner Freiwilligen Feuerwehr. Ein Höhepunkt im Jahr war der Feuerwehrball, bei dem natürlich auch die Familien dazukamen. Die Feuerwehrleute konnten auch Freunde und Verwandte einladen und so war meist das ganze Dorf versammelt. Es wurde der neuste Dorfklatsch besprochen und es war ein Informationsaustausch, wie er sonst kaum möglich war. Für die Kinder begann der Feuerwehrball schon am Nachmittag mit dem Kindertanz. Wenn die Kinder dann ins Bett gebracht waren, ging der Tanz für die Feuerwehrleute und ihre Frauen und Freundinnen weiter. Manche Kinder durften auch bis um zehn Uhr abends dabei sein und wurden von allen beneidet, die früher nach Hause mussten. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) war der Feuerwehrball das einzige gesellschaftliche Ereignis des Jahres im Dorf. Erst viel später kamen die Feiern zum 1. Mai wieder. Die Feuerwehr war notwendig und verfolgte keine politischen Ziele. Das war für die kommunistische Regierung wichtig und sie konnte beruhigt und frei von Kontroll- und Aufsichtszwängen solche Tanzveranstaltungen zulassen. Im Anfang wurde bei Bränden die Glocke in der Landiner Dorfkirche geläutet, aber als man sich von den Kriegsfolgen etwas erholt hatte, wurde eine Sirene angebracht, die dann die Feuerwehrleute alarmierte, wenn es brannte. Jeder ließ seine gerade begonnene Arbeit stehen und liegen und rannte zum Spritzenhaus, wo dann so schnell wie möglich das Feuerwehrauto zum Brandort fuhr und das Feuer löschte. Es gab manchmal auch Brandstifter, die immer zuerst an Ort und Stelle waren und dann fleißig mitlöschten. Wenn so ein Brandstifter unterwegs war und Strohmieten in Brand setzte, war das schlimm für die Menschen und sie waren froh, wenn er überführt werden konnte und der „Rote Hahn“ nicht mehr in den Dörfern wütete. Es war für die jungen Männer eine schöne Zeit und bei den Feuerwehrbällen hat mancher seine Liebste fürs Leben gefunden.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.02.2018

13. Die Bodenreform in Landin 01.03.2018

 

Am 29.12.1945 erhielt Max Muchow durch die Bodenreform Ackerland und Wald in Landin. Die Kommunisten hatten nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) in der russischen Besatzungszone den märkischen Adel von seinen Schlössern vertrieben und sein Land enteignet. Auf Grund der Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Brandenburg vom 06.09.1945 hatte der Vorsitzende der Gemeindekommission für Bodenreform in Landin Rudolf Gnad eine Urkunde an Max Muchow übergeben, die vom Vorsitzenden der Kreiskommission für das Westhavelland, dem Landrat Gehrmann, unterzeichnet war. Danach bekam Max Muchow 1,10 ha Ackerland und 3,00 ha Wald gegen eine Anzahlung von 10 %. Den Rest des Betrages von 815,00 Reichsmark sollte Max Muchow in den nächsten 10-20 Jahren entrichten. Max Muchow hat den gesamten Betrag sofort bezahlt und er erhielt am 29.12.1945 die entsprechende Urkunde, die vom Landrat Gehrmann und vom Präsidenten Steinhoff unterzeichnet waren. Das Grundstück und der Wald wurden damit rechtskräftig und schuldenfrei an den neuen Besitzer übergeben. Auf der Urkunde steht: „Der Grundbesitz soll sich in unserer deutschen Heimat auf feste, gesunde und produktive Bauernwirtschaften stützen, die Privateigentum ihres Besitzers sind.“ So erhielten viele arme Landarbeiter und viele Flüchtlinge aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern eigenes Land und konnten als Neubauern nach dem furchtbaren Krieg versuchen, ein friedliches Leben und eine neue Existenz aufzubauen. Beim Kartoffelracken half die ganze Familie und saß vor den Kartoffelreihen mit einer Hacke und holte die wertvollen Knollen aus dem Erdreich.

Kartoffelracker in Landin

Bei den Großbauern waren auch viele fremde Helfer beim Kartoffelracken zugange. Zehn bis zwanzig Männer und Frauen schoben sich kniend mit einem Korb rechts und links vorwärts und arbeiteten sich so langsam über das Feld mit seinen Kartoffelreihen. Die Kinder halfen selbstverständlich mit, denn nach dem Krieg gab es noch keine Kindergärten. Die Versorgung der vielen Menschen mit Lebensmitteln stand nach dem Krieg an erster Stelle und so unterstützten alle Regierungen die Bauern. Aber schon 1952, nachdem die größte Not überwunden war, beschlossen die Kommunisten diese Bauern durch die Hintertür wieder zu enteignen und ihre kleinen Bauernwirtschaften in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) zu überführen.

Erntehelfer in Landin mit ihren Kindern auf der Karre



Ab 1960 wurde auf die Bauern massiv Druck ausgeübt, damit sie diesen Genossenschaften beitraten. Viele Menschen flohen damals in den westlichen Teil von Deutschland, sodass am 13.08.1961 in Berlin eine Mauer errichtet und die Grenzsperren zum Westen massiv ausgebaut wurden. Damit konnte niemand mehr den Osten des Landes verlassen. Max Muchow war ein kleiner Landwirt und bewirtschaftete seine Felder und Wiesen mit seiner Frau und den übrigen Angehörigen der Familie, was nicht immer einfach war.

Ein Roggenfeld

Er folgte dem Ruf der Kommunisten bald und trat in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft „Freie Scholle“ in Landin ein. Max Muchow war Gastwirt und Landwirt, wie viele Menschen vor ihm und wie es auf den Dörfern seit Jahrhunderten üblich war. Er kümmerte sich aber wenig um die Gastwirtschaft. Er liebte die Pferde, das Land und arbeitete gern als Landwirt. Die Gastwirtschaft betrieben die Frauen in seiner Familie.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.03.2018


14. Die Einsegnung 01.04.2018

Einsegnung von Helga Schultze
Palmsonntag 13.04.1930



Der Pfarrer führte regelmäßig den Konfirmationsunterricht im Pfarrhaus in Kriele für die Konfirmanden auch aus Landin durch. Jede Woche einmal versammelten sich die Kinder in Kriele und hörten, was der Pastor so an Wissen über die Bibel und das Christentum vermittelte. Sie lernten die 10 Gebote und einige Psalmen und lasen die Hauptkapitel der Bibel gemeinsam und lernten Kirchenlieder auswendig. Die schönste Geschichte der Bibel war für Helga Schultze die von Joseph und seinen Brüdern aus dem Alten Testament. Joseph und sein jüngere Bruder Benjamin waren die Söhne der Lieblingsfrau Rahel, die vom Vater Jakob nach dem Tode der Mutter schamlos vorgezogen wurden. Während die 10 Söhne seiner ersten Frau Lea die Schafe hüten mussten und harte Arbeit auf den Feldern verrichteten, wurde Joseph von einem Lehrer unterrichtet, lernte Fremdsprachen, Lesen und Schreiben. Er wurde auch zur Aufsicht für seine zehn Brüder vom Vater eingesetzt. Dazu träumte er noch so sonderbare Dinge, dass sich seine Brüder vor ihm verneigten. Als er einmal wieder zur Beaufsichtigung der Brüder bei den Weiden für die Schafe erschien, verkauften sie ihn einfach als Sklave nach Ägypten. Ihrem Vater zeigten sie in Schafsblut getränkte Kleidungsstücke von Joseph, die sie angeblich gefunden hätten und meinten zum Vater, dass Joseph sicher von wilden Tieren zerrissen worden sei. Joseph gelangte zu einem hohen Beamten des Pharao und wurde dort als Verwalter tätig. Als die Frau des Beamten ihn fälschlicherweise eines sexuellen Übergriffs beschuldigte, kam Joseph ins Gefängnis, wo er bald wieder die Verwaltung übernahm und dem Mundschenk und dem Bäcker des Pharaos ihre Träume richtig deutete. Als nun der Pharao selbst träumte, dass sieben fette Kühe aus dem Nil stiegen und von sieben mageren Kühen gefressen wurden, wachte er schweißgebadet auf und träumt erneut, dass sieben fette Korngarben von sieben mageren verschlungen wurden. Keiner der Traumdeuter am Hofe des Pharaos konnte damit etwas anfangen. Da erinnert sich der Mundschenk an den Joseph, der schleunigst aus dem Gefängnis geholt wurde und dem Pharao erklärte, dass sieben reiche Erntejahre kommen werden und danach sieben Dürrejahre mit großer Hungersnot. Der Pharao ernannte sofort Joseph zum Minister, der große Scheunen bauen ließ und in den ersten sieben Jahren riesige Kornvorräte im ganzen Land anlegte. Als dann die Hungersnot kam, traf sie auch Jakob und die restlichen 11 Geschwister in Israel und sie kamen nach Ägypten, um Korn zu kaufen. Der Minister Joseph erkannte sie sofort und holte nun seine ganze Familie nach Ägypten. Seinen Brüdern sagte er: “Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Er wurde durch Gottes Plan zum Erretter seiner ganzen Sippe bei der Hungersnot. Die Konfirmation fand in der Landiner Kirche statt.

Dorfkirche Landin 21.04.1930


Eine Woche vor der Einsegnung war im Gottesdienst die Prüfung der Konfirmanden in der Kirche. Davor hatten alle Angst, denn die ganze Gemeinde war dabei und konnte auch Fragen stellen. Der Pfarrer hatte zu den Konfirmanden beruhigt und gesagt: „Wer die Antwort weiß, hebt den rechten Arm und wer die Antwort nicht weiß, der hebt den linken Arm.“ So kam es, dass sich immer alle Konfirmanden meldeten, wenn der Pfarrer eine Frage stellte und die Eltern und Großeltern und alle Verwandten waren sehr stolz auf ihre Kinder. Der Pfarrer hatte allen geboten über diese Meldepraxis Stillschweigen zu wahren. Der Superintendent war auch zur Prüfung in der Kirche und der gesamte Gemeindekirchenrat. Der Pfarrer wurde für seine pädagogische Arbeit mit den Konfirmanden sehr gelobt. Die Obrigkeit war erstaunt über so viel Wissen in Landin. Der Eingang zur Kirche wurde zur Konfirmation mit einer Fichtengirlande geschmückt. Helga Schultze trug ein schwarzes Kleid, schwarze Strümpfe und schwarze Schuhe. Als Schmuck hatte sie eine silberne Brosche am Kleid und eine silberne Gürtelschnalle. Ihr Konfirmationsspruch lautete: “Herr Deine Güte reicht soweit der Himmel ist und Deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen“ (Psalm 36, 4).  Bei der Einsegnung bekamen die Konfirmanden das erste Mal Brot und Wein beim Abendmahl und waren damit offiziell in die Gemeinschaft der Erwachsenen in der Kirchengemeinde aufgenommen. Der Pfarrer hoffte natürlich, dass die Konfirmanden jeden Sonntag zum Gottesdienst in die Kirche kommen würden. Alle Verwandten kamen zur Konfirmation nach Landin und es wurde extra ein Schwein vom Fleischer aus Kriele geschlachtet. Zur Konfirmation waren ungefähr 20 Verwandte versammelt. Die Mutter hatte zum Mittag eine Hühnersuppe gekocht und es gab Schweinebraten, Rotkohl und Kartoffeln und als Nachspeise selbst eingeweckte Pflaumen und ein Glas Johannisbeerwein. Die Einsegnung war ein großes Fest für die ganze Familie und der Pfarrer kam auch zu jeder Konfirmationsfeier und hielt sich mit seiner Frau etwas in der Gesellschaft auf, ehe er dann weiter zum nächsten Konfirmanden ging. Es war Kuchen gebacken worden im alten Backofen hinter dem Haus und es gab eine schöne Kaffeetafel. Zum Abendessen hatte die Mutter und Tante Elisabeth Frikassee und Kartoffelsalat vorbereitet. Dazu gab es Bockwurst und belegte Brote mit der eigenen Schlackwurst. Die Bockwurst war dem Fleischer etwas zu salzig geraten, sodass reichlich Bier und Wein getrunken wurde. Als Geschenke gab es signiertes Schreibpapier, was schon sehr wertvoll war. Andere Geschenke bestanden aus Seidengarnituren und Kleiderstoff. Der Kleiderstoff war so reichlich bemessen, dass viele Kleider davon genäht werden konnten. Ein vorfristiges Geschenk von Tante Carmen aus Friesack hatte es ihr besonders angetan. Tante Carmen war immer für eine Überraschung gut. Sie schenkte ihr schon vor dem Termin der eigentlichen Konfirmation eine Karte für den großen Friesacker Karneval im Gesellschaftshaus Krauspe, worüber sich die Konfirmandin am meisten gefreut hatte und bei der Konfirmationsfeier viel davon erzählte.


Für Helga Schultze war es ein schöner Tag und sie erinnert sich gern daran. Oft sang sie später ihren Kindern das Faschingslied vom Friesacker Karneval vor: “Schon knospet der Flieder - froh klingen die Lieder. In Krauspes Haus ladet wieder der Fliederstrauß“.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuss 01.04.2018



15. Totgesagte leben länger 01.05.2018

Max Ebel 1931

Max Ebel hieß eigentlich Max Fick, aber seine Braut, Betty Muchow, Tochter des Gastwirtes Ferdinand Muchow in Landin, bestand auf einer Namensänderung. „Wenn Du Deinen Namen nicht änderst, heirate ich Dich nicht.“ Was sollte der arme verliebt Max Fick nun machen? Er ging zum Standesamt und da wurde ihm bedeutet. Das ginge, er könne gegen eine Gebühr von 150,00 Mark seinen Namen ändern lassen. So kam er als Max Ebel wieder zu seiner Betty und nun stand der Hochzeit nichts mehr im Wege. Er war Prokurist bei der großen Rathenower Optischen Firma „Nitsche und Günther.“ Er arbeitete in Rathenow, wo er ein großes Haus in der Wilhelm-von-Leibniz-Straße im vornehmen Stadtteil Nord bewohnte. Max Ebel war recht vermögend. Seine Eltern hatten die „Bäckerei Fieke“ in der Großen Baustraße in Rathenow, die sehr gut lief. Er borgte seinem Neffen, dem Bäckermeister Paul Schwarzlose, Geld und half ihm so aus einer großen Verlegenheit. Er machte mit seiner Frau eine Schiffsreise nach Norwegen, von der er gern erzählte. Norwegen mit seinen Fjorden und die Menschen dort hatten ihn fasziniert. Er wäre gern für immer dortgeblieben, aber Betty war bodenständig und wollte in ihrer Heimat bleiben. Es sind ja auch andere Entfernungen in Norwegen und die Menschen leben auf dem Lande weit verstreut. Von Rathenow nach Landin zu ihren Eltern und Geschwistern war es da nur ein Katzensprung. Max Ebel fuhr die Strecke oft mit dem Fahrrad.

In den Fjorden von Norwegen



Als 1945 die Russen die Stadt Rathenow eroberten, musste Max Ebel mit seiner Frau Betty das Haus räumen und man kehrte nach Landin zurück, denn das war ja das Elternhaus von Betty und Platz war auch genug da. So lebten nach dem Krieg (1939-1945) drei Familien unter einem Dach. Max und Hedwig Muchow, Max und Betty Ebel und Hertha Brunow mit ihren Eltern, die aus der zerstörten Wohnung in Berlin in Landin Zuflucht gefunden hatten. Es gab auch drei Haushalte, und es wurde alles fein säuberlich auseinandergehalten.

Betty und Max Ebel in Landin

Die Ehepaare Muchow und Ebel blieben kinderlos und vererbten alles ihrer Nichte Hertha Brunow. Max Ebel bekam in Alter von 75 Jahren Prostatakrebs und wurde von berühmten Chefarzt Dr. Richard Hinze im Paracelsus-Krankenhaus Rathenow operiert. Der Chefarzt Hinze und sein Oberarzt Dr. Wilhelm Grundmann waren begnadete Operateure, die mit Geschicklichkeit und Leidenschaft operierten. Eine Woche nach der Operation bestellte er die Ehefrau Betty Ebel zu sich und teilte ihr mit, dass der Krebs der Vorsteherdrüse auf das gesamte Becken übergegriffen habe. Er könnte nicht sagen, ob er alle Tochtergeschwülste im Becken entfernt hätte. Er meinte zu Betty, dass ihr Mann höchstens noch drei Monate zu leben habe. Sie möchte in dieser Zeit alles regeln, was zu regeln ist. Betty weinte zwei Tage lang, dann raffte sie sich auf und fuhr zu ihrem Mann ins Krankenhaus und sagte zu ihm: „Max, der Chefarzt hat gesagt, dass er nicht weiß, ob er alle Krebszellen entfernen konnte, wir müssen jetzt alles regeln, was zu regeln ist.“ Max wurde nach dem Gespräch sehr traurig und meinte: “Wenn es so ist, kann man nichts machen, außer beten.“ Und so wurde alles besprochen, was besprochen werden musste. Max machte ein Testament, indem er alles seiner Frau Betty vererbte. Nach drei Wochen war die Wunde gut verheilt, der Katheter war entfernt worden, und er konnte wieder gut Wasser lassen. Die Ärzte wünschten ihm alles Gute und entließen ihn nach Hause. Er suchte zusammen mit seiner Frau Betty eine Grabstelle auf dem Landiner Friedhof aus. Max bestimmte einen roten Rhododendron aus dem Garten. Der sollte auf sein Grab gepflanzt werden. Er suchte die Lieder zur Trauerfeier aus: “Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt“ von Paul Gerhardt und „So nimm den meine Hände.“ Als Predigttext für die Trauerfeier wollte er das Bibelwort „Die auf den Herren vertrauen, kriegen neue Kraft“ (Jesaja 40,31) haben. Und so erlebte er mit seiner Frau eine tiefe innige Zeit, denn er wusste, es wird nicht mehr lange gehen. Er nahm aber den Nachuntersuchungstermin gewissenhaft wahr und der Doktor in der Poliklinik in Rathenow fragte ihn, ob er damit einverstanden wäre, eine Hormonbehandlung mit weiblichen Hormonen zu probieren. Das wäre jetzt das Neuste. Natürlich war er damit einverstanden. Was sollte ihm noch passieren?  Merkwürdigerweise hatte er guten Appetit und seine Frau kochte ihm alles, was er sich wünschte. Natürlich auch sein Lieblingsgericht: süßsaure Eier in Specksoße mit Kartoffelbrei und Sauerkraut. Sie buk ihm Kartoffelpuffer, die er auch sehr mochte. Er ging auch jeden Tag durchs Dorf und seine Spaziergänge waren erst nur ein paar Schritte, aber sie dehnten sich aus und wurden länger. Da er um sein Schicksal wusste, waren die drei Monate, von denen der Chefarzt gesprochen hatte, eine magische Grenze, vor der er doch etwas Angst hatte. Manchmal dachte er, er würde verrückt, aber dann sagte ihm sein kühler Verstand: Es ist alles normales Leben und der Tod gehört eben auch dazu. Betty weinte viel, aber er tröstete sie und meinte: Wir sind jetzt in dem Alter, wo man sterben kann und das ist ja nichts Besonderes, es ist der Lauf der Welt. Dann weinte Betty noch mehr und flüchtete sich wieder in ihre Arbeit. Max und Betty warteten nun alle Tage, dass aus einer Ecke der Tod hervorkommen würde, aber Max fühlte sich nach den Hormonspritzen immer besser. Das Vierteljahr kam und es passierte nichts. „Na, ja,“ meinte Betty, „die Ärzte können sich ja auch mal irren und so genau kann man das bestimmt nicht voraussehen.“ Aus dem Vierteljahr wurde ein halbes Jahr und dann ein ganzes Jahr. Langsam beruhigten sich ihre Gemüter und der Alltag hielt wieder Einzug in der Familie. Die Jahre gingen dahin. Keiner dachte mehr an die Prophezeiung des Chefarztes. Im Februar 1966 erkältete sich Betty und bekam eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr erholte. Sie starb am 09.05.1966, beweint und betrauert von ihrem Mann und der ganzen Familie.



Grabstein von Betty und Max Ebel

„Totgesagte leben länger,“ sagt der Volksmund. Max Ebel hatte nach seiner todbringenden Erkrankung noch über elf Jahre gelebt und sogar seine Frau überlebt. Sie wurden beide auf dem Dorffriedhof in Landin bestattet. Auf dem Grabstein stand:

In Gottes Namen
Max Ebel
*9.7.1885 - † 30.1.1971
Betty Ebel
geb. Muchow
*16.08.1887 - † 9.5.1966


© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2018



16. Im Heu 01.06.20218

Hedwig und Max Muchow fahren vom Hof (1937)

Wenn im Juni das Heuen begann, war im Dorf alles auf den Beinen. Das schöne Wetter musste ausgenutzt werden und alle jungen und alten Männer mähten mit den Sensen auf den Wiesen das frische Gras. Ist der Mai kühl und nass, füllt dem Bauern Scheun´ und Fass, heißt eine alte Bauerregel und dieser Mai in Landin war nass und regnerisch gewesen. Dazu war er angenehm warm, „Wasswäder“, sagte die alte Elise Mewes, denn bei diesem Wetter wuchs und sprosste es, dass man zusehen konnte. Natürlich auch das Unkraut, aber Alice von Bredow tröstete die Leute und meinte: „Wo Unkraut wächst, wächst auch was anderes.“ Und so war es ja auch wirklich. Die Kartoffeln und Rüben gediehen natürlich ebenso gut in solchen nassen und warmen Maitagen. Aber kaum war es Juni im Jahr 1937 geworden, brach eine Hitzewelle aus, die seinesgleichen suchte. Die Menschen und das Vieh stöhnten unter der Wärme. Schwad für Schwad wurde das Gras von den Männern gemäht und lag am Ende des Monats in langen Reihen auf den Wiesen. Die Männer mähten am liebsten am frühen Morgen, wenn es noch nicht so warm war und der Tau noch auf den Wiesen lag. Alle paar Meter wurde Halt gemacht und die gedengelten Sensen mit einem Wetzstein geschärft. Sie hatten alle eine Mütze oder einen Filzhut auf, damit der Schweiß nicht in die Augen lief und Gespräche waren nur in den Pausen möglich. Wenn das Gras gemäht war, kam die Arbeit der Frauen, bei denen ihnen aber auch alle Männer halfen. Das Gras musste alle paar Tage gewendet werden, bis es die Sonne in duftendes Heu verwandelt hatte. Hauptgespräch in der Heumahd war das Wetter. Ob es denn hielt und kein Regen kam? Die Frauen und Männer arbeiteten beim Heuwenden immer zusammen und konnten so viel erzählen. Meist zog sich das Wenden bis in den August hinein hin. Die Frauen hatten weiße kunstvoll gefaltete Hüte auf dem Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen, denn es war für alle eine schweißtreibende Arbeit. Manche hatte auch in der Schule Gedichte gelernt und probierten aus, ob noch alle Verse im Kopf waren.

Im Heu
von Johannes Trojan
(*14.08.1837 in Danzig – † 21.11.1915 in Rostock)

O wie schön ist es im Heu!
Lieblich ist der Duft,
und die Lerche singt dabei
hoch aus blauer Luft.
Und das Grillchen hört man auch,
das die Zither schlägt
unterm wilden Rosenstrauch,
den der Wind bewegt.
Warme Luft und Sonnenschein,
o wie ich mich freu!
Sagt, wo kann es schöner sein,
schöner als im Heu?


Wenn das Heu dann wirklich fertig war, mussten alle Mitglieder der Familie mithelfen, es in die Scheunen zu bringen. Es war ein trockener schöner Tag, da fuhr Max Muchow mit seiner Frau Hedwig mit dem Leiterwagen vom Hof. Auf der Wiese gab er seiner Frau auf dem Wagen große Forken voll Heu, die sie kunstvoll auf dem Wagen packte. Es durfte ja unterwegs nichts verloren gehen.

Max stakt das Heu auf den Leiterwagen,
wo seine Frau Hedwig es genau einpackt



Die Wiesen waren auf der anderen Straßenseite und die voll bepackte Heufuhre musste durch Sandwege mit engem Baumbestand durchmanöveriert werden. Hedwig Muchow verstand die Kunst des Heustapelns am besten und blieb meistens auf der Fuhre oben sitzen, während ihr Mann Max unten auf dem Leiterwagen saß und die Pferde nach Haus führte. Einmal war die Heufuhre so hoch bepackt worden, dass ein starker Ast einer alten Eiche Hedwig Muchow einfach vom Wagen fegte. Sie war so erschrocken, dass sie keinen Ton herausbrachte, sich aber krampfhaft an dem dicken Ast festhielt, während der Wagen weiterfuhr. Max hatte nichts davon bemerkt und fuhr seelenruhig nach Hause. Erst da fiel ihm auf, dass seine Frau nicht antwortete. Er holte eine Holzleiter und kletterte auf den Wagen, aber seine Frau blieb verschwunden. Er rief das ganze Haus zu01sammen, aber niemand hatte dafür eine Erklärung.


Hedwig und Max Muchow auf der Heufuhre

Hedwig war noch jung und hatte sich behände auf den Ast geschwungen und war in den Baumstamm geklettert, wo sie nach ängstlichen Versuchen auch glücklich wieder auf dem Erdboden ankam. Sie kam mit 20 Minuten Verspätung zu Hause an und es gab keinen glücklicheren Mann als Max, der seine Frau sofort in die Arme nahm und sich die ganze Geschichte erzählen ließ. Dann halfen alle mit, das Heu vom Wagen in die Scheune zu bringen und dort erneut kunstvoll zu stapeln. Es duftete der ganze Heuboden nach Sommer, Sonne und dem frischen Heu. Die Kühe und Pferde konnten so gut im Winter versorgt werden. Es gab ja noch andere Futtermittel im Winter, aber Heu war doch das Beste und dann noch von den eignen Wiesen. Es hingen ja auch so viele Handgriffe an dem wunderbaren Heu, was eine enge Bindung an die Dorfwiesen bedeutete.


© Dr Heinz-Walter Knackmuß 01.06.2018




17. Eine Taufe in Landin 01.07.2018


Die Tochter des Straßenbahnführers Arnold Emil Gustav Brunow und seiner Frau Anna Pauline Luise Brunow, geborene Muchow, Hertha Victoria Elisabeth Brunow wurde am 03.01.1904 in Berlin geboren. Der Großvater Ferdinand Muchow aus Landin war sehr erfreut über seine erste Enkeltochter und vereinbarte mit den Eltern, dass das Kind in Landin getauft werden sollte. So kam es, dass der Pfarrer Jacobi am 17.07.1904 das Sakrament der heiligen Taufe in der Landiner Dorfkirche dem kleinen Mädchen spendete. Als Paten oder Taufzeugen waren Hermann Lübge, Paul Brunow, Elisabeth Brunow und Betty Muchow dabei. Die kleine Hertha ließ die Wassertaufe ohne erkennbare Zeichen der Anteilnahme über sich ergehen. Sie schlief die ganze Zeit auf dem Arm ihrer Mutter. Es war ein herrlicher Sommertag an diesem Sonntag und der Sommerwind wehte dazu kräftig, sodass alle Damen ihre Hüte festhalten mussten, als es von der Kirche in die Gaststätte Ferdinand Muchow zum Feiern ging. Betty Muchow war schon vorgelaufen mit dem Kinderwagen, denn es hieß, je schneller der Täufling zu Haus ist, desto fixer würde ihm später alles von der Hand gehen. Sie hatte auch zwei Stecknadeln in den Kinderwagen gesteckt. Das sollte schützen vor bösen Blicken. Hertha ließ sich aber durch nichts aus der Ruhe bringen. Sie trank die Brüste ihrer Mutter nach der Taufe fast leer und schlief dann weiter, ohne die Taufgesellschaft im Geringsten zu beachten. Die Männer hatten sich vor der Gaststätte niedergelassen und tranken erst einmal ein Glas Bier, denn es war sehr warm an diesem Tag. In der Gaststube wurde das Mittag vorbereitet. Der stolze Vater hielt vor dem Mittagessen eine kleine Rede und bedankte sich für die vielen Geschenke. Es waren selbst gestrickte und genähte Kleider für das Baby und viele Sachen zum Anziehen und auch etwas Geld dabei. Dann sprach der Pfarrer Jacobi ein sehr langes Tischgebet, ehe er mit seiner Frau Christlinde die Suppe löffelte:


Speis` uns Vater deine Kinder!
Tröste die betrübten Sünder!
Sprich den Segen zu den Gaben,
die wir hier so vor uns haben,
dass sie uns in unserm Leben
Stärke, Kraft und Nahrung geben,
bis wir endlich mit den Frommen
zu der Himmelsmahlzeit kommen.
Komm Herr Jesu, sei unser Gast
und segne, was du uns in Gnaden bescheret hast.

Der Vater hatte eine Kiste französischen Champagner mitgebracht und trank auch ein Glas nach dem anderen, sodass er am Ende der Feier ins Bett getragen werden musste. Zum Mittag gab es eine Spinatsuppe mit ein paar Stücken Ananas und einen Tupfer saure Sahne. Danach hatten die Frauen eine Fischpastete bereitet. Der Hauptgang bestand aus Rehbraten in Rotweinsoße mit einem kleinen Löffel schwarzen Johannisbeermarmelade und Kartoffeln. Dazu gab es in Butter geschwenkte Möhrenscheiben und Rotkohl. Als Nachtisch hatten die Frauen Apfelkompott und einen Mokka vorbereitet. Der Pfarrer und seine Frau Christlinde bedankten sich für das Mittagessen und verabschiedeten sich bald. Sie hatten natürlich auch tüchtig vom Champagner probiert, den es ja nicht alle Tage gab. Nach dem Mittag fuhr Betty Muchow ihre Nichte stolz mit dem Kinderwagen durch das Dorf, bis das Kind ausgeschlafen hatte und wieder gestillt werden musste. Am Nachmittag gab es einen riesigen Napfkuchen und zum Abendessen Brote mit Schlackwurst, Leberwurst und Schinken sowie sauren Gurken. Die meisten Gäste tranken Bier, aber viele wollten auch den Champagner probieren. Die kleine Taufgesellschaft wurde immer ausgelassener, bis die Kindsmutter doch die Feier mit dem Hinweis auf die Ruhe für das Kind langsam auflöste. Aber alle sprachen noch wochenlang von der schönen Feier bei der Taufe der kleinen Hertha. Der Champagner hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.07.2018

18. Das Jubiläum eines Straßenbahnfahrers 01.08.2018

Arnold Brunow

Arnold Emil Gustav Brunow war Straßenbahnführer in Berlin und arbeitete gern in der kaiserlichen Residenz Deutschlands. Seine Frau, Anna Pauline Luise Brunow, war die Tochter des Gastwirtes Ferdinand Muchow in Landin. Die kleine Familie wohnte in der Holzmarktstraße 10 in der Nähe des Alexanderplatzes in Berlin. Die Straßenbahnen waren das wichtigste Verkehrsmittel in Berlin. Arnold Brunow kannte noch die Pferdebahn, die vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg fuhr. Die Berliner, spottlustig wie immer, sangen dazu. „Jetzt fahr´n wa so jemütlich uff de Ferdebahn. Det eene Ferd det zieht nich, det andere det is lahm. Der Kutscher is besoffen, die Ferde woll´n nich jehn. Alle fünf Minuten bleibt die Kutsche stehn.“ 1881 wurde dann die erste elektrische Straßenbahn in Berlin eröffnet und das elektrische Netz kontinuierlich ausgebaut. Die Berliner nannten die Straßenbahn kurz „Die Elektrische.“ Arnold Brunow fuhr kreuz und quer durch Berlin und kutschierte seine Fahrgäste zu allen Zielen, die die Straßenbahn ansteuerte. Besonders stolz war er darauf, dass auch die Kaiserliche Familie einmal eine Jubiläumsfahrt mit seiner Straßenbahn machte.

Deutsches Kaiserhaus


Arnold Brunow war ein sehr zuverlässiger Straßenbahnführer und am 15.7.1905 hatte ihm sein Betrieb eine vergoldete Uhr geschenkt, auf deren Rückseite folgende Worte eingraviert waren: Anerkennung mehrjähriger Dienstzeit für den Fahrer Arnold Brunow Berlin 15.7.1905 Grosse Berliner Strassenbahn. Er war natürlich stolz auf diese Auszeichnung und fuhr nun noch pünktlicher ab, denn die Uhr ging sehr genau. Er hatte sie auch immer bei sich und legte sie nur ab, wenn er in sein Nachtgewand schlüpfte.


Vergoldete Taschenuhr

Für die Ausgezeichneten gab es einen Empfang durch den Betrieb mit einem Festdiner. Die Ehefrauen waren auch dazu eingeladen worden. Man hatte sich prächtig herausgeputzt zu diesem Empfang und allen Schmuck angelegt, den man besaß. Die Feier war auch deswegen in bleibender Erinnerung bei der Familie, weil die Auszeichnung Seine Königliche Hoheit Prinz Eitel Friedrich von Preussen und seine Braut Sophie Charlotte von Oldenburg vornahmen, deren Heirat 1906 anstand. Der Prinz überreicht persönlich die Taschenuhr an Arnold Brunow.

Seine Königliche Hoheit

Prinz Eitel Friedrich von Preussen
mit seiner Braut, Ihre Königliche Hoheit Sophie Charlotte

Berlin hatte damals schon den Glanz einer Metropole, denn das Kaiserhaus brachte Paraden und Glamour in die Stadt. Auch gab es alle Nase lang fürstlichen Besuch aus ganz Deutschland und den Monarchien Europas. Als seine kleine Tochter Hertha geboren wurde, versäumte die Familie keine Parade des Kaisers und Hertha wurde hochgehoben, damit sie den Kaiser gut sehen konnte. Das hinderte den Straßenbahnführer und seine Frau aber nicht daran, so oft es ging, nach Landin zu kommen. Es war doch die Heimat geblieben. Wo die Schwiegereltern und die Geschwister seiner Frau wohnten, war eben auch der Mittelpunkt der kleinen Familie. Neben der Auszeichnung durch den Berliner Straßenbahnbetrieb gab es eine kleine Nachfeier im Familienkreis in Landin, wo die einjährige Tochter Hertha zur Freude des Großvaters Ferdinand auch dabei war.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.08.2018



19. Drei Freundinnen auf der Wartburg 01.09.2018

Charlotte Jungnickel, Hertha Brunow und Margarethe Brunow
beim Tanzstundenabschlussball in Berlin

Margarethe Brunow, Charlotte Jungnickel und Hertha Brunow sind in Berlin eingeschult worden und blieben zeitlebens Freundinnen. Wenn Ferien waren, kamen die drei Freundinnen oft zum Großvater von Hertha nach Landin und verlebten da ihre Ferien. Die Schulbank drückten sie aber gemeinsam in Berlin und wurden auch dort vom gleichen Pfarrer in der gleichen Kirche konfirmiert. Das Leben führte sie dann doch ganz verschiedene Wege. Charlotte Jungnickel arbeitete in Berlin in einer Glaserei und war für die Buchführung verantwortlich. Sie hat nie geheiratet und lebte mit ihrer Mutter zusammen, die sie bis zum Tode pflegte. Margarethe Brunow heiratete einen Offizier, der im Zweiten Weltkrieg nicht mehr aus Afrika zurückkam. Hertha Brunow hat ihr Leben in Landin aufgebaut. Ihr Freund blieb ebenfalls im Krieg und so lebten die drei Frauen ungebunden, was sie aber nicht hinderte, sich regelmäßig zu treffen, meistens in Landin.

Glückliche Jahre in Landin



Die schönsten Erinnerungen hatten die drei Freundinnen an Landin, wo sie jung und unbeschwert auf dem Hof des Gastwirtes Ferdinand Muchow Ferien machten. Wenn man jung ist, ist ja alles zum Lachen. Man fühlt sich wohl und es ist ganz und gar egal, was der Nachbar erzählt, das Lachen lässt sich nicht unterdrücken. Natürlich mussten sie auch alle drei bei der Ernte helfen, aber das störte die Fröhlichkeit in keiner Weise. Hertha Brunow war von den drei Freundinnen die Unternehmungslustigste und hatte immer neue Ideen für Ausflüge und Fahrten ins Blaue. Sie war die Einzige, die durch ihre Familie etwas Vermögen hatte und so bekam sie auch in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts einen Mercedes, den sie mit ihrem Fahrschullehrer persönlich aus Untertürkheim abholte.



Das neue Auto in der Garage in Landin

Der Mercedes mit der Nummer IE-II3I42 fuhr nun über die Straßen des Havellandes. Hertha schlug ihren Freundinnen vor, sie auf eine Reise zur Wartburg zu begleiten und im September 1937 trafen sich alle in Landin mit gepackten Koffern und dann brauste Hertha mit ihren Freundinnen los. Charlotte hatte den Conti- Atlas auf den Knien und dirigierte Hertha erst einmal nach Magdeburg, wo der Dom besichtigt wurde, ehe man ins Domhotel eincheckte. Die nächste Tour ging bis nach Eisleben und dann nach Weimar, wo die Wohnhäuser von Goethe und Schiller besucht wurden.


Die Wartburg bei Eisenach

Dann erreichten die drei jungen Damen Eisenach und fuhren bis zur Wartburg. Nach der Sage soll Graf Ludwig der Springer († 1123) von der Schauenburg bei Friedrichroda bei einer Jagd den Berg entdeckt und sich in ihn verliebt haben. Die Gegend gehört dem Grafen von Frankenstein. Der Graf Ludwig soll beim Anblick des Berges gerufen haben: „Warte Berg, du sollst mir eine Burg werden.“


Ludwig auf der Jagd – Warte Berg, du sollst mir eine Burg werden.



Er ließ von seinen Untertanen Körbe mit Erde von der Schauenburg auf die Wartburg bringen und dort ausschütten. Als die Frankensteiner das Land für sich reklamierte, schwor Graf Ludwig der Springer vor dem König, dass die Erde ihm gehöre, auf dem er die Wartburg errichten wollte. 12 Mitstreiter des Grafen stießen dazu ihre Schwerter in den Boden und beschworen, dass das Land dem Grafen Ludwig gehörte, was ja durch den Trick nicht ganz falsch war, aber eben doch nur eine List war. 1131 wurde der Sohn Ludwig des Springers, Ludwig I., vom Kaiser Lothar III. zum Landgrafen ernannt. Landgraf Ludwig II. (Regierung von 1140-1172) war der bedeutendste Bauherr für die Wartburg.  Im Palas der Wartburg befindet sich ein großes Wandgemälde von Moritz von Schwind, das den „Sängerkrieg“ auf der Wartburg darstellt. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Minneliederdichter Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach. Wolfram von Eschenbach war 1203 am Thüringer Hof. Er ist bekannt als Dichter des „Parzival.“ Dieses mittelalterliche Epos diente Richard Wagner als Vorlage für seine Oper „Parzival.“ Auf der Wartburg wurde ein künstlerischer Wettstreit darum ausgetragen, wer in seinen Dichtungen am besten den Fürsten und die Fürstin loben könne. Walther von der Vogelweide hat dabei ein sehr berühmtes langes Gedicht (Reichsklage) geschrieben, dass so begann:

Ich saz uf eime steine
Und dahte bein mit beine,
dar uf satzt ich den ellenbogen
ich hete in mine hant gesmogen
daz kinne und ein min wange
do dahte ich mir vil ange,
wie man zer welte solte leben
deheinen rat kond ich gegeben.


Ich saß auf einem Steine
und deckte Bein mit Beine,
darauf der Ellenbogen stand,
es schmiegte sich in meine Hand.
das Kinn und eine Wange.
Da dacht ich sorglich lange,
dem Wettlauf nach und irdischem Heil
doch wurde mir kein Rat zuteil,

Der Volksmund machte daraus:
„Ich saß auf einem Steine und dachte so an Dich, da sah ich eine Rose und ein Vergissmeinnicht.“ Der Wettstreit ging für den Verlierer tödlich aus. Da keine eindeutige Entscheidung getroffen werden konnte, wurde der Magier Klingsor aus Ungarn gerufen, der auf eine Wolke zur Wartburg kam.






Sängerkrieg auf der Wartburg

Im Festsaal der Wartburg wurden immer große Konzerte veranstaltet und der König Ludwig von Bayern war so von ihm angetan, dass er ihn im Schloss Neuschwanstein als Kopie errichten ließ.

Festsaal auf der Wartburg

Eine andere Legende berichtet, dass Elisabeth von Thüringen, die Tochter des Königs Andreas II. von Ungarn war und mit dem Landgrafen Ludwig 1211 vermählt wurde. Sie war vier Jahre und Ludwig elf Jahre alt. Elisabeth schenkte ihrem Mann drei Kinder und war sehr mildtätig. Ludwig hatte von seinem verschwenderisch lebenden Vater Hermann 1217 ein bettelarmes Land übernommen.



Elisabethkemenate

Während Elisabeth milde Gaben verteilte, musste er knausern und sparen. Als sie eines Abends wieder mit einem Korb voll Brot zu den Armen gehen wollte, sprach er sie an und fragte sie:“ Was hast Du unter dem Tuch in Deinem Korb?“  Sie antwortete: „Rosen“ und als ihr Mann das Tuch zurückschlug, waren in der Tat nur Rosen in dem Korb. Dieses so genannte „Rosenwunder“ ist viel beschrieben und bedichtet worden.



Das Rosenwunder

Die bekannteste Persönlichkeit auf der Wartburg, die auch die größte Ausstrahlung auf die ganze Welt hatte, war aber Martin Luther. Der Kurfürst von Sachsen Friedrich der Weise hielt Martin Luther, verkleidet als „Junker Jörg“ auf der Wartburg versteckt, nachdem der Papst ihn mit dem Bann und der Kaiser mit der Reichsacht belegt hatten, was einem Todesurteil gleichkam. Er musste sich auch einen Bart wachsen lassen.  Eine Besichtigung der Wartburg mit der Lutherstube, wo Martin Luther als „Junker Jörg“ das Neue Testament der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt hatte und damit die deutsche einheitliche Sprache begründet hat, war selbstverständlich Bestandteil der Reise. Durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern des Johannes Gutenberg im Jahr 1450 verbreitete sich die deutschsprachige Bibel in Windeseile über den ganzen deutschsprachigen Raum. Bei der Übersetzung soll Luther auch den Teufel gesehen haben. Er warf in seiner Stube ein Tintenfass nach ihm, wovon noch ein schwarzer Fleck an der Wand zu sehen war. Den hat man im Laufe der Zeit weggeputzt. Das alles stand natürlich auch auf dem Programm der drei Damen. Wenn man jung ist, findet man ja alles komisch und die drei Reiselustigen fanden später, dass sie noch nie so viel gelacht hatten, wie auf dieser Reise.


Luthers Schreibtisch auf der Wartburg


Im Wartburgrestaurant wurde Mittag gegessen und 20 Ansichtskarten an alle Bekannten in ganz Deutschland geschickt. Alle drei schrieben wie die Weltmeister. Dann ging es nach Eisenach ins Hotel und man schlief herrlich bis zum nächsten Morgen. Dann ging es wieder zurück nach Landin, wo ja der Ausgangspunkt für diese Autofahrt war. Die drei Freundinnen verlebte beim Großvater von Hertha Brunow noch den Rest des Urlaubs und natürlich wurde allen von dieser Reise erzählt. Es war schon ein Erlebnis gewesen, was einen tiefen Eindruck bei den drei jungen Frauen hinterlassen hatte.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.09.2018




20. Eine Silberhochzeit in Landin 01.10.2018

Silberhochzeitgesellschaft Anna und Arnold Brunow
am 03.10.1924 in Landin

Arnold Emil Gustav Brunow und seine Frau Anna Pauline Luise Muchow hatten sich am 03.10.1899 in der Dorfkirche Landin das Jawort gegeben. Anna Brunow war die Tochter des Gastwirtes Ferdinand Muchow in Landin. Natürlich hatte sich der Vater von Anna Brunow, es sich nicht nehmen lassen, die Hochzeit seiner Tochter in seinem Restaurant zur Erholung in Landin auszurichten. 25 Jahre später feierte das Paar am 03.10.1924 seine Silberne Hochzeit in Landin. Anna Brunow war mit ihrem Mann nach der Hochzeit 1899 nach Berlin gezogen, wo Arnold Brunow als Straßenbahnführer arbeitete. Sie hatten eine Wohnung in der Holzmarktstraße 10 und wohnten in der Nähe vom Alexanderplatz, was für die Familie ziemlich bequem war
Die Silberhochzeit wurde natürlich wieder in Landin gefeiert. Die Geschwister von Anna Brunow waren bei der Feier dabei. Ihr Bruder Max Muchow mit seiner Frau Hedwig und ihre Schwester Betty Ebel, geborene Muchow, mit ihrem Mann Max. Der Pfarrer hatte die Segnung des Jubelpaares im Hause vorgenommen und hatte eine kleine Andacht mit der Hochzeitsgesellschaft gefeiert. Der Silberbräutigam hatte auch ein schönes Gedicht für seine Frau geschrieben:




Der Bäutigam an seine Braut
Zwei Bächlein von den Bergen fließen,
geht jedes seine eigne Bahn,
bis Schöpfermächte es beschließen,
dass sie gemeinsam sich ergießen,
ziehn Hand in Hand zum Ozean.
Als ich in Deiner Jugend Prangen,
mein Schatz, Dich sah so hold und fein,
trieb mich ein still und stark Verlangen,
bin diesem Ziel nur nachgegangen,
dass Du für immer wärest mein.
Dem Mann halfst Du das Glück dann schmieden,
des Hauses Zierde warst Du mir.
Du bist die Ruh, Du bist der Frieden,
Du bist vom Himmel mir beschieden;
mein Silberschatz, wie dank ich Dir.
Mit jedem der fünfundzwanzig Jahre
hat ich Dich immer lieber noch.
Legt man mich einst auf eine Bahre,
ich bin gewiss, dass ich erfahre
eine Wiedersehen droben doch.
Komm Tod, wir warten Dein mit Frieden,
schließ ab den flücht´gen Lebenslauf;
schließ auf, was droben uns beschieden,
wozu wir reiften nur hinieden.
Die Liebe höret nimmer auf.

Zum Mittagessen wurde ein Silberhochzeitsgeschirr verwendet. Dieses Geschirr wurde extra zur Silberhochzeit hergestellt und das erste Mal benutzt. Das Menu war dem Festtag angemessen. Nach der kirchlichen Zeremonie wurde die Suppe kredenzt, die aus einer herzhafte Rindfleischbrühe mit Möhren und Zwiebeln bestand. Als nächster Gang wurde ein Eiersalat in einer Pastetenteigummantelung serviert. Und dann folgte ein Entenbraten mit Rotkohl und Kartoffelklößen. Als Nachtisch gab es Mirabellenkompott mit Sahne. Dazu wurde Moselwein getrunken oder Bier.

Anna und Arnold Brunow
als Silberhochzeitspaar

Der Familie war ja nicht arm. So eine kleine Gastwirtschaft und ein bisschen Land und Wiesen dazu, wo die Landwirtschaft gedieh, brachte doch mehr ein, als man zum Leben brauchte. Es gab ja auch im ganzen Dorf keine Konkurrenz und so gehörte Gaststättenbetreiber doch zur Oberschicht im Dorf, nur übertrumpft von ein paar Bauern im Ort. Nach dem Mittagessen wurden alle eingeladen den Garten zu besehen und in den Ställen das Vieh zu begutachten. Es standen zwei Pferde, sieben Kühe und drei Schweine im Stall vom Federvieh gar nicht zu reden. Dann fanden sich alle wieder zur Kaffeetafel ein. Die Hausfrauen hatten drei Kuchen gebacken, Bienenstich, Streusselkuchen und Apfeltorte. Die Apfeltorte war zuerst alle, denn sie wurde wegen des säuerlichen Geschmacks besonders geschätzt. Das Silberhochzeitsgeschirr war extra zur Silberhochzeit aus feinem Porzellan hergestellt worden.

Silberhochzeitgeschirr

Auf der Kaffeekanne stand „Zur Silberhochzeit“ und auf den Kuchentellern auch. Jeder Kuchenteller waren mit dem gleichen Spruch verziert:

Es mög wie Silber
Hell und rein
Der Abend Eures
Lebens sein.

Zum Abendessen hatte die Hausfrau einen großen Topf Gulaschsuppe gekocht. Dazu gab es Butter und Brot und eine Käseplatte. Es war ja Herbst und die Weintrauben, Äpfel und Birnen waren reif und wurden den Gästen auf großen Obstschalen angeboten. Die „Gute Luise“ wuchs im Muchowschen Garten und war immer im Oktober reif, was natürlich für die kleine Feier gerade recht kam. Ein großer Korb mit den Birnen stand neben dem Esstisch auf einem Stuhl und die Gäste bedienten sich reichlich davon, auch wenn sie am nächsten Tag, manche auch schon nach Stunden, die durchschlagende Wirkung bemerkten. Das Silberpaar hatte auch Musikanten bestellt und so wurde auch getanzt und die Gäste staunten nicht schlecht, wie der Silberbräutigam mit der Silberbraut Polka tanzte. Es wurde viel erzählt von alten Zeiten und vom Kaiser, den es nicht mehr gab, von den Nachbarn und den Schicksalen, die ein jeder so erleben musste. Es gab auch Gäste dabei, die ununterbrochen Witze erzählten, so dass die Gesellschaft aus dem Lachen gar nicht mehr herauskam. Gegen dreiundzwanzig Uhr neigte sich die Silberhochzeit aber dann doch dem Ende zu. Man verabschiedete die Nachbarn, räumte noch etwas auf und um Mitternacht lag das ganze Haus und seine Gäste schon in tiefem Schlaf.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.10.2018


21. Wehklagen im Schloss von Landin 01.11.2018

Landiner Schloss

Es wird berichtet, dass im Schloss in Landin in einer Ecke ein großer Findling vermauert wurde. Er war auf den Feldern in der Umgebung gefunden worden und mit einem Fuhrwerk beim Schlossbau nach Landin gekommen und wurde als Eckstein vermauert. Viele kleinere Findlinge und Feldsteine bildeten das Fundament der Schlossmauern, was einen guten Schutz gegen die aufsteigende Nässe aus der Erde war. So lebten denn die von Bredows in gutem Frieden mit allen Bauern und Lohnarbeitern in dem kleinen Landin. Das Leben wurde von den Jahreszeiten und den kirchlichen Festen diktiert. Saat und Ernte, Frost und Hitze wechselten sich ab und ließen die Jahre dahinfließen. Einmal verliebte sich ein junges adliges Fräulein in einen armen Kuhhirten. Es war eine heimliche Liebe, denn die Eltern hatten schon einen anderen standesgemäßen Bräutigam für sie ausgesucht. Aber das junge Fräulein Eleonore weinte viele Tränen über diesen Plan und konnte von ihrem geliebten Franz nicht loskommen. Als sie merkte, dass sie von Franz schwanger geworden war, wusste sie sich nicht anders zu helfen, als das Neugeborene im Keller unter dem großen Findling zu begraben. Sie musste dann wirklich einen adligen Cousin aus Görne heiraten und bekam noch viele Kinder. Die Trauer um ihren Geliebten und um das unschuldige Erstgeborene blieb aber ihr ganzes Leben lang erhalten. Sie vergoss viele Träne über ihr grausames Schicksal und beweinte oft ihr totes Kind unter dem Stein. Als Eleonore gestorben war, vernahmen die Menschen im Schloss ein leises Wimmern und konnten die Ursache nicht finden. Auch in den Häusern um das Schloss war dieses Wehklagen zu hören. Man forschte nach der Ursache, aber es ließ sich nichts Ungewöhnliches im Schloss entdecken. Das Wimmern und Wehklagen ließ nach einer gewissen Zeit wieder nach. Aber jedes Mal, wenn ein Mensch im Schloss im Sterben lag, ertönte das Wimmern und Wehklagen erneut. Es kam, so hatten die Bewohner herausgefunden, von dem großen Findling in der Ecke. So ging es viele Jahre bis 1945 das Schloss zerstört wurde. Seither hat niemand mehr davon gehört.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuss 01.11.2018



22.  Babuckes Weihnachtsbaum 01.12.2018

Das Haus von Hans-Joachim Babucke in Landin


Der Revierförster von Landin, Hans-Joachim Babucke, wohnte am Ende des Dorfes, aber nicht weit von der Kirche in der Bergstraße 4, in einem kleinen Haus. Er hatte seine Frau Ingelore bei der Ausbildung zum Förster kennengelernt und während er nach der Ausbildung seine Arbeit in Landin aufnahm, leitete seine Frau den kleinen Dorfladen. Die Dorfläden gehörten der Konsum-Genossenschaft in der DDR und deshalb nannte man ihn kurz und bündig den „Konsum.“ Er war als Revierförster von 1965 – 2005 in Landin tätig und wohnt heute noch immer in dem kleinen Häuschen mit Garten und Bäumen in Landin. Bis weit in den Herbst geht er im Lochower See zum Schwimmen und hält sich so fit.


Zu seinen Aufgaben als Förster gehörte die Pflege des Waldes. Das Abholzen und das Neuaufforsten der gerodeten Flächen mussten überwacht werden. Die Beobachtung der Baumschädlinge und die Einleitung von Bekämpfungsmaßnahmen gehörte auch zu seinen Aufgaben. Natürlich fütterte er in harten Wintern auch die Rehe und Hirsche, die es in der Region gab. So war in den ersten Jahren der DDR auch den Kindern auferlegt, Kastanien und Eicheln zu sammeln, damit man etwas Kraftfutter für die Waldtiere im Winter hatte und ein paar Pfennige für das Taschengeld dazubekam. Aber das war nur ganz selten der Fall, denn bei normalem Winterwetter in Brandenburg fand das Wild ausreichend Futter. Sein Beruf als Förster machte ihm Spaß. Er kam auch mit seinen Kollegen gut zurecht.



Oben von links: Revierförster Jens Deparade (Ferchesar), Revierförster Michael Austen, (Kleßen)
Mitte von links: Revierförster Rolf Deparade, (Haage), Revierförster Hans-Joachim Babucke, (Landin), Revierförster Langheinrich (Zootzen)
Unten von links: Revierförster Lothar Mrotzeck (Ferchesar), Oberförster Hans Behrend (Rathenow), Revierförster Walter Schubert, (Zootzen)



Er achtete auf die Wildschweine und die Füchse in seinem Bereich, aber Wild gehörte eigentlich nicht zu den Aufgaben der Förster. Das Wild und die Bejagung kontrollierten in der DDR die Jagdgesellschaften. Hans-Joachim Babucke war Mitglied in einem Jagdkollektiv. Der Jagdleiter von Landin, Willi Gnad, hatte die Waffen unter Verschluss und verteilte sie an die Mitglieder des Jagdkollektivs bevor es zur Jagd ging. Für die Jagdleiter war jeglicher Kontakt mit Leuten aus Westdeutschland verboten. Als Willi Gnad Besuch von seinen Verwandten aus der Bundesrepublik erhielt, wurde ihm die Leitung des Jagdkollektivs entzogen und an Hans-Joachim Babucke übertragen. Für Hans-Joachim Babucke änderte sich kaum etwas. Vorher hatte er seine Waffe von Willi Gnad bekommen und jetzt gab er an Willi Gnad die Waffe heraus. Und Jagen war ja den Jagdgesellschaften vorbehalten. Privatjäger waren in der DDR kaum bekannt. Die Jagdgesellschaften hielten das Schwarzwild kurz. bekamen auch manchmal einen kapitalen Hirsch zum Abschuss frei. Nach der Einheit Deutschlands (1990) gehörte dann auch die Jagd zu seinen Aufgaben.

Geweih eines Rothirsches
Ungrader Vierzehnender
(27.08.2018)

Im Advent warf Hans-Joachim Babucke zwei Fichten über den Torweg der Gaststätte Muchow in Landin, den einen für die Gastwirtschaft und den anderen zur privaten Nutzung. Er selbst hatte für sich einen wunderbaren Baum ausgesucht, eine Fichte, die seine Frau besonders liebte. Schon der Geruch von Tannengrün versetzte sie in vorweihnachtliche Stimmung. Oft ging er in die Schonung, wo die Fichte stand und besuchte seinen Baum, den er auch mit einem roten Band kennzeichnete, damit jeder sehen konnte, dieser Baum war für den Förster bestimmt. An heißen Sommertagen brachte er dem Bäumchen auch eine Kanne Wasser mit und tränkte es tüchtig. Er hatte seine Freude an der gut gewachsenen Fichte und konnte keine Fehler an ihr finden. Vorfreude ist ja die schönste Freude und so war Hans-Joachim Babucke fröhlich, wenn er in die Nähe dieses Wäldchens kam

Fichtenschonung

Anfang Dezember holte er schon die Weihnachtssachen vom Boden und schaute nach, ob alles in Ordnung war. Es gab auch eine Weihnachtskrippe bei Babuckes mit geschnitzten Holzfiguren und fast jedes Jahr musste etwas repariert werde. Mal war das Dach vom Stall in Bethlehem defekt, mal fehlte einer Krippenfigur ein Arm, den er wieder anklebte. Am 23.12. ging er dann mit Säge und Axt in den Wald, um seine Lieblingsfichte zu fällen. Dann wurde der Baum in den Ständer gestellt und bis zum Heiligen Abend noch auf dem Hof stehengelassen. Während seine Frau am Heiligabend in der Küche stand und alles für das Weihnachtsfest vorbereitete, hatte er die Aufgabe den Weihnachtsbaum zu schmücken. Dann wurden die alten silbernen Kugeln angehängt und eine silberne Spitze aufgesetzt und die Lichterkette um den Baum gelegt. Er hatte auch eine Silbergirlande, die er kunstvoll um den Baum wickelte. Zum Schluss kam das Lametta und dann stand der Baum in aller Pracht und Herrlichkeit bis zum Heiligen Dreikönigstag am 05.01. des neuen Jahres im Wohnzimmer und erfreute die Familie. 1973 war das wie in jedem Jahr. Er hatte seine auserwählte Fichte mit einem roten Band gekennzeichnet und besuchte sie das ganze Jahr so oft es ging. Als er am 23.12. das Bäumchen holen wollten, war ihm ein Dieb zuvorgekommen und hatte seinen Lieblingsbaum schon abgesägt. Er war wütend und musste nun einen anderen Baum suchen und mit nach Hause nehmen. Er schaute nach Weihnachten in alle Stuben der Landiner, ob er seinen Baum irgendwo finden würde, aber es hatte wohl ein Rathenower seinen Baum entwendet. Er war im Advent schon viel im Wald gewesen, aber die Weihnachtsbaumdiebe waren schlau und hatten ihm ein Schnippchen geschlagen.

Der Ersatzweihnachtsbaum

Das ganze Fest war dadurch für ihn verdorben, aber seine Frau tröstete ihn und sagte, sie finde diesen Ersatzbaum dieses Jahr besonders schön. So beruhigte er sich allmählich wieder und es wurde dann doch noch ein schönes Fest. Am Heiligabend gab es Kartoffelsalat mit Würstchen und zum Weihnachtstag eine Wildgans mit Rotkohl und Kartoffeln und als Nachtisch Birnenkompott. Seine Frau hatte auch einen Apfelkuchen gebacken und Kekse, sodass dann alles doch in weihnachtlichem Frieden harmonisch endete.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2018


23. Lisa Gretinger fliegt nach Moskau 01.01.2019


Lisa Gretzinger, geborene Lüpke, war eine LPG-Bäuerin, die fleißig die Milchsammelstelle hinter ihrem Haus betreute. Ihr Haus stand in der Bergstraße 8 in Landin nur ein paar Schritte von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Ihr zu früh verstorbener Mann hatte ihr ein tüchtiges Geldpolster hinterlassen, mit dem sie gut zurechtkam. Die zwei Söhne, Günter und Werner, gingen ihrer Wege und nur Lenchen Lüpke, ihre Schwester aus Spaatz, kam ab und an zu Besuch und brachte ihren Haushalt wieder auf Vordermann. Sie war eine fleißige und gutmütige Frau und versuchte mit allen Menschen in Frieden zu leben. Sie hielt sich auch zur Kirche und kam jeden Sonntag zum Gottesdienst, wenn denn in Landin Kirche war. Sie spielte auch gern Karten und verbrachte viele Sonntage besonders im Winter und wenn es ihre Arbeit erlaubte bei Hertha Brunow und spielte mit ihr und ihren Gästen bis spät in die Nacht Canasta oder Rommé. Ihren Mann hatte sie herzlich geliebt. Er war ein sehr geschickter Mensch und reparierte viel in der kleinen Wirtschaft selbst. Es waren glückliche Jahre für Lisa.

Lisa Gretzinger mit ihrem Mann August
am Hochzeitstag 30.11.1946


1975 hörte sie, dass Elfriede und Walter mit Lucie Ulrich aus Rathenow nach Moskau fliegen wollten. Lisa hatte schon immer den Wunsch, einmal in ihrem Leben zu fliegen und so fragte sie die Drei, ob sie nicht mitkommen könnte. „Selbstverständlich kannst Du da mit,“ sagten sie und so wurde ein neuer Koffer gekauft, neue Schuhe und ein neuer Mantel. Dann ging es nach Berlin-Schönefeld zum Flughafen, wo die Reise starten sollte. Lisa hatte eine große Goldkette mit einem Topas umgelegt und gleich beim ersten Sicherheitscheck bimmelte es im ganzen Flughafen, dass ihre Freundin Luci Ulrich schmunzelt rief: „Lisa rück Deine Pistole raus!“ Erst als die Halskette abgelegt wurde, konnte sie ohne Beanstandung das Sicherheitstor passieren. In Moskau wartete ein Bus und eine Reiseleiterin auf die kleine Reisegruppe von 20 Menschen und zeigte ihnen die touristischen Attraktionen. Natürlich musste man zum Mausoleum und dem Lenin die letzte Ehre erweisen. Lange Schlangen von Russen standen vor dem Mausoleum und warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren. Die Ausländer wurden immer vorgelassen. Rechts und links standen Soldaten als Ehrenformation und bedeuteten den vorbeiziehenden Menschen still zu sein. Walter hatte mit Eisen beschlagenen Schuhe an, die bei jedem Schritt auf dem Marmorfußboden klirrten, was die Soldaten sichtlich verwirrte. Walter tat aber so, als ob ihn das nicht beträfe. Ein Blick auf den toten Lenin und dann war dieser Akt vorüber und man konnte sich dem Kreml und den schönen Kirchen von Moskau zuwenden. Die Pracht der russisch-orthodoxen Kirchen ist unübertroffen und natürlich lockten die Kommunisten auch ihre Besucher mit diesen prächtigen Bauten an. Die Kathedrale des Heiligen Basilius gehörte dazu, wie eine geführte Metro-Tour, wo man die Pracht der Bahnhöfe bewundern konnte. Am schönsten empfand Lisa den Gesang der russisch-orthodoxen Kirchenchöre. So etwas Schönes hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört. Die Reiseleiterin führte sie auch in das Kaufhaus GUM, wo es nur so von Menschen wimmelte. Sie hatte sich bei Luci Ulrich eingehakt und beschaute die Auslagen rechts und links und wandte ihr Gesicht zur Luci und sagte: „Luci kuck mal hier, die Tasche ist doch sehr schön.“ Erschrocken zog sie sofort ihre Hand zurück, denn in dem Gedränge hatte sie sich inzwischen unbemerkt bei einem Russen untergehakt, der ebenso lachte wie sie. Die Reiseleiterin hatte der Gruppe gesagt: „Wenn Sie etwas kaufen wollen, müssen Sie es erst bezahlen und dann zum Verkäufer gehen, der Ihnen die Ware aushändigt.“ Andere Länder - andere Sitten, dachte sich Lisa und kaufte eine Matroschka. Das sind solche bemalten Holzpuppen, in deren Inneren immer eine noch kleinere Puppe enthalten ist. Untergebracht war die Touristengruppe in einem Hotel im Stadtteil Ostankino neben dem 537 m hohen Fernsehturm von Moskau. Der Reisebus holte sie nach dem Frühstück, das in einem Rokokosaal des Hotels serviert wurde, ab und brachte sie auch wieder dorthin zurück. Ein Theaterbesuch stand auf dem Programm und da ging es ins Bolschoi-Theater zum Ballett „Schwanensee“. Es gab wenig freie Zeit. Die Reise war gut durchprogrammiert worden. Manchmal gab es aber doch ein bis zwei Stunden Freizeit im Zentrum der Stadt Moskau, wo die Besucher in Cafés oder in die Kaufhäuser allein gehen konnten oder einfach frische Luft schnappten. Bei diesem Spaziergang hielt ein Auto vor Lisa an. Eine Frau stieg aus und redete auf sie ein. Dabei betastete sie immer Lisa´s Mantel und zeigte ihr Geld. Lisa begriff erst allmählich, dass die Frau ihr den Mantel auf offener Straße abkaufen wollte. Als sie energisch den Kopf schüttelte und sie von sich wies, stieg die Frau wieder in das Auto und fuhr weiter. Lisa und ihrer Begleiter hatten so etwas noch nie erlebt und sprachen noch lange über diesen Vorfall.


von links: Lisa Gretzinger, Elfriede K., Lucie Ulrich und Walter K.
in Moskau

Nach drei Tage wurde die Touristengruppe wieder zum Flugplatz Domodedowo gefahren und flog nach Leningrad, wo das Besichtigungsprogramm fortgesetzt wurde. Es ging zum Panzerkreuzer Potemkin, in das Winterpalais und nach Rasliw, wo Lenin angeblich in einer Grashütte gehaust hatte. Auch wurde ein Ausflug zum Schloss Peterhof gemacht. Die Sommerresidenz Peter I. ist ja eine Pracht aus Wasserspielen und Gold. Vor dem Rückflug gab es eine Verzögerung. Es war ein Schaden am Motor des Flugzeugs festgestellt worden und die Touristen schimpften, dass sie ihre Anschlüsse in Berlin nicht mehr erreiche konnten. Ein gut Deutsch sprechender Offizier des Flughafens in Leningrad kam nach den Beschwerden zu der kleinen Gruppe und erklärte, dass man den Schaden beheben wolle und fragte dann hinterlistig: „Oder wollen Sie fliegen mit Defekt?“ Das wollte natürlich keiner. Lisa wollte noch ein paar Brötchen, am Flughafen kaufen, da es Sonntag war und sie in Landin nicht einkaufen konnte. Die Verkäuferin versuchte sie gestikulierend von dem Brötchenkauf abzubringen, aber Lisa ließ sich nicht beirren. Sie kaufte sieben Brötchen. Im Flugzeug kostete sie eines und nun wusste sie, warum ihr die Verkäuferin die Brötchen nicht mitgeben wollte. Sie waren alle mit Sauerkraut gefüllt, was unserem Geschmack nicht so vertraut ist.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.01.2019



24. Die Bötfrau von Landin 01.02.2019

 

Bötfrau Anni



Anna Amalia Fischer lebte mit ihrem Mann und den drei Kindern am Rande des Dorfes in Landin. Ihr Mann war früh gestorben und so bewirtschaftete sie mit ihrer alten Mutter Elsbeth Sydow das kleine Anwesen, als die Kinder aus dem Haus waren. Ihre Mutter war eine „weise Frau“, wie man das so sagte, denn sie sammelte das ganze Jahr hindurch Kräuter, Wurzeln und Früchte und verarbeitete sie zu Tees und heilkräftiger Salben oder Tropfen. Sie hatte Ringelblumensalbe für die schlecht heilenden Wunden. Die Blüten der Ringelblume kochte sie mit Schweineschmalz und goss das flüssige Schmalz durch ein Sieb in kleine Gläser und verabreichte es ihren „Kunden“. Im Haus hatte sie ein kleines Zimmer eingerichtet mit sieben Stühlen auf der einen Seiten und einem Stuhl auf der anderen Seite. Wenn Menschen zu ihr kamen, um ihren Rat einzuholen, setzte sie sich auf den einzigen Stuhl an der Wand, bat ihre Besucher auf der langen Stuhlreihe Platz zu nehmen und fragte: „Wat kann ik voor di duun?“ Manchmal kamen auch aus den umgebenden Dörfern und aus Rathenow Menschen mit allerlei Gebrechen zu ihr. Sie starb mit 89 Jahren und vermachte ihr Wissen an ihre Tochter, die nun die „Bötfrau“ im Dorfe wurde. Anna war oft mit ihr unterwegs gewesen und hatte mit ihr Kräuter gesammelt und kannte sich in den Wiesen, Wäldern und Feldern um Landin aus. Sie war mit der Kunst ihrer Mutter aufgewachsen und da sie eine gute Auffassungsgabe hatte, war sie bald genauso gut, wie ihre Mutter. Das Böten oder Besprechen, wie die Leute sagten, hatte sie nun übernommen. Die meisten Menschen kamen zur Behandlung der Gürtelrose zu ihr. Sie kannte auch den Spruch, um diese Krankheit zu heilen und murmelte ihn während sie die Hand über die die entzündeten Areale führte, für ihre Kunden unhörbar vor sich hin: „Rose, Rose weiche! Flieh in eine Leiche!“ Der Spruch musste dreimal gesprochen werden und dann wurden die Patienten für die nächsten zwei Wochen noch einmal bestellt, sodass insgesamt neunmal der Spruch über der erkrankten Stelle gesprochen wurde. Manchmal, wenn die Gürtelrose sehr schlimm war, empfahlen auch die Ärzte, den Patienten zu einer Böt- oder Kräuterfrau zu gehen. Es gab in den Dörfern in der Umgebung überall Männer und Frauen, die diese Kunst verstanden. Viele Leute kamen auch mit Warzen zu ihr. Dann bestellte Anna die Patienten erneut in einer Vollmondnacht und nahm die betroffene Körperstelle, meistens Hände oder Füße in ihre Hand und sagte einen Spruch. Anni, wie sie im Dorf genannt wurde, hatte schon in allen Haushalten ihr Wissen anwenden müssen. Sie hatte ausgezeichnete Hustentropfen und hatte auch die richtigen Tropfen und Tees, wenn im Alter das Wasser in den Beinen war. Für das Bauchweh der Babys verordnete sie Kümmeltee. Der Doktor aus der Stadt schrieb immer hohe Rechnungen und wer konnte sich das schon leisten außer ein paar reichen Bauern und der Familie von Bredow. So hatte sie ihr Auskommen, denn die Landiner zahlten gern mit Eiern, Gänsen, Enten oder auch mit Kartoffeln oder einem Sack Mehl. Der Förster lieferte ihr für ihre Dienste das Brennholz für den Winter. Sie wurde auch gerufen, wenn die Kühe verkalbten oder nicht mehr fressen wollten. Oft wusste sie Rat, aber das war nur die Ausnahme. Ihre Salben und Kräuter waren doch in erster Linie für die Menschen bestimmt. Die Landiner dankten es ihr auf vielfältiger Weise und verehrten sie bis zu ihrem Tode wie eine weise Frau.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2019

25. Der Sägespäeneofen 01.03.2019


Sägespäneofen
Zeichnung: Kathrin Kumbunda

Alwine Jahnke lebte mit ihrem Mann Heinrich und den drei Söhnen in einem kleinen Haus in Landin. Der Mann arbeitete als Kraftfahrer für das Sägewerk Wodke in Rathenow und fuhr einen Tankholzlaster. Der LKW hatte neben dem Fahrerhaus einen runden Tonnenofen, der mit Tankholz befeuert wurde und dadurch ein Gas erzeugte, das den Motor antrieb. Tankhölzer waren Holzstücke vom 20-30 cm Länge und Breite, die extra für den Ofen so geschnitten wurden. Nach dem Krieg 1939 -1945 waren LKW´s rar und jedes Transportmittel hochwillkommen. Im Sägewerk Wodke gab es Sägespäne ohne Ende und man wusste nicht recht, wohin damit? So machten die Menschen aus der Not eine Tugend und die Rathenower Firma „ Ofen und Herdbau“ entwickelte einen Sägespäneofen. Der bestand aus einem runden Metalleinsatz mit einem Loch unten und einem runden Metallofen mit abnehmbarem Metalldeckel und einem Ofenrohransatz. Unten im Metallofen befand sich ebenfalls ein rundes Loch und darunter ein Metallschubfach. Heinrich hatte von dem Sägespäneofen gehört und seine Frau Alwine bedrängte ihn sofort, so einen Ofen zu beschaffen, denn die Sägespäne bekam er kostenlos von seiner Firma Wodke. Der ganze Schuppen hinter dem Haus wurde nun mit Sägespäne gefüllt und am Nachmittag begann Alwine den Ofeneinsatz mit Sägespäne zu füllen, in dem sie einen Holzstock in das untere Loch des Einsatzes steckte und dann rundherum alles mit Sägespäne vollstampfte. Dann trug sie den Einsatz ins Haus und stellte ihn in den Ofen. Der Stock wurde herausgenommen, sodass eine kleine Luftsäule in dem Sägespäneofen entstand. Sie verschloss den Ofen mit dem Deckel und zündete in dem Schubfach unter dem Ofen mit Papier ein kleines Feuer an, dass sofort die Sägespäne in Brand setzte und der Metalldeckel manchmal sogar glühte, denn der Brand setzte sich von innen nach außen in der Luftsäule fort. Das dauerte die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen. Das Wohnzimmer war mollig warm und es war ein sehr sparsames Verfahren. Aber der Mensch ist ja erfinderisch und bald hatte Alwine herausgefunden, dass, wenn sie ein paar Briketts in die Sägespäne legte, der Ofen noch länger heizte. Nur gab es manchmal das Phänomen, dass die Kohle den inneren Hohlraum, der zum Brennen ja notwendig war, verstopfte und es, wenn die Kohle durchgebrannt war, eine kleine Explosion gab und der Deckel des Ofens ein paar Zentimeter hoch flog. Dann war das Zugloch wieder frei und der Ofen brannte normal weiter. Die Familie hatte sich bald daran gewöhnt und fand an den Eruptionen nichts Ungewöhnliches mehr. Ob eine Gefahr für eine Rauchgasvergiftung bestand, interessierte damals keinen Menschen. 1954 sollte der älteste Sohn, Siegfried, konfirmiert werden und der Pfarrer kam an einem Wintertag zu den Jahnkes, um alles zu besprechen. Der Vater hatte vorher mit dem Sohn gesprochen und ihn auf die Bedeutung der Konfirmation hingewiesen. „Wenn ich was sage und es ist wahr, kannst Du es glauben,“ sagte er zu Siegfried und die Mutter ergänzte: “So sieht´s aus.“ Alwine hatte den Sägespäneofen in Brand gesetzt und einen Kuchen gebacken. Nachdem der Kuchen angeschnitten war, fragte der Pfarrer, ob er seine Jacke ausziehen dürfe, denn der Ofen hatte das Zimmer wohl auf 40 Grad Celsius gebracht. Das Gespräch über den Konfirmationsspruch und die wichtige Zäsur im Leben des Sohnes war gerade in vollem Gange, als es eine Explosion gab und der Deckel des Sägespäneofens ein paar Zentimeter nach oben geschleudert wurde. Der Pfarrer hatte sich so darüber erschrocken, dass er kurz vor einem Schock stand, aber die Familie beruhigte ihn und lachte und sagte, das sei ganz normal, denn eine Kohle hätte nun wieder die Brandsäule freigegeben. Es wurde die Funktion des Sägespäneofens erklärt, aber der Pfarrer verabschiedete sich doch hastig, er hätte noch einen Termin. Die Sache war ihm anscheinend unheimlich. Zur Konfirmationsfeier kam er aber dann doch mit seiner Frau, hielt sich aber immer in respektvollen Abstand von dem Ofenungetüm.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.03.2019


26. Die Stille Pauline 01.04.2019


„Die stille Pauline“ war für die Landiner das Tor zur Welt. Mit der Kleinspurbahn von Rathenow waren die Dörfer Stechow, Ferchesar, Kotzen, Landin, Kriele, Haage und Senzke am Eisenbahnnetz in ganz Deutschland angeschlossen. Sie fuhr von Rathenow nach Paulinenaue, daher der Name „Die stille Pauline“ und eine Abzweigung von Senzke führte auch zur „Stadt Nauen“, wie man früher sagte, denn es gab ja noch das Dorf „Hohennauen.“


Einmal fuhren zwei Landiner, Fritz Mewes und Gerhold Müller mit der Kleinbahn von Landin zur Stadt Nauen, als in Haage ein neuer Fahrgast einstieg und gleich auf Gerhold Müller zuging, ihm die Hand schüttelte und fragte: „Wie geht es Dir denn Gustav?“ „Gut, gut, gut,“ antwortete der Angesprochene. „Was machen denn Deine Frau und die Kinder, Gustav?“ „Auch gut,“ erwiderte er. Als der Fahrgast in Pessin ausstieg, verabschiedete er sich überschwenglich und bestellte noch einmal viele Grüße an Frau und Kinder. Nachdem der Zug wieder angefahren war, sagte Fritz Mewes zu seinem Freund: „Du heißt doch gar nicht Gustav und bist doch auch nicht verheiratet und Du hast auch keine Kinder. Warum hast Du nichts gesagt?“ Gerhold Müller erwiderte ihm seelenruhig: “Ja, das ist alles richtig, was Du sagst. Ich kannte den Mann auch nicht, aber sollte ich mich mit ihm streiten?“

Haltestelle Landin

Für die Bauern war „Die Stille Pauline“ überlebenswichtig, wenn im Herbst die Zuckerrüben zur Zuckerfabrik nach Nauen gebracht werden mussten, für den Transport von Kartoffeln, Korn, Obst und Gemüse und für das Schlachtvieh. Alles transportierte „Die Stille Pauline“ – natürlich auch die Menschen, die zum „Inköpen“ (Einkaufen) in die Kreisstadt Rathenow fuhren. Von dort war es dann auch nur ein Sprung nach Berlin. Es gab richtig schöne Bahnhöfe wie in Stechow, aber auch nur Haltepunkte, die einfach zwischen Feldern lagen und doch keine 1000 m weiter von Stechow  schon als „Bahnhof Ferchesar“ bezeichnet wurden. Es gab auch für den damaligen Stress folgendes geflügeltes  Wort, das Agnes Barnewitz zugeschrieben wird: „Wäsche wascht, Mann begraven und nach Stadt jeführt“ (Wäsche gewaschen, Mann begraben und in die Stadt gefahren), wobei damit Rathenow gemeint war. Die Besucher des Adels und aller anderen Familien kamen mit der Stillen Pauline nach Landin, aber auch das Dienstpersonal und die Knechte und Mägde für die Bauern, denn es musste ja noch alles mit der Hand gemacht werden und der Bedarf an Arbeitskräften war besonders im Herbst groß.

Eisenbahnzug auf einer Postkarte von Kotzen

Wenn sich Besuch bei den von Bredows angesagt hatte, fuhr der Kutscher zum Bahnhof Landin und holte die Gäste pünktlich ab. Die Besucher hatten ja meistens eine briefliche Korrespondenz vorausgeschickt und „Die Stille Pauline“ war berühmt für ihrer Pünktlichkeit. Man konnte die Uhr danach stellen, auch wenn sie immer auf Gäste, die mit der Bahn in Rathenow eintrafen, wartete. Dem Schaffner wurde Bescheid gesagt, dass man die Tante aus Berlin erwartete und dann konnte man in Ruhe alle Koffer, Kästen und Taschen, es gab auch noch Reisekörbe, in „Die Stille Pauline“ bringen und dann ging die Reise los. Es war ja von Rathenow eine wunderschöne Fahrt durch das Havelland mit seinen Wäldern, Wiesen und Feldern. Ob die Menschen damals dafür Augen hatten, weiß ich nicht, aber heute wäre „Die Stille Pauline“ eine Touristenattraktion. Nach der Landesgartenschau 2006 und nach der Bundesgartenschau 2015 hat es ja eine regelrechte Invasion von Touristen im Havelland gegeben, und ich denke, das wird auch zukünftig ein wichtiges Standbein der Wirtschaft sein. Im Havelland gibt es so manche Sehenswürdigkeit wie die Sieben-Brüder-Eiche in Friesack, der Hochzeitsbaum in Linde und natürlich die Lady Agnes in Stölln. „Die Stille Pauline“ fuhr von 1932 bis zum 31.03.1949 und wurde vom Landkreis Westhavelland betrieben. Sie sollte den Landkreis an die Bahnnetze nach Berlin und Hamburg anschließen. Der Sitz der Verwaltung der Schmalspureisenbahn war in Rathenow.



Schmalspurbahn beim Überqueren
des Havelländischen Hauptkanals




Erika Piesche  (*30.08.1917 - † 10.02.2012)
aus Bamme

hat ein Gedicht über die Stille Pauline geschrieben.

1. Auf die rasende Pauline
stimme ich mit froher Miene
dieses schöne Liedchen an,
das man leicht behalten kann.

2. Ohne Reichsbahn und Benzin
kommt man nicht mehr nach Berlin.
Helfe, wer da helfen kann!
Die Pauline hat´s getan.

3. Rin in die Paulinenschlange,
denn sie wartet nicht mehr lange,
vorn die Milch und hinten wir,
vorwärts heimwärts! Ab dafür.

4. Erst kommt Stechow früh am Tage
und Ferchesar, Kotzen, Haage,
dampft sie dann in Senzke an,
Junge, da ist alles dran.

5. Die Pauline muss rangieren,
Wasser saufen, Lager schmieren,
warten auf den Gegenzug,
Mensch, da haste Zeit genug.

6. Betty Muchow aus Landin,
lässt sie still vorüber ziehn,
denn der Max ihr, lieber Mann,
kam aus Rathenow heut nicht an.

7. Brennt die Sonne heiß am Himmel,
ruckt Pauline mit Gebimmel
plötzlich ab im vierten Gang,
alles fliegt im Wagen lang.

8. Kriele, Retzow, Selbelang,
immer mang die Wiesen mang,
Ribbeck, Berge und sodann
landen wir in Nauen an.

9. Müde und mit steifen Knochen
kommen wir herausgekrochen,
keiner macht sich etwas draus,
denn jetzt sind wir ja zu Haus.

10. Alles stimme mit mir ein:
„Hoch soll sie gepriesen sein!
Und wir rufen dreimal noch:
„ Die Pauline leben hoch!“



Stille Pauline bei Senzke


Die Gleise der Schmalspurbahn

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 -1945) wurden die Schienen der Stillen Pauline als Reparationsleistungen abgebaut und in die Sowjetunion (Russland) gebracht und dort sicher eingeschmolzen. Es war ja auch bei den Russen durch den Krieg alles zerstört worden, und es war ein schwieriger Wiederaufbau in beiden Ländern zu bewältigen. Man sollte aber die Vision der Wiederinbetriebnahme der „Stillen Pauline“ nicht aus den Augen lassen. Heute gibt es natürlich elektrische Züge, die ihren Strom aus den Schienen beziehen. Es wäre für den Tourismus wichtig.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.04.2019


27. Der LPG-Vorsitzende Johann Bauer 01.05.2019

Katharina und Johann Bauer

Die LPG „Freie Scholle“ in Landin hatte von 1952 – 1970 Johann Bauer zum Vorsitzenden gewählt. Johann Bauer war am 14.12.1906 in Fürstenthal im Kreis Radautz in der Bukowina in Rumänien geboren. Es war eine katholische deutschsprachige Enklave in Rumänien, wo die Menschen mit Waldarbeiten ihr Täglich Brot verdienten. In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörte Siebenbürgen noch zum Königreich Ungarn und die Bukowina war direkt hinter der östlichen Grenze des ungarischen Königreiches gelegen und gehörte wie das noch etwas östlicher gelegene Bessarabien zu Rumänien

Königreich Ungarn

Er besuchte vier Jahre die deutsche Schule in seinem Dorf und ging dann mit seinem Vater schon in den Wäldern der Umgebung, um dort mitzuarbeiten. Er musste auch vier Jahre seinen Wehrdienst in der rumänischen Armee absolvieren. Johann Bauer verliebte sich in Katharina Stadler, geboren am 15.11.1908, die er schon aus der Schule kannte. Sie war inzwischen Hausangestellte bei einer Arztfamilie. 1932 gaben sie sich in er kleinen Kirche in Fürstenthal das Jawort und der Priester segnete ihren Ehebund.

.Römisch-Katholische Kirche in
Fürstenthal


Am 24.12.1933 wurde dem Ehepaar die Tochter Anna, am 27.11.1936 der Sohn Rudolf, am 06.05.1939 die Tochter Therese und am 22.10.1940 die Tochter Erika geboren und in der kleinen katholischen Dorfkirche in Fürstenthal getauft. 1940 musste die Familie ihre Heimat verlassen und wurde nach Bollesczyn, Kreis Litzmannstadt (Lodz), umgesiedelt. Dort wurde am 07.08.1943 Otto Bauer als fünftes Kind der Familie geboren. 1945 musste die Mutter mit den Kindern fliehen und kam nach Pessin im Kreis Westhavelland. Dort wurde am 15.08.1945 der Sohn Bernd geboren. Johann Bauer war 1942 von der Wehrmacht eingezogen worden und musste an die Front nach Frankreich, wo er das rechte Auge durch einen Granatsplitter verlor.


Johann Bauer (links) in Litzmannstadt (Lodz)


1945 geriet er in Amerikanische Gefangenschaft und kam nach der Entlassung nach Landin. Katharina Bauer hatte in Pessin erfahren, dass ihr Schwager Rudolf Gnad Revierförster in Landin war. Er hatte in Fürstenthal (Bukowina) die Schwester ihres Mannes, Ottilie Bauer, geheiratet. Ebenso hatte sich ihr Schwager Karl Gaschler in Landin angesiedelt, der die Schwester Leontine ihres Mannes geheiratet hatte. Johann Bauer wohnte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 -1945) mit seiner Familie im Schloss in Landin und erhielt durch die Bodenreform etwas Land und baute 1949 ein Neubauernhaus in der Steinstraße 1 in Landin.

Neubauernhof Steinstr. 1 in Landin


Er trat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei und wurde nach der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) „Freie Scholle“ deren Vorsitzender.


Der LPG-Vorsitzende Johann Bauer (links)
mit Iris Hünicke
vor dem LPG-Büro in Landin

Mit der SED gab es hin und wieder Reibereien, denn seine Frau hatte bestimmt, dass man nicht aus der Katholischen Kirche austrat, was für SED-Mitglieder ungewöhnlich war, da das Statut der SED das Bekenntnis ihrer Mitglieder zum Atheismus forderte. Am 22.07.1951 wurde die jüngste Tochter Gisela in Landin geboren. Johann Bauer saß im Sommer gern mit seiner Frau vor dem Haus und erzählte mit ihr bis spät in die Nacht.



Familienbild
(von links: Otto Bauer, Bernd Bauer, Therese Bauer, Erika Bauer, Anna Bauer, Katharina Bauer, Johann Bauer)

Nach dem Kriege mussten die Menschen stundenlang ohne elektrischen Strom auskommen. Die so genannten „Stromsperren“ waren für den Familienmensch Johann Bauer schöne Zeiten. Er versammelte alle Familienmitglieder um sich, zündete eine Kerze an und erzählte selbst ausgedachte Geschichten. Sie waren voller Schalk, und die andächtig zuhörenden Kinder merkten erst viele Jahre später, dass der Vater geflunkert hatte. Er sprach viel über den Wald und von den Bäumen, mit denen er in der Bukowina aufgewachsen war. In einer Geschichte erzählte er den Kindern von einem Waldarbeiter, der sich so über etwas erregt hatte, dass er sich die rechte Hand abhackte. Das ärgerte ihn noch mehr, sodass er auch die linke Hand abhackte. Dass das praktisch gar nicht möglich war, fiel den Kindern nicht sofort auf. Er las der Familie auch oft abends Geschichten aus dem Buch „Alitet geht in die Berge“ von Tichon Sjomuschkin vor. Der Roman war 1950 im Moskauer Verlag für fremdsprachige Literatur herausgegeben worden und hatte 1948 den Stalinpreis erhalten. Das Weihnachtsfest war für die Familie immer ein sehr inniges Fest. Am Heiligabend ging der Vater mit den Kindern in seinen Wald und holte den Weihnachtsbaum. Die Mutter schmückte ihn dann am Nachmittag, und abends saß die Familie beim Essen zusammen. Es gab Kartoffelklöße mit einer Soße aus weißen Bohnen mit Rauchfleisch. Während des Essens ging der Vater meist unbemerkt hinaus, und es erschienen vor dem Küchenfenster Weihnachtsgeschenke, die der Vater an der Außenseite des Fensters so vorbeiführte, dass man ihn nicht sah. Es hieß dann immer: „Das Christkind hätte die Geschenke gebracht.“
Die Neubauern hatte ja keine Maschinen und so richtete der Staat zunächst Maschinenausleihstationen (MAS) ein, die später als Maschinentraktorenstationen (MTS) den LPG´n angegliedert wurden. Katharina Bauer war Chefin des Hühnerstalls der LPG, der sich gleich hinter ihrem Haus in der Steinstr. 1 befand. Manche Wirtschaften konnten nicht mehr ordentlich betrieben werden, weil die Besitzer einfach zu alt waren. So hatte der kommunistische Staat für die Landwirte Fritz Sandberg und Otto Hünicke einen Örtlichen Landwirtschaftsbetrieb (ÖLB) gebildet, der von einem externen Landwirt geleitet wurde, um sie zu unterstützen. Als 1952 die LPG „Freie Scholle“ Landin gegründet wurde, kamen dieses Wirtschaften des ÖLB natürlich auch in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG). Die ersten LPG-Mitglieder waren Johann Bauer, Gustav Tietke, Karl Gaschler, Johann Widmeier, Albert Wachs, Berthold Radke und Karl Mutz. Zum LPG-Vorsitzenden wählte man Johann Bauer. Er war mit seinem Hut und der Zigarette eine Institution in Landin. Er fuhr immer mit einem Simson-Moped SR 2 hin und her. Meist bremste er die Fahrt mit beiden Füßen ab. Er organisierte die Zusammenarbeit der Bauern in dem kleinen Dorf. Zunächst waren ja alle Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Typ I. Das bedeutete, man bewirtschaftete gemeinsam die Wiesen und Felder und das Vieh hatte jeder noch als Privateigentum. Später gab es aber auch nur noch die Genossenschaften vom Typ III, wo auch das Vieh Genossenschaftseigentum war. Johann Bauer leitete die LPG sehr pragmatisch. Wenn bei den Viehzählungen von den Kontrollkommissionen Unstimmigkeiten festgestellt wurden, stand er zu seinen LPG-Mitgliedern und erklärte die zu geringe Zahl der Hühner mit dem Habicht und die fehlenden Rinder mit Notschlachtungen. Er bewertete diese Statistiken so, wie sie normale Menschen sehen sollten. Sie wurden meist für den Papierkorb produziert, und er mochte keine unnötigen Arbeiten. Die heftigste Auseinandersetzung mit der Regierung führte Johann Bauer in einem Kampf gegen die Rinderoffenställe. Er vertrat zurecht die Auffassung, dass die Kühe im Winter in einen warmen Stall gehören, wenn sie ausreichend Milch geben sollen. Die SED-Kreisleitung blieb bei dieser Kampagne hart und wollte den Neubau der Rinderoffenställe mit aller Kraft durchsetzen. Als er in der SED-Kreisleitung keine Mehrheit für seine Ziele bekam, meinte er wütend: „Dann baue ich Euch eben die Rinderoffenstellen, aber Ihr könnt sicher sein, dass ich alle Wände mit so viel Strohballen abdichte, dass die Landiner Kühe nicht frieren werden.“
Der Staat verließ sehr bald die Forderung nach dem Bau von Rinderoffenstellen, weil die Milchproduktion, wie es Johann Bauer vorausgesagt hatte, in diesem Bereich erheblich zurückging. Johann Bauer war ein fröhlicher Mensch. Er liebte seine Familie und war sehr gesellig. Bei den LPG-Festen, die in der Muchowschen Gaststätte stattfanden, war das ganze Dorf auf den Beinen. Vor der Gaststätte standen Tische und Stühle, und es war auch ein Maibaum aufgestellt. Johann Bauer konnte sehr lustig sein und trank auch mal gern einen über den Durst. Dann sang er ein Lied aus seiner Heimat, der Bukowina, was seiner Frau gar nicht gefiel.

Erika Bredendig, geborene Bauer

Video

Wenn ich meinen Schimmel verkauf`,
dis Geld, des ich kriege, versauf`.
Do sogt mir mein Voder, dis is a Suldot,
der allas vasuffa hot.
Do sogt mir mein Vader, dis is a Soldat,
der alles versuffe hat.
Wer wird, wenn i  sterb`, mit mir geh´n?
Wer wird, wenn i sterb`, mit mir geh`n?
Der Schnops und des Bier, die Gläser und s`G´schirr,
Frau Wirtin hascht* auch no mit mir.
Der Schnops und des Bier, die Gläser und`s G´schirr,
Frau Wirtin hascht a nu mit mir.
*hatscht = latscht
Wus wird auf mein Grabstein drauf steh`n?
Was wird auf mein Grabstein drauf steh`n?
Vorbei ist die Not, hier ruht a Suldot,
der ollas versuffa hat.
Vorbei ist die Not, hier ruht a Suldot,
der ollas versuffa hot.

Natürlich trat Johann Bauer bei den Parteiversammlungen der SED immer als Kommunist auf. Er war dem Fortschritt zugewandt und sogar Mitglied der SED-Kreisleitung in Rathenow. Aber im Herzen war ein Christ geblieben. Es gab für ihn andere Maßstäbe im Leben. Dazu hatte er zu viel Lebenserfahrung und seine Biografie, die ihn durch halb Europa in das kleine Landin verschlagen hatte, zeigt ja auch, dass er in vielen Situationen seinen Mann stehen musste und seine Frau Katharina, der die Hauptlast der Erziehung der Kinder in den Kriegsjahren oblag, war eine kluge, fleißige und liebenswerte Frau, die ebenso aufrecht im Leben stand wie ihr Mann. Am 05.12.1978 starb er im Alter von 72 Jahren, beweint und betrauert von seiner Frau und den Kindern. Die Trauerrede hielt Otto Kienscherf, ein Mitglied der SED-Kreisleitung und Sekretär für Agitation und Propaganda in Rathenow. Seine Frau folgte ihm am 06.05.1984 nach und wurde neben ihm auf dem Rathenower Friedhof beigesetzt. Das Requiem für Katharina Bauer hielt der katholische Pfarrer von St. Georg in Rathenow, Helmut Gentz.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2019



28. Ein Verkehrsunfall 01.06.2019

Luise und Enrico nach der Trauung

Enrico war jung, hübsch und hatte Charme. Er hatte die Gabe, die Mädchen und Frauen des Dorfes für sich zu gewinnen. Sie liebten ihn alle. Er hatte dunkelblondes Haar und wenn er mit seinen blauen Augen die Mädchen anschaute, zitterten sie schon bei seinem Anblick. Er arbeitete auf der Wirtschaft seiner Eltern mit und hatte nur noch eine jüngere Schwester, die aber schon als Baby gestorben war, weil die Mutter noch während sie stillte, ein Abführmittel einnahm, das bei ihrer Tochter tödliche Krämpfe verursachte. Nun konzentrierte sich die ganze Liebe der Eltern auf Enrico, auch wenn er behauptete, seine Mutter hätte ihn so oft verprügelt, dass es für fünf Kinder ausgereicht hätte. Die Eltern Helene und Otto waren fleißige Landwirte und arbeiteten auf dem Hof Tag und Nacht. Nur selten nahmen sie sich Leute dazu, die ihnen halfen und die sie bezahlen mussten. Der Vater trank gern in der Muchowschen Kneipe Schnaps und Bier und kam dann ziemlich betrunken nach Haus, wo ihn Helene schimpfend in Empfang nahm und brummte: “Bist´e schon wieder besoffen?“ Otto lallte dann: „Ick war noch nie in meinem Leben dun, Hest´e mi all ens dun jesehn?“ (Ich war noch nie in meinem Leben betrunken. Hast Du mich schon einmal betrunken gesehn) Dann lachte Helene und brachte ihren Mann zu Bett. In der Nacht trampelte er gegen das Bettende so gewaltig, dass Helene ihren Mann weckte und fragte: „Mann wat is die denn?“ „Ach,“ sagte er, „bei den Nachbarn hat es gebrannt und ich musste mit den Füßen das Feuer austreten.“ „Das war doch nur ein Traum,“ meinte sie, „schlaf mal weiter!“ Enrico war ein junger Mann geworden und musste in den Krieg (1939 -1945). Er geriet in britische Gefangenschaft und wurde von den Briten in ein Lager nach Ägypten verfrachtet. Von dort schrieb er Briefe an seine Eltern. Helene und Otto weinten, wenn sie die Briefe lasen und waren doch froh, dass er noch am Leben war. Aber er wurde von den Briten bald entlassen und kam zurück nach Landin, wo er den Eltern bei der Arbeit tüchtig zur Hand gehen musste und sein altes Leben wieder aufnahm, als wäre nichts passiert. Einmal traf er aber eine junge Frau aus Friesack, die war nicht nur hübsch und temperamentvoll, die hatte ihm auch, er wusste gar nicht wie, völlig den Kopf verdreht. Sie hieß Rosemarie, war klein und zierlich und hatte braune Augen und lange schwarze Haare, die sie immer im Wind flattern ließ. Er war mit ihr zusammen, so oft es ging, und sie bummelten so ein Jahr dahin. Dann entschloss er sich, Rosi zu fragen, ob sie nicht seine Frau werden wollte? Zu seinem Erstaunen sagte sie: „Nein,“ und blieb auch dabei. Er drang in sie und fragte immer wieder: „Warum denn nicht?“ Und endlich sagte sie ihm. „Du brauchst eine Frau, die auf Eurem Hof tüchtig mitanpacken kann. Mir ist die Arbeit in der Landwirtschaft zu schwer, und es ist besser wir trennen uns jetzt.“ Das war ja alles richtig, was sie sagte, das wusste er wohl, denn die Eltern waren alt und brauchten eine jüngere Kraft auf dem Hof. An Geld fehlte es ihnen nicht. Sie erfüllten immer ihr Soll und verkauften den Überschuss mit gutem Gewinn. Nach dem Krieg kostete ein Pfund Butter zeitweise 400,00 Mark. Enrico war nach dieser Antwort richtig krank, so wie er es noch nie erlebt hatte. Sonst war er derjenige, der sich getrennt hatte und nun war es das erste Mal, dass eine Frau ihm den Laufpass gab, die er liebte, wie noch keine vorher. Er fiel in eine Depression, aus der er aber nach einem halben Jahr wie aus einem Alptraum erwachte und sich sagte: „Ja, Rosi hatte Recht. Er brauchte eine Frau für den Hof.“ Seine alte Mutter bedrängte ihn auch jede Woche nun endlich zu heiraten. So bändelte er mit einer jungen Frau aus der Nachbarschaft an, die die Arbeit auf einem Bauernhof gewohnt war und nach kurzer Verlobungszeit heirateten beide in der Landiner Dorfkirche. Sein Frau Luise arbeitete auf dem Hof und auf den Äckern vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. Sie molk die Kühe und fütterte die Schweine. Sie trug die schweren Eimer voll Milch zur Zentrifuge und butterte im Butterfass die Sahne zu vielen Stücken Butter, die dann verkauft wurden. Sie hackte die Rüben auf dem Acker und brachte das Heu und den Weizen mit ein. Sie liebte ihren Enrico herzlich, denn sie wusste nichts von der Vorgeschichte. Sie kannte zwar seinen Ruf als Dorfcasanova, aber wie jede verliebte Frau dachte sie, er hätte sein altes Leben ihr zuliebe aufgegeben. Er war auch ein ausgezeichneter Liebhaber und Luise erlebte die glücklichsten Jahre ihres Lebens. Er war eine Frohnatur, immer zu einem Spaß aufgelegt und er trieb auch seinen Spaß mit den Leuten und lachte viel. Wenn ein Nachbar gestorben war und die Freunde ihn baten, doch zur Beerdigung mitzugehen, antwortete er: „Der geit bei mi ook nich met,“ (Der geht bei mir auch nicht mit) und blieb zu Haus. Wenn die Nachbarn ihn fragten : „Enrico, wie geht es Dir heute, „ sagte er, „ Immer möh un Appetit of Wost.“ ( Immer müde und Appetit auf Wurst.) Luise war eine stille zurückhaltende Frau, die ihn nur immer bewunderte. Er hatte die Landwirtschaftsschule in Rathenow besucht und sie bildete sich auch fort und machte eine Ausbildung zum Facharbeiter in der Landwirtschaft, aber sie blieb eine einfache schlichte Frau, wenngleich sie jetzt auch reich war. Kaum war sie das erste Mal schwanger, hatte sich Enrico schon wieder an ein sehr junges Mädchen herangemacht und traf sich mit ihr regelmäßig. Seine Frau vernachlässigte er nach der Entbindung aber keinesfalls, sodass sie erneut schwanger wurde und ihm einen zweiten Sohn schenkte. So gingen die Jahre dahin. Seine Liebschafen wechselten, aber auch als er älter wurde, hatte er immer neben seiner Frau eine Intimfreundin. Luise hatte lange nichts bemerkt, aber schließlich kam sie doch dahinter und war wütend. Sie überlegte auch ernsthaft, sich scheiden zu lassen, verwarf aber den Gedanken bald wieder. Sie weinte viel. Enrico rauchte wie ein Schlot. Eine Schachtel Zigaretten reichte oft nicht am Tag. Sie zankte mit ihm rum und sagte: „Wenn Du so weiterlebst, solltest Du wenigstens eine Lebensversicherung abschließen.“ „Mache ich,“ sagte er, und fuhr in die Stadt und schloss eine hohe Lebensversicherung zugunsten seiner Frau ab, sodass sie im Todesfall 1,5 Mio. Mark erhalten sollte. Er hatte jetzt eine junge Frau im Dorf zur Geliebten, die mit ihrem Mann nicht recht glücklich war und in Enrico den Menschen gefunden hatte, der ihr diese glücklichen Stunden verschaffte. Beide dachten dabei nie an Scheidung. Ein halbes Jahr nach Abschluss der Lebensversicherung erkrankte Enrico mit Herzschmerzen und eine alte Ärztin aus Rathenow Conradine Rothenberg kam und untersuchte ihn und sagte:“ Ich verordne Ihnen strenge Bettruhe für eine Woche. Stehen Sie nicht auf und gehen sie nur zur Toilette. Ihr Herz ist stark angegriffen und muss sich erst wieder erholen. Ich schreibe Ihnen Tropfen gegen die Schmerzen auf. Ich komme nächste Woche wieder und untersuche Sie noch einmal.“ „Ja,“ sagte Enrico, „ich mache alles Frau Doktor. Ist es denn so ernst?“ „Machen Sie das, was ich Ihnen sage. Es ist schon eine schwere Erkrankung.“ Enrico blieb zwei Tage im Bett. Die Schmerzen waren weg. Am dritten Tag stand er wieder auf, mistete den Schweinestall aus, rasierte und wusch sich und sagte zu seiner alten Mutter: „Ich fahre mit dem Auto mal schnell in die Stadt. Ich muss auf der Bank noch was erledigen.“ „Aber die Doktorsche hätt di doch für eene Woche Bettruhe verordnet,“ fragte die Mutter erstaunt. „I wo, wat kiehrt mi dat,“ antwortete der Sohn und fuhr mit dem Auto zu seiner Freundin und dann brausten sie in den Wald bei Görne und hielten auf einem einsamen Waldweg, wo Enrico die Vordersitze umklappte und dann machten beide das, was sie am liebsten taten. Doch auf dem Höhepunkt dieser Beschäftigung hörte Enrico plötzlich auf zu atmen, er verdrehte die Augen und sagte keinen Mucks mehr. Die junge Frau schüttelte ihn und rüttelte ihn, aber er bewegte sich nicht mehr. Da befreite sie sich von der Last seines Körpers und lief zur Landstraße und hielt spärlich bekleidet ein Auto an und bat um Hilfe. Der Autofahrer kam mit und fand den nackten Enrico in einer unzweideutigen Stellung, aber tot. Er versprach zum nächsten Dorf zu fahren und Hilfe zu holen. In Landin rief er von der Gaststätte Muchow, wo das nächste Telefon stand, die Polizei an und bestellte einen Krankenwagen. Es gab ja noch keine Handys, und er meldete einen Verkehrsunfall bei Görne. Als die Polizei und der Krankenwagen eintrafen, konnte man Enrico nur noch tot bergen. Ein Herzinfarkt hatte seinem Leben ein jähes Ende bereitet. „Ein schöner Tod“, meinten die Leute. Luise beweinte ihn mit ihren Schwiegereltern und den Kindern und sagte allen, dass Enrico der beste Ehemann gewesen wäre und sie immer glücklich mit ihm war. Sie begrub ihn und betrauere ihn, wie es sich gehörte und freute sich über 1,5 Mio. Mark, die ihr die Lebensversicherung auszahlte. Allerdings wusste sie nicht recht was mit dem Geld anzufangen. Die Familie war eigentlich auch so reich genug.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.06.2019

29. Annemarie Mewes 01.07.2019
eine Lebensgeschichte aus Landin

Annemarie Mewes
(*31.10.1916 – † 05.02.2013)


Annemarie Mewes, geborene Friedrich, wurde am 31.10.1916 in Nennhausen geboren. Ihr Vater, Karl Friedrich, arbeitete zuerst als Postbote in Kotzen und zog mit seiner Frau Frieda Friedrich, geborene Knoop, von Kriele nach Nennhausen. Der Vater fiel im ersten Weltkrieg. Als der Vater gestorben war, zog die Mutter wieder zurück nach Kriele, denn ihr Bruder, der den elterlichen Hof übernehmen sollte, starb mit 23 Jahren. Frieda Friedrich heiratete dann ein zweites Mal ihren heimlichen Verehrer Paul Schmidt aus Damme.



Frieda Schmidt
Foto von Gustav Nause
(Fotoatelier Rathenow, Bahnhofstr.32)

Annemarie Mewes ging in Kriele zur Schule und lernte ihren späteren Mann Kurt Mewes aus Landin kennen, der am 18.03.1906 in Landin geboren worden war.

Kurt Mewes aus Landin

Sie besuchte mit 21 Jahren eine Haushaltsschule in Rathenow, wo sie Kochen, Braten und Nähen lernte. Am 10. 05.1940 heiratete sie den Landwirt Kurt Mewes und zog nach Landin.


Annemarie und Kurt Mewes
Kirchliche Trauung in Kriele
(10.05.1940)

Am 28.02.1942 wurde die Tochter Ingrid und am 06.07.1943 wurde die zweite Tochter Brigitte geboren.


Frieda Schmidt mit ihrer Tochter Annemarie


Am 24.08.1944 wurde der Vater zum Krieg eingezogen und geriet in russische Gefangenschaft. 1947 kam er wieder nach Landin zurück und bewirtschaftete mit seiner Frau Annemarie bis 1960 den eignen Hof.



Von links: Elfriede Müller, Annemarie Mewes, Kurt Mewes, Hilde Mewes
bei der Silberhochzeit von Betty und Karl Ast

Er war doch sehr geschwächt und so bleib die Hauptlast der Arbeit doch bei der Mutter. Annemarie Mewes lachte selten. Sie war eine sehr fleißige, arbeitsame Frau und ihre Hände ruhten nie. Ihr Mann Kurt war ein fröhlicher Mensch und lachte viel. Er war immer für einen Spaß zu haben. Wenn seine Frau nach einem langen Arbeitstag im Winter am Kachelofen einschlief und manchmal auch etwas schnarchte, nahm er seine Zigarre und steckte sie seiner Frau in den offenen Mund. Sie wachte dann natürlich auf und musste husten und schimpfte über ihren Mann, aber die ganze Familie wollte sich ausschütten vor Lachen. Gemeinsam gingen das Ehepaar Mewes unter Druck der Kommunisten auch in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG-Typ I). Es gab in der DDR drei LPG-Typen. Beim Typ I bewirtschafteten die Bauern gemeinsam die Felder; das Vieh blieb aber noch in Privatbesitz. Am 31.10.1960 starb Kurt Mewes an einer Embolie nach einer Krampfaderoperation im Paracelsus-Krankenhaus Rathenow. Annemarie Mewes arbeitete nun allein auf dem Hof mit ihren Kindern.
Als die Töchter aus dem Haus waren, ging die Witwe Annemarie Mewes in die LPG Typ III. In der LPG vom Typ III war dann alles genossenschaftliches Eigentum. Solange Hertha Brunow lebte, ging sie zu den Geburtstagsfeiern der Nachbarin und kam so ein paar Stunden aus dem ihrem Arbeitsrhythmus heraus und in Kontakt mit anderen Dorfbewohnern.


Annemarie Mewes vor ihrem Weihnachtsbaum 1999

Sie ging auch jeden Sonntag in die Landiner Dorfkirche oder im Winter gegenüber zu Hertha Brunow in den Gastraum der „Gaststätte Muchow“, wo die Gottesdienste im Winter stattfanden. Elfriede Müller aus Landin übernahm die Aufgaben einer Kantorin und spielte auf dem alten Klavier zu den Gottesdiensten.


Annemarie Mewes geht zum Gottesdienst

Als Annemarie Mewes 1976 das Rentenalter erreichte, arbeitete sie noch lange in der LPG mit. Sie war rüstig bis ins 90. Lebensjahr und arbeitete im Haus und Garten des eigenen Grundstückes. Plötzlich waren aber die körperlichen Kräfte erloschen. Sie legte sich ins Bett und wurde immer schwächer. Am 05.02.2013 starb sie mit 96 Jahren, hochbetagt und lebenssatt, in Landin an Altersschwäche. Richtig krank war sie eigentlich nie gewesen. Sie wurde von ihren Kindern, zwei Enkelkindern und vier Urenkeln beweint und betrauert.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.07.2019

30. Das verschwundene Haus 01.08.2019

In der Mitte des Dorfes Landin stand vor vielen Jahren ein altes Bauernhaus mit Stallungen und einer Scheune, das der Familie Trägenapp gehörte. Als der Vater 1850 unerwartet starb, verkaufte seine Frau das Gehöft, den Acker, die Wiesen und den Wald an Reinhold Mewes und verließ das Dorf. Sie zog mit ihrer Tochter Lina nach Damme zu Verwandten. Die Bauten wurden nach und nach abgetragen und jetzt ist nur noch eine Lücke davon geblieben. Lina Trägenapp war mit ihrer Mutter nicht gern nach Bamme gegangen, denn sie hatte ihren Freund, Max Brunow, in Landin zurückgelassen. Aber nach ein paar Jahren, wo es nur zu sporadische Treffen der beiden Liebenden gekommen war, holte Max Brunow Lina Trägenapp wieder zurück nach Landin und es fand eine große Hochzeit in der Dorfkirche Landin statt und eine schöne Feier in der Gaststätte Muchow. Max Brunow und seine Frau Lina wohnten in der Steinstraße 2 in Landin und hatten einen kleinen Bauernhof.

Landin, Steinstraße 2

Die Schwester von Max Brunow, Elisabeth Frieda Ida Brunow, war am 01.06.1884 in Landin geboren worden und heiratete am 19.06.2014 Paul Otto Friedrich Sandberg, der am 22.04.1884 in Buckow bei Nennhausen geboren worden war.

Hochzeit am 19.06.1914
Elisabeth Sandberg, geb. Brunow
und Paul Sandberg


Am 08.04.1915 wurde dem jung vermählten Paar der Sohn Friedrich Wilhelm Richard Sandberg in Buckow bei Nennhausen geboren. Er wurde aber von den Eltern und Großeltern immer Fritz genannt.

Friedrich Sandberg 08.04.1948
(genannt Fritz)

Elisabeth Sandberg wollte sich gerade von ihrem Mann trennen, als der plötzlich und unerwartet starb. Bei einer Fahrt mit dem Pferdefuhrwerk ginge ihm die Pferde durch, und er wurde von der Deichsel erschlagen. Sie zog ihren Sohn Fritz allein auf und Fritz heiratete am 29.05.1943 in der Dorfkirche Pessin Evamaria Elisabeth Dorothea Bublitz, die am 21.06.1919 in Gruna geboren worden war.

Hochzeit
Evamaria und Fritz Sandberg
29.05.1943

Fritz und Evamaria Sandberg hatten zwei Töchter. Renate und Adelheid. Nachdem etliche Jahre ins Land gegangen waren und Lina Brunow nicht schwanger wurde, entschloss sich das Ehepaar Brunow den Neffen Fritz Sandberg zu adoptieren und ihm das Haus und die Wirtschaft zu überschreiben. Fritz Sandberg zog mit seiner Frau nach Landin und bewirtschaftete den Bauernhof. Er bestellte die Felder und versorgte das Vieh und hielt das Haus in Ordnung. Seine Mutter Elisabeth nahm er mit nach Landin und sie freute sich, dass sie nun wieder an ihrem Geburtsort leben durfte. Sie half, solange sie konnte, auf dem Hof mit und starb am 10.03.1960 in Landin. Es gab viel Arbeit. Die Kühe mussten gemolken werden, die Schweine gefüttert und die Hühner mit Korn versorgt werden. Jedes Jahr wurde ein Schwein geschlachtet und Schlackwurst, Schinken und Speck geräuchert und das reichte dann bis zum nächsten Jahr. Der Garten und die Felder brauchten das Jäten. Die ganze Familie half dabei mit, auch die Kinder. Jeden Nachmittag ging es zum Rübenhacken auf die Felder und beim Heuwenden und Roggenmähen mussten die Kinder auch mit Hand anlegen. Renate hatte die Gänse zu hüten. Es gab immer etwas zu tun.


Evamaria und Fritz Sandberg
mit ihren Töchtern Renate und Adelheid
08.04.1948


Es war eine glückliche Zeit für die Familie. Die Töchter gingen zur Schule und hatten Freundinnen gefunden. Damals hatten noch viele Kühe Tuberkulose und Fritz Sandberg infizierte sich bei seinen Rindern und erkrankte schwer. Trotz Therapie verstarb er mit 41 Jahren am 19.05.1957 in Rathenow. Die Mutter mühte sich recht und schlecht den Hof weiterzuführen, aber 1961 gab sie die Wirtschaft auf und zog mit ihren beiden Töchtern nach Dahme (Mark). Die letzten Lebensjahre verbrachte sie in Cottbus, wo sie am 30.01.1988 starb.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2019


31. Der Prozess 01.09.2019

Elisabeth Müller mit Sohn Dieter

Elisabeth Müller lebte mit ihren Eltern und dem Sohn Dieter in einem kleinen Häuschen in Landin und versuchte, nachdem ihr Mann 1943 in Russland im Krieg ums Leben gekommen war, so recht und schlecht zurechtzukommen. Ihre Mutter Olga und ihr Vater halfen ihr dabei. Die Mutter hatte eine Krebserkrankung an der linken Schläfe und war von dem berühmten Chirurgen Dr. Wilhelm Reinke in Rathenow „bei klarem Verstand“ operiert worden, wie sie gern erzählte, und präsentierte allen ihre große Narbe. Bei klarem Verstand meinte wohl in lokaler Betäubung. Der Chirurg war wirklich ein Künstler seines Faches, denn er operierte 1930 den Blinddarm mit so einem kleinen Loch in der Haut, dass die heutigen Endoskopie-Operateure vor Neid erblassen könnten. Er hatte ein kleines Krankenzimmer neben seinen Praxisräumen eingerichtet. Wenn er die Operation beendet hatte, trug er jeden Patienten selbst in das Krankenzimmer und legte ihn ins Bett. Viele kuriose Geschichten waren von ihm Umlauf. Als die Frau des Landrates, Alice von Bredow, einmal in seiner Praxis erschien und sich vor ihm aufstellte und sagte: “Ich bin Alice von Bredow,“  meinte der Dr. Reinke, der alle duzte: “Wenn das so ist, kriegst Du zwei Stühle bei mir,“, worauf die adlige Dame fluchtartig seine Praxis verließ und zur Berliner Charité fuhr, wo man sich aber an die komplizierte Operation nicht so recht ranwagte und ihr bedeutete, sie möge doch zu dem brillanten Chirurgen Wilhelm Reinke nach Rathenow gehen. Als sie dann kleinmütig wieder in seiner Praxis erschien, begrüßte er sie mit den Worten: „Na sieh`ste Mädchen, nun hab´ ich Dich ja doch.“
Die Eltern von Elisabeth hatten ein kleines Stückchen Feld neben dem Haus, das sie bewirtschaften und einen riesengroßen Garten. Sie fütterten zwei Kühe und ein paar Schweine und hatte Hühner, Enten und Gänse.
In der Nachbarschaft lebte eine reicher Großbauer Willi Schulze, der mit seiner Frau Mathilde, seinem Bruder Paul und seiner Schwester Else die ganze Wirtschaft bearbeitete. Mathilde war eine bildhübsche Frau und stammte aus Kamern. Man nannte sie überall Tilli. Willi Schulze hatte eine prächtige Kutsche und zwei braune Hengste, mit denen er gern durchs Dorf und nach Rathenow fuhr. Er war auch jedes Jahr zur „Grünen Woche“ in Berlin und schwärmte von diesem Ereignis. Mit der ehelichen Treue nahm er es aber nicht so genau. Eine schöne Witwe mit drei Kindern hatte es ihm angetan, und er war gern bei ihr. Sie hieß Sophia Kaiser und war eine perfekte Hausfrau. Sie konnte wunderbare Torten backen. Wenn ein Bauer im Dorf Geburtstag hatte oder eine Familienfeier anstand, brachte man Mehl, Butter, Eier, Zucker und eingewecktes Obst zu Sophia und sie zauberte Schwarzwälderkirschtorten und Butterkremtorten und andere Köstlichkeiten für die Kaffeetafel. Tilli arbeitete lieber auf dem Feld. Abends gab es in der Familie immer Pellkartoffeln mit Stippe. Die Stippe wurde aus gebratenem Speck mit Zwiebeln und Mehl hergestellt und jeder nahm sich nachdem die gekochten Kartoffeln einfach in einer Schüssel auf dem Abendbrottisch gestellt wurde, eine Kartoffel und pellte sie ab und stippte sie in die Soße und das, Abend für Abend. Willi Schulze war mit seinen Geschwistern und seiner Frau immer verzankt und die Nachbarn wunderten sich, dass sie, obwohl sie wochenlang nicht miteinandersprachen, sich jeden Tag immer auf dem gleichen Feld oder der Wiese zur Arbeit einfanden. Willi bezahlte seine Geschwister Paul und Else für ihre Arbeit. Geld hatte er genug.
Elisabeth Müller hatte inzwischen eine Arbeit als Köchin in der „Bahnhofswirtschaft Rathenow“ im Rathenower Hauptbahnhof gefunden und fuhr jeden Tag auch im Winter mit einem „Hühnerschreck“ zur Arbeit. Als „Hühnerschreck“ bezeichnete man ein Fahrrad, das einen kleinen Benzinmotor zum Antrieb an der Seite angebaut hatte.

Bahnhof Rathenow

Sie war eine fleißige Frau und kochte Soljanka, Kartoffelsuppe und legte das Fleisch für den Sauerbraten ein und machte riesige Schüsseln von Kartoffelsalat, denn Kartoffelsalat mit Würstchen war am Bahnhof der Renner. Siegfried Bading führte von 1946 – 1973 als sparsamer und umsichtiger Mann die Gaststätte und hatte so einen guten Ruf, dass viele Rathenower gern zum Essen zu ihm kamen. In den besten Zeiten hatte er fast 50 Mitarbeiter und die Gaststätte lief jeden Tag bis 22:00 Uhr. Auch am Heiligabend mussten seine Frau und die beiden Töchter Heidemare und Hilke bis nach 22:00 Uhr auf die Bescherung warten, weil der Vater Mitleid mit den Reisenden hatte und sie auch noch am Abend mit Essen versorgte. Er ließ selten Lebensmittel verderben. Morgens tauchte er die alten knochenharten Brötchen in seinen Kaffee und aß sie dann als eine Art Kaffeemüsli mit Marmelade.




Bierdeckel der Bahnhofswirtschaft

Paul Schulze hatte Elisabeth Müller ins Herz geschlossen und an den Sonntagen machten sie oft lange gemeinsame Spaziergänge durch die Wälder und Felder um Landin. Er half ihr auch bei der Feldarbeit, als ihre Eltern das nicht mehr konnten. Reinhilde, ihre jüngere Schwester, war nach Westberlin gegangen und arbeitete dort. Sie heiratete einen Westberliner und bekam einen Sohn. Als sie das zweite Mal schwanger wurde, fragte sie ihre Schwester, ob sie nicht den zweiten Sohn mitaufziehen könnte. Ihr würde das zu viel werden. Elisabeth sagte: „Aber natürlich, das mache ich gern.“ Und so wuchs neben ihrem Sohn ein kleiner Knirps in Landin heran, der auch an ihr hing, als wäre sie seine Mutter und das war sie ja letztendlich auch. Willi Schulze und seine Frau Mathilde starben kinderlos und hinterließen alles dem Bruder Paul. Als auch Else, die Schwester von Paul, starb, wohnte er ganz allein in dem großen Haus. Elisabeth kümmerte sich sehr um ihn. Sie hielt ihm das Haus in Ordnung, sie machte ihm die Wäsche und kochte für ihn und manchmal wohnte sie auch bei ihm. Ihr Eltern waren gestorben, die beiden Söhne gingen ihre eigenen Wege und so fühlte sie sich zu Paul hingezogen, und er nahm ihre Liebe dankbar an. Er sagte zu ihr: „Weißt Du ich habe 100.000,00 Mark auf dem Konto und ich brauche ja nicht mehr viel.  Ich bestelle die Notarin und dann mache ich mein Testament zu Deinen Gunsten. Du bekommst das Geld und das Haus und alles, was zum Hof gehört.“  „Wenn Du das so willst, machen wir das so.“ Elisabeth Müller fuhr zur Notarin, Luise Freitag, und bestellte sie nach Landin, denn Paul Schulze sei schon zu alt und gebrechlich, um noch selbst nach Rathenow zu kommen.  Die Notarin kam auch pünktlich um 10:00 Uhr nach Landin, wo ihr aber Elisabeth Müller mitteilte, dass Paul Schulze in der Nacht ins Krankenhaus gekommen wäre und am Magen operiert worden sei, so dass der Termin verschoben werden müsste. Elisabeth fuhr natürlich sofort ins Krankenhaus und sprach mit dem Operateur, Dr. Wilhelm Grundmann, der ihr mitteilte. Ihr Freund hätte einen Magendurchbruch gehabt. Ein Magengeschwür sei geplatzt und man hätte einen Teil des Magens entfernen müssen, aber der Paul sei ja ein „harter Knochen“, der würde das schon überstehen. Sie besuchte den Paul auf der Wachstation und sprach mit ihm über den vergeblichen Besuch der Notarin. „Hol doch bitte alles Geld vom Konto und nimm es an Dich, wir bestellen die Notarin, wenn es mir wieder besser geht,“ sagte Paul zu ihr und sie hatte ja schon lange eine Bankvollmacht von ihm. Paul war guter Hoffnung, dass er bald wieder nach Landin könne und sie war getröstet durch seine Worte. Aber sie fuhr doch zur Bank und hob 90.000,00 Mark bar vom Konto ab. Jeden Tag besuchte sie den Paul und brachte ihm frische Wäsche und fragte, ob sie noch etwas für ihn besorgen sollte, aber er winkte nur müde ab und war zufrieden. So recht vorwärts ging es aber doch nicht mit dem Heilungsprozess und Dr. Wilhelm Grundmann erklärte ihr: „Er ist eben schon alt, da dauert alles etwas länger.“ Als sie eines Morgens wieder ins Krankenhaus kam, lag er nicht mehr auf der Station und die Ärzte sagten ihr, er hätte in den frühen Morgenstunden eine Nachblutung bekommen, die nicht mehr zu beherrschen war. Sie weinte bitterlich und sorgte für das Begräbnis und wollte den Haushalt auflösen, als sie von einem Anwalt einen Brief erhielt und ihr untersagt wurde, sich weiter um die Angelegenheiten zu kümmern, denn Verwandte im Dorf seien die legitimen Erben und hatten schon einen Erbschein beantragt. Sie wurde auch aufgefordert, die 90.000,00 Mark zurückzugeben, die sie in ihren Augen widerrechtlich abgehoben hätte. Elisabeth Müller sagte sich: „Ich habe mich um ihn gekümmert, als er alt war. Er hat mich dazu aufgefordert, das Geld abzuheben. Ich habe mir nichts vorzuwerfen,“ und rührte sich nicht. Aber eine Tante und ein reicher anderer Verwandte verklagten sie beim Kreisgericht Rathenow und forderten die Herausgabe der 90.000,00 Mark. Es kam zum Prozess in Rathenow und nun wurde alles noch einmal aufgerollt.

Gericht in Rathenow



Der Richter fragte sie, was sie zu den Anschuldigungen zu sagen habe. Elisabeth Müller erklärte dem Richter, dass Paul Schulze ihr Lebensgefährte war und sie sich um ihn gekümmert hatte und er die Notarin bestellt hätte, damit sie zur alleinigen Erbin eingesetzt würde, dass aber wegen der schweren Erkrankung die Notarin das Testament nicht mehr aufsetzten konnte und Paul habe sie im Krankenhaus beauftragt, das gesamte Geld vom Konto zu holen. Sie habe ja nicht ahmen können, dass er wirklich stirbt, denn die Ärzte wären sehr zuversichtlich gewesen. „Warum haben Sie denn nur 90.000,00 Mark und nicht alles abgehoben?“ fragte der Richter. „Weil ich ja alles erben sollte.“ „Und wo ist das Geld nun?“ fragte der Richter weiter. Elisabeth hob die Achseln. „Na, Sie müssen doch wissen, wo das Geld ist?“ Erneutes Achselzucken. Jedenfalls kam das Gericht zur Überzeugung, dass es der letzte Wille des Verstorbenen war, der Verklagten das Geld zu geben. Die Notarin bestätigte den vereinbarten Termin, der ja dann nicht zustande gekommen war. Die Klage der Verwandten wurde abgewiesen und die Kosten entsprechend dem Streitwert auf 10.000,00 Mark festgelegt. Die Verwandten wurden verurteilt die Kosten des Verfahrens zu tragen und damit waren die restlichen 10.000,00 € Mark auf dem Konto auch dahin, sehr zum Ärger der Verwandten. Die verkauften das Haus und hatten so wenigstens eine kleine Einnahme. Elisabeth freute sich an dem Geld, auch wenn sie lieber ihren Paul behalten hätte, aber im Leben kann man nicht alles haben.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.09.2019



32. Anne 01.10.2019

Eva-Maria und Peter Durchdenwald wohnten im Neubaublock in Landin. Peter Durchdenwald war eigentlich Koch, arbeitete aber bald in der Chefetage der Konsumgenossenschaft des Kreises Rathenow. Nach der Einheit Deutschlands zog Peter Durchdenwald nach Rathenow und arbeitete erfolgreich für eine Krankenversicherung. Eva-Maria und Peter Durchdenwald hatten einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn studierte Jura und führte später eine Anwaltskanzlei in Berlin. Die Tochter Anne verliebte sich in jungen Jahren in einen wunderschönen Klassenkameraden aus Rathenow und dachte mit ihm durch´s Leben zu gehen. Aber die Schönen finden überall andere Schöne und so trennte er sich bald von ihr, was Anne in eine tiefe Krise stürzte. Die Eltern waren bei diesem Kummer recht ratlos, wie man der Tochter helfen sollte, bis ein Freund der Familie vorschlug, Anne ein Jahr als Austauschschülerin in die USA zu schicken. Das heilte ihren Kummer und als sie zurückkam, studierte sie, wie ihr Bruder Jura und sagte nach dem Studium: „Ich bleibe nicht hier, ich gehe nach Irland.“ So mussten die Eltern sie schweren Herzens ziehen lassen. Sie ging nach Dublin und suchte sich dort Arbeit. Als die Tochter Anne ihren 30. Geburtstag feierte, waren natürlich die Eltern in Dublin und feierten mit ihrer Tochter den besonderen Tag. Durch eine Bombendrohung wurde der Flugplatz eine Woche lang gesperrt und die Eltern mussten drei Tage länger als geplant in Dublin bei der Tochter bleiben. „Ich habe aber noch Freunde zur Nachfeier eingeladen,“ sagte die Tochter zu den Eltern, „und mit einem Freund bin ich besonders herzlich verbunden. Ihr könnt ja mal raten, wer es ist?“ Die Eltern fanden natürlich sofort heraus, dass es sich um Jacob O`Callaghan, genannt Jac, handelte und nun beichtete Anne ihren Eltern, dass sie den Jac beim Volleyballspielen kennenglernt hätte und dass sie sich beide sofort ineinander verliebt hätten und dass sie schon standesamtlich in Dublin geheiratet hätten und sie ein Baby erwarte. „Aber die kirchliche Trauung machst Du doch in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche, wenn das Baby geboren ist?“, fragte der Vater. „Natürlich,“ erwiderte die Tochter, „die richtige Hochzeit feiern wir in Rathenow.“ Die große Hochzeit mit 80 Gästen erfolgte 2011 in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche. Der Pfarrer, der ein paar Semester in den USA Theologie studiert hatte, traute Anne und ihren Jacob und zwar in einem zweisprachigen Gottesdienst. Die erste Strophe des Liedes „Nun danket alle Gott“ wurde in Deutsch gesungen, die zweite Strophe in Englisch und so ging es auch in der Trauung, immer erst in Deutsch und gleich danach in Englisch.

1. Nun danket alle Gott mit Herzen,
Mund und Händen, der große Dinge tut an uns und allen Enden, der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zugut bis hierher hat getan

1.Now thank we all our God with hearts and hands and voices, who wondrrous things has done, in whom his world rejooices; who from our mother´s arms has blest us on our way with countless gifts of love, and still is ours today.

2. Der ewig reiche Gott woll uns bei unserm Leben ein immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben und uns in seiner Gnad erhalten fort und fort und uns aus aller Not erlösen hier und dort.

2.O may this bounteous God trough all our life be near us, with ever joyful hearts and blessed peace to cheer us; and keep us in his grace, and guide us when perplex´d, and free from all ills, in this world and the next

3. Lob, Ehr und Preis sei Gott dem Vater und dem Sohne und Gott dem Heilgen Geist im höchsten Himmelsthrone, ihm, den dreiein´gen Gott, wie es im Anfang war und ist und bleiben wird so jetzt und immerdar.

3.All praise and thanks to God the Father now be given, the Son, and him who reigns with them in highest heavern; the one eternal God whom earth and heav`n adore; for thus it was, is now, and sh all be evermore.

Text: Martin Rinckart
(*1586 in Eilenburg - † 1649 in Eilenburg)
Melodie: Martin Rinckart
(*1586 in Eilenburg - † 1649 in Eilenburg)


Auch wurde bei der Hochzeit die ¾ jährige Tochter Olivia Emily Rebecca getauft. Danach fuhr die Hochzeitsgesellschaft in ein Restaurant am Semliner See und feierte ein rauschendes Fest. Die Gäste kamen aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, den USA, Ungarn und Afrika. Es war ein buntes Völkchen, was in wunderbarer Harmonie dieses Fest feierte, denn Englisch verbindet die Menschen. Am Schluss wurden Luftballons mit Glückwunschkarten an Anne und Jac in den Abendhimmel geschickt und wenn einer die Karte findet, sollte er sie an das frisch vermählte Paar schicken.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.10.2019





33. Die verbotene Liebe des Robert Gaschler 01.11.2019

Wohnhaus von Agnes und Otto Hünicke

Otto und Agnes Hünicke hatten eine einzige Tochter Ingrid, die 1924 in Landin geboren wurde. Sie waren Großbauern und Otto Hünicke war stolz, ein Bauer in Landin zu sein. Seine Tochter Ingrid arbeitete natürlich auf dem elterlichen Bauernhof mit und als sie in das heiratsfähige Alter kam, verliebte sie sich in Robert Gaschler. Robert Gaschler war 1945 mit seinen Eltern aus der Bukowina (Rumänien) nach Landin gekommen und arbeitete auch in der Landwirtschaft. Er war ein fleißiger ordentlicher Mann, dem eigentlich nie etwas zu viel wurde. Sie waren beide jung und verliebt und das Leben war trotz der schweren Arbeit rosarot und schön. Aber der Hochmut von Otto Hünicke kannte keine Grenzen. Er wollte nicht, dass eine Großbauerntochter einen armen Flüchtling heiratete. Für seine Tochter hatte er einen reichen Mann mit einem Bauernhof vorgesehen. Ingrid weinte viel, konnte sich aber gegen ihren herrischen Vater nicht recht durchsetzen. Otto Hünicke bedrängte seine Tochter so sehr, dass die Bindung zerbrach. Robert Gaschler war darüber auch traurig, aber er war jung und fand bald Brigitte Ast aus Rathenow, die seine neue Freundin wurde. Als Ingrid davon hörte, schrie sie vor Kummer und Schmerz und wollte sich nicht trösten lassen. Die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit ihrem geliebten Robert gab sie aber nie auf. Und wie es im Leben so kommt, hielt die Verbindung zwischen Brigitte Ast und Robert Gaschler nicht lange. Man trennte sich ohne großes Aufsehen. Und nun heiratete Robert Gaschler trotz des Widerstands seines Schwiegervaters im Mai 1957 seine Jugendliebe Ingrid. Es war eine stille standesamtliche Trauung ohne großes Aufsehen. Robert Gaschler war katholisch und Ingrid war protestantisch. So verzichteten beide auf eine kirchliche Hochzeitszeremonie. Sie bauten sich ein Siedlungshaus am Dorfeingang und lebten zufrieden in Landin. Sie waren mit dem vom Staat zur Verfügung gestellten Grund und Boden zufrieden und hatten ihre täglichen Aufgaben. Robert fuhr in seinen Wald und fällte die Bäume. Dann sägte er die Stämme in kleine Stücke und hackte im Winter jeden Tag Holz und stapelte es am Haus auf, so akkurat und fein, dass es für jeden eine Freude war. Die Landwirtschaft und später die LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) gab ihnen Arbeit und Auskommen. Sie hatten keine Kinder, waren aber so glücklich miteinander, wie man es nur sein kann. Bei der Großbauernwirtschaft der Eltern von Ingrid Hünicke ging es nach und nach alles den Krebsgang. Sie waren alt und krank und konnten den großen Hof nicht mehr bewirtschaften. Der Schwiegersohn, Robert Gaschler, war ihnen nicht willkommen und so ging alles weiter bergab, bis sie beide starben. Ingrid hatte ihr Glück gefunden und lebte mit ihrem Robert bis Gott der Herr, gelobt sei sein Name, beide zu sich nahm. Heute wohnen junge Familien in den Häusern und beleben das Dorf mit ihrem Fleiß und ihrer Arbeit.

Siedlungshaus von Ingrid und Robert Gaschler in Landin

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß. 01.11.2019




34. Milchreis mit Fische 01.12.2019

Zeichnung: Ulrike Wetz, Hamburg

Vor dem Krieg (1939 - 1945) gab es auf jedem Bauernhof einen Backofen. Einmal in der Woche wurde Brot gebacken. Der Backofen stand neben dem Haus und war aus Stein gemauert und hatte eine halbrunde Wölbung nach oben. Verschlossen wurde er mit einer Eisentür. Im Winter fuhren die Bauern in den Wald und sägten die Kiefern ab und die Zweige der Kiefern wurden zu viereckigen Paketen zusammengeschnürt und als Busch mit nach Hause genommen und dienten zum Anheizen des Backofens. Die trockenen Kiefernadeln brannten wie Zunder im Backofen. Diese Backöfen gab es auch noch lange nach dem Ende des Krieges, bis sie Gas- und Elektroöfen verdrängten. Am Mittwoch war Backtag und die Bäuerin hatte schon einen Tag zuvor Sauerteig in das Mehl gemischt und alles mit Wasser gut vermengt und dann ging der Teig unter einem Tuch die ganze Nacht und am Morgen knetete die Hausfrau den Teig noch einmal richtig durch und formte Brotleiber daraus. Wenn der Backofen ausreichend aufgeheizt war, fegte der Bauer die Aschereste aus dem Ofen und die Frauen konnten die Brote und den Kuchen auf einem Brotschieber in den Ofen bringen. Meist buk sie auch noch ein oder zwei Bleche Streußelkuchen, die dann am Sonntag gegessen wurden. Das Brot reichte dann bis zum nächsten Backtag. Den größten und schönsten Backofen hatte der Bauer Frieder Müller in Landin. Wenn seine Frau Agathe alles fertig hatte, durften auch die armen Nachbarn zu Weihnachten und vor den großen Festen wie Ostern und Pfingsten den Backofen benutzen. Sie hatten ja keinen eigenen Backofen. Abends, wenn an schönen Tagen ein Abendrot über den Wiesen und Wäldern von Landin stand, meinten sie vor dem Weihnachtsfest: “Frau Holle bäckt Kuchen.“ Während die mitgebrachten Kuchen und Brote im Agathes Backofen buken, wurden in der Küche mancherlei Geschichten erzählt aus alten Zeiten und was so gerade im Dorf passiert war. Die Vorweihnachtszeit, wo es schon früh dunkel wurde, und man sowieso enger zusammenrückte, war für die mitgekommen Kindern eine schöne Zeit. Den Duft der Kuchen und Lebkuchen, der Plätzchen und des Brotes behielten sie ihr Leben lang in der Nase. Agathe Müller hatte auch für die armen Nachbarskinder immer eine große Schale mit Lebkuchen und Weihnachtsplätzchen stehen und die Kinder ließen sich nicht lange nötigen, was die Bäuerin sehr freute, denn sie konnte vor Weihnachten manchmal richtige Kunstwerke backen und hatte an den immer wieder neu erdachten Plätzchenrezepturen ihre Freude. Es gab Mohnplätzchen und Haferflockenmakronen, Haselnussgebäck und kleine Plätzchen mit einer Walnuss oben drauf. Sie verwendete nur Mehl, dass der Müller ihr aus ihrem eigenen Weizen gemahlen hatte und eigene Butter, und Bienenhonig von ihren Bienen, denn hinter dem Haus hatte ihr Mann 20 Bienenkörbe aufgestellt. Sie kaufte nie Zucker und benutzte zum Süßen überall ihren eignen Bienenhonig. Am Tag St. Bartholomäus (24.08.) kam die Bäuerin in große Not, denn das Gewölbe des Backofens war eingestürzt. Agathe Müller bestellte den Ofensetzer aus Semlin und beauftragte ihn, den Schaden zu reparieren. Der Meister Kurt Eisenach kam mit seinem Lehrjungen Fritz Kröning angelaufen und schaute sich den Schaden an. „Ja,“ sagte er zur Bäuerin, „das ist leicht zu reparieren. Haben Sie denn Lehm auf dem Hof.“ „Natürlich, es ist alles da. Dort steht ein Wassereimer an der Pumpe. Sie können alles benutzen. Wollen Sie zum Mittagessen bleiben?“ „Was gibt es denn?“ „Heute gibt es bei uns Milchreis mit Fischen.“ Milchreis mit Fischen war eine Mahlzeit, die alle sehr mochten. Eigentlich gab es die nur zu Hochzeiten. Es war ein in saurer Marinade eingelegter Bierfisch, den man über fest gekochtem Reis füllte. „Na mal sehen.“ Der Meister Eisenach werkelte mit seinem Lehrjungen an dem Ofen herum. Die Steine für das Gewölbe wurden gesäubert und mit Lehm neu verfugt. Dann bat der Meister den Fritz sich in den Backofen zu stellen und das Dach mit seinem Rücken zu halten. Er wollte reingehen zur Bäuerin und gleich seinen Arbeitslohn holen. „Was kostet es denn?“ fragte Agathe Müller. „45 Mark.“ Die Bäuerin holte das Geld bezahlte den Arbeitslohn und fragte noch einmal, ob er mit seinem Lehrling nicht zum Essen bleiben wollte. „Nein, nein, wir wollen keinen Milchreis mit Fischen.“ Dann lief der Meister zum Backofen und rief hastig seinen Lehrjungen und sagte: „Komm schnell, wir müssen nach Hause.“ Als Fritz Kröning den Backofen verließ, dauerte es keine fünf Minuten, da war das Gewölbe wieder eingestürzt. Die Bäuerin sah das und lief auf die Straße und rief den beiden nach: “Meister der Backofen ist wieder eingefallen.“ Aber die zwei liefen nur noch schneller zum Ortsausgang und winkten immer ab und riefen: „Nee, nee, wir wollen keinen Milchreis mit Fischen.“ Die Bäuerin rief noch mehrmals hinterher: „ Aber hören Sie doch, der Backofen ist wieder eingefallen.“ Meister Kurt Eisenach wehrte immer heftiger ab und rief in eiligem Trab: „Nee, nee, wir wollen keinen Milchreis mit Fischen.“


© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2019

34. Melkries met Fische
(In jedem Dorf in Brandenburg wurde bis 1945 Plattdeutsch gesprochen mit feinen Unterschieden von Dorf zu Dorf. Die Schreibweise folgt nicht dem klassischen Platt)


Video

Anna Muchow ut Landin, wat woll mine Grootmöhm is, vertellt mi, wenn se wier 90 düsse Jeschicht van de Backhan. Do wier eens en Töpper, Isenach hätt er heten un der is ut Semlin komen un hett de Ofens immer jesett. Dunnemals han se groote Backhans in de Goorns to stohn. Eeens wier de Backhan van de Buure Müller innefalln. Do is de Töpper Isenach met sien Liehrjung Fritze Kröning do henemockt und hett den Backhan wedder heel mockt. De Buursfru Agathe Müller ut Landin käm rut un seggt t`on Meester: ” Wenn se fardig sin met de Arbeit, will ick em furts dat Jeld geven un se künn noch bei uns Middagbroot eten. Et gift Melkries met Fische.” “Na ,wi mün ierst sehn”, hät denn de Töpper jeseggt. Melkries met Fische wier dünnemals een fien Eten, wat et nur ob den Hochtid gav. Dat wier Beerfisch den hebben de Lüüd över den Ries jefüllt. Wie de Töpper mit siem Liehrjung den Bachhan fardig hadden, seggt de Meester t`um Liehrjungen: ”Du blüffst nu in den Bakhan sitten en holst met dien Puckel dat Jewölv, dat et nich infalln sull. Ick go dann rin en will mi dat Jeld geven laten.” Dat Jewölv holl wull nich recht oder se häm et nich recht jebaut. De Meester geiht ook los in`t Huus en seggt: ”Buursfru de Backhan is fardig.” De Buursfru seggt : ”Dat is ja schöön. Hier heste gliek dien Jeld. Nu kumm man en et noch Melkries met.”
“Nee,” seggt de Töpper, “ wie willn keen Melkries met Fische.” Nu is er ruterennt en seggt t`um Liehrjungen: ”Kumm! Kumm!” Denn sünd se beide losgelopen na de Hauptstraat hen. De Buursfru keem ut dat Hus en seh, dat de Bakhan wier innefallen. Do hät se immer jeroopen:” Meester, de Backhan is innefallen.” De Töpper aver röppt alltiet torüch: ”Nee, nee , wi willn keen Melkries met Fische.” De Buursfru röppt noch eens: ”De Backhan is innefalln.”
Doch de Töpper röppt furtsweg:” Wi willn keen Melkries met Fische, wi willn keen Melkries met Fische,” en löppt immer fixer na de Hauptstraat to.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2019


35. Der Wunderring von Landin 01.01.2020


Ringe haben für die Menschen bis heute eine magische Bedeutung. In Deutschland gab es Bronzeringe in der Frühzeit der Geschichte und später aus Gold. In den Sagen von Dietrich von Bern gibt es einen Ring, der Unsichtbares sichtbar macht und Lessing erzählt in seiner Ringparabel von einem Opalring, der die Kraft hatte, vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Der Ring wurde in unserer Zeit immer mehr zum Symbol für Liebe und Treue und deshalb ist es üblich, bei der Hochzeit sich gegenseitig einen Ring an den Finger zu stecken. Der Ring ist ja ohne Anfang und Ende, und so sollte die Liebe auch zwischen den jung verheirateten Paaren sein. In Deutschland trägt man den Verlobungsring links und den Ehering rechts. Bei den Griechen war es aber üblich den Ehering links zu tragen. Man dachte vom linken Ringfinger führte eine Blutader direkt zum Herzen. Wenn man seinen Ehepartner verloren hat, tragen viele Menschen zwei Eheringe an dem Ringfinger der rechten oder linken Hand. Es wird folgende Geschichte vom Dorfschulzen von Landin, Balthasar Ludwig Corbinius Grünefeld, erzählt. Der Dorfschulze Balthasar heiratete in der kleinen Klosterkapelle auf dem Rütscheberg die wunderschöne Tochter des reichen Bauern Willibald Friedrich aus Buschow. Sie hieß Susanna Veronika Friedrich und war die schönste Frau weit und breit. Der Dorfschulze von Landin war einer der reichsten Bauern im Landin. Er hatte Rinder- und Schafherden und verkaufte das Vieh und das Fleisch und die Wolle im ganzen Land. Knechte und Mägde arbeiteten für ihn im Haus, Hof, Garten und auf den Feldern. Er hatte 12 Pferde und unzählige Schweine, die er im Herbst in den Wald zur Eichelmast schickte. Auf dem Markt in Rathenow hatte er von einem alten Trödeljuden für ein gut gefülltes Säckchen mit Goldmünzen einen überaus kostbaren Ring gekauft, der, so der Jude, aus der Schatzkammer des Königs Salomo stammen sollte und ein Wunderring sei. Den schenkte er am Hochzeitstag seiner Frau. Seitdem waren die beiden unzertrennlich. Er wurde immer neu von Liebe erfasst, wenn er sie sah. Sie gebar ihm zehn Kinder, die alle gesund und munter ins Leben gingen. Balthasar Grünefeld liebte seine Kinder, aber noch mehr die schöne Susanna. Und doch kommt es im Leben wie es kommen muss. Sei es nun die zehn Schwangerschaften oder eine Krankheit, Susanna legte sich aufs Krankenbett und wollte trotz aller ärztlicher Kunst der Mönche auf dem Rütscheberg nicht wieder genesen. Balthasar wich nicht von ihrer Seite und als sie gestorben war, konnte er sich nicht von ihrem toten Körper trennen. Es lag wie ein Bann über ihm. Er wollte und wollte dem Begräbnistermin nicht zustimmen und die Mönche vom Kloster riefen schließlich ihren Abt, der in das Haus des Dorfschulzen kam und die tote Susanna nach allen Regeln der Kunst untersuchte. Dabei fand er unter ihrer Zunge den Ring, den ihr ihr Mann am Hochzeitstag geschenkt hatte. Er nahm den Ring heraus und von Balthasar fiel es wie ein Zauber ab. Er konnte sich von seiner Susanna trennen und stimmte nun endlich der Beerdigung zu. Von dem Ring aber ist jede Spur verloren gegangen. Ob Balthasar ihn selbst nach dem Tode seiner Frau getragen hat, ist ungewiss.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.01.2020


36. Ankunft im Paradies 01.02.2020

Thomas Müller und seine Frau in Landin



Als Thomas Müller mit seiner Frau dem geschäftigen Berlin entfliehen wollten, kamen sie am 09.03.2009 mit dem Auto die Bundesstraße Nr. 5 entlang und bogen vor Friesack nach Rathenow ab. Dichte Wälder säumen die Straße rechts und links und manchmal fuhren sie wie durch einen dunklen Baumtunnel. Auch bei der Abfahrt nach Landin kamen sie noch durch eine kleine Allee, aber plötzlich öffnete sich die Welt. Es wurden Felder, Wiesen und Häuser sichtbar und ein erster Mensch winke ihnen freundlich zu. Er hatte eine Rastafarimütze auf und stand wohl für die Weltoffenheit dieses kleinen Dorfes.
Rastafarimütze

Mit diesem Landiner öffnete sich auch das Dorf für sie. Landin ist anders als viele Dörfer in Brandenburg. Die Häuser stehen nicht dicht an dicht. Es gibt ein lockeres Gebilde von einzelnen Häusern und dann kommt die Kurve und man sieht schon hinten auf dem Berg die Landiner Dorfkirche. Die Kirche steht auf einer Anhöhe. Es war für beide Berliner ein sehr freundlicher Anblick. Und dieser Eindruck hat nicht getrogen. Auch bei den späteren Kontakten zu den Menschen in Landin fanden beide ein freundliches weltoffenes Klima vor. Sie besichtigten dann das kleine Hexenhäuschen neben dem Buchtgraben mit weitem Blick über Wiesen und Felder zu dem in der Ferne sichtbaren Wald.



Die Kraniche waren da und überall Natur pur. Das war Liebe auf den ersten Blick. Und wenn man hinter das Haus trat, empfanden man die Ruhe und den Frieden. Das hatten sie gesucht. Das Haus musste von Grund auf saniert werden, das stellte sich bald heraus, aber sie hatten einen Ort gefunden, wo sie die Seele baumeln lassen konnten.


Wenn sie im ersten Stock durch die riesigen Glasfenster auf die Felder Wiesen und Wälder blickten, waren sie glücklich. War das das Paradies?

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2020


37. Der Keiler von Landin

Wildschweine
Gemälde von Rudolf Herrenkind




1950 kam Rudolf Johannes Alexander Herrenkind mit russischen Offizieren aus Rathenow nach Landin. Sie wollten mit ihm Wildschweine jagen. Rudolf Herrenkind war ein Jäger aus Leidenschaft. Das hatte auch die Russen gehört und wollten mit diesem erfahrenen Jäger mal auf die Pirsch gehen. Die russischen Offiziere schenkten den zwei Mädchen der Herrenkinds Weißbrotstullen dick mit Butter beschmiert und jede Menge Würfelzucker. Das war für die Kinder ein unvergessliches Geschenk.  Butter und Zucker waren nach dem Krieg Mangelware. Dann ging es mit Rudolf Herrenkind in den Wald. Der erfahrene Jäger wusste natürlich, wo sich die Wildschweinrotte bei Tag versteckt hielt. Er fuhr mit den Russen in Richtung Friesack bis zu einem Tannendickicht, das in ein Sumpfgebiet führte, wo sich die Wildschweine gern in einer Suhle lagerten. Rudolf Herrenkind bemerkte einen Keiler in den Tannen und schoss. Zu den Russen sagte er, dass er nicht getroffen hätte. Die Russen schossen dann noch ein anderes Wildschwein und nahmen es mit. Bei den Herrenkinds wurde der Jagderfolg mit Wodka begossen. Die Russen waren glücklich. Als sie spät nach Mitternacht wieder nach Rathenow zurückgefahren waren, weckte Rudolf Herrenkind seine Tochter Lilo, gab ihr einen Rucksack auf den Rücken und dann marschierten beide in den Wald. Rudolf Herrenkind hatte den Keiler sehr wohl getroffen und wusste auch genau die Stelle, wo er zu finden war. Er brach ihn auf und verbuddelte das Gekröse und die Schwarte im Wald. Die Fleischteile wurden in die zwei mitgebrachten Rucksäcke verpackt und für die Familie gab es danach tagelang ein richtiges Festessen, denn Charlotte Herrenkind war eine ausgezeichnete Köchin. Es gab Wildschweingulasch, Wildschweinbraten und Königsberger Klops aus Wildschweinfleisch.  Sie würzte das Fleisch mit Salz und mit Kräutern aus ihrem großen Garten. Aber am meisten benutzte sie Lorbeerblätter. Fast alle Speisen bereitete sie mit Lorbeerblättern zu. Den Rest des Fleisches gab sie mit viel Salz in einen großen Steintopf. So hatten sie das ganze Jahr über Fleisch zu essen. Die Familie war stolz auf den Vater und Jäger. Das Wildern war ja verboten, und es drohten empfindliche Strafen für überführte Wilddiebe. Aber mit den Russen war das schon eine andere Sache und Rudolf Herrenkind hatte die Gelegenheit genutzt.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.03.2020

Nach Angaben von Lilo Wortha, geborenen Herrenkind


38. Die Dorschle von Landin 01.04.2020

Schüler der Dorfschule Landin 1952
Reihe unten von links nach rechts: Erna Reiske, Edeltraud Wegner, Erika Haake,?, Erika Raab, Brigitte Mewes, Uwe Welak, Otto Bauer, Bernd Mewes, Arthur Nickel, Benno Ossenbühl, Helmut Fox, ?, Arthur Hammel
Reihe Mitte von links nach rechts: Else Gutknecht, Erika Brodehl, Elfriede Haake, Ingrid Mewes, Doris Lamprecht, Erika Hammel, Emmi Wenger, ?, Richard Kunze, Arthur Schill, Karl-Heinz Lüpke,?
Reihe oben von links nach rechts: Helga Nelde, Inge ?, ? ?, Hannelore Henke,, Irmgard Ossenbühl,?, Manfrd Rühle,?, Büttner,?



Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) waren die Städte und Dörfer im Land Brandenburg überfüllt von Flüchtlingen aus dem Osten. Aus Ostpreußen, aus Westpreußen, aus Schlesien und aus dem Sudetenland kamen die Menschen mit ihren Kindern auch nach Landin und viele Menschen hatten schon eine Odyssee hinter sich, denn sie waren erst aus Rumänien nach Polen umgesiedelt worden und mussten dann nach dem Krieg noch einmal in den Westen fliehen. Auch in Landin gab es viele Familien, die hier endlich einen Neuanfang im Frieden versuchen wollten. Und es gab Armut, Hunger und Not unter den neu angekommenen Menschen und sie wurden auch etwas geringgeschätzt, denn oft hatten sie eine Sprache aus ihrer alten Heimat mitgebracht, die den Brandenburgern fremd war. Sie rollten das R oder waren noch dem Schwäbisch ihrer Vorfahren verhaftet, die vor ein paar Hundert Jahren nach Siebenbürgen oder nach Russland ausgewandert waren. Aber alle Kinder mussten natürlich in die Schule. Da half nichts. Die Kinder aus Landin mussten zur Einschulung nach Kriele und wurden dort mit den Krieler Kinder in der ersten und zweiten Klasse gemeinsam unterrichtet. Die Landiner Dorfschule hatte einen Klassenraum, in dem die Kinder der Klassen 3 - 4 aus Kriele und Landin gemeinsam unterrichtet wurden. Es waren immer 20 -30 Kinder, die in Landin zur Schule gingen. Das war für die Lehrerin Erika Brodehl schon eine große Kunst, denn sie musste Lesen, Schreiben und Rechnen üben, und so war jede Unterrichtsstunde in verschiedene Teilabschnitte untergliedert, wo die einzelnen Klassen mit Stillarbeit beschäftigt wurden und die andere Klasse aktiv unterrichtet wurde. Zum Beispiel musste die dritte Klasse still eine Geschichte aus dem Lesebuch lesen und sie dann aufschreiben oder abschreiben, während sie mit der vierten Klasse das Einmaleins von der Sieben übte. Es wurde auch noch Schönschrift unterrichtet und geübt und auch zensiert. Die erste Klasse in Kriele schrieb noch alles mit dem Griffel auf eine Schiefertafel. Auch Diktate wurden auf der Schiefertafel geschrieben und der Lehrer ging nach dem Diktat von Schüler zu Schüler und strich Fehler an und gab eine Zensur. Erst ab der zweiten Klasse gab es Schreibhefte und Bleistifte. Sport und Singen konnte dann in beiden Klassen gemeinsam absolviert werden. Das ging gut. Zuerst waren auch keine Schulbücher vorhanden und so musste man auf alte Bücher zurückgreifen. Erika Brodehl hatte in ihrer Bibliothek noch ein altes Liederbuch für höhere Schulen von1906 entdeckt und da wurden dann alle Lieder gesungen, die dort drinstanden.

Das Liederbuch von 1906

„Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Sah ein Knab‘ ein Röslein steh‘n“, “Der Mond ist aufgegangen“ und viele mehr, die die Kinder auswendig lernen mussten. Im Anhang des Buches fanden sich auch französische und englische Lieder wie „Le petit Pierre“ und „Jingle, Bells.“ Es war ein munteres Völkchen, was sich jeden Vormittag in der Dorfschule einfand, aber es wurde auch viel gelacht. Am ersten April versuchte man die Lehrerin in den April zu schicken und Sebastian Kowalke aus der dritten Klasse sagte zu ihr: „Der Bürgermeister bittet Sie sofort zu ihm zu kommen.“ Erika Brodehl roch natürlich den Braten und meinte: „Ich werde ihn nach dem Unterricht aufsuchen. So viel Zeit muss sein.“ Sie beauftragte aber Sebastian Kowalke zu Ingelore Babucke in den Konsum zu gehen und zu fragen, ob sie „Haumieblau“ hätte. Sebastian machte sich pflichteifrig auf den Weg in den Dorfkonsum. Unterwegs sagte er sich immerzu den Namen „Haumieblau“ auf, denn er wollte das seltsame Wort nicht vergessen. Er drängelte sich im Konsum vor und sagte nicht ohne Wichtigkeit zu Ingelore Babucke: „Die Lehrerin schickt mich, ich soll fragen, ob Sie „Haumieblau“ haben?“ Es gab ein großes Gelächter bei den Kunden und bei Frau Babucke. Sie sagte zu dem Sebastian: „Na komm mal her.“ Dann gab sie ihm einen Klapps auf den Hintern und schickte ihn wieder zurück in die Schule, wo ihn erneut eine lachende Kinderschar empfing, denn Erika Brodehl hatte alle Kinder inzwischen über den Aprilscherz aufgeklärt.

Alte Landiner Schule 2020

Am letzten Schultag vor den Sommerferien wurden die Zeugnisse ausgegeben und eine Geschichte oder ein Märchen vorgelesen. Erika Brodehl hatte sich aber erkältet und war krank. So kam eine Ersatzlehrerin aus Rathenow und las in reinstem Sächsisch den Kindern „Das Märchen von der Plauen Plume“ vor. Ab 1950 war dann Emmi Schnelle für die Landiner Schule zuständig. Sie heiratete Heinz Wenger und nahm auch seinen Namen an. Emmi Wenger unterrichtete die Kinder aus Landin und Kriele bis 1954. Dann wurde die Schule in Landin geschlossen und alle Kinder mussten nach Kriele zur Schule gehen. Heute ist die Schule ein Wohnhaus.

Ehemalige Schule 2020




© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.04.2020



39. Zwei Simson-Mopeds erobern die Welt 01.05.2020

Alte Brücke in Mostar (Bosnien und Herzegowina)

Thomas Müller fährt ein BMW-Motorrad und hat mit seiner Frau schon viele lange Motorradtouren unternommen. Als er nach Landin kam, lernte er Guido Gregor kennen, der immer so von seinem Simson-Moped schwärmte. Devin Müller, der Sohn von Thomas Müller, ist technisch begabt und wollte unbedingt alles über Motoren lernen. Da sagte Guido Gregor: „Na der kann doch mal mein altes Simson-Moped auseinanderbauen. Ich muss das sowieso mal durchkucken und da kann er gleich was lernen.“ Devin Müller ist Maschinenbauingenieur und sagte zu seinem Vater: „Ich muss mal was Praktisches machen.“ Der Motor der alten Sim war kaputt und so schraubte Devin Müller am Heiligen Osterfest 2019 alles auseinander. Der Vater und Guido Gregor halfen etwas mit. Und so wurde jedes Teil gesäubert und Devin Müller setzte alles wieder ordentlich zusammen. Und siehe da, welch Wunder. Die alte „Sim“ schnurrte wieder wie ein Bienchen. Thomas Müller war von diesem Moped begeistert. Diese Einfachheit der Konstruktion, und es fuhr trotzdem. Und man kann alles selbst reparieren. Nun fragten die drei im Dorf herum: “Hat nicht jemand noch Ersatzteile von einem alten Simson-Moped?“ In der DDR mit ihrer Mangelwirtschaft war derjenige König, der immer Ersatzteile auf Lager hatte, weil die auch als Mangelware galten und nicht immer zur Hand waren, wenn man sie brauchte. Michael Gnad sagte, ich habe oben in der Scheune noch Teile liegen. Da könnt ihr mal nachkucken. Guido Gregor und Thomas Müller bauten aus den Ersatzteilen ein neues Simson-Moped zusammen. Alle Teile wurden sandgestrahlt und grün lackiert und so hatten sie im Juli 2019 zwei Simson-Mopeds zur Verfügung. Thomas Müller hatte mit seiner Frau schon weite Reisen mit seinem BMW-Motorrad gemacht und da kam ihm die Idee, man könnte doch mit den Simson-Mopeds auch mal eine weitere Tour machen. Guido Gregor war einverstanden und so machten sich die beiden Männer mit ihren Simson-Mopeds aus Landin am 10.09.2019 auf den Weg nach Berlin, wo sie den Autozug bestiegen und die ganze Nacht bis nach Wien durchfuhren. Von Wien ging es über Slowenien an die kroatische Küste. Sie fuhren die Küste entlang bis nach Split. Dann fuhren sie weiter durch Bosnien Herzegowina nach Mostar. Die Folgen des Krieges sind immer noch zu sehen. Es hat im letzten Krieg jeder jeden umgebracht. Nach diesem Leid wollten alle nur Frieden. In Mostar kann man sehen wie die russisch-orthodoxen Christen, die Katholiken, die Mohammedaner und die Juden friedlich zusammenleben. Sie besuchten auch ein Euthanasiemuseum. Dann fuhren die beiden durch Bosnien nach Banja Luka. Und dann ging es schon wieder zurück nach Landin. Im Durchschnitt fuhren sie 35 km pro Stunde und es war herrlich die Landschaft zu genießen, denn bei dieser Geschwindigkeit hat man auch Zeit nach rechts und links zu schauen. Die Rücktour ging wieder über Wien, dann aber nach Prag und von dort zurück nach Deutschland. Thomas Müller und Guido Gregor benutzen auf der Rückfahrt keinen Reisezug. Sie fuhren die ganze Strecke mit ihren Simson-Mopeds. Es war grandios. Durch Whats-Apps und kleine Filmepisoden waren viele Bewohner von Landin immer informiert und so etwas schmiedet ein Dorf auch zusammen.


Am 21.09.2019 kamen die beiden Simson-Weltenbummler wieder glücklich in Landin an. In den 11 Tagen hatten sie mit ihren Simson-Mopeds 2300 km zurückgelegt. Das war schon eine Leistung.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.05.2020.

40. Pastor Karl Domsch 01.06.2020

Pastor Karl Domsch (*05.01.1911 - † 10.01.1992)

Pastor Karl Domsch war am 05.01.1911 in Tauer, Kreis Cottbus geboren. Sein Vater Friedrich Domsch lebte mit seiner Frau Anna Domsch, geborenen Paul, in einem kleinen Haus und bewirtschaftete als Bauer 50 Morgen Acker. Man nannte diese kleinen Bauern Büdner. Ein Morgen entsprach ¼ Hektar. Seine Eltern wohnten im Spreewald und sprachen Wendisch (Sorbisch). Erst als er eingeschult wurde, musste er Deutsch lernen. Karl Domsch wurde am 05.02.1911 in der Dorfkirche in Tauer getauft. Er besuchte die Dorfschule bis zur 8. Klasse und arbeitete dann zwei Jahre in der kleinen Landwirtschaft seines Vaters. Von 1927 – 1930 erlernte er bei der Firma Julius Erling das Maurerhandwerk und arbeitete von 1930 - 1934 als Maurer. Von 1934 an war er Soldat und musste nach Russland in den Krieg, wo er 1945 in russische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er erst 1949 entlassen wurde. Er hatte am 03.12.1939 Martha Bechtholdt geheiratet. Dem Ehepaar wurden vier Kinder geschenkt. Am 07.09.1940 Siegfried, am 24,12,1941 Christa, am 06.08.1944 Eva und am 18.01.1952 Karl-Heinz. Karl Domsch arbeitete nach der Entlassung aus der russischen Kriegsgefangenschaft als Katechet (Religionslehrer) in Tauer im Kirchenkreis Cottbus und später in Liepe im Kirchenkreis Rathenow. Da er diese Aufgabe über alles liebte, weigerte er sich 1953 den väterlichen Hof zu übernehmen. Der Vater war darüber so erbost, dass er seinen Sohn enterbte. 1956 schreibt er in seiner Biografie: Gottes Heiliger Geist führte mich durch sein Wort zum Sündenbekenntnis und zur Heilsgewissheit und beruft sich dabei auf das Kapitel 53 im Alten Testament bei Jesaja. In der DDR (kommunistische Osthälfte von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg) hatten die Kommunisten den Atheismus zur Staatsdoktrin erklärt und die Regierung versuchte, die Menschen von jeglichem christlichen Glauben abzubringen, denn Karl Marx hatte gesagt. „Religion ist Opium für das Volk.“ Die Kommunisten wussten natürlich, dass auch engagierte Christen bei den Nazis mit ihnen in den Konzentrationslagern gesessen hatten und wie Dietrich Bonhoeffer und viele andere ermordet wurden. Und so traute man sich nicht, das Christentum in Gänze zu verbieten, aber bei Lehrern und Staatsdienern wurde schon Wert auf eine atheistische Gesinnung gelegt. Die Kirchen hatte es schwer, Menschen für den Beruf des Pfarrers oder Priesters zu gewinnen und so war man auf die Idee gekommen, eine eigene christliche Hochschule ins Leben zu rufen, wo praktische jeder die Ausbildung zum Theologen durchlaufen konnte. An den staatlichen Universitäten gab es natürlich auch theologische Fakultäten. Die führten aber oft dazu, dass die Studenten doch vom Glauben abgebracht wurden, denn sie mussten wie alle Studenten im Nebenfach Marxismus-Leninismus studieren. In Berlin gab es von 1946 -1999 das „Paulinum“, wo über den Zweiten Bildungsweg Pfarrer und Prediger ausgebildet wurden. Zunächst waren drei Jahre und später vier Jahre für die Ausbildung vorgesehen. Man brauchte dazu kein Abitur, sondern nur eine abgeschlossene Berufsausbildung. Zunächst war die Ausbildung für Kriegsrückkehrer gedacht. Sie entwickelte sich aber immer mehr zu einer Möglichkeit der Kirche, ihre Mitarbeiter im Osten Deutschlands selbst auszubilden. Bis auf die alten Sprachen Griechisch, Hebräisch und Latein wurde die Ausbildung nach und nach an die theologische Hochschulausbildung angepasst. Karl Domsch war ein leidenschaftlicher evangelischer Christ. Es brauchte nicht viel Überredung, um ihn dazu zu bewegen, am „Paulinum“ vom 01.10.1956 -31.03.1960 eine Ausbildung als Pfarrer aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen. Der Generalsuperintendent der Kurmark in Potsdam, Walter Braun, hat in einem Brief vom 02.11.1956 nach einer Generalkirchenvisitation im Kirchenkreis Rathenow die Befürchtung geäußert, dass Karl Domsch die Prüfung zum Prediger am Paulinum nicht bestehen würde, während der Superintendent des Kirchenkreises Johannes Reichmuth da kein Zweifel hatte. Karl Domsch bestand die 1. Predigerprüfung am 14.03.1959 und auch die 2. Predigerprüfung am 13.03.1960. Auch den Probedienst absolvierte er von 01.04.1960 - 31.05.1961 erfolgreich. Die Beurteilung des Predigerseminars meinte aber einschränkend: „In der Arbeit ist er willig und beständig, aber mehr fleißig als begabt; in der Beherrschung der deutschen Sprache zeigen sich mitunter bei ihm Mängel, die damit zusammenhängen, dass er im sorbischen Sprachgebiet aufgewachsen ist.“ Der Gemeindekirchenrat von Stechow hatte am 19.10.1960 einstimmig und der Gemeindekirchenrat von Ferchesar am 21.10.1960 dafür votiert, Pfarrer Karl Domsch als Pastor anzustellen, denn sie hatten gerade eine freie Stelle.
Pfarrhaus in Stechow

Und so kam er denn mit seiner Familie nach Stechow und wohnte im Pfarrhaus mit dem großen Garten gegenüber der Dorfkirche von Stechow. Zu seiner Gemeinde gehörten Stechow, Ferchesar, und zeitweilig auch Semlin, Kriele und Landin.
Dorfkirche Stechow


Er war etwas verwachsen und seine Zähne waren so schrecklich schief gewesen, dass der Zahnarzt große Mühe hatte, ihm ein einigermaßen vernünftiges und ansehnliches Gebiss zu bauen. Er konnte auch nicht singen und begleitete die Gemeinde bei den Kirchenliedern im Gottesdienst mangels eines Organisten auf der Flöte. Der Evangelische Kirchenkreis Rathenow hatte immer Mangel an Theologen und war froh, als Karl Domsch sich um eine Stelle bewarb. Er bekam die Pfarrstelle in Stechow mit allen umliegenden Dörfern, wozu auch Landin gehörte. Als Wilhelm und Marie Brunow am 20.05.1970 ihre Goldene Hochzeit in Stechow feierten, segnete er sie noch einmal in der Stechower Dorfkirche und sprach ihnen ihren Trauspruch zu: “Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal; haltet an am Gebet!“ (Brief des Paulus an die Römer 12,12).


Goldene Hochzeit von Erika und Willi Brunow 20.05.1970
Pastor Karl Domsch mit dem Goldenen Paar vor der Stechower Kirche

Für die Goldene Hochzeitstrauung wurde eine Urkunde ausgestellt, wie das in Preußen so üblich ist. Dem Ehepaar Brunow wurde in herzlichem Gedenken diese prachtvolle Urkunde überreicht und mit dem Siegel der Kirche zu Stechow versehen.


Urkunde zur Goldenen Hochzeit
Stechow, den 20.05.1970


Aber er war wohl ein besserer Maurer als ein Theologe. Es gab an den Dorfkirchen immer viel zu reparieren und ehe er sich auf lange Verhandlungen mit den volkseignen Bauunternehmen einließ, griff er schnell selbst zur Kelle und mauerte was das Zeug hielt. Dafür bewunderten ihn auch die Menschen in den Gemeinden. Er predigte zu den Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen und sprach den Menschen Mut zu. Er versuchte immer auf die Menschen einzugehen und sich ihrer Probleme anzunehmen. Hertha Brunow aus Landin war sowohl Kirchenälteste in Landin als auch Mitglied in der Kreissynode des Kirchenkreises Rathenow und stellte in den Wintermonaten ihren Gastraum der „Gaststätte Muchow“ für die Gottesdienste in Landin zur Verfügung. Pfarrer Karl Domsch kam gern nach Landin, denn er wusste, Elfriede Müller aus Kriele fehlte nie in den Gottesdiensten und begleitete die Gemeinde beim Gesang auf dem Klavier. Hertha Brunow ließ an den Pfarrern kein gutes Haar. Es gab immer etwas zu kritisieren. Mal war die Auslegung der Bibeltexte nicht nach ihrem Eindruck gelungen, mal war die Predigt zu lang und manchmal warf sie den Pfarrern vor, völlig falsche Predigten besonders bei den Beerdigungen gehalten zu haben. Nur bei Pfarrer Karl Domsch machte sie eine Ausnahme, denn Pfarrer Karl Domsch schmeichelte ihr bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. „Ach Fräulein Brunow, das haben Sie aber wieder schön gemacht. Vielen Dank, Fräulein Brunow, dass Sie alle eingeladen haben. Ich unterstütze ihren Antrag auf der Kreissynode und so weiter.“ Man war sich einig gegen die atheistische Regierung und auch einig bei der Kritik an der Leitung des Kirchenkreises Rathenow. Zwischen dem Pfarrer Hartmut Grünbaum, als Chef des Kirchenkreises Rathenow, gab es heftige briefliche Auseinandersetzung. Die Landeskirche Berlin-Brandenburg gab ja eine Ordnung für die evangelischen Kirchengemeinden heraus und forderte natürlich, dass man sich daran hielt. Pastor Karl Domsch hielt die Ordnung der Landeskirche auch für wichtig, nahm es aber nicht so genau damit, sodass Pfarrer Hartmut Grünbaum ihn schriftlich aufforderte, das Wort Gottes zu verkünden und nicht den ganzen Tag zu mauern. Er schrieb an den Pfarrer Grünbaum:“ Es steht geschrieben im Brief des Paulus an die Thessalonicher (1,4) : „Arbeitet mit euren eigenen Händen, wie wir euch geboten haben.“ Dann schrieb der Pfarrer Grünbaum zurück, ja, aber es steht auch in der Offenbarung des Johannes (2,2): “Ich weiß deine Arbeit.“ Und dann schrieb der Pfarrer Karl Domsch wieder mit einem Bibelwort zurück. Es war eine endlose Geschichte. Wie damals Martin Luther vor dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, wollte Pfarrer Karl Domsch nichts anerkennen, was nicht durch die Worte der Bibel gedeckt war. Und so gab die Kirchenleitung schließlich entnervt auf und ließ ihn mauern. Als er das Rentenalter erreicht hatte, zog er mit seiner Frau 1976 nach Gelsenkirchen-Buer und genoss den Wohlstand des Westens. Er war wohl sieben Mal in Israel und kehrte immer wieder mit neuen Glaubenseindrücken aus dem Heiligen Land zurück. Er lud auch Hertha Brunow aus Landin mehrmals ein, ihn in Gelsenkichen-Buer zu besuchen und verwöhnte sie bei ihrem Kommen mit ausgesuchter Gastfreundschaft. Er blieb seinen alten Gemeinden herzlich verbunden, auch wenn er nie mehr wirklich in die DDR zurück wollte. Pfarrer Karl Domsch hielt auch so Kontakt mit seiner Gemeinde uns schickte regelmäßig Urlaubskarten an seine Schäfchen.







  


Pfarrer Karl Domsch fühlte sich im Gelsenkirchen-Buer wohl und lebte mit seiner Frau Martha in enger Verbundenheit mit seinen alten Gemeinden, aber er nutzte auch den Wohlstand und die Freiheit im reichen westlichen Teil Deutschlands, um viel zu reisen und die Welt anzuschauen, die ihm in der DDR verschlossen war. Getreu dem alten Volkslied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“ , besuchte er nun die Stätten seiner Sehnsucht und immer wieder flog er nach Israel, wo er sich Gott ganz nahe fühlte. Am 10.01.1992 starb er in Gelsenkirchen-Buer, beweint und betrauert von seiner Frau, den Kindern und vielen Menschen in Ost und West.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.06.2020


41. Die Mewes in Landin 01.07.2020

Es gab vier Familien Mewes in Landin, die angeblich nicht miteinander verwandt waren, aber wer weiß das schon so genau?

1. Mewes in der Steinstraße 15

Seit 200 Jahre haben die Mewes den Bauernhof in der Steinstraße 15 bewirtschaftet. Die Familienchronik geht bis auf das Jahr 1690 zurück. Ferdinand Mewes hat 1879 das Haus neu gebaut. Dabei musste er sich so hoch verschulden. Er glaubte nicht daran, die Summe jemals zurückzahlen zu können und er gab den Hof schon verloren. Aber 1920 waren dann die letzten Schulden getilgt und sein Sohn Ernst Mewes und seine Frau Pauline Mewes, geborene Kolpreck, bewirtschafteten die nicht so ertragreichen Ackerflächen so gut sie konnten. Kurt Mewes und seine Frau Annemarie Mewes, geborene Friedrich (*31.10.1916 - † 05.02.2013) waren die letzten Bauern, die den Hof richtig bewirtschafteten. Ihre beiden Töchter gingen in andere Berufe und in der DDR (Ostdeutschland von 1945 -1990) mussten ja Acker und Vieh sowieso in eine Genossenschaft eingebracht werden.

2. Mewes in der Steinstr. 16


Anna und Wilhelm Mewes hatten einen reichen Bauernhof mit gutem Acker. Es gab unter den Nachbarn schon immer gegenseitige Hilfe. Als der Backofen bei den Mewes in der Steinstraße 15 kaputt gegangen war, sprangen Anna und Wilhelm sofort ein und erlaubten, dass Annemarie Mewes alle 14 Tage das Brot und manchmal auch ihren Kuchen bei ihr backen konnte. Die Nachbarskinder spielten immer zusammen und waren natürlich überall dabei. Anna Mewes schälte Äpfel für einen Apfelkuchen und die Kinder wollten gern auch einen Apfel aus dem großen Erntekorb essen, aber Anna gab nichts her. Sie saß auf ihren Äpfeln und prahlte auch gern mit ihrem Reichtum. Ihr Mann Wilhelm starb 1943 an Magenkrebs und nun hatte Anna ihre drei Töchter Maria, Hilde und Lucie allein zu erziehen. Lucie Mewes heiratete Bernhard Siegmund und als ihre Tochter Irmgard am 19.12.1946 geboren wurde, erzählten die Nachbarn ihren Kindern, dass Tante Lucie vom Storch ins Bein gebissen wurde und ein Kind bekommen hätte. Lucie Siegmund bekam nach der Entbindung hohes Fieber und ihr Mann Bernhard trug sie im Dezember zur Abkühlung immer im Garten herum. Das hat wohl geholfen, denn sie überlebte diese schwere Erkrankung. Als Bernhard Siegmund in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) eintrat, endete die Geschichte des Bauernhofs.
3. Mewes Steinstr. 5



Reinhold Mewes und seine Frau Luise Mewes, geborene Bollmann, lebten auf dem Bauernhof in Landin Steinstr. 5. Seine Frau hatte er in Gülpe kennengelernt. Reinhold Mewes hatte von der Familie Trägenapp ertragreiches Ackerland und Wald und Wiesen gekauft und kam gut zurecht. Seine Tochter Ilse Mewes heiratete Otto Burandt. Aus dieser Ehe ging der Sohn Bernd Burandt hervor, der ein Liebling der ganzen Familie und der Nachbarn wurde. Als Otto Burandt im Krieg 1939 -1945 in Russland ums Leben kam und nicht zurückkehrte, heiratete Ilse Burandt Willi Burow und bewirtschaftet den Hof mit ihm. Dem Ehepaar Burow wurden drei Töchter geschenkt, Irmtraud, Sigrid und Margrit. Ihr Lieblingssohn und Erstgeborener Bernd sollte einmal die Bauernwirtschaft übernehmen und deshalb benannte sie ihn in Bernd Mewes um. Als Ilse Burow 1961 an Magenkrebs starb, heiratete Willi Burow Gerda Schulze aus Wusterhausen. Sie war eine begnadete Dichterin und verschönte jede Familienfeier mit einem Gedicht oder ein Lied. Sie fuhr auch öfter nach Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo sie Verwandte besuchte und dichtete: “Wer an der Ahr war und weiß, dass er da war, der war nicht an der Ahr. Wer aber an der Ahr war und nicht weiß, dass er da war, der war an der Ahr.“ Bad Neuenahr-Ahrweiler ist eine kleine Stadt in einer romantischen Landschaft in Rheinland-Pfalz mit vielen Weinbergen. Der Wein fließt natürlich in allen Restaurants und Hotels in Strömen. Bernd Mewes wollte dann den Hof doch nicht übernehmen und wurde Lehrer in Grevesmühlen und seine Schwestern gingen auch in andere Berufe, sodass Willi Burow der letzte Bauer der Wirtschaft war. Bernd Mewes verkaufte das Haus an Ursula und Artur Schill. Artur Schill arbeitete als Schlosser auf der LPG und Ursula Schill war Melkerin in der LPG und ab 1990 Postbotin.
4. Mewes Steinstraße 18

Arnold und Hedwig Mewes, geborene Bauer, kamen aus Kriele und hatten drei Kinder: Erna, Heinz und Erika. Die Familie lebte sehr bescheiden, weil sie den Kaufpreis für das Haus sich praktisch vom Mund absparen mussten. Erna Mewes war etwas körperbehindert und wurde von den Nazis umgebracht. Heinz hätte gern den elterlichen Bauernhof übernommen, aber als die LPG kam, wurde alles anders. Heinz Mewes lebte mit seiner Frau Charlotte bis zu seinem Tode in diesem Haus. Sie starben kinderlos. Die Verwandten erbten das Haus und verkauften es weiter.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.07.2020


42. Die Badestelle der Landiner 01.08.2020

Großer Havelländische Hauptkanal bei Landin mit der alten Eiche



Wer ein Fahrrad hatte, fuhr im Sommer an den Ferchesarer See zum Baden, wenn es die Eltern erlaubten. In der Dranseschlucht in Ferchesar führte ein Steilufer zum See zu einer vielbesuchten Badestelle. Alle Fremden fanden die Dranseschlucht sehr romantisch. Die Einheimischen nahmen die Schönheit ihrer Heimat gar nicht mehr wahr. Wer in Landin arm war, konnte nur den Großen Havelländischen Hauptkanal nutzen. Vor der Brücke stand am rechten Ufer eine alte Eiche, die auch an heißen Sommertagen Schatten gab. Aber es war nicht ganz ungefährlich für Kinder, die noch nicht schwimmen konnten, dort ohne Aufsicht zu baden. An heißen Sommertagen kamen aber doch Kinder zur Eiche und versuchten im Wasser zu planschen. Am 02.07.1967 waren drei Kinder an der Badestelle. Die drei hatten ein Fahrrad, durften aber nicht nach Ferchesar fahren. So spielten sie an der alten Eiche. Es waren Werner Gretzinger, Gudrun Bork und Joachim Hildebrandt. Der Große Havelländische Hauptkanal war alt und manchmal ungepflegt und etwas verkrautet. Joachim Hildebrandt konnte schon schwimmen, aber die neunjährige Gudrun Bork und Werner Gretzinger waren noch Nichtschwimmer. So vergnügten sich die drei mit einem Schwimmreifen. Joachim schob den Reifen abwechselnd mal mit Gudrun und mal mit Werner über den Kanal. Das machte Spaß und sie konnte gar nicht genug davon bekommen. Sie juchzten vor Freude und es war ein großer Streit, wer im Schwimmreifen mitfahren durfte, aber Joachim Hildebrandt war für Gerechtigkeit und so ging es abwechselnd hin und her. Dazwischen wurde ein Sonnenbad eingelegt und die Kinder tranken mitgebrachten Saft. Es war herrlich. Als er gerade mit Gudrun Bork unterwegs war, verfingen sich seine Füße in dem Morast und er ließ vor Schreck den Schwimmring los. Der trieb sofort mit der Strömung auf die Mitte des Havelländischen Hauptkanals und Gudrun Bork bekam so große Angst, dass sie aus dem Schwimmring rutschte und im Kanal ertrank. Joachim konnte sich nicht mit eigener Kraft aus dem Morast helfen und ertrank auch. Ehe Werner Gretzinger jemand zu Hilfe holen konnte, war alles schon zu spät. Die beiden Kinder konnten nur noch tot geborgen werden. Seitdem meiden die Landiner diese wilde Badestelle an der Eiche, nur die Angler stehen nach wie vor neben der Eiche und an der Brücke und versuchen ihr Anglerglück.

Grabstein für Gudrun Bork auf dem Landiner Friedhof



Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2020


43. Die Landiner Bürermeisterin Brigitte Nelde 01.09.2020
(*18.03.1936 – † 07.08.1994)


Brigitte Nelde, geborene Müller, wurde am 18.03.1936 in Waldenburg in Schlesien geboren.

Waldenburg in Niederschlesien (1936)


Ihr Vater war Bergmann und arbeitete im nahen Eulengebirge. Er starb im Zweiten Weltkrieg. Die Mutter floh 1945 mit drei Kindern in den Westen und kam nach Genthin.

Brigitte Nelde als Schulkind

Brigitte Nelde wurde in Genthin eingeschult und besuchte später die Heimoberschule in Wendgräben, wo sie 1954 ihr Abitur ablegte. Die Schüler lebten im Schloss Wendgräben in einem Internat.


11. Klasse vor dem Schloss Wendgräben
Brigitte Nelde (unterste Reihe 6. v. li.)



Nach dem Abitur begann sie in Thale eine Ausbildung zur Krankenschwester. 1956 schloss sie die Ausbildung erfolgreich ab und arbeitet danach im Paracelsus-Krankenhaus in Rathenow, weil ihre Mutter inzwischen nach Landin umgezogen war.  Brigitte Nelde nahm aber bald die Ausbildung zur Fürsorgerin auf und arbeitete später in der Geschwulstberatung in den Vereinigten Gesundheitseinrichtungen des Kreises Rathenow.
Am 30.01.1960 heiratete sie Rudolf Ernst Nelde, der zunächst bei der Feuerwehr und später bei der Polizei arbeitete. Die meiste Zeit hatte er den Chef der Polizei in Rathenow, Heinz Rehag, zu chauffieren. Rudolf Nelde war am 04.03.1930 in Bnin, Kreis Schrimm, in Schlesien geboren worden. Betty und Karl Ast aus Landin hatten Rudolf Nelde adoptiert, da sie keine eigenen Kinder hatten. Rudolf Nelde war der Neffe von Karl Ast. Die Schwester von Karl Ast, Anna Nelde, geborene Ast, lebte in Nauen in sehr ärmlichen Verhältnissen und so war die Familie froh, dass ihr Sohn nach Landin kam.

Rudolf Nelde

Dem Ehepaar Nelde wurden vier Kinder geschenkt: Petra 26.07.1960, Lutz 23.09.1961, Heidemarie 02.06.1964 und Stefan 04.06.1971. Brigitte und Rudolf Nelde waren beide in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und so kandidierte Brigitte Nelde für das Bürgermeisteramt in Landin.

Bürgermeisterin Brigitte Nelde

Nach der Kommunalwahl 1963 arbeitete sie als Bürgermeisterin in Landin in der Steinstraße 11. Gerda Hildebrandt, ihre Cousine, war die Sekretärin und so versuchten beide alle Aufgaben der Dorfverwaltung zu bewältigen. Die Bürgermeisterin war auch die Verwalterin aller staatlichen Häuser in Landin. Sie war verantwortlich für Viehzählungen, Hausbücher, den Brandschutz, den Konsum, die Jugendarbeit und hatte Wahlen vorzubereiten und durchzuführen. Daneben hatte sie sich um die Alten und die Feuerwehr sowie die LPG zu kümmern. Als Bürgermeisterin war sie „Mädchen für Alles.“ Das Büro der Bürgermeisterin war ein Treffpunkt für die Menschen im Dorf. Ihre Kinder nahm Brigitte immer mit in das Gemeindebüro und ließ sie im Archiv spielen.

Die Tochter bekam Zöpfe


Einmal als ein hektischer Tag zu Ende ging, schloss die Bürgermeisterin das Büro zu und bemerkte erst zu Haus, dass sie ihre Tochter Heidemarie vergessen hatte. Also kehrte sie wieder um und holte ihre Tochter nach Haus, die aber emsig weitergespielt hatte und nichts vom Arbeitsschluss der Mutter bemerkt hatte. Das Ehepaar Nelde wohnte zunächst in einer sehr kleinen Wohnung in Rathenow. Wegen der engen Wohnverhältnisse kauften die Eltern Betty und Karl Ast ihrem Sohn das Herrenkindsche Haus in Landin. Brigitte und Rudolf Nelde verlebten seit 1961 mit ihren Kindern in der Steinstr. 6 sehr schöne Jahre.
Das Haus der Familie Nelde



Die Büroräume des Bürgermeisters von Landin wurden vom Eckhaus gegenüber dem Friedhof, Steinstraße 11, in die Steinstraße 12 verlegt.
Bürgermeisteramt Landin


Einmal, als die Tochter Heidemarie wieder im Büro des Bürgermeisteramtes spielen durfte, bekam sie mit, dass die Gemeindeschwester Martha Fellert zu ihr kommen sollte, um sie zu impfen. Die Gemeindeschwestern hatten die Aufgabe, auch die Kinder vor allen Dingen gegen Kinderlähmung zu impfen, die als Schluckimpfung auf einem Stück Zucker gereicht wurde. Heidemarie hatte solche Panik, dass sie die Bürotür von innen verriegelte und die Gemeindeschwester, die immer mit einem Trabant aus Kriele kam, unverrichteter Dinge wieder abfahren musste. Der Bürgermeisterin war das sehr unangenehm.
Heidemarie und Lutz Nelde im Winter auf der Dorfstraße

Brigitte Nelde war eine kontaktfreudige, fröhliche Frau, die belesen war und immer versuchte, gerecht zu sein. Viele Menschen kamen auch zu ihr, wenn es Streitereien gab. Sie hatte als Sozialarbeiterin (Fürsorgerin) gelernt, wie man mit den Sorgen der Menschen umgehen konnte. Dazu hatte sie durch vier Kinder genug Erfahrungen mit den Nöten von Familien.
Lutz war mit dem Schlitten in Kriele gegen einen Baum gefahren und hatte sich das linke Bein gebrochen. Ein paar Jahre später fuhr er heimlich mit einem Moped im Wald umher, stürzte und brach sich noch einmal das gleiche Bein. Sie reiste auch gern in den Harz oder an die Ostsee und bestrickte die ganze Familie. Ihre Familie liebte sie sehr, die Ehe mit Rudolf Nelde war glücklich. Als ihr Mann Rudolf am 26.11.1977 in Landin plötzlich starb, nahm sie 1981 das Angebot an, in Ferchesar Bürgermeisterin zu werden, zog nach Ferchesar um und arbeitete bis 1986 dort.
Bürgermeisterin von Ferchesar Brigitte Nelde (2.v. links)
bei einer Feier zum Frauentag


Nach 1986 arbeitete sie wieder als Krankenschwester in der Augenklinik in Rathenow. 1992 bot sich ihr die Chance, in den Vorruhestand zu gehen und sie war glücklich, dass der Arbeitsdruck aufhörte. Sie hatte inzwischen eine Herzkrankheit bekommen, die es ihr schwer machte, voll leistungsfähig zu sein. Sie saß gern im Sommer vor ihrem Haus und sprach mit den Menschen. Am 07.08.1994 starb sie an einer Lungenembolie.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.09.2020



44. Die Hochzeit der Alice von Bredow 01.10.2020

 

Alice von Bredow 1915


Dr. jur. Wichard von Bredow aus Landin kam durch den Ersten Weltkrieg (1914-1918) nach Kurland, wo er die Baronesse Alice von Grotthuss kennenlernte und sich in sie verliebte. Am 29.07.1916 kam er das erste Mal mit einem Freund zur Jagd nach Spahren (heute Lettland). Als sie erhitzt vom langen Ritt in den Salon eintraten, stellte Alice gerade Blumen auf den Esstisch und überreichte dem Wichard ein Glas mit eiskaltem Wasser und sagte: „Zur Abkühlung Herr von Bredow.“ Wichard hatte sich sofort in Alice verliebt und kam nun so oft es ging nach Spahren. Bei einer Jagd im August 1916 schrieb Wichard in das Gästebuch: „Einen starken Elchschaufler gesehen.“ Am 10.08.2016 schrieb er: “17 Pfund schweren Hecht gefangen.“
Am 13.08.1916 war der Leutnant der Reserve Dr. Wichard von Bredow mit seinem Freund Hans Heinrich von Bockelberg erneut in Spahren zu Gast. Am 23.08.1916 schreibt Dr. Wichard von Bredow in das Gästebuch:
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Gutshaus Spahren

In Spahren war ich manchen Tag
ob Sonnenschein, ob Hagelschlag,
es waren schöne Tage,
den Bock gelockt, den Hecht gefischt,
da wurd´ man wieder aufgefrischt
von seines Schreibtischs Plage.
Der Hausherr lockt mit Meisterschaft
die roten Böcke dem Gast zum Schuss;
selbst junge Damen können hier,
des Waldes Wild betören.
Man kann sie oft an Gulbes Rand,
die Enten locken sehen.
Kehrt man des Abends spät zurück,
mit schlechtestem Gewissen,
so ist die Hausfrau gar nicht bös
und reicht uns gute Bissen.
Bald sind vergessen Sorg und Leid
bei Jagd und Jagdgeschichten,
und übermütig fängt man an,
sogar noch was zu dichten.
Dem Hause Spahren vielen Dank
aus übervollem Herzen.
Misst ich das Haus im kur´schen Land,
es tät mich bitter schmerzen.
Und muss ich in die Wildnis gehen,
dort, wo die Gegend minder schön,
ich denke stets an Spahren,
ob gute oder schlimme Zeit,
stets werde ich in Dankbarkeit
dies Andenken bewahren



Für Wichard und Alice stand es bald fest, sie gehören zueinander und so wurde am 19.10.1916 die Verlobung gefeiert. Wichard hätte seine Braut gern den Eltern in Landin vorgestellt, aber in den Kriegszeiten war eben alles kompliziert. Mit Beziehungen zum Zarenhaus bekam aber die Mutter von Wichard, Jenny von Bredow, geborenen Gräfin von Schwerin aus dem Hause Wildenhoff/Ostpreußen (*1860 - † 1922) mit ihrer Zofe doch einen Reisepass und kam zu Besuch nach Spahren. Sie durfte vom 8.12.-18.12.1916 Zeit mit ihrer zukünftigen Schwiegertochter Alice verbringen und schrieb ins Gästebuch der Grotthussens:

Wohl überall in Deutschland
ist kur´sche Gastfreundschaft bekannt.
So kam ich her, und fand ein Haus,
aus dem ich ungern geh hinaus.
Wo warm die Herzen, grad´ der Sinn,
da zieht es jeden mächtig hin.
Und wenn nun gar, wie´s mir gescheh´n,
der Sohn ein Mädchen sich erseh´n,
das ihn beglückt und mich erfreut,
da sprech ich es aus erneut:
Ich kam hierher und fand ein Haus,
aus dem ich ungern geh hinaus.
Doch sage ich „Auf Wiederseh´n“,
wenn milder einst die Lüfte weh´n.
„Auf Wiedersehen,“ wenn in der Rund`
des Frühlings Zauber sich gibt kund.
„Auf Wiedersehen,“ wenn über Nacht
der Rosenherrschaft ist erwacht.
Und immer ein „Auf Wiederseh´n,“
so oft wir von einander geh´n.


Dr. Wichard von Bredow war Ordonanzoffizier im Stab der 1. Kavalleriedivision (KD) und rückte ab August 1917 in Livland ein und schrieb an die Eltern von Alice aus Wilna einen Brief und bat um die Hand ihrer Tochter. Eigentlich wollten sie erst nach Kriegsende Hochzeit feiern, aber Alice hat Furcht, dass Wichard im Krieg verletzt werden könnte und da sie im Herrschaftsbereich des russischen Zaren wohnte, hätte sie keine Chance, ihn im Lazarett zu besuchen. Wenn sie allerdings Wichards Frau würde, könnte sie als deutsche Staatsbürgerin zu ihm fahren. Wichard hatte seine Vorgesetzten gefragt. Er würde im November 2017 mehrere Wochen Hochzeitsurlaub bekommen und so wurde der Hochzeitstermin auf den 10.11.1917 in Spahren festgesetzt. Im Oktober 1917 fuhr Alice mit ihrer Mutter Jenny nach Mitau zum Chef der Verwaltung, um die erforderlichen Papiere zu besorgen. Sie als russische Staatsbürgerin heiratete einen deutschen Offizier, was zu der Zeit aber nicht ungewöhnlich war. Es sollte kein großes Fest gefeiert werden, aber es kamen doch etliche Verwandte. Nur die Landiner Eltern und Verwandten von Wichard durften nicht kommen. Es gab alles auf Bezugsschein, und nur unter großen Mühen konnte der Stoff für das Brautkleid aus Deutschland besorgt werden sowie weiße Schuhe und weiße Handschuhe. Ab 06. 11.2017 trudelten die Verwandten von Alice aus der Umgebung ein. Am 09.11.1917 kam am Nachmittag auch Wichard mit zwei Offizieren an. Es waren dies Friedel von der Groeben und Wichards Cousin Otto Graf von Schwerin-Wildenhoff/Ostpreußen. Alice freute sich, dass wenigstens zwei Gäste von Wichards Seite dabei sein konnten.
Zum Kaffee waren am Polterabend schon 23 Gäste am Kaffeetisch in T-Form versammelt. Eine Tante von Alice hatte die Tafel mit Tannengrün und kleinen Vasen mit Ebereschen, Pielbeeren, wie man hier sagte, geschmückt. Um 19:00 Uhr war das Souper und nach dem Souper gab es kleine Theaterstücke und Gedichte. Ein Theaterstück hieß „Moderne Dienstboten“ und handelte vom Diener des Herrn von Bredow und seiner Kammerjungfer der Frau von Bredow. Dann bewarb sich eine Köchin um eine Anstellung und brachte zum Beweis ihrer Backkunst zwei prächtige Torten mit. Ein Schusterjunge überreichte dem Bräutigam ein Paar Pantoffeln und eine Verwandte hatte sich als Zigeunerin verkleidet und wahrsagte dem jungen Paar viele lustige Sachen. Ein Gretchen erzählt von ihren Erfahrungen mit Männern und die Köchinanwärterin (Tante Frieda) erschien noch einmal im Gewand eines alten Kriegers und sagte ein langes Gedicht auf, das immer mit dem Refrain endete: “Wie bei Sedan in der Schlacht.“ Das war so typisch für kurische Geselligkeit. Am Hochzeitstag wurde zeitig Kaffee im Saal des Gutshauses getrunken, denn das Esszimmer war schon für das Diner geschmückt. Die Trauung sollte um 12:30 Uhr sein und um 11:00 Uhr kamen zwei Tanten und kleideten Alice an. Um zwölf Uhr fuhren die ersten Wagen zur Kirche und das Brautpaar mit den Brauteltern machten sich als Letzte im Coupé auf den Weg zur Kirche. Es war schönes Wetter. Der Altar der Kirche war mit weißen Chrysanthemen geschmückt und am Eingang und im Inneren der Kirche hingen überall Tannengirlanden mit Strickbeerkraut (Preiselbeeren). Zum Eingang spielte das Harmonium das Niederländische Dankgebet „Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten“, was Alice sehr liebte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt, denn es waren alle gekommen, um diesem Fest beizuwohnen. Unten saßen die geladenen Gäste und auf den Emporen die Dorfbewohner. Nachdem der Pastor Johannson sein Werk vollendet hatte, fuhren die Frischvermählten allein zurück ins Gutshaus. Zu Haus erwarteten sie alle Gäste und empfingen die Gratulationen. Alice war etwas irritiert, dass man jetzt „Gnädige Frau“ zu ihr sagte. Sie fühlte sich noch nicht so alt. Es wurde ein Imbiss gereicht, wobei die eingeweckten Krebsschwänze, die Alice selber zubereitet hatte, noch die Pastete übertrafen. Nachdem sich alle etwas gestärkt hatten, ging es ins Esszimmer zum Festessen, wo 32 Personen an einer hufeisenförmig gestellten Tafel Platz nahmen. Die Festtafel war mit einer kleinen Girlande und mit Vasen voller Chrysanthemen geschmückt. Gemalte Tischkarten mit dem Wappen derer von Grotthuss wiesen den Gästen die Plätze zu. Es gab ein kriegsmäßig einfaches Menu. Zuerst kam die Suppe und als zweiten Gang gab es Karpfen. Als Hauptgang wurde Rehrücken serviert und als Nachtisch Reneklodenkompott. Bei Tische wurden viele Reden gehalten. Der Vater von Alice, Otto von Grotthuss, sprach in seinen Worten ganz liebevoll von Landin und von den Landinern, die ja nicht dabei sein konnten.
Der Bruder von Alice Vater, Friedrich von Grotthuss (*1861 - † 1919), wendete sich zum Schluss seiner Rede an Wichard und sagt: „Wenn ich auch weiß, dass Du ebenso wie ich kein Anhänger eines Verzichtsfriedens bist, so muss ich Dir doch sagen, dass in der Ehe doch manchmal ein Verzichtsfrieden am Platze ist.“ Von Wichards Seite hielt sein Cousin Otto Graf von Schwerin-Wildenhoff/Ostpreußen die Tischrede. Um 17:00 Uhr gab es Kaffee und Kuchen und eine kleine musikalische Überraschung, denn drei Gendarmen waren gekommen und spielten auf einer Geige, einer Zither und einer Gitarre mehrere Lieder, einen Marsch und einen Choral. Nach dem Kaffee wurde der Jungfernkranz ausgetanzt und Alice richtete es so ein, dass ihn Baronesse Irene von Hahn (genannt Zibbe) bekam und Wichard drückte ihrem Freund, dem Baron Carol von Fircks, seinen Stahlhelm auf den Kopf. So tanzten die beiden dann einen Walzer zusammen. Es sollte aber eigentlich nicht getanzt werden. Dafür machte man aber recht wilde Spiele. Um 20:00 Uhr war das Abendessen angesagt und danach ging es weiter mit Ratespielen und „Lange Nase.“ Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Das Brautpaar hatte sich schon rechtzeitig zurückgezogen. Um 23:30 Uhr war die Feier beendet und die nicht im Hause Spahren untergekommen waren, fuhren nach Hause.

Hauptetage des Gutshauses Spahren


Es war ein schöner Tag gewesen und ein Lichtblick in diesen Kriegstagen. Natürlich wäre das Fest nicht so prächtig geworden, wenn das Hauspersonal sich nicht so eng mit der Familie von Grotthuss verbunden gefühlt hätte. Es war eine gute Harmonie zwischen den Gutsherren und den vielen Angestellten, die im Haus, Hof und auf den Feldern arbeiteten. Die meisten waren Letten. Man war stolz auf die Familie von Grotthuss und schickte die jungen Mädchen gern ins Schloss, um dort die feine Küche zu erlernen. Manche blieben im Schloss, aber die zurückgingen und eigene Familien gründeten, zehrten von dieser feinen Küche ihr ganzes Leben lang. Sie erfreuten ihre Familien mit außergewöhnlichen Kochkünsten. Sie hatten es ja im Hause Spahren gelernt. Am 11.11.1917 machten sich Dr. Wichard von Bredow und seine Frau Alice von Bredow auf den Weg nach Landin - gewissermaßen als Hochzeitsreise. Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht einmal später erzählt werden kann.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.10.2020

Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.

45. Die Postfrau von Landin 01.11.2020

Ursula Schill
23.06.2020



Ursula Erika Helga Schill, geborene Rühle, kam am 10.03.1947 in Landin zur Welt. Sie wohnte mit ihren Eltern neben der kleinen Dorfkirche in der Bergstraße und ging von 1953 - 1957 in Kriele in die erste bis vierte Klasse. Die fünfte bis achte Klasse musste sie in Stechow absolvieren und die letzten zwei Jahre bis zur zehnten Klasse kam sie in die Schule Nennhausen. Nach Abschluss der zehnten Klasse 1963 erlernte sie zwei Jahre lang den Beruf einer Gärtnerin in Albertsheim und arbeitete danach auf der LPG „Freie Scholle Landin“ im Feldbau und in der Pflanzenproduktion. Später wechselte sie zur Tierproduktion und arbeitete in Landin als Melkerin und in der Kälberaufzucht. Am 26.04.1968 heiratete sie den Schlosser Artur Schill in Rathenow.

Ursula und Artur Schill
26.04.1968


Artur Schill wurde am 01.07.1942 in Wilamow, Kreis Turek (heute Polen), geboren, wohin die Nazis seine Eltern umgesiedelt hatten. Eigentlich kamen die Eltern aus Straßburg, Kreis Akkerman, in Bessarabien. Die Familie hat drei Söhne: Thomas, geb. 04.06.1968, Torsten, geb. 27.09.1969 und Oliver, geb. 19.01.1986. Die Familie Schill wohnte zunächst in einen alten Lehmfachwerkhaus in der Bergstr. 3, das aber wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Sie zog 1972 in eine Wohnung im Gutshaus um und blieb dort bis 1989. Als Bernd Mewes 1989 das Haus seiner Eltern in der Steinstr. 5 verkaufte, bezogen sie dieses Haus und wohnen nun mit zwei Söhnen Thomas und Oliver in dem alten Bauernhaus. Ursula Schill übernahm von 1990 – 2003 die Post in Landin. Die Poststelle war in der Steinstr.11


Poststelle, Steinstr.11


Zuerst hatte Betty Ast die Poststelle inne, ihr folgten Elli Müller und Sonja Gnad. Als Ursula Schill die Post übernahm, hatte sie nur Landin zu versorgen und fuhr die Briefe, Zeitungen und Pakete mit dem Fahrrad aus. Sie wickelte auch die Bankgeschäfte der Landiner in der Post ab. Die Poststelle war Montag bis Freitag von 8:00 - 9:00 Uhr in Landin geöffnet und für die Lottospieler einmal in der Woche von 17:00 - 18:00 Uhr. Nach der Einheit Deutschlands änderte sich das Arbeitsprofil. Die Poststelle zog in die Alte Schule um.

Ehemalige Poststelle in Landin


Sie brauchte auch die Zeitungen nicht mehr auszutragen und sie bekam ein Auto und musste Kriele, Kotzen Rhinsmühlen und später Damme, Liepe, Nennhausen und Neufriedrichsdorf übernehmen. Die Arbeit als Postfrau war nicht ganz ungefährlich. Dreimal wurde sie von einem Hund gebissen und einmal stürzte sie bei Glatteis so heftig, dass sie fast nicht mehr laufen konnte.
Aber im Rückblick auf ihr Arbeitsleben, war es eine sehr interessante Aufgabe und am besten hat ihr der Kontakt zu den Menschen gefallen. Sie lernte durch ihre Arbeit fast alle Bewohner in ihrem Bereich kennen und das war schön. Auch erinnert sie sich gern an die Vorweihnachtszeit, wo eine große Arbeitsbelastung auf sie Jahr für Jahr zukam, aber die Menschen schenkten ihr auch mal eine Tafel Schokolade oder andere Süßigkeiten als kleines „Dankeschön.“

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.11.2020



46. Der Landfilm kommt 01.12.2020

Gerhard Wernicke aus Stechow
Filmvorführer




Da es nicht so viele kulturelle Höhepunkte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) auf dem Dorf gab, hatte der Staat einen Lichtspielbetrieb gegründet. Gerhard Wernicke aus Stechow kam jede Woche einmal mit seinem Auto nach Landin. Er war als Filmvorführer beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Kreislichtspielbetrieb Rathenow angestellt. Die Filmvorführer bespielten die festen Kinos in Rathenow, Premnitz und Rhinow und fuhren einmal pro Woche auf jedes Dorf. Gerhard Wernicke war zuständig für die Dörfer Stechow, Ferchesar, Kotzen, Kriele, Landin und Nennhausen. In Landin wurde eine Leinwand in der Gaststätte Muchow sowie Lautsprechen und Stühle aufgestellt. Da half ihm immer ein Junge aus dem Dorf, der dann keinen Eintritt bezahlen musste. Alle Kinder gingen, so oft es möglich war, ins Kino. Das kostete für Kinder 50 Pfennige, aber für die Familie war das schon viel Geld. Gerhard Wernicke stellte zwei Vorführgeräte vom Typ TK 35 auf. Das bedeutete Tonkino und die Filme hatten eine Breite von 35 mm. Es gab immer eine Wochenschau, die auf eine Rolle Film passte und einen Vorfilm, der meist ein Naturfilm war, der auch auf eine Rolle passte und einen Hauptfilm, der meist auf sechs Rollen passte. Der Filmvorführer beschickte zwei Vorführgeräte und musste am Ende der ersten Rolle auf den zweiten Apparat umschalten, sodass die Zuschauer den nahtlosen Übergang nicht bemerkten. Es kamen so im Durchschnitt 30 - 40 Leute ins Landiner Kino. Um17:00 Uhr war eine Vorstellung für Kinder und um 20:00 Uhr gab es eine Vorstellung für Erwachsene. Es wurde Filme mit Hans Albers oder „Der Kahn der fröhlichen Leute“ und viele russische Filme gezeigt.

Gerhard Wernicke 2020

Gerhard Wernicke erinnert sich an viele Kinder, die in das Landiner Kino zu ihm kamen. Die Kinder liebte die russischen Märchenfilme. Ein besonders schöner Film war eine Geschichte von Nikolai Gogol. Sie hieß die „Die Nacht vor Weihnachten.“ Die Geschichte spielt in einem kleinen Dorf in Russland. Die Jugendlichen des Dorfes ziehen am Abend vor Weihnachten durch das tiefverschneite Dorf mit einem Stern und singen Weihnachtslieder und erhalten Süßigkeiten. Der Schmied Vakula hat Bärenkräfte und hat in der Kirche den Teufel ganz furchterregend gemalt. Die Mutter von Vakula ist die Dorfschöne Solocha und außerdem eine Hexe. Sie reitet auf einen Besenstiel zum Himmel sammelt die Sterne ein. Der Teufel will dem Dorf schaden und klaut den Mond vom Himmel und streut den Schnee umher, sodass man die Hand nicht vor Augen sehen kann. Er besucht die Hexe und sie stoßen auf das neue Jahr an. Den Herrgottswinkel hat die Hexe schnell mit einem Vorhang zugezogen. Wie sie beim Turteln sind, klopft es und der Bürgermeister kommt persönlich. Die Dorfschöne steckt den Teufel einfach in einen leeren Kohlensack. Kaum haben der Bürgermeister und die Solocha auf das neue Jahr angestoßen, klopft es schon wieder und der Pfarrer kommt. Die Dorfschöne steckt den Bürgermeister ebenfalls in einen leeren Kohlensack und empfängt den Pfarrer. Aber kaum wollten sie sich etwas amüsieren, klopft es schon wieder. Der reiche Kosak Tschub kommt und will mit Solocha auf das neue Jahr anstoßen. Da kommt der Sohn Vakula nach Hause zurück und so verschwindet der Vater der Oxana ebenfalls in einem Kohlensack. Vakula ist ganz benommen. Er liebt Oxana die Tochter des reichen Kosaken Tschub und die hat ihm gerade in jugendlichem Übermut erklärt, sie würde ihn nur heiraten, wenn er ihr ein Paar Schuhe schenkt, die auch die Zarin trägt. Aber trotz dieser unüberwindbaren Hürde, geht sie ihm nicht aus dem Kopf. Er sieht die Säcke im Zimmer der Mutter und sagt sich: „Morgen ist Feiertag und dann diese Unordnung.“ Er nimmt alle Säcke und trägt sie nach draußen, wo er die schöne Oxana mit den anderen Jugendlichen rumtollen sieht. Er kann vor Eifersucht gar nicht hinkucken, aber Oxana kommt mit den Mädchen zu ihm und fragt ihn scheinheilig: “Na, hast du nun die Schuhe von der Zarin?“ und lacht und lacht und zieht mit den Mädchen weiter. Er dreht sich zu ihr um und ruft ihr zu:“ Leb wohl Oxana! Such Dir einen anderen Bräutigam! Mich siehst Du nie wieder!“ Er nimmt einen von den Säcken und läuft zum Fluss. Eine Klatschbase beobachtet das und erzählt ihrer Nachbarin. Vakula hat sich ertränkt. Die Nachbarin erzählt den andern, er hätte sich erhängt. Und so ist das ganze Dorf überzeugt, Vakula hätte sich umgebracht.

Nikolaj Wassiljewitsch Gogol
(*1809 – †1852)


Oxana träumt von ihrem Bräutigam und nun wird ihr bewusst, was sie angerichtet hat und sie weint bitterlich. Aber der Schmied Vakula hat den Teufel im Sack entdeckt und verprügelt ihn so lange, bis er verspricht mit ihm nach Sankt Petersburg zur Zarin zu fliegen. Und dort reiht er sich mit Hilfe des Teufels bei den Bojaren ein und geht zum Empfang der Zarin in das Winterpalais, wo er die Pracht und Herrlichkeit bewundert und meint: „Die Märchen lügen nicht – so schön ist es hier.“ Die Zarin fragt ihr Volk, was es denn wünsche und die Bojaren antworten: „Nichts Mütterchen Russland, wir haben von allem reichlich.“ Der Schmied Vakula vergisst vor lauter Glanz fast, was er wollte, aber der Teufel erinnert ihn und nun prescht er vor und sagt: “Doch ich habe einen Wunsch. Meine Braut möchte solche Schuhe haben, wie ihr habt.“ Da lacht die Zarin und der ganze Hofstaat und die Zarin überreicht ihm ein Paar Schuhe mit Diamanten besetzt. Vakula fliegt mit dem Teufel wieder zurück in sein Dorf und geht zu Oxana. Als sie ihn sieht, fällt sie fast in Ohnmacht, weil auch sie geglaubt hatte, er wäre tot. Als er ihr die Schuhe überreicht, meint sie. Die brauche sie nicht mehr. Sie wolle auch ohne solche Schuhe seine Frau werden. Und nun treffen sich alle in der Kirche und feiern die Geburt Jesu Christi am Heiligen Weihnachtsfest. Als die ersten Fernseher in die Dörfer kamen, war das der Beginn des Endes des Landfilms. Das Fernsehen verdrängte bald das Kino und wurde zum Kulturträger Nummer 1 auch in Landin.

Video
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2020




47. Die Hochzeitsreise der Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow 01.01.2021

Das Brautpaar Alice und Wichard





Nach der Hochzeit am 10.11.1917 auf dem Gut Spahren im heutigen Lettland machte sich Dr. jur. Wichard von Bredow (* 1888 - † 30.05.1951) mit seiner Frau Alice von Bredow, geborene Baroness von Grotthuss, sofort auf die Hochzeitsreise. Und wo konnte die wohl anders hingehen als nach Landin. Am 11.11.1917 standen die beiden schon sehr früh auf und packten noch einen kleinen Rest von Sachen zusammen, ehe es in Begleitung der ganzen Familie und der Hausangestellten mit den Kutschen zum Bahnhof ging. Es war ein toller Abschied. Alice hatte noch zwei Flaschen Sekt und Gläser eingepackt und dann ging es los zum Bahnhof. Aber zuerst wurde noch am Bahnhof ein Glas Sekt getrunken auf den Abschied von der Heimat Spahren. Freunde begleiteten sie auch auf der Zugfahrt. Der Zug fuhr bis Mitau, wo man bei Verwandten eine kurze Rast einlegte und am nächsten Tag nach Pozeruny fuhr, wo die Zollkontrolle erfolgte, denn der nächste Ort gehört schon zu Deutschland. Von Allenstein ging es dann mit dem Schlafwagen nach Berlin. Auf dem Bahnhof Berlin-Friedrichstraße erwartet das junge Paar am 13.11.1917 früh am Morgen eine Droschke, die der Schwiegervater von Alice, Max von Bredow, vorbestellt hatte. Sie brachte die beiden zum Hotel Kaiserhof, wo die Schwiegermutter von Alice, Eugenie (Jenny) von Bredow, geborenen Gräfin von Schwerin aus dem Hause Wildenhoff/Ostpreußen (*1860 - † 1922), ein komfortables Zimmer bestellt hatte. Nach einem erfrischenden Bad gingen beide recht müde zu Bett und schliefen erst mal eine Runde. Als sie um 12:00 Uhr wieder wach wurden, aßen sie um 13:00 Uhr im Kaiserhof zu Mittag und machten dann bei unwirtlichem Novemberwetter in Berlin eine Shopping-Tour. Um 20:00 Uhr hatten sie in dem berühmten Restaurant „Borchardt“ ein Souper bestellt und Alice wunderte sich, dass es trotz Kriegszeiten noch den Champagner „Veuve Cliquot“ gab.  Am 14.11.2017 ging es nach dem Frühstück wieder in die Geschäfte von Berlin, von denen Alice nicht genug sehen konnte und Wichard war geduldig und ließ alles über sich ergehen. Zum Kaffee waren sie bei Tante Misi Schwerin in der Hohenzollernstraße 3 eingeladen und hatten sich so viel zu erzählen, dass Wichard zum Aufbruch drängen musste, denn um 19.00 Uhr hatte Wichard Karten für „Figaros Hochzeit“ im Charlottenburger Opernhaus besorgt und sie bekamen auch eine Taxe, die sie vom Kaiserhof zur Oper brachte. Sie waren verliebt und glücklich und genossen alles in vollen Zügen. Zum Glück hatten sie aus Spahren einen großen Korb voll Lebensmittel mitgebracht und so holten sie zum Frühstück ihre Butter hervor, die es in Berlin nicht mehr gab. Am 15.11.1917 war es in Berlin etwas freundlicher und der Stadtbummel war deshalb für beide etwas angenehmer. Bei Kranzler aßen sie Eis und am Abend hatte Wichard wieder Karten für das „Dreimädelhaus“ im Friedrich-Wilhelm-Städtischen-Theater bestellt. Am 16.11.1917 ging es, nachdem das Reisegepäck mühevoll verstaut wurde, endlich mit dem Zug nach Friesack. Alice fand das Osthavelland wenig hübsch. In Friesack hielt vor dem Bahnhof ein Landauer (viersitziger Verdeckwagen) und Alices Schwiegervater, Max von Bredow (*1855 -†1918), nahm sie am Bahnsteig persönlich in Empfang. Der alte Kutscher Becker brachte das Gepäck in den Landauer.

Landauer



Der Schwiegervater von Alice, Max von Bredow, Herr auf Landin und Kriele, war Landrat im Westhavelland in Rathenow, Vorsitzender des Familienverbandes von Bredow und Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Er hatte Alice später oft gezeigt, wo er im Kreishaus gewohnt hatte. Im ersten Stock rechts war das Schlafzimmer und hinter dem Kreishaus befanden sich die Pferdeställe. Die vier großen Pferde, die den Landauer zogen, stammten aus dem Marstall der Kaiserin von Deutschland, Auguste Victoria, und waren zum Durchfüttern nach Landin gegeben worden. Das Wetter war schön und Alice genoss die zwölf Kilometer bis Landin sehr, denn im Gegensatz zum Osthavelland, ging es vorbei an Wiesen, Feldern und durch den Wald, als sie die Ackerbürgerstadt Friesack verlassen hatten. Einen Kilometer vor Landin wurden sie von zwei Reitern begrüßt, die einen Willkommensbrief vom Schlächtermeister und vom Schmiedemeister aus Kriele überreichten. Am Dorfeingang war eine Girlande gespannt mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen“ und mitten im Dorf eine zweite Girlande mit der Aufschrift „Herzlichen Glückwunsch“ und die Schlosseinfahrt war auch mit einer Blumengirlande geschmückt. Vor dem Schloss in Landin hatten sich fast alle Männer, Frauen und Kinder aus Landin und Kriele versammelt und die Honoratioren hießen das junge Paar herzlich willkommen. Der Pfarrer Nagel, der Förster Ernst und der Oberinspektor Erfurt hielten Begrüßungsreden. Der Förster Ernst war auch Vorsitzender des Kriegervereins von Landin und so schritt Wichard von Bredow die Front der angetretenen Mitglieder des Kriegervereins ab und bedankte sich anschließend für die warme Aufnahme durch die Bewohner.

Landiner Schloss von der Hofseite





Die Dorfkinder hatten der Alice unzählige Blumensträuße überreicht, was sie sehr rührte. Unter dem über und über mit Blumen geschmückten Portal standen die Schwiegermutter Jenny von Bredow und Wichards Schwestern Elsa von Karstedt, geborenen von Bredow, (*1883 - †1945), Valeska von Bredow, genannt Vally (1880 – † 1958) und sein Bruder Harald von Bredow und begrüßten das junge Paar. Dann kamen erneut Schulkinder mit Blumen und sagten Gedichte auf. Überall standen Blumen und auch der Landrat vom Osthavelland in Nauen, Herr von Hahnke hatte Chrysanthemen geschickt.
Wichards früheres Zimmer hatte man zum Salon umfunktioniert und daneben befand sich das Schlafzimmer des jungen Paars. Hinter dem Schlafzimmer gab es noch einen Umkleideraum für die beiden frisch Vermählten. Nach einer kleinen Verschnaufpause wurden Tee und Kuchen serviert und am Abend gab es ein Hochzeitsdiner.


Das kleine Haus in Landin



Vier Wochen Urlaub waren Wichard von Bredow für die Hochzeit mit Alice bewilligt worden und so wurde fast jeden Tag ein Besuch bei den Bredows im Havelland gemacht. Alice und Wichard fuhren nach Senzke, Pessin, Bredow, Wagenitz, Vietznitz, Burg Friesack, Klessen, Görne und Stechow. Überall saßen die Bredows und freuten sich, als Wichard seine junge schöne Frau vorstellte. In Stechow war der Empfang besonders herzlich, denn ihre Exzellenz Marie von Bredow, geborene Freiin von Langermann und Erlencamp (*1859 - † 1948) führte dort den Haushalt ihres Sohnes Wilhelm von Bredow (*1891 - † 1979), der auch viele Jahre Vorsitzender des Familienverbandes derer von Bredow war. Natürlich waren Alice und Wichard auch in Briesen und Kotzen. Alice hatte sich gleich im Havelland heimisch gefühlt. Die vielen Wäldern, Seen, Wiesen und Feldern gefielen ihr und Wichard tat alles, dass sie in ihrer neuen Heimat Landin ankam und so war es wohl auch. Alice war in der Blüte ihrer Jugend an ihr Lebensziel gelangt, so dachte sie wenigstens. Es waren die schönsten Wochen ihres Lebens. Dass sie nach 28 Jahren ihre lieb gewonnene Heimat Landin im Havelland erneut verlassen musste, konnte sie damals noch nicht ahnen.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.01.2021

Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.


48. Harald Bork kehrt nach Landin zurück 01.02.2021



Harald Wolfgang Bork wurde am 20.09.1959 in Rathenow geboren. Sein Vater Gerhard Hermann Bork (*26.06.1934 -†19.02.2007) hatte eine kleine Landwirtschaft in Landin. Seine Mutter Edith Anna Bork, geborenen Brümmerstädt, (*24.03.1934 - † 02.10.2010) war Hausfrau. Die Familie bewohnte ein kleines Fachwerkhaus in Landin, Steinstr. 13. Als das Fachwerkhaus so marode wurde, dass es nicht mehr bewohnt werden konnte, wurde es einfach abgetragen und die Familie zog zum Haus der Großmutter, Brigitte Brümmerstädt, Steinstraße 19, um. Die Großmutter zog in das Hexenhaus am Buchtgraben, das die Gemeinde verwaltete. Der Vater bewirtschaftete mit seiner Frau acht Hektar Ackerland und fünf Hektar Wiesen.  Auf dem kleinen Bauernhof wurden sechs Kühe, zehn Schweine, zwei Pferde und Hühner, Enten und Gänse gehalten.

Elternhaus von Harald Bork Landin, Steinstr. 19



1970 gingen die Borks in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) „Freie Scholle“ in Landin.
Harald wuchs mit fünf Geschwister auf: Norbert Bork (*18.11.1955 - † Januar 1988), Gudrun Bork (*4.11.1957 – † 02.07.1967), Gabriele Bork (*02.05.1962), Marlies Bork (*13.06.1965) und Uwe Bork (*02.04.1967).
Harald Bork besuchte von 1966 – 1969 die erste bis dritte Klasse in Kriele und kam dann zur Polytechnischen Oberschule nach Stechow, wo er die 10. Klasse absolvierte. Von 1976 – 1978 erlernte er im Hochbaukombinat (HBK) Rathenow den Beruf des Ausbaufacharbeiters. Dieser Beruf vereinigte die Handwerke Mauer, Maler, Putzer und Fliesenleger. Nach der Facharbeiterprüfung blieb er noch ein Jahr beim HBK in Rathenow und ging dann als Maurer zum Volkseigenen Gut (VEG) Rhinsmühlen, wo er fünf Jahre lang arbeitete. Von 1984 -1990 arbeitete er als Handwerker in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) -Tierproduktion in Rhinow. Nach der Einheit Deutschlands wechselte er fast jährlich die Arbeit bei verschiedenen Baufirmen wie Wirtschafts- und Heimbau GmbH Stechow und deren Nachfolgefirma, die Isensee Bau GmbH Stechow und viele andere mehr. Nach einer Herzoperation 2012 konnte er die schwere körperliche Arbeit nicht mehr weiterführen und arbeitet seither für einen Sicherheitsservice in Potsdam. Am 13.03.1982 heiratete Harald Bork Christiane Garbe und wohnte von 1984 -1996 in Kleßen. Dem Ehepaar Bork wurden zwei Kinder geboren. Mareike (*04.05.1984) und Fabian (*15.12.1986). Die Familie Bork hätte gern in Kleßen ein neues Haus gebaut, aber die Bauvorschriften erlaubten das nicht. So kauften Christiane und Harald Bork 1996 das Haus von Otto Hildebrandt in Landin, Steinstraße 7 und baute es um und aus.


Harald Bork vor seinem Haus Landin, Steinstr.7



Zuerst wurde das Dach erneuert und danach das Obergeschoß mit drei Zimmern neu gebaut. Ein elterliches Schlafzimmer und für die beiden Kinder je ein Zimmer. Im Erdgeschoß baute er ein neues Bad, eine neue Küche und ein großes Wohnzimmer. Die Treppe musste neu gebaut werden und eine Heizung eingebaut werden. Natürlich mussten auch die Elektrik und die Fußböden komplett erneuert werden. Es war eben ein altes verwohntes Haus. Da Harald Bork Ausbaufacharbeiter war, konnte er die meisten Arbeiten selbst machen. Das sparte Kosten und Zeit. Es war 1996 eine Rückkehr an den Ort seiner Kindheit und das machte ihn froh und glücklich. Er hat einen Hahn und 17 Hennen von New Hampshire-Hühnern und züchtet Tauben.

New Hamshire Hahn mit seinen Hühnern




Seine Eltern liegen nur ein paar Schritte von ihm entfernt auf dem kleinen Landiner Dorfkirchenfriedhof. Und seine Schwester, die im Großen Havelländischen Hauptkanal ertrunken war sowie sein Bruder Norbert, der auf mysteriöse Weise in Premnitz zu Tode kam, erinnern mit einem Stein an ihre Zeit auf der Erde.

Grabstein von Edith und Gerhard Bork
auf dem Friedhof um die Landiner Dorfkirche




© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2021



49. Das Lebensende der Alice von Bredow 01.03.2021

Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow zur Silberhochzeit am 10.11.1942



Die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg also von 1919 – 1939 war für Alice von Bredow eine glückliche Zeit. Sie lebten in Landin und ab 1937 war Dr. jur. Wichard von Bredow Landrat des Kreises Pillkallen in Ostpreußen, was seine Frau ganz besonders freute, war sie doch so ihrer alten Heimat Spahren ein Stück näher gerückt. 1938 wurde der Kreis Pillkallen in Kreis Schlossberg umbenannt. Pillkallen kommt aus dem Litauischen war wohl nicht Deutsch genug für die Nazis. Pilis heißt Schloss in Litauischen und Kalnas Berg. Aus dieser Zeit werden zwei wichtige Begebenheiten erzählt.  Dr. jur. Wichard von Bredow hatte als Landrat des Kreises Schlossberg in Ostpreußen das Inbrandsetzen der Synagoge in Schirwindt am 10.11.1938 verhindert. Als er in einem Fernschreiben vom Gauleiter informiert wurde, dass alle Synagogen in Deutschland angezündet werden sollten, zog er seine Majorsuniformjacke an und stellte sich mit seiner Pistole vor die Synagoge in Schirwindt und erklärte den brandlüsternen SA- und SS-Trupps. Dieses Gotteshaus könnten sie nur über seine Leiche betreten. Daraufhin zogen die Nazihorden unverrichteter Dinge wieder ab. Die Synagoge blieb unversehrt. Eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser, die nicht zerstört wurden. Die mutige Tat des Landrates blieb ohne Folgen. Der Landrat hatte ein hohes Ansehen und auch viel Macht. Er war Landrat des östlichsten Kreises des Deutschen Reiches und Schirwindt war die östlichste Stadt Deutschlands. Eine zweite Geschichte hatte für sein späteres Leben große Bedeutung. Der Rinderbauer Jürgen Früchte aus Haarstorf im Kreis Uelzen hatte in Ostpreußen Land gepachtet und hielt darauf schottische Hochlandrinder „Aberdeen Angos,“ die natürlich im Freien lebten. Ein dummer Parteibonze zeigte ihn wegen nicht artgerechter Haltung der Rinder und Sabotage der Volksernährung bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) an. Jürgen Früchte wurde verhaftet und kam in das Gefängnis nach Tilsit.  Nur auf Intervention des Landrates Dr. jur. Wichard von Bredow kam er wieder frei.


Kreis Pillkallen/Ostpreußen



Als die Rote Armee immer näherkam, verließen Alice und Dr. jur. Wichard im Januar1945 Schlossberg und kehrten nach Landin zurück. Aber auch da war die Familie nicht mehr sicher und so machten sie sich am 23.04.1945 von Landin aus mit dem Auto auf den Weg in den Westen. Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow wurden dort in ein Flüchtlingslager bei Lehnsahn (Holstein) gesteckt. Die Lebensumstände waren sehr karg. Jürgen Früchte, der Rinderbauer aus Haarstorf im Kreis Uelzen suchten seinen ehemaligen Landrat Dr. jur. Wichard von Bredow und fand ihn auch. Er holte das Ehepaar 1945 sofort aus dem Lager. Aus Dankbarkeit nahm er Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow in sein Haus auf. Dr. jur. Wichard von Bredow wurde als Nachtwächter angestellt und Alice half in der Küche, im Haus, im Garten und auf den Feldern mit und verdiente sich so ihren Lebensunterhalt. Dr. jur. Wichard von Bredow war in der NSDAP gewesen und durfte als Nazi keine Ämter annehmen. Seine Entnazifizierung kam spät. Nachdem Wichards Pension anlief, plante das Ehepaar von Bredow 1951 nach Willebadessen umzuziehen, denn die halbe Familie war dort auf dem Schloss des Freiherrn von Wrede schon untergekommen. Dr. jur. Wichard von Bredow starb aber am 30.05.1951, zwei Tage nach seinem 63. Geburtstag, in Haarstorf bei Ebstorf im Kreis Uelzen. So musste Alice von Bredow allein umziehen, aber ihr jüngster Sohn Hubertus (*1925 - † 1980) half ihr beim Umzug. Vom 16.07.1951 an wohnte sie dann in der Bahnhofstraße im Hause Hinzmann in Willebadessen. Im November 1951 zog auch ihr Vater, Otto Baron von Grotthuss, nach Willebadessen zu seinem Sohn Fred. Alice übernahm sofort die Betreuung des alten Vaters und umsorgte ihn bis zu seinem Tode am 19.02.1954. Otto Baron von Grotthuss genoss die täglichen Spaziergänge mit seiner Tochter Alice zum Schloss zu seiner Schwester Anna und war auch gern als Gast beim Freiherrn von Wrede gesehen. Alice von Bredow wohnte 24 Jahre in Willebadessen (1951 -1975). In dieser Zeit war sie immer für ihre Familie und liebe Freunde da. Sie führte den Haushalt ihrer Kinder, wenn die Mutter nach der Entbindung noch der Ruhe bedurfte oder wenn die Kinder krank waren. Auch in der Evangelischen Kirchengemeinde Peckelsheim/Willebadessen engagierte sie sich und war Mitglied im Presbyterium (Gemeindekirchenrat). Sie besuchte regelmäßig die Evangelischen Kirchentage und organisierte Busreisen für die Gemeinde nach Holland, Hessen, in die Lüneburger Heide und zur Ost- und Nordsee. Sie machte die Kirche sauber, läutete die Glocken und stellte frischen Blumen auf den Altar. Durch ihr unermüdliches Engagement gelang es ihr, so viele Spenden aufzutreiben, dass die Evangelische Trinitatis-Kirche in Willebadessen am 22.04.1955 eingeweiht werden konnte. 21 Jahre lang war sie auch Schriftführerin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und spielte auch kleine Rollen bei Theaterstücken in der Kirche. Im Garten der Familie Hinzmann hatte sie riesige Erdbeerbeete angelegt und wenn die Erntezeit kam, verreiste sie nie, sondern produzierte wie in Spahren und Landin, ein Seihtuch um die vier Beine des umgekippten Stuhls gespannt, Säfte und Marmeladen. Am 09.10.1967 feierte sie mit ihren vier Söhnen und zwei Brüdern ihren 70. Geburtstag in Heeßel.

Von links: Roswitha (Dutti) Baronin von Grotthuss, Fred Baron von Grotthuss, Harald Baron von Grotthuss, Hans-Peter von Bredow, Alice von Bredow, Oda und Max-Wichard von Bredow, Annelie und Jürgen von Bredow, Carola und Hubertus von Bredow. Vorn sitzen ihre Enkelkinder von Oda und Max-Wichard von Bredow aus Heeßel von links: Daisy (*1961), Oda (*1965), Hasso-Elgar (*1958) und Wichard (*1959)


Im Schloss Willebadessen waren nach dem Tode ihres Vaters auch alle anderen Verwandten nach und nach gestorben. Die Söhne rieten ihr nun in ihre Nähe umzuziehen und so ging sie am 01.10.1975 in das Johanniter-Heim in Celle. Max-Wichard von Bredow lebte mit seiner Familie in Heeßel. Der jüngste Sohn Hubertus von Bredow half wieder beim Umzug. Er war Offizier der Bundeswehr, zuletzt in Hannover und starb 1980 an einer unheilbaren Erkrankung, betrauert von seiner Frau Carola von Bredow (*1940), seinen Söhnen Markus (*1960) und Axel (*1966) und von seiner Mutter. Alice von Bredow hatte sich auch in Celle sehr schnell eingelebt und fand Kontakt zu Freundeskreisen im Johanniter-Heim. Sie half auch, soweit es ihre Kräfte erlaubten, in der Kirche mit. Das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel verbrachte sie immer bei ihrem Sohn Max-Wichard von Bredow und ihrer Schwiegertochter Oda von Bredow in Heeßel. Eine große Auszeichnung bekam sie am 10.10.1976 von der Evangelischen Gemeinde Peckelsheim. Anlässlich des 150- jährigen Bestehens der Gemeinde überreichte ihr Pfarrer Ulrich Johannsen vom Diakonischen Werk in der Stadthalle von Peckelsheim in einem Festakt das „Goldene Kronenkreuz der Diakonie.“ Ihre Hände waren immer in Bewegung. Bewaffnet mit einer Gartenschere versuchte sie den Park im Johanniter-Heim in Celle zu bearbeiten. Sie sammelte auch Holz im Park und zersägte es in kleine Stücke mit einem Fuchsschwanz und verstaute es in Säcke. Dieses Kaminholz bekam ihr Sohn Max-Wichard in Heeßel. Wenn man sie bei dieser Arbeit beobachtete, kam es immer zu unschönen Diskussionen, denen sie aus dem Weg ging, indem sie die Holzaktion in die Mittagspause verlegte. Zum Höhepunkt ihrer letzten Lebensjahre gehörte eine Reise nach Landin vom 22.08. - 26.08.1983. In Begleitung ihrer Söhne Jürgen von Bredow und Max-Wichard von Bredow sowie dessen Frau Oda wohnten sie im „Hotel der Optik“ in Rathenow (heute Fürstenhof). Max-Wichard von Bredow war entsetzt über die schlechten Betten, die Kakerlaken im Waschbecken und den defekten Fernseher, in dem eine Abhöreinrichtung der Staatssicherheit (Stasi) vermutet wurde. Sie fanden die Gutshöfe der Bredows ziemlich heruntergekommen vor. In Landin war ja auch das Schloss abgebrannt worden. Aber als sie die Menschen in Landin und Kriele trafen, da ging ihnen das Herz auf. So viel Dankbarkeit und Herzlichkeit, mit der man sie empfing. Elli und Walter Müller, Gerhard Hünicke und viele Menschen, die sie in den Tagen in Landin trafen. Auch bei mir als Kreishygienearzt von Rathenow waren sie zu Gast. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam. Ich denke, es geschah auf Vermittlung meiner Erbtante Hertha Brunow aus Landin. Ich führte sie durch Rathenow und beim Kreishaus meinte Alice von Bredow, ihr Schwiegervater Max von Bredow (*14.08.1855 - † 26.01.1918) hat ihr oft erzählt und auch gezeigt, wie er mit seiner Frau als königlich preußischer Landrat im Westhavelland in Rathenow im Kreishaus gewohnt hatte. Da vorn im ersten Stock rechts war unser Schlafzimmer und hinten im Hof war der Pferdestall. Es gab damals für die Landräte eine Präsenspflicht im Landratsamt.

Landratsamt in Rathenow




Wir saßen dann noch lange abends zusammen in meiner kleinen Einraumwohnung in Rathenow-Ost in der Dr.-Salvador-Allende-Str. 40. Die meiste Zeit verbrachten sie aber in Landin und Kriele. Die von Efeu überwucherte Grabstelle der von Bredows brachten sie etwas in Ordnung. Und Alice vermahnte alle, stark zu sein und jeden Anschein von Verzweiflung, Trauer und Sentimentalität zu vermeiden. Sie sagte: „Wie müssen Vorbild sein, denn den Menschen hier ist es viel schlechter ergangen als uns.“ Und trotzdem war auch Alice von Bredow im Innersten tief bewegt. Nach 38 Jahren war sie das erste Mal wieder in ihrer Heimat. Das war es, was ihren letzten Lebenstagen noch einmal einen Glanz verlieh. Sie hatte immer davon geträumt, dass sie noch einmal nach Landin kommen könnte. Die Hoffnung und die Erwartung waren aber mit den Jahren abhandengekommen.
Neun Monate später am 26.05.1985 starb sie im Krankenhaus Celle.

Todesanzeige für Alice von Bredow




Alice von Bredow war der Mittelpunkt und die Nachrichtenstelle ihrer Familie und dabei immer bescheiden, wenn es um sie ging. So war sie erzogen worden. Fleißig, rührig, für andere da sein. Das war ihre Lebensmaxime. Ihre Tagebücher zeigen auch etwas von ihrer inneren Verfassung, aber das wollte sie lieber für sich behalten. Nach außen war sie immer stark und so muss man dieses Mädchen aus Spahren in Kurland, diese Gutsfrau in Landin, die Frau des Landrates im Kreis Pillkallen und dieses aktive Mitglied der Evangelischen Kirche in Willebadessen auch so nehmen, wie sie war – ein liebenswerter Mensch mit kurländischem Geist. Durch ihre Tagebuchaufzeichnungen wird sie indessen doch auch in den Rang einer Schriftstellerin und Historikerin gehoben. Denn das war sie auch.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.03.2021

Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.

50. Die Handtasche von Betty Ast 01.04.2021

 



Bettina Charlotte Ast, geborene Welak, wurde am 30.09.1909 in Berlin-Tempelhof geboren. Ihr Vater Emil Welak war am 15.06.1915 im Ersten Weltkrieg gefallen, sodass die Mutter Maria Welak ihre Tochter allein aufziehen musste. Betty, wie sie genannt wurde, besuchte die Volksschule von 1916 – 1924 in Berlin-Tempelhof. Von 1928 – 1930 absolvierte sie eine Lehre zur Haushaltsgehilfin in der Domäne Kieck bei Rathenow. Dort lernte sie Karl Hermann Ast kennen, der in Landin einen kleinen Bauernhof bewirtschaftete. Karl Ast war am 12.09.1898 in Bnin, Kreis Schrimm (Preußische Provinz Posen bis 1919) geboren und durch den Zweiten Weltkrieg nach Landin gekommen. Am 05.03.1932 heirateten die beiden in der Dorfkirche Landin. Pfarrer Sorge gab dem Brautpaar als Hochzeitsspruch einen Vers aus dem Psalm 127: „Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wächter umsonst.“

Wohnhaus der Familie Ast, Steinstr. 4, Landin



Von 1930 – 1958 bewirtschafteten Betty und Karl Ast den kleinen Bauernhof. Betty fütterte die Hühner, besorgte den Garten und half auf den Feldern mit. Sie weckte das Obst aus dem Garten ein und kochte gern. Es gab Hausmannskost aber immer eine Nachspeise, die aus Kompott oder Pudding bestand. Betty war schön und umgab sich gern mit einem schönen Ambiente. Und sie war bestimmend in vielen Dingen. Da ihre Ehe mit Karl kinderlos blieb, nahmen die Asts 1950 ihren zwanzigjährigen Neffen Rudolf Nelde aus Nauen zu sich. Karl Ast hatte sieben Geschwister. Seine Schwester Anna Nelde, geborenen Ast, war froh, dass ihr Sohn Rudolf nun gut versorgt war.

Karl und Betty stellen Roggenmandeln auf



Am 03.12.1958 übernahm Betty Ast die Poststelle in Landin. Ein Raum in ihrem Wohnhaus wurde zum Postbüro und daneben befand sich in einem zweiten Raum die Relaisstation für die Fernsprecher. Aber nur ganz wenige Menschen in Landin hatten einen Telefonanschluss. Wenn das Postauto kam, wurden in der Steinstr. 4 die Briefe, Karten und Pakete ausgeladen und Betty verteilte alles getreulich mit dem Fahrrad im ganzen Dorf. Sie nahm auch die Telegramme entgegen und fuhr zu jeder Tag- und Nachtzeit auch Telegramme aus. Sie trug während des Dienstes immer ihre Postuniform. Darauf legte sie wert.

Postangestellte Bettina Charlotte Ast



Ihr Neffe Rudolf Nelde brachte ihr eine junge Frau ins Haus und nach und nach vier Enkelkinder, um die sie sich liebevoll aber mit Autorität kümmerte. Die Enkel waren oft bei Oma und ließen sich verwöhnen. Oma machte „Arme Ritter“, kochte Grüne Bohnen, Kartoffelsuppe und immer einen Nachtisch. „Arme Ritter“ liebten die Enkel über alles. Dabei werden alte Brötchen halbiert und in eine Milch-Eier-Zucker-Soße eingelegt und anschließend mit Zucker und Zimt gebraten. Der Duft ist den Enkelkindern bis heute in der Nase geblieben. Nach dem Essen schlief der Opa auf dem alten Sofa ein und musste erst wieder neue Kräfte sammeln. Die Kinder hatten auch ihre Aufgaben zu erfüllen. Darauf achtete Oma Betty.
Die Enkel Lutz Nelde, Heidemarie und Petra Nelde


Als die Frau ihres Neffen, Brigitte Nelde, Bürgermeisterin von Landin wurde, hatte sie die Enkelkinder noch öfter bei sich. Betty und Karl hatten kein Bad in ihrem Haus und nur ein Plumpsklo auf dem Hof. Als in Landin ein Neubau errichtet wurde, war es für Betty und Karl klar: „Wir ziehen dort ein.“
Hier gab es neben den zwei Zimmern nun endlich ein modernes Bad. Sie fühlten sich wie im Paradies und der Konsum war gleich im Haus.
Der Neubau in Landin mit Konsum


Betty Ast liebte alle Tiere und hatte fast ihr ganzes Leben lang einen Spitz. Sie reiste auch gern und verschickte dann Ansichtskarten. Auch wenn es nur nach Potsdam Sanssouci ging, war sie glücklich. Sie war der Ansicht: Reisen verlängert das Leben! Wenn sie eine Woche in Urlaub war, kam ihr die Zeit wie ein halbes Jahr vor. Die Landiner Nachbarn, die in ihrem Alltagstrott weiterlebten, hatten oft gar nicht bemerkt, dass sie fort war.
Speisesaal Schloss Sanssouci


Zu Weihnachten gab es in der Familie Ast Kaninchenbraten. Die Kaninchen wuchsen hinter dem Haus in Buchten heran und wurden von den Enkelkindern mit Gras versorgt. Betty schmückte den Weihnachtsbaum immer selbst. Sie hatte einen Sinn für das Schöne und ihr Baum war jedes Jahr eine wahre Pracht.
Weihnachtsbaum in der „guten“ Stube


Zur Silberhochzeit am 05.3.1957 feierte sie mit Verwandten und Freunden ein kleines Fest.
Silberhochzeit von Betty und Karl Ast



Betty Ast hatte eine Handtasche, die sie immer mitnahm, wenn sie auf Reisen ging und zu Hause durfte niemand an ihre Handtasche gehen. Da konnte sie richtig böse werden. Sie tat alle Zeit immer geheimnisvoll und wichtig mit ihrer Handtasche. Und das hatte auch seinen Grund. In der Handtasche befanden sich alle notwendigen Papiere, die ein Mensch in Deutschland braucht.
Personalausweis 1933



Stammbuch mit Heiratsurkunde


Arbeitsbuch von Bettina Ast


Bescheinigung vom Königlich-Preußischen Kriegsministerium
über den Tod des Vaters am 15.06.1915



Betty war immer eine Frau, die gern alles plante und sich nicht gern überraschen ließ. So hatte sie in der Handtasche auch den Text für die Annonce im Todesfall ihres Mannes auf einem Zettel parat. Aber sie war nicht die einzige Frau im Dorf, die ihre Papiere immer bei sich hatte. Viele standen in der Nacht, wenn ein Gewitter über Landin stand, auf und holten eine Kassette mit den wichtigsten Papieren hervor und warteten auf das Ende des Unwetters. Betty hatte alles, was ihr wichtig war, in dieser Handtasche aufbewahrt. Im 19.04.1980 starb sie an Krebs in Landin. Bis zum Tode wurde sie von Brigitte Nelde liebevoll umsorgt.
Grabstein von Betty und Karl Ast


Am 24.04.1980 wurde sie auf dem Friedhof in Landin zur letzten Ruhe geleitet. Ihr Ehemann Karl, der Pfarrer Friedhelm Kalkowsky und die Angehörigen waren traurig, denn sie wurden von allen Menschen geliebt. Die Enkelkinder fanden, dass diese Handtasche ein Schatz für ihre Familienchronik war und nun verstanden sie auch, warum die Oma Betty immer so besonders mit dieser Handtasche umgegangen war.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.04.2021

51. Der Tod der Jenny von Grotthuss 01.05.2021
Jenny von Grotthuss

Der letzte Herzog von Kurland hieß Peter Biron (*1724 -† 1800) und regierte Kurland von 1769 -1795. Die Zarin Katharina II. von Russland kaufte ihm das Herzogtum 1796 gegen eine hohe Summe ab und so gehörten Livland, Estland und Kurland zum Zarenreich.



Die zaristische Herrschaft dauerte bis 1918 an. Die Dominanz der russischen Zaren war allgegenwärtig, denn das Zarenreich reichte von Warschau bis nach Finnland. Ganz Finnland gehörte damals zu Russland.
Russland 1905




Die Deutschen in diesen drei Staaten Kurland, Livland und Estland hatten aber Privilegien und eine Sonderstellung, denn die Zaren brauchten die Deutschen. Das Zarenhaus war ja auch mit dem Deutschen Kaiserhaus eng verwandt. Der Preußische König Friedrich Wilhelm III., empfing Zar Alexander I. am 25.10.1805 zu einer Parade auf dem Platz „Am alten Königstor“ in Berlin, der danach in Alexanderplatz umbenannt wurde und bis heute so heißt. Die Deutschen waren in erster Linie Praktiker. Die baltischen Deutschen waren noch mehr Deutsche als die Deutschen in Deutschland selbst. Genusssucht und unbändige Arbeitskraft sowie eine Herzenswärme waren typisch für den deutschstämmigen baltischen Adel. „Plus être que paraitre,“ mehr Sein als Schein war ihr Lebensmotto. Seit 1795 war den Deutschen im Baltikum die Ausübung des Evangelischen Glaubens, deutsches Recht, deutsche Gerichte, deutsche Verwaltung des Landes und Deutsch als Amtssprache garantiert worden. Zar Alexander III. (1881 -1894) verweigerte die Bestätigung der Privilegien für die Deutschen und forcierte die Russifizierung seiner Provinzen. Als 1905 das russische Kaiserreich eine Niederlage beim Krieg gegen Japan hinnehmen musste, kam es zu revolutionären Unruhen im ganzen Zarenreich. Im Baltikum haben die Russen versucht, die Letten gegen die Deutschen aufzuhetzen und viel Güter wurden verwüstet. Der deutsche Adel entfloh nach Deutschland. Als der Zar wieder einige Freiheiten bewilligte, kamen die Deutschen sofort wieder ins Land und eröffneten Schulen und Verwaltungen wie früher. Carl Friedrich Baron von Grotthuss (*11.07.1833 in Rothof - † 12.04.1905 in Spahren) kaufte das Gut Spahren 1860. Sein Sohn Otto Baron von Grotthuss wurde 19.11.1869 in Spahren geboren, was für die Eltern eine große Freude war. Von 1886 – 1888 war er auf dem Gymnasium in Goldingen und legte hier sein Abitur ab. 1889 – 1893 ging er an die Universität in Dorpat und studierte Jura. Als Student schloss er sich der kurländischen Landsmannschaft „Curonia“ an und bekam so Kontakt zu allen Söhnen des baltischen Adels. Das Curonia-Korps hatte den Wahlspruch: Mit Kurland und seiner Eigenart steht und fällt CURONIA! Die Farben der Curonia waren Grün-Blau-Weiß. Von 1893 – 1894 arbeitete er als Notar für den Baron von der Osten-Sacken in Talsen. Er heiratete am 06.01.1895 Jennny Baronesse von Buchholtz, die 1870 in Kimahlen geboren worden war.
Jenny und Otto Baron von Grotthuss


Otto Baron von Grotthuss arbeitete seit der Eheschließung 1895 in Goldingen als Notar. Von 1899 – 1906 war er Besitzer von Klein -Wirben. Die Eltern von Otto Baron von Grotthuss bewirtschafteten ein Gut in Spahren, dessen Leitung der Sohn Otto Freiherr von Grotthuss von 1905 -1921 innehatte. Von 1901 – 1906 war er auch dort Kirchenvorsteher und Ehrenfriedensrichter. Im Baltikum
waren 80-85 % der Rittergüter in Adelshand. Die Größe eines Gutes betrug ca. 2500 ha einschließlich Wald und Moor. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte die lettische Regierung am 24.09.1920 alle Gutsbesitzer enteignet und ihnen nur das Herrenhaus mit allen Ställen und Scheunen, den großen Garten und den Schlosspark und einen See von 17 ha sowie 50 ha Land belassen. Otto Baron von Grotthuss hatte als Jurist vorahnend schon einen kleineren Teil des Besitzes auf seine Schwägerin Anna von Buchholtz und seine Frau Jenny im Kataster übertragen lassen, so dass er doch insgesamt 109,4 ha mit 40, 4 ha landwirtschaftlicher Fläche bearbeiten konnte. Die Eltern klammerten sich natürlich an diesen Rest des verbliebenen Gutes und versuchten nicht ohne Erfolg, das große Haus im Sommer an Feriengäste zu vermieten. Jenny und Otto Baron von Grotthuss kehrten, nachdem sich alles politisch etwas beruhigt hatte 1923 nach Spahren zurück. Ein Mitarbeiter des Gutes Slawo hatte derweil das Gut verwaltet und sie fanden bei ihrer Rückkehr alles unversehrt vor. Das Haus füllte sich nun mit Verwandten, Studenten, Städter, Pensionären, Urlaubern, Jäger, Angler, die glücklich waren, sich in einer so schönen Umgebung zu erholen. 1939 mussten Jenny und Otto Baron von Grotthuss das Gut Spahren aufgeben und verließen mit gepackten Sachen ihre Heimat, die die Familie seit 1905 bewohnt hatte. Alle Deutschen mussten unter der Lügenparole „Heim ins Reich“ das Baltikum verlassen, so schrieb es der Hitler-Stalin-Pakt vor. Jenny und Otto Baron von Grotthuss kamen in ein Auffanglager nach Schönlanke und sollten da warten. Es gab natürlich Besuche in Landin bei der Tochter und in Schlossberg. Am 06.08.1940 annektiert die Sowjetunion alle baltischen Staaten. Nach einem entsprechenden Ultimatum wandelte der grausame Despot Stalin die Länder Estland, Lettland und Litauen in Sowjetrepubliken um. Die Nazis wollten nun das Wartegau mit Deutschen besiedeln und so gelang es Harald, dem ältesten Sohn von Jenny und Otto Baron von Grotthuss für seinen Vater das Gut Luszczewo zu bekommen. Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler hatte festgelegt, dass Baltendeutsche 500 ha erhalten sollten. Als Jenny und Otto Baron von Grotthuss in Luszczewo ankamen, war alles verkommen. Die Nazis, die die polnischen Arbeiter als Untermenschen betrachteten, hatten ihnen keine Löhne gezahlt und so stahlen sie alles, was sie brauchten. Die Grotthussens ließen alles wieder in Stand setzen und bezahlten die polnischen Arbeiter ordentlich. Von 1942 -1944 arbeitete das gut wieder rentabel. Die Nazigrößen führten sich wie Eroberer auf und trugen sehr zum Hass auf die Deutschen bei. Die Vorbesitzer vom Gut Luszczewo hatten die Nazis vertrieben und so lebte die Familie mit fremden Möbeln und fremden Geschirr. Als man das eingelagerte Geschirr der Familie von Grotthuss nachschicken ließ, kam nicht ein Stück heil an. Am 20.01.1945 musste die Familie das Gut Luszczewo vor der herannahenden Roten Armee verlassen. Jenny und Otto Baron von Grothuss übergaben dem polnischen Verwalter, den sie 1941 eingestellt hatten, die Schlüssel und baten ihn, dem rechtmäßigen Besitzer einen Brief zu überreichen. Der Brief enthielt die Inventarliste und die Botschaft, dass sie sich nur als Treuhänder und nie als Besitzer des Gutes gefühlt hatten. Jenny und Otto Baron fuhren nach Landin und quartierten sich bei ihrer Tochter Alice im Schloss ein.
Lindenallee zur Landiner Dorfkirche


Der General von Hake hatte den Bewohnern im Landiner Schloss dringend empfohlen, in den Westen zu fliehen, was Alice und Wichard von Bredow auch taten. Jenny und Otto Baron von Grotthuss und die Schwestern von Wichard von Bredow, Vally und Elsa wollten aber unbedingt im Schloss bleiben. Uns alten Menschen werden die Russen nichts tun, meinten sie voller Naivität. So bestiegen Alice und Wichard von Bredow schweren Herzens das Auto und verließen das Landiner Schloss am 23.04.1945. Als die Russen am 01.05.1945 kamen, plünderten sie die verbliebenen Schlossbewohner vollkommen aus und ein polnischer Zwangsarbeiter steckten das Schloss Landin am gleichen Tag um 22:00 Uhr in Brand. Zuerst wurde die große Scheune in Brand gesteckt. Das Feuer griff auf den Hühnerstall und dann auf das Schloss über. Otto Baron von Grotthuss musste seine Stiefel ausziehen, die sich ein russischer Soldat sofort anzog. Danach verbrachten Jenny und Otto Baron von Grotthuss drei Tage und drei Nächte im Keller des Nachbarn Mewes, wo alle Augenblicke Russen kamen die Sachen durchwühlten und noch den Rest der Habe entwendeten. Auch das Kleine Haus gegenüber dem Schloss wurde vollkommen ausgeraubt.
Das Kleine Haus in Landin



Endlich fanden sie eine Bleibe beim Melker Wenger. Es gab wenig zu essen und jede Nacht kamen Soldaten, die auch das Letzte, was sie noch hatten, stahlen. Es gab einmal die Woche Minirationen von Brot, Butter und Quark. Richtig satt wurde man davon nicht. Einmal in der Woche brachte Frau Wenger einen Teller Erbsensuppe, was dann ein Hochgenuss war. Sie beide magerten ab bis auf die Knochen, denn es gab kein Fett. Die Ärzte stellten überall Mangelernährung fest. Am 27.10.1945 konnten die beiden nach Kriele zum Schneidermeister Grünwald umziehen. Jenny Baronin von Grotthuss hatte sich noch in Landin nachts an einem Bettpfosten am linken Unterschenkel verletzt. Die Wunde wollte und wollte nicht heilen und entzündete sich immer mehr. Durch die Mangelernährung hatte sie kaum noch Widerstandskraft. Sie kam ins Krankenhaus nach Friesack, aber da war die Ernährung auch nicht besser, sodass sie am 25.12.1945 starb. Ihr Mann Otto Baron von Grotthuss ließ sie in einem Doppelgrab in Friesack beisetzen und floh im März 1946 zu seiner Tochter Alice in den Westen. Dort war es ihm vergönnt, die Heimkehr seines Sohnes Harald Freiherr von Grotthuss am 01.01.1954 aus russischer Kriegsgefangenschaft zu erleben. Kurz danach brach er sich bei einem Sturz den Oberschenkel und starb trotz Krankenhausbehandlung in Warburg am 19.02.1954 in Willebadessen. Am 23.02.1954 fand die Trauerfeier im Kreuzgang des Schlosses Willebadessen, Kreis Warburg, in Westfalen statt, wo viele Familienmitglieder beim Freiherrn von Wrede Unterkunft gefunden hatten.
Von rechts nach links: Ferdinand Baron von Behr, Harald Baron von Grotthuss, Jürgen von Bredow, Friedrich Wilhelm Baron von Buchholtz (auch als Corone), Wolf-Dieter von Klinggräff, Fred Baron von Grotthuss, Hubertus von Bredow.




Der Sarg wurde von den Söhnen, Enkeln und Neffen aus dem Schloss getragen. Spalier standen die Förster und Jäger, um auch dem Waidmann Otto Baron von Grotthuss einen letzten Gruß zu geben. Die Jagdhörnen bliesen ihm auch ein Halali. Es war ein schlichter Sarg, der auf dem Deckel mit dem Band der Curonia geschmückt war: Grün-Blau-Weiß. In der Friedhofskapelle stimmten alle das Lied der Curonen an, dass von C.G. Naumann gedichtet worden war.
Ist einer unsr´er Brüder dann geschieden,
vom blassen Tod gefordert ab,
so weinen wir und wünschen Ruh´ und Frieden
in uns´res Bruders stilles Grab!
Wir weinen und wünschen Ruhe hinab
in uns´res Bruders stilles Grab.
Die Trauergäste vor dem Schloss Willebaldessen
(Alice von Bredow 7.von links)


Der Sarg fand zunächst seinen Platz in der von Wredeschen Familiengruft. Die Familie stellte einen offiziellen Antrag an die Behörden der DDR, den Sarg nach Friesack zu überführen, wo er neben seiner lieben Frau begraben werden wollte. Der Stadtrat von Friesack lehnte den Antrag zuerst ab. In der Sitzung ging es hoch her. Ein SED-Bonze sagte: „Lebend kommen die Junker nicht zurück auf ihre Güter, nun wollen sie als Leichen kommen.“ Aber zum Schluss stand ein SED-Genosse auf und rief: “ Na und, habt ihr jetzt schon Angst vor einem toten Baron?“ Und so erfolgte doch noch die Freigabe der Überführung des Sarges und eine Bestattung auf dem Friesacker Friedhof. 1991 ließen die Enkel einen Grabstein auf dem Landiner Friedhof errichten, denn Landin war doch eigentlich durch die Nähe zu ihrer Tochter Alice auch Heimat für die Familie von Grotthuss geworden, bis sie die Russen auch aus diesem Haus vertrieben.
Grabstein der Familie von Grotthuss
auf dem Landiner Friedhof


Nun erinnert nur noch ein Grabstein an das Schicksal der Jenny Baronin von Grotthuss. Aber sie steht nur stellvertretend für eine ganze Generation von Menschen, denen eine Bande von skrupellosen Verbrechern Tod, Armut und Verlust ihrer Heimat brachte. Sie verführten die Menschen mit ihren nationalistischen Hassparolen und waren doch nichts weiter als widerwärtige Despoten und Mörder.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.05.2021


52. Der Lottogewinn von Hanka Gregor 01.06.2021




Hanka Gregor wurde am 02.08.1963 in Berlin-Lichtenberg geboren. Der Vater, Wilmar Markert, war Pilot bei der NVA (Nationalen Volksarmee der DDR). Die Mutter Erika Markert arbeitete in der Jugendgerichtshilfe in Berlin-Lichtenberg. Sie wuchs mit dem am 02.08.1968 geborenen Bruder Knut auf. Oft war Hanka bei den Großeltern Käthe und Kurt Herold in Zeuthen und verlebte dort eine glückliche Kindheit fast wie auf dem Lande. Von 1970 – 1980 besuchte sie die Josef-Orlopp-Oberschule in Berlin Lichtenberg. Josef Orlopp (*29.08.1888 in Essen - † 07.04.1960 in Berlin) kam aus der SPD und war in der DDR Mitglied im Präsidium des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB).  Hanka Gregor begann nach der zehnten Klasse eine zweijährige Ausbildung zur Werbegestalterin bei der HO -WtB (Waren des täglichen Bedarfs) in Berlin-Weißensee. Sie war dann später Teamleiterin und Lehrbeauftragte bei der HO (Handelsorganisation der DDR). Von 1990 -2000 arbeitete sie als Teamleiterin bei Kaisers-Kaffee-Geschäft in Berlin-Mariendorf. 2001 machte sich selbstständig und war bis 2017 als Werbegestalterin für viele Unternehmen tätig. Seit 2017 arbeitet sie in den Havelland-Kliniken in Nauen als Servicemitarbeiterin in der Urologie. Am 21.03.1987 heiratete sie KFZ-Mechaniker Lutz Gregor im historischen alten Standesamt Berlin-Lichtenberg.
Am 05.08.1981 kam ihr Sohn Guido im Oskar-Ziethen-Krankenhaus in Berlin zur Welt. Der Schwager von Hanka Gregor, Wolfgang Gregor, hatte den Gasthof Landin gekauft und betrieb eine Künstlerwerkstatt. Durch Besuche in Landin lernten Hanka und Lutz Gregor 1983 den Bürgermeister von Landin, Jürgen Müller, kennen, der ihnen das alte Schulhaus in Landin zum Kauf anbot. 1985 kaufte sie dieses Haus, in dem noch Emmi Wenger wohnte, die früher Lehrerin in Landin war. Hanka und Lutz Gregor versprachen der Emmi Wenger, dass sie solange sie lebe, in diesem Haus bleiben könnte. Hanka und ihr Mann hatten ihren Lebensmittelpunkt noch in Berlin und Guido ging ja auch dort zur Schule.  Emmy Wenger zog 1995 nach Friesack, weil in der alten Schule noch eine Ofenheizung vorhanden war und sie im Alter doch etwas komfortabler wohnen wollte. Je nach finanzieller Lage begann die Familie Gregor das alte Schulhaus nach und nach zu modernisieren. Es wurde das Dach neu gedeckt, neue Fenster und Türen eingebaut. Die Fußböden wurden erneuert und mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Das Bad wurde komplett neu gebaut. 1999 zog die gesamte Familie in das erneuerte Haus in Landin ein und gab ihre Wohnung in Berlin auf.  Lutz Gregor hatte viele Dinge selbst gebaut, denn er ist ein geschickter Handwerker. Er fand auch bald eine Arbeit als KFZ-Mechaniker bei der Havelländischen Abfallwirtschaftsgesellschaft m. b. H. (HAW) in Nauen.


Alte Schule in Landin 2020



Sohn Guido arbeitetet weiterhin in Berlin. Seit 2004 ist Hanka Gregor zur Ortsvorsteherin von Landin (Gemeinde Kotzen) gewählt worden. Sie nimmt quasi die Aufgaben einer Bürgermeisterin für das Dorf Landin wahr.

Winter in Landin



Sie ist verantwortlich für die Vermietung des Gemeindehauses, für die Planung und die Durchführung der Veranstaltungen in der Gemeinde Landin, für Wahlvorbereitungen und sie trägt die Verantwortung für die Ordnung und Sicherheit im Dorf sowie für die Verschönerung des Dorfes für den Tourismus. Ihr Hund Cariba begleitet sie allen Wegen durch´s Dorf.


Cariba



Sie ist Gründungsmitglieds des Fördervereins zur Erhaltung der Dorfkirche Landin e. V.  2020 konnte sie mit dem Vorsitzenden Gert Dittrich die äußere Fertigstellung des maroden Gotteshauses feiern. Die Kosten betrugen ca. 500.000,00 € und sind ein kleines Wunder. Gert Dittrich ist der Motor des Wiederaufbaus dieser Dorfkirche und hat sich seit dem 06.02.2015 nach der Gründung des Vereins Tag und Nacht für den Wiederaufbau eingesetzt. Gert Dittrich hat die Gabe, viele Menschen für sich zu gewinnen und so ist es nicht verwunderlich, dass Fördermittel flossen und er viele interessante Menschen nach Landin lockte. Gott hat ihn und seinen Vorstand gesegnet. Der 06. Februar ist der Namenstag der Heiligen Dorothea und gibt auch einen Hinweis für den Segen, der über dem Wiederaufbau der Dorfkirche lag. Die Heilige Dorothea ist die Schutzheilige der Bierbrauer, der Blumengärtner, der Floristen, der Bräute und der neu vermählten Ehepaare. Sie soll am 06.02.305 in Caesarea hingerichtet worden sein und deshalb feiert die Christenheit auf der Erde diesen Tag als ihren Namenstag.

Heilige Dorothea in der
Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow (1380)



Die Darstellung der heiligen Dorothea erfolgt mit Schwert, Palme, Krone und Lilie und mit einem Körbchen voll Rosen und Äpfel. Sie ist die Helferin bei falschen Anschuldigungen. Die Legende berichtet, dass Dorothea eine der ersten Christinnen war, die für ihren Glauben ihr Leben lassen musste. Sie wuchs zur Zeit des römischen Kaisers Diokletian (243 – 313) auf, der die Christen grausam verfolgen ließ. Ihr Vater war römischer Senator. Er lebte in Kappadozien (Türkei). Dorothea heißt so viel wie "von Gott Geschenkte.“ Der Vater freute sich, als ihm eine dritte Tochter geboren wurde. Sie war sehr schön und klug. Der kaiserliche Statthalter Apricius wollte sie zur Frau haben. Als er hörte, dass sie Christin war, ließ er sie ins Gefängnis werfen und grausam foltern. An einem kalten Wintertag wurde sie hingerichtet. Bevor sie dem Henker übergeben wurde, rief ein junger Bursche mit Namen Theophilus: "Dorothea, wenn Du in den schönen Garten Deines Bräutigams (Jesus Christus) kommst, dann schick mir mal ein Körbchen mit Rosen und Äpfeln!" Es glaubte keiner, dass es im Winter Äpfel und Rosen geben würde. Da erschien aber doch plötzlich ein kleiner Junge und überreichte der Dorothea ein Körbchen mit Rosen und Äpfeln. Als der Spötter, Theophilus, das sah, bekehrte er sich auch zum Christentum und wurde ebenfalls enthauptet. Die Wetterregel für den sechsten Februar lautet: „Dorothee bringt den meisten Schnee“ und das hat auch immer gestimmt, bis die Klimaerwärmung alles durcheinanderbrachte.
Am 09.09.2016 hielt Hanka Gregor als Kassenwartin des Fördervereins zur Erhaltung der Dorfkirche Landin e. V. einen Vortrag in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow im Rahmen einer Geschichtskonferenz und berichtete in Anwesenheit der Erzherzogin von Österreich, Prinzessin Camilla von Habsburg-Lothringen, über die Gründung und die Arbeit des Landiner Vereins.

Video




Hanka Gregor ist seit der Gründung am 06.02. 2015 Kassenwartin des Dorfkirchenvereins Landin und durch ihre Hände gingen in den letzten Jahren eine Vielzahl von Spenden und Fördermitteln. Sie singt in ihrer Freizeit gern und ist seit 2016 als Altistin im Chor „Salto Tonale“ in Bredikow, der von André Diakov geleitet wird. Ihr zweites Hobby ist ihr Garten, wo sie Kräuter, Tomaten, Rosenkohl, Möhren und Paprika erntet und auch ein kleines Gewächshaus betreibt.

Drei Hochbeete im Garten



Ihr Mann und sie empfinden die alte Schule in Landin als ihren persönlichen Lottogewinn. Die Menschen und die Freunde gefallen ihnen. Die wunderschöne Landschaft im Havelland geben ihnen durch ihre Weite Raum und Muße zum Durchatmen und Ausruhen. Sie fühlen sich in Landin heimisch.

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.06.2021

53. In Landin gibt es kein Salz 01.07.2021

Dorfkonsum in Landin im Neubau




Neben der Gaststätte Ferdinand Muchow, hatte die Enkelin, des Gastwirts, Hertha Brunow, einen Kolonialwarenhandel im Hause eingerichtet und verkaufte an die Landiner Zucker, Salz, Marmelade aus großen Pappeimern, Butter von großen viereckigen Blocks, Seife, Waschpulver und Himbeerbonbons.
Schon während des Zweiten Weltkrieges (1939 -1945) gab es Lebensmittelmarken für Zucker, Butter und Brot. Dieses System wurde auch noch dem Krieg fortgeführt. Es war eine Verwaltung des Mangels. Manche Kinder kauften für die Zuckermarken heimlich Himbeerbonbons, ohne dass es die Eltern merkten. Die Kommunistische Führung in der DDR hatte es sich vorgenommen, die wenigen verbliebenen Privatläden in Staatseigentum zu überführen. In den Städten gab es die HO`s, die einer Staatskette namens Handelsorganisation (HO) angehörten und Industriewarengeschäfte, Lebensmittelgeschäfte und Gaststätten betrieb. Auf den Dörfern wurden die privaten Geschäfte in eine Genossenschaft überführt, die „Konsum“ genannt wurde. Diese Konsumgenossenschaft hatte in den Städten auch Warenhäuser, Großbäckereien und Gaststätten. In den Dörfern gab es meist nur den Dorfkonsum. Die Mitglieder der Konsumgenossenschaft wurden zu einem geringen Anteil an den Umsätzen beteiligt. Es gab Rabattmarken für den Einkauf, die man in Hefte klebte und am Jahresende der Konsumgenossenschaft übergab und etwas Geld dafür bekam. Hertha Brunow musste ihr Geschäft aufgeben und dafür wurde Irmgard Zimmermann von der Konsumgenossenschaft in Landin angestellt. Sie wohnte mit ihrem Mann, der Abschnittsbevollmächtigter (ABV) war, wie man den Dorfpolizisten im Osten nannte, in der Bergstraße 4 in Landin. Der Dorfkonsum in Landin war ein Treffpunkt für alle Menschen im Ort. Hier wurden alle Neuigkeiten ausgetauscht. Wer geheiratete hatte, wer gestorben war, wer krank oder im Krankenhaus war. Alles berichteten die Kunden und die Konsumverkäuferinnen wussten alles immer zuerst, was das Dorf und seine Bewohner betraf. Der erste Konsum war in der Steinstraße 12.

Landin, Steinstraße 12




Aber bald zog Irmgard Zimmermann in das kleine Schloss, das im Krieg unzerstört geblieben war, um. Sie war eine genaue Verkäuferin und hatte nie einen Überschuss, aber auch nie ein Manko. Wie sie das machte, blieb allen ein Rätsel. Eigentlich mussten sich alle anstellen und warten bis sie an der Reihe waren, aber es gab immer welche, die sich vordrängelten. Wenn ihre Freundin Ulrike kam, ging sie immer sofort an den Verkaufstisch und sagte: “Irmchen, wir sind gerade beim Kaffeetrinken. Kannst Du mir mal schnell ein Glas Erdbeermarmelade geben und eine Tüte Zucker, und ich brauchte auch noch ein Stück Butter und ein Pfund Mehl, ach und Streichhölzer. Die hätte ich beinahe vergessen und dann noch ein Glas Mostrich. So was macht das?“ Irmgard Zimmermann lächelte amüsiert und bediente sie zwischendurch. Die Kunden in der Reihe kannten das alles und warteten geduldig. Ulrike war eben ein Original, man konnte ihr nicht böse sein.

Kleines Haus des Schlosskomplexes in Landin



1969 wurde das kleine Haus des Schlosskomplexes abgerissen und auf den Fundamenten ein Neubau errichtet. Irmgard Zimmermann zog vorübergehend in ein Haus in der Steinstraße um.

Der Konsum in der Steinstr. 17



Als der Neubau fertig war, zog der Konsum dort ein. Ingelore Babucke wurde ihre Nachfolgerin und führte den Konsum viele Jahre. Sie bot in dem kleinen Laden an, was man so an täglichen Dingen brauchte. Brot, Brötchen, Butter, Margarine, Öl, Eier, Zucker, Mehl, Milch, Salz, Gewürze, Scheuertücher, Toilettenpapier und Waschpulver. Auch gab es eine kleine Tiefkühltruhe mit Fisch, Hähnchen und anderen Fleischwaren. Die Menschen auf dem Dorf waren nicht so mobil wie heute. Von Aal bis Zimt musste alles vorrätig sein. Kurz vor Weihnachten kam dann Apfelsinen, die Ingelore Babucke immer gerecht auf die Familien aufteilte, sodass jeder etwas abbekam, denn Südfrüchte waren Mangelware. Ebenso machte sie es mit den Bananen. Anderes Obst oder Gemüse bot sie nur in kleinen Mengen an, da die meisten Landiner einen eigenen Garten hatten und Gemüse, Äpfel, Birnen und Pflaumen selbst ernteten und auch einweckten. Die Menschen kauften auch das 48 Pfennig teure Schrotbrot, das sie an die Schweine verfütterten. Es war einfach spottbillig und viel billiger als wenn sie anderes Viehfutter kaufen würden. Die Grundnahrungsmittel wurden hoch subventioniert und entsprachen in keiner Weise den Realkosten. Dafür waren technische Artikel völlig überteuert. Die Regierung wollte damit das Geld abschöpfen.

Pfannkuchen aus der Konsumbäckerei



Zweimal die Woche gab es frisches Brot und einmal die Woche Fleisch und Wurstwaren. An einem Tag im Monat bot Ingelore Babucke auch Kaffeegeschirr und andere Industriewaren an.

Ingelore Babucke



Wenn im Januar und Februar die Bauern ein Schwein schlachteten, kauften sie auch das Salz im Konsum. Es wurde Pluntwurst gekocht, Schlackwurst und Leberwurst gemacht und das Fleisch eingesalzen oder als Schinken mit der Schlackwurst in die Räucherkammer gebracht. Einmal ging der Familie Mewes beim Schlachten das Salz aus und der Sohn Bernd wurde in den Konsum geschickt, um Salz zu kaufen. Ingelore Babucke hatte wirklich viel Salz eingelagert, wenn alle Bauern im Winter schlachteten. Aber auch ihr waren die Vorräte ausgegangen und so riet sie dem Bernd, er solle seine Schwester in Rathenow anrufen, die ja abends mit dem Bus nach Hause kommen würde. Sie könne das Salz aus Rathenow ja mitbringen, dann wäre es noch rechtzeitig für die Wurst und das Fleisch in Landin. Es gab kaum Telefone und Bernd hatte noch nie telefoniert. Ingelore wählte ihm die Nummer und verlangte die Schwester, die im „Hotel der Optik“ arbeitete, und ging wieder zurück in den Verkaufsraum. Bernd hörte die Stimme seine Schwester und sagte: „In Landin gibt es kein Salz.“ „Wer ist denn da?“ fragte seine Schwester. Aber er antwortete immer mit denselben Satz: „In Landin gibt es kein Salz, in Landin gibt es kein Salz.“ „Bist Du es, Bernd?“ rief die Schwester, aber sie hörte nur wieder:“ In Landin gibt es kein Salz.“ Da lege sie auf und dachte sich ihren Teil, kaufte reichlich Salz ein und brachte es mit nach Hause, gerade noch rechtzeitig um die Würzmischungen für die Würste zu bereiten. Die ganze Familie schmunzelte noch lange über diese Geschichte. Ingelore Babucke führte den Konsum auch noch nach der Einheit Deutschlands im Jahre 1990 weiter, aber die neu errichteten Supermärkte lockten auch die Dorfbewohner in die Städte und so arbeitete sie noch einige Zeit in Kriele im Konsum und später noch in Stellen vom Arbeitsamt (ABM), aber die Zeit der Dorfläden war vorbei.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.07.2021


54. Der Kunstgießer Wolfgang Gregor in Landin 01.08.2021

Wolfgang Gregor mit dem Bronzekopf der Meeresschildkröte „Marlene“



Wolfgang Gregor ist am 19.09.1948 in Berlin-Lichtenberg geboren. Sein Vater Kurt Gregor war Bäcker und seine Mutter Erna Gregor, geborene Lehmann, arbeitete in einem Anwaltsbüro in Berlin. Er absolvierte eine 10-klassige Oberschule in Berlin-Lichtenberg und begann von 1975 -1979 eine Lehre zum Stahlformbauer und Werkzeugmacher im Berliner Funkwerk Köpenick. Während der Lehre holte er an der Abendschule sein Abitur nach und arbeitete später drei Jahre lang als Kameramann beim Fernsehen der DDR in Berlin-Adlershof. Wolfgang Gregor hatte auch ein Musikstudium an der Hochschule für Musik „Hans Eisler“ in Berlin mit dem Ziel Chorleiter zu werden, angefangen. Er brach das Studium für Klavier und Gitarre aber bald ab, weil er feststellte, dass das nicht seine Berufung war.
1977-1982 studierte er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und erhielt ein Diplom als Fotograf, Grafiker und Designer. Als Hochschulabsolvent war er ab 1982 als freiberuflicher Künstler als Mitglied im Verband der bildenden Künstler in Berlin tätig und lebte vom Verkauf seiner Fotos an die Zeitungen und nahm auch an der neunten und zehnten Kunstausstellung der DDR in Dresden teil. Wichtige fotografische Arbeiten entstanden im Eigenauftrag: Arbeiter-Porträts im Kabelwerk-Oberspree Berlin, eine umfassende Serie über Kleingartenanlagen Berlins und seine Bewohner, Porträts im Berliner Glühlampenwerk NARVA-Berlin. Als am 09.11.1989 die Berliner Mauer fiel, befand er sich gerade in Hamburg und arbeitete an einer Inszenierung mit Frank Castorf am Hamburger Schauspielhaus. Frank Castorf war von 1992 – 2017 als Intendant an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin und es gab hier für Wolfgang Gregor eine fruchtbare Zusammenarbeit als Kunstfotograf.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin



Daneben arbeitete er als Fotograf für den Stern, Spiegel, Merian, Feinschmecker und andere Zeitschriften. Der Stern bat ihn nach Hamburg zu kommen, weil er einen Beitrag über Kleingärten und Biedermeier machen wollte. Als er in das Büro des ungebildeten Redakteurs kam, lümmelte der am Schreibtisch, telefonierte und hatte seine Füße auf den Schreibtisch gelegt. Er bedeutete ihm Platz zu nehmen und fing an, während er weiter telefonierte, in den mitgebrachten Fotomappen zu blättern. Das war für Wolfgang Gregor die Wende. Er dachte bei sich: “Du musst dir das nach einem Kunststudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig nicht antun,“ und verließ mit seiner Mappe das Büro. Er hatte 1989 von einem Solotänzer der Komischen Oper in Berlin eine Gaststätte mit Stallungen, Scheune und großem Garten in Landin für 13.000,00 Mark der DDR erworben. Er hatte sich sofort in die schöne Landschaft des Havellandes verliebt und zog 1991 nach Landin, baute die Scheune zur Kunstgießerei um und ließ sich in Landin nieder.

Der Künstler Wolfgang Gregor vor seinem Atelier



Von 1991 – 2004 sanierte er das Wohnhaus und richtete sich in der Scheune mit allen Geräten eines Kunstgießers ein. Die ersten Aufträge kamen sofort. Als das Marmorpalais in Potsdam saniert wurde, bekam er den Auftrag alle Türklinken und Türbeschläge, sowie zahlreiche Inneneinrichtungen im gesamten Gebäude zu gießen und zu restaurieren.

Muster von Türklinken und Beschlägen



2014 teilte er das Grundstück und verkaufte den Gaststättenkomplex. Den ehemaligen Kuhstall baute er von 2018-2019 zu einem Wohnhaus um, wobei er den Innenausbau selbst übernahm, was die Kosten deutlich reduzierte.

Der ehemalige Kuhstall ist ein schmuckes Wohnhaus geworden

Er kaufte den Holzofen „Bruno“, der eine mollige Wärme verströmt.

Holzofen Bruno





Wenn er auf sein Leben zurückblickt, hat er immer das gemacht, was ihm Freude bereitete. Zuerst war er als Musiker unterwegs, dann als Kameramann tätig, danach Kunstfotograf und Journalist und jetzt ist er Kunstgießer.  Zurzeit arbeitet er an der Lederschildkröte „Marlene“, die im Meeresmuseum Stralsund als Bronzefigur aufgestellt wird. Die Kunstgießerei teilt sich in drei Aufgabenbereiche:
1. Restaurierung von Großplastiken, Interieur in Denkmalgeschützten Gebäuden
2. Plastiken für Galerien, Zusammenarbeit mit Bildhauern
3. Eigene Kunstwerke
In Anlehnung an die griechische Mythologie hat er einen „Trojanischen Hund“ gegossen. Die Odyssee von Homer erzählt ja, wie die Griechen Troja mit einer List eroberten, indem sie ein Riesenholzpferd vor der Stadt Troja zurückließen und so taten, als ob sie die Belagerung aufgeben wollten und mit ihren Schiffen davonsegelten. Die Trojaner feierte das als großen Sieg und schleppten das Riesenpferd in ihre Stadt, nichtahnend, dass im Inneren sich die griechischen Krieger versteckt hielten und nachts herauskamen und die Stadttore für ihre zurückgekehrten Krieger auf den Boten öffneten. Das war das Ende der Stadt Troja. Der König von Ithaka Odysseus hat es, so beschreibt es der griechische Dichter Homer, mit dieser List geschafft, die Stadt zu erobern, aber zur Strafe musste er zehn Jahre auf dem Mittelmeer umherirren, bis er in sein Heimatkönigreich Ithaka zurückkehren durfte.




                                      Der trojanische Hund                                                                                           Der trojanische Hund

Wolfgang Gregor hält es mit Brecht, der einmal gesagt haben soll: “Lies jeden Tag ein paar Seiten eines guten Buches und höre gute Musik!“ Lesen, Musik und Sport sind seine Hobbys. Er läuft und schwimmt gern und fährt mit seiner Frau Andrea Kuhlmey an den Wochenenden 80 km mit dem Fahrrad. Ebenso liebt er das Windsurfen und Snowboarden. Er hat eine Tochter Clara und einen Sohn Philip. In Landin hat er im großen Garten eine Gipsfigur in Anlehnung an eine Arbeit von Max Klinger „Tanahashi“ aufgestellt.

Hommage / freie Nachbildung  an Max Klingers „Tanahashi“



Der Garten grenzt an den Buchtgraben



Der Garten ist auch für die tägliche Speisekarte gut nutzbar. Mit den vielen Obstbäumen und Beerensträuchern und einem kleinen Kräutergarten ist er zu einer richtigen Idylle geworden.

Der Kräutergarten



An der Straße hat er noch eine kleine Remise und ein kleines Gartenhaus gebaut, um etwas Abstellmöglichkeiten zu haben. Und er kann auch Autos reparieren. Ein guter Handwerker hat eben geschickte Hände und wenn sie dann noch künstlerisch aufgewertet werden, ist Vieles möglich.

Remise und Gartenhaus an der Straße



Das Havelland ist schön und Landin ist ein schöner Ort im Havelland. Da lebt man in der Natur und mit der Natur und wenn man Lust auf die Stadt hat, ist Berlin quasi um die Ecke. Auf einem Dorf kann man auch die Jahreszeiten viele intensiver wahrnehmen als in der Großstadt Berlin. Das Blühen, Werden und Vergehen ist jeden Tag zu sehen und dieses Jahr gab es auch am 06. Februar 2021, dem Namenstag der Heiligen Dorothea, Schnee wie seit Jahren nicht mehr.


Gregor
Kunstgießerei
Steinstrasse 4 A
14715 Landin/Havelland
Tel:+493387460668
Fax:+493387460672
E-Mail: mail@kunstgiesserei.de
www.kunstgiesserei.de


Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2021


55. Der Dorfpolizist von Landin 01.09.2021




1949 richtete die DDR nach sowjetischem Vorbild eine Volkspolizei ein und warb junge Männer für den Dienst für die polizeilichen Aufgaben in den Städten und Gemeinden. Jeder Polizist bekam einen Bereich zugeteilt und nannte sich Abschnittsbevollmächtigter (ABV). Die Ausbildung war in den ersten Jahren sehr lückenhaft, verbesserte sich aber nach und nach. Die Volkspolizisten waren fast alle in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Meist bekleidete der ABV den Rang eines Unterleutnants oder eines Leutnants. Sie hießen im Volksmund wegen ihrer grünen Uniformen einfach „Die Grünen.“ In Landin war Georg Zimmermann zuständig für Diebstahl, Raub und Streitigkeiten der Nachbarn. Er wohnte mit seiner Frau Irmgard, in der Bergstraße 4.

Wohnhaus von Irmgard und Georg Zimmermann
Bergstr. 4

Er kontrollierte auch die Fahrradfahrer, wenn sie im Herbst ohne Licht von der Arbeit in Rhinsmühlen oder Rathenow kamen. Jeder wusste, dass er bei Dunkelheit den Dynamo einschalten musste und sein Fahrrad mit Licht zu fahren war. Aber der Dynamo erschwerte natürlich das Fahren, denn er erzeugte sein Licht über ein kleines Rad, das auf das Profil des Fahrradschlauches lief und eigentlich ein Hindernis war. Deshalb fuhren die meisten Leute ohne Licht. Wenn er dann einen Heimkehrer anhielt und ihn zur Rede stellte, amysierte er sich über die Ausreden. Es gab die Zerknirschten, die reuemütig und schuldbewusst meinten, sie hätten es nur vergessen und würden sonst immer mit Lichtfahren. Und es gab die Erbosten, die ihn beschimpften, ob er nichts anderes zu tun hätte, als fleißige Arbeiter zu schikanieren. Er beließ es meist bei einer Verwarnung und stellte selten einen Bußgeldbescheid aus. Aber auch das gehörte zu seinen Aufgaben und die Menschen hatten dann doch ein bisschen Angst und Respekt vor ihm.
Schild am Haus Bergstr. 4


Er kontrollierte die Hausbücher. Er ging auf Streife und war Ansprechpartner für die Menschen im Dorf. Er wurde befragt, wenn Menschen in den Westen reisen wollten. Der Westen hieß damals „nichtsozialistisches Ausland.“ Die spannendste Frage für die Staatssicherheit (Stasi) war, ob die Leute im Westen bleiben würden? Das war nach DDR-Recht eine Straftat und hieß Republikflucht. Die Einschätzung des ABV war für die Behörden entscheidend, denn er kannte die Menschen sehr viel besser, als die Stasimitarbeiter selbst. Als es Westfernsehen gab, war das für jeden Parteigenossen tabu. So etwas schaute man nicht. Wenn die Leute sagten, es gäbe so schöne Filme im Westfernsehen, antwortete er: „Man trinkt auch keinen guten Wein aus einem schmutzigen Glas.“ Aber seinen Eltern erzählte er doch nach etlichen Gläsern Schnaps. Wir ziehen abends die Vorhänge zu und kucken auch mal Westfernsehen. Die Verlockungen des Westens gingen doch nicht an den einfachen SED-Mitgliedern spurlos vorüber.
Emblem der Volkspolizei der DDR


Der ABV war ein vielbeschäftigter Mensch, denn er musste für den Staat seine Dienste absolvieren, war aber auch zuständig für jede kleine Rauferei im Ort. Besonders nervten ihn Nachbarschaftsstreitigkeiten. Zwischen Arnold Mewes und Hedwig Muchow gab es immer Zank. Die Mewesschen Hühner machten es sich gern im Garten der Nachbarn bequem und ließen sich den Salat und den Grünkohl gut schmecken. Hedwig Muchow holte dann sofort den ABV, um den Schaden begutachten zu lassen. Die Hühner waren schon längst wieder fort, als Georg Zimmermann in den Garten kam. Er meinte, das sehe doch eher wie Schneckenfraß aus, was die Hedwig Muchow noch mehr aufbrachte. „Das lasse ich mir nicht gefallen, „sagte sie, „ich werde zum Bürgermeister gehen.“  „Gerne,“ sagte Georg Zimmermann, „dann schreibe ich in mein Protokoll - Übernahme durch den Bürgermeister.“ Hedwig Muchow winkte nur wütend ab: „Machen Sie doch, was Sie wollen!“ Meist ging solcher Streit wie das Hornberger Schießen aus. Georg Zimmermann war in Landin beliebt, denn er schoss nie über das Ziel hinaus und war auch kein scharfer SED-Hund, der Menschen ans Messer lieferte. Eine Schwäche hatte er aber doch. Er aß gern süß-sauer eingeweckten Kürbis. Er hatte schon lange ein Auge auf die Kürbisse im Garten von Lisa Gretzinger geworfen. Der Garten war fast schräg gegenüber von seinem Wohnhaus.
Haus von Lisa und August Gretzinger
Steinstr. 8


Und in einer regnerischen Sturmnacht konnte er nicht widerstehen und holte sich zwei Kürbisse aus dem Garten von Lisa Gretzinger und brachte sie in seinen Schuppen. Am nächsten Tag war das das Gesprächsthema Nummer Eins im Konsum. Lisa Gretzinger kam ganz aufgeregt in den Konsum und fragte Irmgard Zimmermann: “Habt Ihr denn nichts gehört in der Nacht? Mir haben sie nämlich zwei Kürbisse geklaut. Die waren durch den Stallmist ganz schön geworden und August und ich haben sie jeden Tag mit Freude angeschaut.“
Kürbisse


Irmgard Zimmermann konnte sich gar nicht genug darüber verwundern, wer denn so etwas machte und wusste doch, dass die zwei Kürbisse in ihrem Schuppen lagerten. Sie weckte ihrem Mann dann auch die Kürbisse so ein, wie er es mochte, mit Zucker, Essig und Zimt. Das leckere Kürbiskompott reichte für ein ganzes Jahr. Im Landin blieb es aber ein Geheimnis, denn so etwas traute man dem ABV nun wirklich nicht zu.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.09.2021



56. Die Gemeindeschwester von Landin 01.10.2021





Martha Fellert hieß die Gemeindeschwester von Landin. Sie wohnte in Kriele und versorgte die Menschen in beiden Dörfern. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenige Telefonanschlüsse in Landin und Kriele. Der Bürgermeister, die Post, der Abschnittsbevollmächtigte der Deutschen Volkspolizei und natürlich die Gemeindeschwester. Martha Fellert war examinierte Krankenschwester und hatte am Paracelsus-Krankenhaus in Rathenow eine zweijährige Zusatzausbildung mit dem Abschluss als Gemeindeschwester absolviert. Die Arbeit im Krankenhaus blieb ihr bis ins hohe Alter noch in lebendiger Erinnerung. Die Ärzte am Paracelsus-Krankenhaus gingen am Vormittag ihrer Arbeit nach und einige unterrichteten nachmittags die angehenden Gemeindeschwestern in ihrem Fachgebiet. Die Schwestern mussten auch auf allen Stationen mitarbeiten. Sie machten die Äther-Narkosen und oft war es auch nötig, bei den Operationen als Assistentinnen einzuspringen, weil überall ein großer Ärztemangel herrschte. Einmal musste Schwester Martha einen vierjährigen Jungen betäuben und fragte ihn: „Kannst Du schon zählen?“ „Ja,“ sagte der Junge aber nur bis vier.“ „Na gut, dann üben wir das mal und wenn Du bei vier angekommen bist, fängst Du wieder von vorn an. Also 1,2,3,4 und dann wieder 1,2,3,4.“ Ich komme nachher mit der Maske zu Dir und dann zählen wir zusammen.“ Der Junge war damit einverstanden. Nach einer kurzen Pause kam Schwester Martha Fellert zurück und wollte mit der Äther-Narkose beginnen, da fragte sie der Junge: “Und wo ist Dein Holzhammer?“ Als sie auf der Frauenstation arbeitete, kam eine junge Frau mit einem Tumor im Unterbauch zur Operation. Der noch sehr unerfahrene Operateur und Schwester Martha als Assistentin operierten die Frau und als der Arzt die Bauchhaut durchtrennt hatte und die Gebärmutter betastete, entpuppte sich der Tumor als kleines menschliches Wesen, das in der Gebärmutter heranwuchs. Eilig nähte der Arzt die Bauchhaut wieder zu und die Mutter brachte nach drei Monaten ein gesundes Mädchen zur Welt. Als sie in Kriele als Gemeindeschwester begann, fuhr sie natürlich mit ihrem Auto, einem kleinen Trabant, über die Dörfer und besuchte die chronisch Kranken, wo Blutdruck gemessen wurden und wenn es notwendig war, auch Rezepte überbracht wurden. Sie hatte immer ihre Tasche mit allen Sachen griffbereit und verabreichte die Spritzen, die von den Ärzten verordnet wurden. Jeden Tag hatte sie in Kriele von 8-9 Uhr Sprechstunde, wo die Patienten sie aufsuchten, um sich ihre verordneten Injektionen abzuholen. In dieser Zeit arbeitete ihre Kurzwelle auf Hochtouren, denn das gehörte auch zu ihren Aufgaben.

Haus der Gemeindeschwester Martha Fellert
in Kriele



Einmal in der Woche war auch Arztsprechstunde, die sie betreute und den Arzt dann zu den Hausbesuchen begleitete. Auch die Mütterberatung mit dem Frauenarzt übernahm sie mit und auch wenn in der Kita der Arzt die Kinder untersuchte oder Schutzimpfungen durchführte. Einmal berichtete sie, waren alle Telefone gestört und ein Nachbar kam und holte sie zu einer Frau, die entbinden sollte. Als sie dort ankam, lag die Frau zwischen ihrem Mann und einem Arbeiter aus dem Rinderstall und hatte ihr Kind im Arm. Beide Männer waren erheblich angetrunken. Der Ehemann hatte die beiden Enden der Nabelschnur in der Hand, die er einfach zerrissen hatte und fragte lallend: “Habe ich das nicht gut gemacht?“ Schwester Martha Fellert versorgte die Durchtrennung der Nabelschnur fachmännisch und wartete auf die Nachgeburt, die auch endlich kam. Dann versorgte sie die Mutter und das Baby ordentlich und schmiss die beiden Männer aus dem Zimmer. Inzwischen war die Störung der Telefonanlage wieder behoben worden und ein Krankenwagen kam und brachte Mutter, Kind und Nachgeburt ins Paracelsus-Krankenhaus. Alle Wöchnerinnen wurden drei Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus von ihr besucht und sie half so gut es ging, den jungen Müttern mit der neuen Situation zurechtzukommen. Meist ergaben sich daraus tägliche Hausbesuche bis die Mutter alles allein besorgen konnte. Aber es entstand natürlich eine enge Bindung an die Menschen in den Gemeinden. Im Anfang ihrer Tätigkeit wurde sie bei allen Notfällen gerufen. Gallenkoliken, Nierenkoliken, Blinddarmentzündungen, Nasenbluten oder ausgehakter Unterkiefer. Zuerst wandte man sich an die Gemeindeschwester. Eigentlich stand ihr Telefon Tag und Nacht nicht still. Erst später gab es einen ärztlichen Notfalldienst in der Nacht und sie konnte dann wenigstens nachts schlafen. Aber nicht immer klappte alles mit dem ärztlichen Notdienst und dann riefen die Leute doch bei der Gemeindeschwester an. Ein Schwangere hatte Schmerzen im Bauch bekommen und den Notarzt angerufen. Eine Dr. Dorothea Mayer aus Rathenow ließ sich aber auf einen Hausbesuch nicht ein und meinte, das habe Zeit bis zum nächsten Morgen, wo der Hausarzt Werner Röhricht aus Nennhausen dann vorbeikommen könnte. Also rief der besorgte Mann bei Schwester Martha Fellert an und bat sie um einen Hausbesuch. Da Schwester Martha die Familie gut kannte, wusste sie, dass es ernst war und fuhr sofort hin, untersuchte die im 6. Monat schwangere Frau und sagte: „Das sieht wie eine akute Blinddarmentzündung aus. Ich rufe von zu Haus die Frau Dr. Mayer selbst noch einmal an.“ Aber die selbstherrliche Ärztin ließ sich auf keinen Hausbesuch ein, sodass Schwester Martha die Frau kurzerhand in ihren Trabant lud und einfach ins Paracelsus-Krankenhaus nach Rathenow fuhr.

Schwester Marthas Trabant

Der Chirurg Dr. Wilhelm Grundmann bestätigte ihre Vermutung und operierte die Frau sofort. Am nächsten Tag besuchte der Ehemann seine Frau im Krankenhaus und Dr. Wilhelm Grundmann sagte zu ihm: “Da kaufen Sie mal für Ihre Gemeindeschwester den größten Karton mit Konfekt, den es gibt, denn sie hat Ihrer Frau und Ihrem Kind das Leben gerettet. Der Blinddarm stand kurz vor der Perforation (Platzen) und dann hätten wir kaum eine Chance gehabt.“

Bauer Günther Müller

Der Bauer Günther Müller aus Kriele berichtete, wie er mit seiner linken Hand in eine Häckselmaschine kam und Schwester Martha seine Wunde klammerte, die auch gut verheilt ist. Die Gemeindeschwester Martha Fellert hatte nicht nur ein Gespür für die richtige Diagnose, sie kannte sich auch mit der Wundversorgung gut aus. Und über die Jahre war sie selbstständig und sicher geworden und die Menschen waren ihr immer wichtiger, als bürokratische Vorschriften.

Alte Narbe an der Hand


Aber auch die Krebskranken, die zu Hause bis zu ihrem Tode gepflegt wurden, versorgte sie mit Morphiumspritzen, sodass sie weniger zu leiden hatten. Es waren ja fast immer alte Menschen, die dann ihre Hilfe brauchten. Die Alten halfen ja meist noch im Haushalt oder im Garten mit, wenn es körperlich möglich war. Arbeitslosigkeit war völlig unbekannt. Wer wollte, bekam immer eine neue Arbeit, auch die Faulpelze und Alkoholkranken. Für die Betriebsleiter war das auch nicht immer einfach. In den Orten, die sie zu versorgen hatte, wurde sie von den Menschen mit Respekt und Achtung behandelt, denn fast alle hatten schon einmal ihre Hilfe in Anspruch nehmen müssen und sie bekam durch ihre Arbeit auch Einblicke in die Familien, die sonst niemand hatte. Aber sie war verschwiegen und Tratsch und Klatsch waren ihr fremd. Irmgard Siewert erinnert sich noch an eine Mandelentzündung. Ihre Mutter schickte sie zu Schwester Martha Fellert in die Sprechstunde. Schwester Martha pinselte den Hals mit einer bitteren Jodlösung aus und nach drei Tagen war es besser. Als die Gemeindeschwester älter wurde, bekam sie zunehmend Gelenkbeschwerden in den Knien und war froh, als sie das Rentenalter erreicht hatte. Sie fuhr sofort in den Westen und war geblendet von dem Wohlstand, in dem die meisten Menschen dort lebten. Da sie immer couragiert war, beschloss sie 1972 in die Bundesrepublik überzusiedeln und setzte das auch in die Tat um. Aber richtig Fuß fassen konnte sie dort nicht mehr. Die Wurzeln, die sie in Landin und Kriele geschlagen hatte, waren gekappt und sie starb einsam und verlassen in einem Seniorenheim.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.010.2021


57. Eine Teestunde bei Romy Reschke in Landin 01.11.2021



Romy Reschke wurde am 14.01.1963 in der Berliner Charité geboren. Ihr Vater, Waldemar Reschke, war Lehrer und später Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Ihre Mutter, Leonide Reschke, geborene Wiedmaier, arbeitete in der Verwaltung des Stadtbezirks Berlin-Mitte. Romy Reschke wuchs mit drei Geschwistern auf, Renate, Ralf geboren in Päwesin  und Ronald, geboren in Johanngeorgenstadt. Der Offiziersberuf des Vaters war mit öfteren Wohnortwechseln verbunden.

Romy Reschke
9 Jahre alt



Von 1969 – 1978 besuchte sie die Polytechnische Oberschule „Friedrich Wolf“ in Berlin-Mitte in der Bergstraße und begann nach der 10. Klasse eine Ausbildung zur Werbekauffrau bei der Deutschen Werbeagentur in Berlin (DEWAG). Bei der DEWAG arbeitete sie in ihrem Beruf bis 1990. Romy Reschke heiratete am 30.06.1988 in Vitte auf Hiddensee den Werkzeugmacher Christian Reschke, geborener Triebel. Am 10.11.1988 wurde die Tochter Charlotte Dorothea und am 04.01.1990 die Tochter Luise Anne-Marie in Berlin geboren. Nach 1990 arbeitete sie in ABM und anderen kurzfristigen Beschäftigungsmaßnahmen. Erst 2007 konnte sie von ihrer Schwester Renate einen Teeladen im A-10-Center in Wildau übernehmen, in dem sie gemeinsam mit ihrem Mann arbeitete.


Teeladen an der A-10 in Wildau


Die Großeltern von Romy Reschke, Johann und Dorothea Wiedmaier, geborene Bossert, kamen aus der Nähe von Straßburg in Bessarabien und wurden von den Nazis nach Polen umgesiedelt, wo sie 1945 erneut fliehen mussten und so nach Landin kamen. Dort bauten sie ein Siedlungshaus in der Steinstraße 3 und wurden Neusiedler. Ein Sohn der Großeltern, Arthur Wiedmaier wohnte mit seiner Frau Christel in der Steinstr. 3 in Landin und Christel Wiedmaier war auch zeitweise Bürgermeisterin von Landin. Die beiden Onkel Hugo und Fritz Wiedmaier sowie ihre Tanten Anna und Paulina gingen 1957 in den Westen. Fritz Wiedmaier siedelte sich in Vaihingen an der Enz in Baden-Württemberg an und kam jedes Jahr einmal nach Ostberlin und besuchte mit Romy Landin. Romy fühlte sich in Landin immer zu Hause. 1991 kam Romy Reschke mit ihrem Mann nach Landin und räumte das Grundstück in der Steinstraße 3 auf und kaufte das Objekt 1992.

Siedlungshaus Steinstr. 3



Die Instandsetzung des alten Siedlungshauses wäre zu teuer gewesen, sodass Romy und Christian Reschke beschlossen, ein Fertighaus auf dem Grundstück zu bauen. Und so zog die Familie 2015 in ein EBK-Haus mit Energiespareffekt ein.


Dänisches Fertigteilhaus


Die Heizung wird über eine Luftwärmepumpe betrieben. In die Dorfgemeinschaft haben sich Romy und Christian Reschke schnell integriert. Bei den Landiner Dorffesten machen sie Spiele mit den Kindern und laden die Dorfkinder auch in die Steinstraße 3 ein, um mit ihnen zu feiern. Inzwischen ist Christian Reschke Rentner, aber der Teeladen in Wildau läuft mit zwei Angestellten noch immer auf Hochtouren und Romy hat alle Hände voll zu tun, um die Wünsche ihrer Teekunden zu erfüllen. Aber wenn sie frei hat und in Landin ist, dann sagt sie zu ihrem Mann: „ Ich glaube, so fühlt sich das Glück an.“

Romy und Christian Reschke
auf der Bank vor ihrem Haus in Landin

Die Familie Reschke fühlt sich sehr wohl in dem neuen Haus mit dem weiten Blick über das Feld ins Dorf und auf den ehemaligen Schlosspark von Landin.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.11.2021


58 Störche bringen Glück ins Haus 01.12.2021




Die Störche kommen jedes Jahr im März ins Havelland und fliegen Ende August wieder in den Süden. Durch die Klimaerwärmung fliegen sie gar nicht mehr nach Afrika zurück, sondern überwintern in Spanien und kommen noch früher nach Deutschland. Sonja Dittrich dachte sich, die Störche müssten in Landin eigentlich genug Nahrung finden, denn es gibt den Landiner See und die Wiesen am Großen Havelländischen Hauptkanal. 2013 bat sie ihren Mann ein Rad auf einen Mast auf dem Dach zu befestigen, damit die Störche ein Nest darauf bauen können. Der NABU sagte: “Das wird sowieso nichts, gab aber gute fachliche Ratschläge.“
Und so entstand der Mast mit einem Wagenrad und Gert Dittrich wäre nicht Gert Dittrich, wenn er nicht gleich eine Kamera mitinstalliert hätte, damit man das Leben der eventuell kommenden Störche beobachten könnte. Aber das Frühjahr 2014 kam und es kam auch mal ein Storch und beschaute sich das Wagenrad, machte sich aber wieder auf den Weg nach Parey an der Havel, wo er seit Jahren mit seiner Frau ein Nest bewohnte. Entgegen allen Prognosen des NABU ließ sich dann aber doch ein Storchenpaar auf dem Wagenrad häuslich nieder und baute ein großes Nest.






Das war eine Freude für das ganze Dorf und Sonja Dittrich strahlte vor Stolz. Sie hatte sich nicht geirrt. Die Störche suchten solche Horste. Und die Störchin legte auch zwei Eier und brütete. Mit der Kamera verfolgte man das Geschehen auf dem Nest. Der NABU kam und beringte die zwei Störche. Es wurden für die zwei zu erwartenden Storchenkinder im ganzen Dorf Namen gesucht und es gab 33 Vorschläge, die in einen Storchenbriefkasten gesteckt werden konnten. Der Storchenbriefkasten befand sich an der Bushaltestelle und jeder Landiner war aufgerufen, bis zum 24.05.2014 seine Namensvorschläge dort einzustecken.


Zwei Eier im Storchennest



Unter den Namen waren Adam und Eva, Hänsel und Gretel, Karla und Marx, Pauline und Paulchen, Tristan und Isolde, Romeo und Julia und noch viele andere. Am 25.05.2014 gab es Wahlen für das Europäische Parlament und die Landiner hatten an dem Tag gleichzeitig über die 33 Namensvorschläge für die Storchenkinder abzustimmen. Die meisten Stimmen bekam aber der Namensvorschlag Landiner und Landinchen.


Doch es kommt, wie im richtigen Leben, immer anders als man denkt. Sei es nun, dass ein Marder, der auf dem Boden wohnte oder ein Waschbärenfamilie das Storchenehepaar störte. Zuerst entschwand der Storchenvater und drei Tage später auch seine Gattin. Sie kehrten nicht wieder zum Horst zurück. Das Gelege war nicht mehr zu retten. Und bis 2021 kamen jedes Jahr mal Storchenpaare und beschauten das Nest, aber keiner von den Störchen blieb in Landin. Doch Sonja Dittrich gibt nicht auf. Sie möchte, dass das Nest erhöht wird. Vielleicht findet ein Storch wieder den Weg nach Landin und kommt dann Jahr für Jahr zurück. Die jungen Störche sammeln sich jedes Jahr vor dem Abflug ihrer Eltern gesondert auf den Wiesen und fliegen in den Süden. Die Eltern sammeln sich später und fliegen in eigenen Gruppen nach. Warum das so ist, weiß keiner. So gibt es viele Rätsel, die die Wissenschaftler noch aufzuklären haben. Vor dem Zeitalter der sexuellen Aufklärung erklärten die Eltern ihren Kindern, der Storch hätte eine Frau ins Bein gebissen und nun sei sie schwanger. Sonja Dittrichs Hoffnungen sind nicht unberechtigt. Vielleicht kommt doch ein Storchenpaar wieder nach Landin und bringt den Landinern nicht nur die Kinder aus dem Landinder See, sondern auch das Glück ins Haus.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2021


59. Die Pest in Landin 01.01.2022


Nachtwächter Franz Mewes


1670 gab es in Landin einen großen Streit um ein gutes Stück Ackerland, was einem Bauern Konrad Suhrbier in Kriele gehörte. Der Gutsherr von Landin hätte dem Bauern gern das Land abgekauft, aber der weigerte sich hartnäckig. Das viele Geld lockte ihn nicht, denn er war reich genug und wollte den guten Boden nicht aufgeben. Auch Strohmänner, die im Auftrag des Gutsherrn dem Bauern Unsummen boten, konnten Konrad Suhrbier nicht umstimmen. Das Land war nicht ganz eindeutig in den Besitz des Konrad Suhrbiers gekommen. Seine Frau Rosamunde hatte den wertvollen Acker mit in die Ehe gebracht und meinte dazu, dass die Besitzverhältnisse, so berichtete ihr der Vater, nicht ganz geklärt wären, weil eine Schwester und ihre Nachkommen auch ein Anrecht darauf hätten. Die Schwester hatte aber früh den armen Bauern Otto Barenthin aus Landin geheiratet und hätte aus Kostengründen es sich nie leisten können, ihr Erbrecht durchzusetzen. Ganz klar waren aber die Besitzverhältnisse nie gewesen. Der Vater hatte den Hof doch endlich an den ältesten Sohn gegeben, auch wenn er ihr immer Versprechungen gemacht hatte. Aber man tat das als Gefasel ab. Nachdem die Gutsherrschaft auf ihren vielen Kaufwegen immer gescheitert war, wurde der Acker noch begehrlicher. Endlich boten sie dem armen Bauern Otto Barenthin viele Goldmünzen, wenn er ihnen den Acker verschaffen könnte. Otto Barenthin erhob also eine Klage beim Königlichen Amtsgericht in Rathenow und forderte den Acker für sich ein, da der Vater seiner Frau ihn ihr zugesagt hatte. Der Prozess zog sich über viele Jahre hin und konnte nicht zu einer eindeutigen Klärung führen. Da schwor Otto Barenthin einen Eid, dass der Acker ihm gehöre und das Gericht entschied zugunsten des Meineidigen. Der hatte daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als den Acker an den Gutsherrn von Landin zu verkaufen. Der Gutsherr von Landin freute sich sehr und belohnte den Bauern fürstlich. Otto Barenthin wurde aber seines Lebens nicht mehr froh. Das schlechte Gewissen plagte ihn Tag und Nacht. Schließlich bekam er eine entsetzliche Krankheit, die seinen ganzen Körper mit Geschwüren übersäte und er große Schmerzen ertragen musste. Als man ihn auf dem Kirchhof in Landin begraben hatte, fand seine Seele keine Ruhe. In dunklen stürmischen Nächten erschien seine Gestalt den Bewohnern von Landin und schrie und jammerte so sehr, dass sich alle Menschen furchtbar erschraken. Der Nachtwächter Franz Mewes ging jede Nacht durch Landin und schaute nach Ordnung und Ruhe. Besonders wichtig war es für ihn, dass alle Lichter gelöscht wurden und kein Brand entstehen konnte. Für den Brandfall hatte er einen Kirchenschlüssel und konnte so die Glocke läuten, die die Bauern zum Löschen des Feuers herbeiholen sollte. Er hatte immer einen Kirchenschlüssle bei sich, denn er versah auch das Amt des Küsters in der Kirche. Als Franz Mewes in einer stürmischen Herbstnacht wieder seine Runde machte, war es ihm so, als würde er verfolgt.

Der Geist von Otto Barenthin



Aber immer, wenn er sich umdrehte, konnte er niemand erkennen. Er hatte zwar eine Laterne bei sich, aber die leuchtete nur ein paar Meter im Umkreis. Schließlich hörte er eine Stimme, die rief: „Küster, schließ mir die Kirche auf!“ Zuerst tat er so, als hätte er nichts gehört, obwohl es ihn etwas gruselte. Aber als die Stimme immer wieder bat: „Küster schließ mir die Kirche auf,“ fasste er sich ein Herz und ging zur Kirche und schloss die Kirchentür auf. Er spürte auch, dass eine Gestalt in die Kirche schlüpfte, aber richtig sehen konnte er nichts. Dann hörte er wieder die Stimme aus der Kirche: „Du hast mich erlöst. Ich will Dir zum Dank sagen, dass die Pest nach Landin kommen wird, aber Du und Deine Familie werden nicht sterben.“ Franz Mewes war kein schreckhafter Mensch, aber ganz geheuer war es ihm nicht. Er schloss die Kirchentür wieder zu und ging sofort nach Hause, wo er alles seiner Frau erzählte. Die meinte, das war der Geist von Otto Barenthin. Also war der Eid doch nicht richtig. Seitdem hat niemand mehr in Landin den Spuk wieder gesehen.



Dorfkirche Landin


Als 1708-1711 eine Pestepidemie über Preußen kam, erließ der preußische König Friedrich I. am 14.11.1709 ein Gesetz, um die Pest zu bekämpfen. Die Wirtshäuser wurden geschlossen, das Tanzen untersagt und jeglicher Aufenthalt an Stätten der Unzucht verboten. Die Menschen wurden angehalten, in die Kirche zu gehen, der Predigt zu lauschen und Buße zu tun. Es wurden Reisebeschränkungen erlassen, wobei besonders streng darauf geachtet wurde, dass keine handelnden Juden von Ort zu Ort zogen. Die Juden wurden nicht direkt für die Pest verantwortlich gemacht, aber nach alter Tradition suchte man nach Sündenböcken. Erst einhundert Jahre später entdeckte man ein Bakterium, das die Pest verursachte und die Übertragungswege durch die Ratten und den Rattenfloh. Trotz der königlichen Anordnungen kam die Pest auch nach Landin. Das Dorf wurde fast entvölkert. Der Küster Franz Mewes musste fast täglich die Totenglocke läuten. Jedes Mal, wenn jemand im Dorf starb, wurde die Glocke geläutet. Manchmal läutete er die Glocke drei bis viermal am Tag. Der Küster Franz Mewes begrub viele Menschen, erkrankte aber selbst nicht, wie es ihm der Geist von Otto Barenthin vorausgesagt hatte. Seine Frau und all seine Kinder blieben auf wundersame Weise von der Seuche verschont.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.01.2022



60. Dorothea Wiedmaier findet eie neue Heimat in Landin 01.02.2022

Dorothea Bossert (links) mit ihrer Schwester Lydia
1929 in Strassburg (Bessarabien)



Dorothea Bossert wurde am 12.04.1889 in Strassburg in Bessarabien geboren. Bessarabien liegt zwischen zwei Flüssen, Brut und Dnjestr, am nordwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres. Strassburg lag 15 km südöstlich von der Stadt Akkerman an dem Flüsschen Alkalia, das 30 km südlich von Strassburg ins Schwarze Meer mündete. Der Vater, Jakob Bossert, hatte eine Tischlerei und die Mutter, Dorothea Bossert, geborene Treichel, war Hausfrau. Dorothea und Jakob Bossert hatte elf Kinder und wohnte in einem mit Schilf gedeckten Haus. Als ihr Vater starb, wurde er vor dem Haus in einen Sarg offen aufgebahrt. Alle Mitglieder der Familie versammelten sich um den Sarg vor dem Haus.

Großvater Jakob Bossert vor dem Wohnhaus der Familie Bossert
in Strassburg (Bessarabien)


Die Tochter Dorothea Bossert heiratete in Strassburg den Tischler Johann Wiedmaier. Dem Ehepaar wurden elf Kinder geschenkt. Fünf Kinder starben aber schon früh an Kinderkrankheiten und anderen Infektionen. Die sechs überlebenden Kinder waren:
Anna Maier, geboren Wiedmaier (*29.11.1919 - † 29.04.2020)
Arthur Wiedmaier (*04.04.1922 – †21.02.2017)
Friedrich Wiedmaier  (*09.09.1924 –  †16.12.2016)
Hugo Wiedmaier (*05.01.1928 – † 05.08.2010)
Leonide Wellhausen, geborene Wiedmaier (*06.04.1930 – †13.02.1999)
Pauline Reschke, geborene Wiedmaier (*19.05.1935 – †14.07.2019)


Bessarabien gehörte bis 1940 zu Rumänien


Der Landstrich Bessarabien hat seinen Namen vom Walachischen Fürstenhaus Besarab. Nach dem Aussterben des ungarischen Herrschergeschlechts der Árpáden nutze 1301 der Fürst Besarab I. die Chance ein eigenes Fürstentum, die Walachai (Rumänien), zu gründen, das von den Südkarpaten bis zum Schwarzen Meer reichte. Bessarabien war immer ein Zankapfel zwischen Russland, Österreich und der Türkei. 1812 trat das Fürstentum Moldau Bessarabien an Russland ab und nun gehörte das Gebiet als Gouvernement Bessarabien zum Russischen Zarenreich. Zar Alexander I. von Russland holte 1813 deutsche Kolonisten ins Land, die als selbstständige Landwirte auf eigenem Land leben durften und große Privilegien erhielten. 9000 eingewanderte Personen wohnten in 24 Kolonien. Die Kolonien wuchsen in den folgenden Jahren auf 150 Orte mit 93000 Menschen an. Die Hauptstadt von Bessarabien ist Kischinew. Die meisten Deutschen lebten um die Stadt Akkerman herum. Dorothea Wiedmaiers Vorfahren kamen als Einwanderer aus Schwaben nach Bessarabien. Als deutsche Kolonisten haben sie trotz großer Mühsal und Entbehrungen das Land urbar gemacht und gemeinsam mit den anderen Einwanderern im Laufe der Zeit die Kultur dort geprägt. Die Familien hatten viele Kinder und führten ein einfaches, naturverbundenes und religiöses Leben. Strassburg war ein größeres Dorf. Hier gab es sogar eine Schule. Die Kinder gingen am Vormittag zur Schule und am Nachmittag mussten sie den Eltern in der Landwirtschaft helfen. Jede Hand wurde gebraucht. Ob Sommer oder Winter, es gab immer Arbeit in Hof, Stall, Garten oder auf dem Feld. Abends fielen sie todmüde ins Bett, selbst an den üblichen Gute-Nacht-Geschichten fand niemand mehr Interesse. Im Herbst begann die Weinlese, das Einmachen von Früchten, das Mosten und das Marmelade kochen. Im Winter dagegen blieb mehr Zeit für die Familie und besonders für die Kinder, es wurden Feste gefeiert und ein reges Vereinsleben gepflegt. Die vielen verschiedenen Familien lebten einträchtig miteinander und prägten auch die Sitten und Gebräuche der deutschen Siedler, die von 1814 bis 1940 Bessarabien als ihre Heimat annahmen. An den langen Winterabenden wurde viel gesungen, die Frauen und Mädchen schwatzten beim Handarbeiten, die Jungen tobten oder würfelten. Immer stand heißer Tee bereit und aus der Ofenröhre dufteten warmgehaltene Speisen. Die Kinder sehnten die Weihnachtszeit herbei und freuten sich auf das Christkind. Die Eltern und Großeltern und die größeren Kinder hatten mit den Vorbereitungen für das Festmahl der Großfamilie und den geladenen Gästen zu tun. Es wurde eine Gans und wenn möglich ein Schwein geschlachtet, Wurst gemacht, Speck und Schinken in den Rauch gehängt und Fleisch gepökelt. Auch die Weihnachtsbäckerei kam nicht zu kurz. Dorothea Wiedmaier konnte ausgezeichnet backen. Noch viele Jahre später hat sie ihren Enkelkindern „Ausstecherla, Pfeffernüßla, Lebküchla, Duchgdrehte“ …gebacken und die köstlichsten Bonbons der Welt zubereitet. Die Enkelkinder durften die Karamelmilch rühren und beim Schneiden der gehärteten Zuckermasse helfen. Früher, so erzählte sie, wurden die „Zuckerla“ eingewickelt und bis Weihnachten in der guten Stube neben anderem Naschwerk und den Plätzchen aufbewahrt, um dann alles auf dem bunten Teller zu verteilen. Diese seltenen Süßigkeiten bereiteten den Kindern die größte Freude, bisweilen fanden sich unter dem Christbaum auch kleine Geschenke, Selbstgestricktes, Holzspielzeug oder eine Stoffpuppe. 1918 wurde Bessarabien kurzzeitig unabhängig, danach gehörte es zu Rumänien.

Gutschki
Polen 1944



Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 sprach aber Bessarabien wieder der Sowjetunion zu und enthielt eine Klausel, dass alle Deutschen das Land zu verlassen hätten. So wurden ab 1940 die deutschstämmigen Bessarabier von den Nazis nach Polen umgesiedelt. So kamen Johann und Dorothea Wiedmaier nach Gutschki Kreis Warthbrücken im „Reichsgau“ Wartheland in Polen. Johann Wiedmaier erkannte die verbrecherische Absicht des Naziregimes sofort und meinte: „Wir sind für die Nazis Kanonenfutter.“ Ihren Weg nach Polen begleiteten Hunger, Krankheit und Tod. Viele Familien wurden auseinandergerissen. Nicht jeder überlebte diese Strapazen. Und es stand allen ein schwerer Neuanfang bevor.




Dorothea und Johann Wiedmaier



1945 musste die Familie ihren neuen Wohnort wieder verlassen und kam über Rhinow nach Landin. Dorothea Wiedmaier und ihr Mann Johann Wiedmaier wohnten mit ihren Kindern in ärmlichsten Verhältnissen im Wohnhaus für die Gutsarbeiter in Landin. Es ging in dieser Zeit um das Überleben. Als im September 1945 im Land Brandenburg die Bodenreform durchgeführt wurde, erhielten auch Johann und Dorothea Wiedmaier Land und die Gelegenheit ein Siedlungshaus in Landin in der Steinstr. 3 zu bauen. Direkt am Haus wurde der Stall angebaut, wie man das aus Bessarabien kannte. Aber für die Familie Wiedmaier war das auch Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie hatten wieder ein Ziel vor den Augen.

Dorothea Wiedmaier vor dem neu errichteten Haus
Landin, Steinstr. 3




Dorothea und Johann Wiedmaier musste zwar hart arbeiten, denn es war nicht leicht die achtköpfige Familie durchzubringen. Aber sie waren es gewöhnt, von früh bis spät auf den Beinen zu sein und die Kinder mussten im Stall und auf den Feldern und Wiesen immer mitarbeiten, das kannte man gar nicht anders. Die Kinder gingen natürlich in die Dorfschule und lernten tüchtig, was man so auf einer Dorfschule lernen kann.
So nach und nach verließen die Kinder das Haus. Leonide ging nach der Schule als Haushaltshilfe nach Nordrheinwestfalen und verliebte sich in einen jungen Mann. Seine Eltern wollten diese Verbindung nicht. Als sie schwanger wurde, trennte die Eltern ihren Sohn sofort von Leonide und schickten ihn weit fort, sodass Leonide nach Landin zurückkehrte und 09.09.1949 in Friesack ihre Tochter Renate zur Welt brachte. Die Großeltern Dorothea und Johann Wiedmaier freuten sich über die Enkelin und zogen sie mit viel Liebe auf. Ihr Motto war: Alle Kinder, wie sie kommen, sind willkommen. Und so konnte Leonide Wiedmaier ohne Sorge ihre Ausbildung als Kindergärtnerin in Schmalkalden absolvieren und kam nur an den Wochenenden nach Hause.

Kindergartenausbildung in Schmalkalden
Leonide Wiedmaier 1. Reihe 3. von links



Bei einem Familientreffen lernte Leonide Wiedmaier 1952 ihren zukünftigen Ehemann kennen. Die Familie lebte von 1956 -1961 in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge.
Als Johann Wiedmaier am 21.11.1957 an Krebs starb, war seine Frau Dorothea schon im Rentenalter und beschloss zu ihrer Tochter Leonide nach Johanngeorgenstadt zu gehen. Die anderen Kinder Anna, Pauline, Fritz und Hugo gingen 1957 in den Westen. Ihr Sohn Arthur Wiedmaier lebte mit seiner Frau Christel noch bis 1960 in Landin in dem Siedlungshaus. Christel Wiedmaier war auch zeitweise Bürgermeisterin von Landin.

Siedlungshaus von Dorothea und Johann Wiedmaier 2021


Mit dem Umzug Leonides und deren Familie 1961 nach Berlin wurde auch Dorothea Wiedmaier Berlinerin. Sie fühlte sich ihrem Landin etwas näher und genoss die Ausflüge dorthin. Dorothea Wiedmaier beaufsichtigte, umsorgte und bekochte die Enkelkinder, während die berufstätigen Eltern außer Haus waren. Sie war schon über 70 Jahre alt, als sie nach Berlin kam und übernahm doch einen Großteil des Haushalts. Sie wurde die Chefin in der Küche. Während ihre Tochter arbeitete, verwöhnte sie die Enkelkinder täglich nach der Schule mit feinen, außergewöhnlichen Gerichten, die auch den Schulfreunden sehr mundeten und schon wegen ihrer Fremdartigkeit ihren besonderen Reiz für alle hatten. Ein herrlicher Duft empfing die Kinder, wenn sie die Wohnung betraten. Dorothea Wiedmaier erwartete die Enkel schon. Sie hatte ihre Schürze umgebunden und ein Geschirrtuch in den Händen und rief: „Schnell, schnell, damit das Essen nicht wird kalt“. Es gab Knöpfle und Kartoffelschnitz und andere köstliche Sachen. Noch heute läuft den Enkeln das Wasser im Munde zusammen, wenn sie an die Gerichte der Großmutter denken oder selbst zubereiten. Dorothea Wiedmaier hatte im Alter schlohweißes Haar, glatt zurückgestrichen und zu einem winzigen Dutt zusammengesteckt; hellbraune, offene Augen, ein liebevolles und gütiges Gesicht, das immer zartrosa leuchtete. Sie war eine kleine, lebhafte und freundliche Frau, in deren Nähe man sich einfach wohlfühlte. Das Leben hatte sie durch halb Europa nun nach Berlin geführt und ihr einen Schatz an Erfahrung und Lebensweisheit mitgegeben, den sie manchmal auch für ihre Enkelkinder öffnete.

Dorothea Wiedmaier mit Enkeln in Berlin
1963

Weil ihre Schwester Wilhelmine in einem Altenheim in der Schönhauser Allee lebte, ging sie 1972 gleichfalls dorthin. Sie bekam zwar reichlich Besuch, aber es war doch nicht die Familie, in der sie sich immer geborgen gefühlt hatte. So nahm sie 1973 das Angebot ihrer Tochter Anna Maier, geborenen Wiedmaier, an und zog zu ihr nach Vaihingen an der Enz in Baden-Württemberg. Am 27.08.1979 starb sie dort ganz ruhig im Schlaf mit 90 Jahren. So hatte sie sich das immer gewünscht. Sie hatte sich in Landin sehr wohl gefühlt. Durch ihre Herzlichkeit hatte sie bald enge Freundschaftsbande zu Ida Schill geknüpft. Zwölf aufregende Jahre durfte sie dort mit ihrem Mann Johann leben und einen Neuanfang nach dem furchtbaren Krieg wagen. Das war schön und für Dorothea Wiedmaier war es ein neues Glück in ihrem arbeitsreichen Leben.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2022

Anhang

Rezept: Knöpfle mit Kartoffelschnitz


Knöpfle und Kartoffelschnitz
(von Dorothea Wiedmaier aus Landin)
Zutaten
500g Mehl
¼ l Wasser
1 Ei
1 Prise Salz
750g Kartoffeln
1 Zwiebel
1 Möhre
1 Lorbeerblatt
3 Pfefferkörner
Weißbrotwürfel
Butter zum Abschmelzen
Zubereitung
Aus Mehl, Wasser, Ei und Salz wird ein geschmeidiger Teig hergestellt. Dieser muss an einem warmen Ort ca. 30 Minuten ruhen. Danach den Teig etwas bemehlen, mit einer Kuchenrolle etwa 1,2 cm auswalzen und in ca. 3-4 cm breite Streifen schneiden. Die Streifen erneut bemehlen und vorsichtig übereinanderlegen. Die übereinander geschichteten Streifen werden nun quer zu 1cm breiten Nudeln geschnitten und auseinandergepflückt. Etwas Mehl über die Knöpfle streuen, damit sie nicht zusammenkleben. Kartoffeln und Möhre schälen, in Schnitze schneiden und in einem größeren Topf mit reichlich Salzwasser und den Gewürzen zum Kochen bringen. Nach etwa 10 Minuten die Knöpfle zu den Kartoffeln ins Wasser geben. Die Knöpfle hochkommen lassen und mit den Kartoffeln auf kleiner Flamme fertigkochen, über einem Sieb abschütten und in einer Schüssel anrichten. Die Weißbrotwürfel in reichlich zerlassener Butter rösten und über Knöpfle und Kartoffelschnitz geben. Dazu werden saure Gurken und Buttermilch gereicht

Ich danke Renate Scholz und Romy Reschke für die Fotos, die Geschichten und das Rezept.
Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2022



61
Der Wadenbeißer von Landin
01.03.2022
62
Das Osterfest in Landin
01.04.2022
63
Die Pusteblume
01.05.2022
64
Klau-Krüger
01.06.2022
65
Jens Bauer kauft ein Haus in Landin
01.07.2022
66
Josepha muss heiraten
01.08.2022
67
Warten vor der Kirche
01.09.2022
68
Eierlikör für den Kirchenrat
01.10.2022
69
Der Bohnenkönig von Landin
01.11.2022

 

Ferienwohnung

Nachdem 2012 die Wohnung im Obergeschoss der Familie Knackmuß in der Röntgenstr. 13 in Rathenow frei wurde, richtete das Ehepaar Knackmuß dort eine Ferienwohnung ein.  Die Bischöfin Rosemarie Köhn übernachtete dort vom 06.04.-08.04.2012 mit Susanne Sonderbo. Rosemarie Köhn  ist die erste Frau im Bischofsamt in Norwegen gewesen und die zweite Frau weltweit, die so ein hohes Amt bekleidete. Sie ist in Rathenow geboren. In der über 800-jährigen Geschichte der Stadt Rathenow gab es nur zwei Bischöfe, die in der Stadt geboren wurden. Dr. Stephan Bodecker (* 1511.1384 in Rathenow - 15.02.1459 in Brandenburg an der Havel). Er war ein berühmter hoch gebildeter Bischof von Brandenburg und einer der wenigen bürgelichen Bischöfe des Mittelalters. Rosemarie  Köhn ist am 20.10.1939 in Rathenow geboren und wurde später Bischöfin von Hamar in Norwegen. Sie war damit die erste Frau im Bischofsamt in Norwegen und in Skandinavien und die zweite Frau weltweit in diesem Amt. Sie hat damit Kirchengeschichte geschrieben. Die Rathenower Bürger sind sehr stolz auf diese Bischöfin, die sehr oft nach Rathenow kommt und auch Mitglied im Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. ist. Ein erster Antrag auf Ehrenbürgerschaft in der Stadt Rathenow fand keine Resonanz in der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Rathenow. Es gibt nur noch wenige Christen in der Stadt. Zwölf Jahre Nazidiktatur und 45 Jahre kommunistische Diktatur habe doch Früchte getragen. So ist es nicht verwunderlich, dass der CDU in Rathenow auch konfessionslose Mitglieder angehören. Es bleibt die Hoffnung, dass Gott die Menschen zum Glauben führen kann. Dr. Heinz-Walter Knackmuß ließ sich aber nicht beirren und ging von Haus zu Haus in der Stadt und warb um Unterschriften für die Ehrenbürgerschaft der norwegischen Bischöfin. Auch in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche lag die Unterschriftenliste aus. Er sprach mit den Abgeordneten der einzelnen Fraktionen und so wurde am 20.04.2021 die Bischöfin Rosemarie Köhn zur Ehrenbürgerin der Stadt Rathenow einstimmig gewählt. Die Sankt-Marien-Andreas-Kirche mit ihren Kunstschätzen war vor der Zerstörung  im Jahr 1945 ein Kleinod norddeutscher Backsteinkunst und soll auch wieder ein kulturelles Zentrum mit Ausstellungen, Konzerten und Lesungen werden und auch ein Zentrum des Glaubens für Christen. Der spirituelle Impuls, der von dieser Kirche ausgeht, nimmt fast jeden Besucher für sie ein.

 

Bischöfin Rosemarie Köhn
                                     aus Hamar (Norwegen)
                                    (*20.10.1939 in Rathenow - † 30.10.2022 in Hamar/Norwegen)

 


Es ist eine gemütliche Ferienwohnung mit zwei Zweibettzimmern und einem Einbettzimmer mit Küche und Bad, die wir gern an Monteure, Touristen und alle Besucher der Stadt Rathenow vermieten. Die Preise sind ab 2 Nächte 20,00 €/ Person und Nacht und wer nur 1 Nacht bleibt, zahlt 25,00 €/Person und Nacht. Wir sprechen Deutsch, Englisch, Russisch, Französisch und Niederländisch. We are speaking German, English, Russian, French and Dutch.

Viola und Heinz-Walter Knackmuss
Röntgenstr.13
14712 Rathenow
Tel:+493385-5200224
Handy: +491792670245
E-Mail:knackmuss@online.de

 

www.knackmussarchiv.de


 

 Abiturtreffen des Jahrgangs 1963 am 02.09.2022 in Rathenow

    von links: Dr. med. Wolf-Dieter Berger, Viola Knackmuß, geborenen Kempf, Elke Reimer, geborene Peters, Hülya Berger, Jutta Schnorr, geborene Liesecke,
        Prof. Dr. med. Dietmar Schnorr, Annemarie Kretzschmar, geborene Behrendt, Günter Hübner, Jörg Anke, Brigitte Pfeiffer, geborenen Fleischhauer,
Elke Hübner, geborene  Müller, Christine Holweger, geborene Nagel, Peter Reimer, Dr. med. Heinz-Walter Knackmuß

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Elke Reimers, geb. Peters, besuchte mit ihrem Mann am 02.09.2022 ihre Heimatstadt Rathenow und schlug vor, ein Klassentreffen zu veranstalten, wenn sie schon mal den weiten Weg von Steinbach am Glan nach Rathenow unternäme. So organisierte sie ein Essen der ehmaligen Abiturklasse Jahrgang 1963 in Rathenow und lud alle zu einem Essen im Restaurant Schwedendamm in Rathenow ein. Die Schüler des Jahrgangs 1944 und 1945 waren der einzige Jahrgang, wo es an der Erweiterten Oberschule "Karl Marx" , heute Jahnschule nur zwei Klassen gab. Eine sprachliche Klasse, wo Englsich, Russisch und Latein unterrichtet wurde und eine naturwissenschaftliche Klasse, wo mehr Matthematik und Physik sowie Chemie gelehrt wurde und nur zwei Sprachen, nämlich Russsich und Latein angeboten wurde. Der Klassenleiter der A-Klasse wurde Eberhard Benndorf, der die Klasse bis zum Abitur führte.




Seminartreffen am 21.09.2022 in Berlin

von links: Dr.med. vet.  Jürgen Fischer, Dr. med. Birgit Nabel, Brigitte Uibel, Dr.  med.Susanne Fischer, Wolfgang Dröseler, Dr. med. Helke Dröseler, Dr. med. Sigrid Schulz, Dr. med.Wolf-Dieter Berger, Dr. med. Klaus Ankerman, Dr. med. Victoria Zegenhagen, Dr. med. Heinz-Walter Knackmuß, Dr. med. Martin Uibel, Dr. med. Martin Conradi

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Seminartreffen der Humanmediziner
des Studiengangs 1964 -1970
an der Humboldt-Universität zu Berlin (Charité)



Dr. Victoria Zegenhagen, Fachärztin für Allgemeinmedizin, hatte nach der Aufgabe ihrer Praxis die Organisation des Seminartreffens übernommen und hatte für die alten Ärzte eine Bootsfahrt von der Friedrichstraße aus gebucht. Die 78jährigen Ärzte trafen sich am Brechttheater vor dem Restaurant "Ganymed" und bestiegen das Ausflugsschiff. Es gab natürlich viel zu erzählen und wie bei alten Leuten üblich und Ärzte bilden da keine Ausnahme, ging es auch um die Krankheiten des Alters, nur mit dem Unterschied, dass die Ärzte ihre Krankheiten genau benennen und beschreiben können und in der Regel auch alle Therapien kennen. Es wehte ein frischer Wind auf der Spree, aber alle hatten vorgesorgt und sich warm angezogen. Es gab ein Geschnatter ohne Ende, denn man freute sich, dass man gemeinsam alt geworden war und da sind solche Treffen kostbar. Natürlich wurde auch an die schon Verstorbenen gedacht und was man alles mit ihnen erlebt hatte. Dr. med.  Victoria Zegenhagen hatte nach der Bootsfahrt im „Ganymed“ einen Tisch bestellt und da wurde nun zusammen gegessen und getrunken. Rippchen war der Renner und neben Wasser und auch manchmal Bier. Dr. med. Martin Conradi las einen Brief an die Fakultätsverwaltung von 1966 vor, weil er den Eindruck hatte, dass er nach seiner Ableistung der Zeit als Wehrdienstverweigerer, er war Bausoldat, von der Staatssicherheit überwacht wurde. Das war sicherlich zutreffend. Es gab in jedem Seminar Zuträger an die Staatssicherheit. Aber das Erzählen ging weiter und Vici fragte in die Runde, ob wir nicht jedes Jahr so eine Fahrt auf der Spree machen wollten und das fand allgemeine Zustimmung. Die meisten wohnen ja in Berlin oder um Berlin herum, sodass sich natürlich Berlin als Treffpunkt anbot. Dr. med. Birgit Nabel hatte auch Augsburg einmal ins Spiel gebracht, aber bei der zunehmenden Gebrechlichkeit der alten Ärzte fand man Berlin doch angenehmer. Dr. med. Heinz-Walter Knackmuß dankte zum Schluss der Vici für die Mühe bei der Vorbereitung des Treffens und sagte das Gedicht "Der Fischer" von Johann Wolfgang von Goethe auf. Alle freuen sich auf 2023, wo im September erneut ein Treffen geplant ist.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 21.09.2022

 


 

 

                                      Dr. med. Victoria Zegenhagen


                                          Dr. med. Birgit Nabel




                                                        Dr. med. Susanne Fischer




Dr. med. Heke Dröseler

Reisen


2024


Hamburg 25.04.2024 - 27.04.2024

Vom 24.04.-27.04.2024 fand der 73. Wissenschaftliche Kongress der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Congress Center Hamburg statt. Veranstalter waren der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (Vorsitzende Dr. Kristina Böhm - Potsdam), der Bundesverband der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (Vorsitzende Dr. Ilka Gottstein- Leinefelde-Worbis) und die Deutsche Gesellschaft des öffentlichen Gesundheitswesens e. V. (1. Vorsitzende Dr. Susanne Pruskil-Hamburg). Natürlich hatte ich mich zur Tagung nicht angemeldet, aber nachgefragt, ob ich nicht als Ehrenmitglied des Verbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes der Länder Brandenburg und Berlin e. V. punktuell daran teilnehmen dürfte. Nach schriftlicher Ablehnung durch die Kongressorganisatoren, war es nach einem persönlichen Gespräch bei der Anreise am 25.04.2024 doch möglich. Also ging ich am gleichen Abend als Gast zur Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft des öffentlichen Gesundheitswesens e. V. und war begeistert und amüsiert von so viel Lebendigkeit.

Bahnhof Hamburg Dammtor

Congress Center Hamburg

  

Innenraum des Congrescenters

Die Fachvorträge haben bei mir nur wenig Widerhall gefunden, da ich am 05.11.2024 mein 80. Lebensjahr, so Gott will, begehen darf. Am nächsten Tag (26.04.2024) besuchten Viola und ich das Mitglied im Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V., Ulrike-Marie Wetz, in Norderstedt und berichteten ihr viel über den Stand des Wiederaufbaus der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in ihrer Geburtsstadt Rathenow und erfuhren auch einige Geschichten aus ihrem privaten Leben und aus ihrem früheren Beruf als Ärztin. Auf der Rückfahrt mit der U 1 hörten wir, dass sich am Hamburger Hauptbahnhof ein schrecklicher Unfall ereignet hätte, der den gesamten Zugverkehr zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und dem Bahnhof Dammtor zum Erliegen brachte.

Blumen für Ulrike-Marie Wetz

Am Abend durften wir für 75,00 €/ Person an dem Gesellschaftsabend des Kongresses teilnehmen, der als Hafenrundfahrt von der Überseebrücke  aus mit der "MS Louisiana Star" vier Stunden lang durchgeführt wurde. Das Motorschiff hat zwei Etagen, die von den Gästen belegt wurden und wo in der oberen Etage schon ein Büfett aufgebaut war. Der Clou des Schiffes war, dass nach er Eröffnung des Gesellschaftsabends das Büfett aus der Kelleretage hochgefahren wurde und nun statt einer Tanzfläche das Menu auf beiden Ebenen zur Verfügung stand. Drei Clowns umrahmten den Gesellschaftsabend. Sie treten in Krankenhäusern und Altenheimen auf und versuchen die Menschen mit ihrer Fröhlichkeit ein paar heitere Stunden erleben zu lassen. Mir hat besonders Anne-Kathrein Miessner gefallen, die als Clown "Pizzikato" mit einer kleinen Geige auftrat und die Menschen zum Mitsingen animierte. 

Anne-Kathrein Miessner
Clownin  "Pizzikato"

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Aber die Band, die im Bug der ersten Etage ihre Stellung bezogen hatte, übertönte mit gefühlten 120 Dezibel alle Gespräche und anderen Aktivitäten. Aber die Ärzte waren begeistert und kreischten beim Tanz noch lauter als die Mitglieder der Band. Besonders schallintensiv war der Schlagzeuger, der an meinem Ohr schon die Schmerzgrenze erreichte. Ich hatte leider meine Schallschutz-Ohrstöpsel nicht bei mir, sodass ich froh war, ein paar Minuten an das Oberdeck zu gehen, um Ruhe und frische Luft zu tanken. Ich hatte am Vortag mit meinem Amtsnachfolger im Havelland Dr. Erich Hedtke in Hessen telefoniert und erfahren, dass der Amtsarzt aus Bad Homburg, Dr. Nikolaus Sapoutzis, auch auf dem Kongress in Hamburg war. Also ging ich von Tisch zu Tisch und fragte die Kollegen: "Sind Sie aus Bad Homburg?" Erst beim letzten Tisch wurde ich fündig und nun erzählte er mir seine Vita und ich die meine und von Dr. Erich Hedtke, der das Bindeglied zwischen uns war. 

Dr. med. Nikolaus Mapoutzis (Bad Homburg)

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Dr. med. Heinz-Walter Knackmuß (Rathenow)

Auf der Heimfahrt mussten alle Menschen die U-Bahnen nutzen, denn der S-Bahn-Verkehr war nach wie vor gestört. Aber wir gelangten mit der U3 und der U1 glücklich zu unserem Hotel "Baseler Hof" und lagen um 2:00 Uhr im Bett. Am nächsten Morgen trabten wir nach dem Frühstück zum Bahnhof Dammtor, sahen aber, dass der S-Bahn-Verkehr immer noch gestört war und fuhren dann mit einem Taxi zum Hauptbahnhof, wo Menschen über Menschen auf den Regionalzug nach Uelzen warteten, aber merkwürdigerweise, fanden alle Platz und wir fuhren von Uelzen weiter nach Stendal und von Stendal nach Rathenow, insgesamt mit den Regionalzügen drei Stunden, was genauso schnell geht, wie mit dem ICE über Berlin nach Hamburg, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass wir gleich in Richtung Westen fahren und nicht erst in die falsche Richtung nach Berlin, das östlich von Rathenow liegt. Meine Frau meinte bei der Ankunft zu Hause: "Wir waren wohl eine Woche weg." "Ja," sagte ich, "Reisen verlängert das Leben." Das hat schon der Brite Graham Green beschrieben. Man verreist für eine Woche und denkt es wäre ein Monat und die Nachbarn zu Hause haben nicht mal bemerkt, dass wir verreist waren.


Hamburg-Bilder